hafen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Lydie

Beitragvon Lydie » 09.01.2010, 17:28

hafen

alles kehrt zurück
wie schiffe vom meer
in den einen hafen

mächtige segel
armselige kutter
boot ohne ruder

alles kehrt zurück
seite an seite
zur letzten revision

schweigsam gleitet
am horizont dunkel
die barke der toten

Herby

Beitragvon Herby » 09.01.2010, 22:11

Liebe Lydie,

hier korrespondiert die Ruhe der Sprache sehr schön mit der klassischen Metapher des menschlichen Lebens als Schifffahrt hin zum Hafen. Einzig die letzte Strophe lässt mich etwas zwiespältig zurück. Einerseits gefällt mir hier das Bild sehr gut, andererseits frage ich mich, ob es nicht schon in den vorhergehenden Strophen enthalten ist. Könntest du dir ein Ende nach der dritten Strophe vorstellen?

In vielen Gedichten mit dieser Thematik ist der Port/Hafen gleichbedeutend mit Gott, womit ich mich als gläubiger Christ durchaus identifizieren kann. Du lässt es dagegen offen, was ich im Hinblick auf eine größere Bandbreite der Deutbarkeit gut finde.

Sehr gerne gelesen!

Lieben Gruß
Herby

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 09.01.2010, 23:19

Hallo Lydie!

Ja, der vierte Abschnitt "macht das Gedicht noch mal auf", oder? Passt aber doch gut :-) Ob "schweigsam" und "dunkel" drin sein müssen, weiß ich allerdings nicht...

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Heidrun

Beitragvon Heidrun » 10.01.2010, 10:57

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Heidrun
Zuletzt geändert von Heidrun am 20.01.2010, 22:57, insgesamt 1-mal geändert.

Max

Beitragvon Max » 10.01.2010, 11:02

Liebe Lydie,

das gefällt mir sehr gut.

Den vierten Abschnitt empfinde ich ähnlich wie Ferdi als einen neuen Impuls im Gedicht, der mir aber um einen Tick zu deutlich gerät. Beispielsweise wäre das Gedicht ohne das "der toten", also die letzten beiden Wörter deutungsoffnener ...

Liebe Grüße
Max

Herby

Beitragvon Herby » 10.01.2010, 11:07

Hallo Heidrun,

lese gerade deinen Kommentar und bin irritiert: welchen Sinn würde denn hier der Konjunktiv ergeben? Das zweimalige "kehrte" ist ja zudem auch noch identisch mit der Präteritumsform des Verbs.
Es mag aber auch sein, dass meine "Leitung" eingeschneit ist... :smile:

Schneegrüße
Herby

Heidrun

Beitragvon Heidrun » 10.01.2010, 11:27

Kommentar wegen Löschung des Accounts entfernt.
Heidrun
Zuletzt geändert von Heidrun am 20.01.2010, 22:57, insgesamt 1-mal geändert.

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leonie
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Beitragvon leonie » 10.01.2010, 12:56

Liebe Lydie,

mir geht es so, dass ich das Gedicht noch nicht als "rund" empfinde.

Zum einen frage ich mich, wie das Boot ohne Ruder in den Hafen zurückkommt. Im Grunde setzt das ja voraus, dass jemand Hilfe leistet.
Auch der Ausdruck" Revision" irritiert mich in diesem Zusammenhang etwas.

Es löst sich dann durch die letzte Strophe auf, aber für mich bleibt so ein Gefühl, dass die Bildebene stimmiger sein könnte.

Bei der letzten Strophe nehmen sich für mein Empfinden die beiden Adjektive etwas von ihrer Kraft weg.

Das heißt aber nicht, dass ich es nciht trotzdem gern gelesen hätte, nur wie gesagt, mir scheint, es könnte noch gewinnen...

Liebe Grüße

leonie

Herby

Beitragvon Herby » 10.01.2010, 13:02

Liebe Heidrun,

Heidrun hat geschrieben:Ich denke beim Gedicht an das Jüngste Gericht (die letzte Revision), aber auch an die Erlösung. Beide liegen ja eher im Bereich des Möglichen, für manche auch im Unwirklichen ...


Ja, ich verstehe, der Indikativ dagegen drückt die Zuversicht oder den Glauben daran aus, dass es so wie beschrieben auch ist. Warten wir mal ab, was Lydie meint.


leonie hat geschrieben:Bei der letzten Strophe nehmen sich für mein Empfinden die beiden Adjektive etwas von ihrer Kraft weg.


Ich sehe es genau gegenteilig, leonie. Für mich gehen die beiden Adjektive eine gelungene Symbiose ein.

