Die Katze

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Rosebud

Beitragvon Rosebud » 12.01.2010, 21:21

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 12.01.2010, 23:27

Liebe Rosebud,
das ist wirklich eine heftige Geschichte - ich fürchte mich vor dem, was nach dem letzten Satz kommt (und was Du klugerweise verschweigst; das macht es noch schrecklicher).
Es ist seltsam, dass Herr Pfefferle auch nach zwei Tagen den Tod der Katze noch nicht erkennt oder erkennen will, obwohl das Tier eiskalt und steif sein muss. Was kann der Grund dafür sein, dass jemand so beharrlich gegen jede Vernunft den status quo verteidigt? In der Geschichte finde ich nur wenige Hinweise - das "wirkliche Leben" scheint ihm zu anstrengend zu sein; er schaut lieber aus dem Fenster bzw. guckt DVDs an. Auch dass seine Exfrau ihn weiter versorgt, obwohl sie geschieden sind, weist in die Richtung einer ungewöhnlich konsequenten Weltflucht. Der Gerichtstermin, anlässlich dessen er das letzte Mal aus dem Haus ging - könnte es die Scheidung gewesen sein? Ist sein Nicht-Wahrhaben-Wollen vielleicht eine Reaktion auf die Scheidung?
Man kann da sehr lange weiterdenken, und das mag ich an der Geschichte. (Ich liebe Tiergeschichten ohnehin.)

Hier ein Stolpersatz:
Er eilt zurück in die Küche, stellt den Herd ab, holt den Katzenkorb aus dem Schlafzimmerschrank, steckt Geldbörse und Schlüssel ein und hebt Petra vorsichtig in die Transportbox.


Wieso holt er den Katzenkorb? Es klingt, als sei es so gemeint, dass Katzenkorb und Transportbox dasselbe sind, aber eine Transportbox ist etwas recht Ungemütliches (ich habe noch die von meinen verstorbenen Hasen), was einem Katzenkorb gar nicht ähnlich sieht.
Ich frage mich auch, warum die Katze Petra heißt - ein sehr ungewöhnlicher Name für eine Katze, finde ich. Hat das einen bestimmten Grund? Vielleicht ein Ehefrauenersatz ...?

Lieben Gruß von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 13.01.2010, 10:26

Hallo Rosebud,

toll geschrieben, eine gruselige Geschichte, aber keine, die sich im Gruseln erschöpft, da ist mehr zu finden. Vieles bleibt nur angedeutet, aber man erfährt doch so viel, dass man eine Ahnung bekommt, ein Gefühl für die Lebens-, Gefühlssituation, aus der heraus so ein Verhalten dann möglich wird. Die Geschichte bewegt sich auf einem schmalen Grad, (wenn Herr Pfefferle der Lächerlichkeit preisgegeben werden würde, würde es für mich kippen), den du aber sicher meisterst.

Nur zwei Dinge, die mich gestört haben:

fragt Pfefferle erregt.
Das hört sich seltsam erklärend an und "erregt" kann seinen Zustand für mich auch nicht fassen. Ich würde das einfach weglassen, ich glaube, der Leser hat hier schon das richtige Gefühl für die Situation.
Im Wartezimmer heult in Panik ein Hund.
Das ist mir zu dramatisch und bedeutungsschwanger und bricht für mich darin aus dem Erzählton der restlichen Geschichte aus. Es entspricht aber auch nicht meiner Erfahrung. Hunde winseln vielleicht beim Tierarzt, zittern wie Espenlaub, bellen, aber "heulen" wie ein Wolf, (was dann auch kein Zeichen von Panik wäre) habe ich zumindest noch nie erlebt.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 13.01.2010, 10:56

Hallo Rosebud,
ein beeindruckendes Bild von jemand, der aus dem Leben gefallen ist und die Annahme der Wirklichkeit verweigert. Erinnert mich ein wenig an Canetti, obwohl du es ja fertig bringst, völlig in der Außenperspektive zu bleiben und dabei eine sehr deutliche Vorstellung vom Innenleben des Protagonisten zu schaffen. Nur der erste Absatz, der in seine Lebenssituation einführt, kommt mir stellenweise noch etwas abgehackt, irgendwie aufgezählt vor - könnte man da vielleicht noch etwas Kitt zwischen die Sätze schmieren? Auch wäre es evtl. für den Leser bequemer - mich hat es allerdings kaum gestört - seinen Namen etwas früher einzuführen, als eine Bugwelle von acht "er" und "ihm" aufzubauen, die sich erst im neunten Satz bricht.
Das "erregt", das Flora erwähnt, hat bei mir übrigens seine Wirkung getan - es passt für mich gut zu der rührenden Naivität des Satzes, in dem sich der Prot erstmals der Wahrheit stellt: "Sie meinen, Petra lebt gar nicht mehr?". Hier ist das Begreifen noch nicht weit genug fortgeschritten, um mehr als eine anfängliche "Erregung" aufkommen zu lassen, und die Nüchternheit dieses Wortes trifft den Zustand eines Menschen, der "außer sich" ist bzw. "neben sich steht".
Der heulende Hund ist mir aber auch aufgefallen, mir wäre es lieber, wenn er "jault"...
Liebe Grüße
Merlin

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 13.01.2010, 11:03

Ich habe mal in einer Tierarztpraxis eine Katze gesehen, die eine längere Infusion bekam. Die winselte zum Steinerweichen. Etwas Ähnliches habe ich mir bei diesem Hund vorgestellt ...
Mir gefällt der Satz als Schluss gut. Würde man ihn streichen, würde die Geschichte unmittelbar bei Pfefferle enden. Das käme mir noch dramatischer vor, eher schon zu dramatisch. So aber wird der Blick noch einmal "in die Runde" gelenkt und die Atmosphäre zusätzlich mit Spannung aufgeladen. Aber da es nun mal erwähnt worden ist - "jaulen" wäre vermutlich passender als "heulen" (ich kenn mich mit Hunden nicht so aus, heulen die überhaupt?).

Gruß von Zefira
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(Ikkyu Sojun)

Trixie

Beitragvon Trixie » 13.01.2010, 11:16

Hi Rosebud,

ich als Katzenfan musste natürlich sofort die Geschichte lesen.
Der Anfang schon mal, gut interessant, auch der Name "Petra" - im Tierheim hatten sie unsere Phoebe auch anfangs Petra genannt, ihre Schwester Paula, die Brüder Peter und Paul, andere Namen waren alle schon weg, das Tierheim einfach zu überfüllt mit niedlichen Katzennamen.

Meine Kritik ist allerdings, dass ich die Geschichte kaum zu Ende lesen mochte, denn als die Katze nicht zum Frühstück kam, war klar, was passiert ist, da ist unnötige Spannung aufgebaut mit dem Warten bis zum Mittagessen und dem "ich mach mir keine Sorge"/ "Oh, jetzt mach ich mir doch Sorgen", das zieht sich zu sehr, wenn er so lange mit seiner Katze zusammen lebt, naiv und weltfremd hin oder her, würde er doch sofort beim kleinsten Anzeichen schon nach ihr sehen, sie nicht in Ruhe lassen. Das könnte er doch gar nicht, ist er doch so auf sie angewiesen. Würde er nicht eher sofort zu ihr hingehen, vielleicht mit ihrem Lieblingsessen auf dem Teller zum Schrank gehen und dann schon in die Klinik fahren? Das ist mir zu unlogisch, zu viel unechtes Drama.
Ansonsten kann ich den Rest mit der Klinik und so weiter schon wieder gut finden. Ist schön durchgängig geschrieben für mich und ich finde auch das "heulen" am Ende nicht schlimm, weil du mich da noch einmal mitnimmst und ich denke an das weinende Mädchen und erwarte eigentlich, dass da steht "heult ein Junge", aber dass es dann doch so sehr um das Tier geht in der Geschichte, wirkt für mich wieder schön rund, da auch der Titel ja von dem Tier spricht und nicht "Herr Pfefferle und die Katze" heißt. Du reißt damit quasi den Bogen nochmal rum und gehst zurück zum Tier und zeigst auch nochmal seine emotionslose, weltentfernte Art auf, in dem der Hund heulen muss, anstatt ihm selbst. Das gefällt mir gut, ob der Hund nun wirklich heult oder metaphorisch heult, ist mir da nicht so aufgestoßen :).
Schöne Geschichte alles in allem, bis auf dieses Hinauszögern des Wahrhabens, dass irgendwas nicht stimmt.

Liebe Grüße
die Trix

Heidrun

Beitragvon Heidrun » 13.01.2010, 13:40

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 13.01.2010, 14:44

Hm, mir geht es da völlig anders. Ich habe die Geschichte von Anfang an nicht als realistisch gelesen, es stört mich daher auch wenig, dass "echte Menschen" sich im "echten Leben" anders verhalten würden. Für mich ist die Geschichte eine Karikatur, ein Sichtbarmachen eines Phänomens durch Übertreibung. Von Anfang an findet man sich in einer Ausnahmesituation, die sich bis zum offenen Irrsinn steigert. Dazu gehört der Versuch, die tote Katze mit neuem Futter anzulocken, wesentlich dazu. Ich könnte mir im Gegenteil vorstellen, dass sich diese Grundidee mit einigem Gewinn noch weiter treiben ließe - die Katze wird an die frische Luft geschickt, ihr wird ein Wollknäuel vorgehalten, er besorgt eine Maus, die sie jagen kann, oder eine andere Katze als Spielgefährten, er zerschmeißt Geschirr und sieht es der Katze großzügig nach... (Dann ginge das ganze aber eher in Richtung "Psycho", mit Pfefferle als Bates und der Katze als Mutter :-). )