Sonntagsgrüße,
Herby

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 10.01.2010, 14:45

Liebe Lydie,

ich mag Gedichte mit Häfen und Schiffen sehr. Ich mag auch Dein Gedicht, empfinde aber ähnlich wie Leonie, dass es noch nicht ganz fertig ist.

In der ersten Strophe stört mich "einen" vor Hafen. Und zwar sowohl vom Klang, als auch vom Sinn. Möglicherweise hast Du sehr bewußt nur den "einen" bestimmten Hafen zulassen wollen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich notwendig ist, ich meine ob es notwendig ist, es so ausdrücklich zu machen, ob es sich nicht von allein ausdrückt.
In der zweiten Strophe stört mich, dass das Boot auf einmal im Singular dasteht, aber auch das kann ja durchaus Absicht sein, die vielen, die Menge und demgegenüber der Einzelne...


Lydie hat geschrieben:hafen

alles kehrt zurück
seite an seite



das finde ich sehr schön. Aber "Revision" fällt für mich irgendwie heraus, ich bin mir sicher, da muss es ein besseres Wort geben, auch wenn es mir gerade nicht einfallen will.

Und ganz subjektiv würde ich die letzte Strophe umstellen:

"leise gleitet
die Barke der Toten
am dunklen Horziont"

Vielleicht kannst Du mit dem einen oder anderen Gedanken etwas anfangen.

Lydie

Beitragvon Lydie » 10.01.2010, 16:39

Hallo! Na, das ist ja hier ein reger Schiffsverkehr! Seemannsdank euch allen!

Lieber Herby, lieber Ferdi, lieber Max,

"der vierte Abschnitt "macht das Gedicht noch mal auf", oder?" schreibt Ferdi. Ja, sie öffnet noch einmal einen neuen Horizont. Und ich gebe zu, dass das etwas abstrus scheinen mag, angesichts der Todesassoziation oder Gerichtsassoziation, die ja schon die Rückkehr in den EINEN, nämlich letzten Hafen, zur letzten Revision, in sich trägt.

Hintergrund zum Gedicht ist, wie das oft bei mir der Fall ist, ein konkrete Situation, nämlich der Unfalltod eines Mannes, vor Jahren, der mit zur Jugendgruppe in unserem Dorf gehörte und nun als erster gestorben ist, was alle sehr bewegt hat. Ich war damals in Spanien im Urlaub, und dort entstand das Gedicht.

Wichtig ist mir das Aufheben aller sozialen Unterschiede, Reichtum, Armut, Erfolg oder Scheitern. Angesichts der letzten Revision geht es um etwas anderes. Es ist wie eine nicht umgehbare existenzielle letzte Begegnung mit dem eigenen Leben, zu der alle, ohne Unterschied, "seite an seite", aufgerufen sind. Ja, und die leise gleitende Barke der Toten am Horizont, die trägt noch einmal die "Aura" des Todes hinein, jener, die "übergesetzt" werden, jener, die schon fort sind.

Ein Wegfallen der vierten Strophe könnte ich mir nicht vorstellen.

Liebe Heidrun,

Ich verstehe glaube ich, was du mit deinem Vorschlag meinst und finde ihn auch sprachlich reizvoll. Denn im Gedicht wird ja etwas als Geschehen dargestellt, was eher ein Horizont ist, etwas, das offen ist und aussteht. Diesem Umstand trägt deine Version Rechnung. Ich bleibe dennoch beim Präsenz, weil es für mich ein Gedicht ist, das eine Vision entfaltet.

Liebe Leonie, das Boot ohne Ruder kommt so in den Hafen zurück, wie es im Schiller Zweizeiler der Fall ist: getrieben. Und das ist jetzt natürlich kein natürlicher Vorgang, sondern das ist metaphorisch. Das Boot ohne Ruder ist das Boot des Ohnmächtigen.

Liebe Xanthippe,

Ja, das mit dem Boot ohne Ruder, das kommt wohl daher, dass ich es sozusagen als Einzelfall empfinde. Das mit dem EINEN Hafen ist schon sehr bewusst gesetzt. Gleichzeitig könnte ich, wenn ich es mir so überlege, auch darauf verzichten. Mir scheint, klanglich ist es OK ohne. Die Revision stört mich persönlich vom Bild her oder sprachlich nicht.
Zum "dunkel". Da müsste ein Komma her, aber ich habe hier mal auf Kommata verzichtet. Dunkel ist die Barke, nicht der Horizont.

Euch allen jedenfalls, ein herzliches Dankeschön, und Schiff Ahoi,

Lydie

Heidrun

Beitragvon Heidrun » 10.01.2010, 19:41

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