Rosebud

Beitragvon Rosebud » 13.01.2010, 18:21

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Trixie

Beitragvon Trixie » 13.01.2010, 18:36

Liebe Rosebud,
danke für die ausführliche Erklärung,
aber bitte,
ich bin keine 17 mehr und nicht in einem Englisch LK, ich denke, das Alter spielt in diesem Forum keine Rolle und man sollte einen Kommentar nicht danach "bewerten", das finde ich ein bisschen "niedermachend", auch wenn du schreibst, dass ich nicht böse sein soll. Ich mag das nicht, wenn man eine Kritik von mir liest und sagst "jaja, als ich noch in deinem Alter war ..." das finde ich abwertend. Ich war nie in einem Englisch LK und habe nie Hamlet besprochen und ich denke, man kann diese Situation nicht vergleichen.
Ich finde nicht, dass mein Kommentar unbedacht oder "kindlich" ist.
Grüße
Trix

Heidrun

Beitragvon Heidrun » 13.01.2010, 18:39

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Rosebud

Beitragvon Rosebud » 13.01.2010, 20:48

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 14.01.2010, 14:01

Liebe Rosebud,

eine fein geschriebene Geschichte über einen Menschen, von denen es inzwischen so viele gibt! Ich finde sie durchweg gelungen, habe nur zwei Anmerkungen bzw. Fragen.

Zum einen die Namen (Petra und Pfefferle): Interessant ja, dass du das nahezu umkippst, der Name des Mannes klingt eher nach Haustier und die Katze nach Mensch, das gefällt mir. Zugleich haben beide gewählten Namen für mich aber auch eine bestimmte Wirkung: Bei Pfefferle geht das ganze irgendwie ins Märchenhafte, Zwergige, die "Mannvorstellung" wird dadurch sehr zurückgenommen und das färbt den ganzen Text für mich eine Spur ins Hutzelige - ist das so beabsichtigt? Vielleicht ist es gut gewählt, weil es dadurch nicht so mitleidig wird, vielleicht könnte ich mir aber hier auch einen normaleren Namen auch gut vorstellen, wodurch die Geschichte leichter auf die Stadthäuser, hier alle neben mir anzuwenden ist - ich wollte das nur anmerken. Den Namen Petra, wenn auch alliterarisch angelehnt an Pfefferle würde ich mir vielleicht aber nochmal überlegen, da ich ihn eine Spur zu menschlich finde. Ich finde, es sollte ein Name sein, der zumindest in der Vorstellung (als Ursprungsgefühl) noch ein bisschen mehr Tiername ist.

Die zweiten Überlegungen kreisen um das Ende - genauer gesagt die Passage des zweiten Tierarztbesuches. Mir kommt da Pfefferles "Einsicht" (die wie Zefi richtig schreibt, ja eher ein (eventuell autoaggressives) Urteil/Fügen ist) erzähltechnisch eine Spur zu unaufgebaut, ich könnte mir das ganze noch etwas in sich stimmiger/geschlossener/auserzählter vorstellen. Genauer spüre ich hier einen noch nicht ganz ausgeführten Erzählstrang:

Das würde nicht helfen. Sie müssen akzeptieren, dass Ihre Katze tot ist.“
„Sie meinen, Petra lebt gar nicht mehr?“ fragt Pfefferle erregt.


Ansonsten aber wirklich wieder eine feine, kleine Geschichte, die mit ganz einfachen Mitteln viel erzählt.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 14.01.2010, 14:19

Liebe Rosebud,
eben beim Lesen von Lisas Kommentar fällt mir ein, dass ich noch eine Frage habe.
Wie würdest Du die Geschichte vorlesen? Es geht mir um diesen Satz:
„Sie meinen, Petra lebt gar nicht mehr?“ fragt Pfefferle erregt.

Würdest Du das "lebt" betonen oder das "gar"?
„Sie meinen, Petra lebt gar nicht mehr?“ fragt Pfefferle erregt.
„Sie meinen, Petra lebt gar nicht mehr?“ fragt Pfefferle erregt.

Das gibt zwei völlig unterschiedliche Effekte, ist mir aufgefallen.

Lieben Gruß von Zefira
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(Ikkyu Sojun)


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