dezembersonne

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
scarlett

Beitragvon scarlett » 31.12.2009, 08:09

Neueste Version:

unverfroren
hängt dezembersonne im geäst

mit abgekauten gelben zähnen
grinst sie in die welt

es krümmt sich hin
das jahr
ächzend in lametta

verbäckt zum honigkeks
die mandel
und kämmt schütteres haar

und über schneebedeckte gräber
rieselt leis die zeit



2. Version

unverfroren
hängt dezembersonne im geäst

mit abgekauten gelben zähnen
grinst sie in die welt

es krümmt sich hin
das jahr
zum goldrauschigen ende

verbäckt im honigkeks
die mandel
und kämmt schütteres haar

leise rieselt uns lametta

und über schneebedeckte gräber
zieht ungerührt die zeit

1. Version

unverfroren
hängt dezembersonne im geäst

mit abgekauten gelben zähnen
verspottet sie die welt

es krümmt sich hin
das jahr
zum kaufrauschigen ende

verbäckt zum silberstern
die mandel
und kämmt schütteres haar

leise rieselt uns lametta

und über schneebedeckte gräber
zieht teilnahmslos die zeit


© Monika Kafka, 2009
Zuletzt geändert von scarlett am 10.01.2010, 21:34, insgesamt 2-mal geändert.

Herby

Beitragvon Herby » 31.12.2009, 10:44

Liebe Monika,

das ist ein Text, der in seinen Bildern so ganz meiner momentanen Stimmung entspricht an einem trüben, diesig-verregneten Silvestermorgen. Ein Jahresabschlusstext der etwas anderen Art, nachdenklich stimmend, der mich genau deshalb sehr anspricht.

Lediglich die vierte Strophe...

scarlett hat geschrieben:verbäckt zum silberstern
die mandel
und kämmt schütteres haar


...wirft mich immer wieder raus. Zum einen erschließt sich mir die zum Silberstern verbackene Mandel vom Bild her nicht, zum anderen will ich nach "kämmt" immer ein "sein" lesen. Wessen Haar ist gemeint?

Die beiden Schlussverse sind zwar in ihrer Bildhaftigkeit nicht gerade neu, dennoch finde ich sie im Kontext und als Ausklang deines Gedichts stark.

Herzliche Grüße und einen guten Rutsch,
Herby

DonKju

Beitragvon DonKju » 31.12.2009, 14:13

Liebe Monika,

bei diesem Text habe ich so einige Schwierigkeiten. Der Anfang :

"unverfroren
hängt dezembersonne im geäst

mit abgekauten gelben zähnen
verspottet sie die welt
..."

baut ja recht gut eine gewisse melancholische Stimmung auf, aber schon die nächste Strophe :

"...
es krümmt sich hin
das jahr
zum kaufrauschigen ende
..."

wirkt auf mich leider ziemlich geschraubt, sowohl in der Setzung als auch in dem Bemühen um eine originelle Formulierung, ich könnte mir das eher so denken :

"...
das jahr krümmt sich langsam
zum kaufberauschten ende
..."

Die nächste Passage bleibt mir, zumindest teilweise, in ihrem Sinn etwas unklar, so daß ich mir die ersten beiden Zeilen wegdenken, die anderen zusammenziehen und umschreiben könnte :

"...
verbäckt zum silberstern
die mandel

kämmt sich das schüttere haar
lametta rieselt aus dem tannengrün
..."

wobei natürlich die wohl gewollte Anlehnung zu "Leise rieselt der Schnee ..." allerdings weniger offensichtlich bleibt, und auch für der Schluß gefiele mir besser so:

"...
und über schneebedeckte gräber
streicht unberührt davon die zeit"

Vielleicht erscheint Dir ja der eine oder andere Vorschlag überdenkenswert; Auf jeden Fall kommen jetzt trotz aller Kritik die besten Wünsche für das neue Jahr dazu vom Hannes

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 31.12.2009, 15:12

Hallo Scarlett,
der Text macht auf mich einen starken Eindruck, der durch vereinzeltes Holpern kaum Abbruch leidet. Wie Herby sagte, ist die trübe Stimmung eines grauen Wintertages treffend eingefangen. In diese Trübheit will sich aber weder das doch eher aktive, aggressive "verspotten" noch das eher gesellschaftskritische "kaufrauschige Ende" richtig fügen. Die beiden letzten Zeilen hingegen in ihrem Grundton von Gleichgültigkeit und Umsonstheit harmonieren für mich wieder hervorragend mit dem Anfang.
Viele Grüße
Merlin

Max

Beitragvon Max » 31.12.2009, 16:57

Liebe Scarlett,

ich mag den Text mit ganz wenigen Ausnahmen.

Der Auftakt ist für mich originell und sehr gelungen. Das schon von Merlin angesprochene "verspotten" entspricht zumindest nicht meinem Gefühl für einen solchen Tag (die gelben Zähne schon). Dem "kaufrauschigen Ende" stehe ich zwiegespalten gegenüber. Einerseits ist es ein neuer Ton in Deinen Gedichten und ich begrüße solche Veränderungen zunächst einmal prinzipiell. Aber ich muss Merlin zustimmen, dass es nicht ganz in Bild nicht passt.

Strophe 4 mag ich - das schüttere Haar ist für mich das des Jahres. Allerdings lasse ich mir zwar die (vielleicht als Hommag an Celan) verbackene Mandel noch gefallen, aber ein verbackener Silberstern ist meinen Plomben abträglich ;-) (soll heißen, ich weiß nicht, was ich mir drunter vorstellen soll).

Insgesmat: Gern gelesen.

Liebe Grüße

Max

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Beitragvon leonie » 31.12.2009, 17:06

Liebe scarlett,

ich finde, der Text hat starke Bilder, vor allem die letzte Strophe hat es mir angetan! Die teilnahmslose Zeit fide ich ganz wunderbar ausgedrückt...

Mit dem Mandel-Silberstern tue ich mich allerdings auch schwer. Und bei kaufrauschig lese ich immer kau-frau-schig, bevor ich drauf komme, was Du meinst (aber das liegt an mir).

Liebe Grüße

leonie

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 01.01.2010, 12:15

Hallo Scarlett,

dieser Text hat die von dir gewohnte hohe Qualität, und doch kann ich nicht ganz warm werden mit ihm... einen genauen Grund anzugeben fällt mir allerdings schwer. Vielleicht, dass er ein klein wenig zu stolz ist auf seine Bilder? Sie ein wenig zu deutlich herzeigt? Hm, das ist es noch nicht ganz; aber in die Richtung geht es.

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Klara
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Beitragvon Klara » 01.01.2010, 12:32

Hallo scarlett,
nur ein Leseeindruck - irgendwas reizt mich am Text, irgendwas stört.

Als wolle der Text zu viel - und wisse zugleich nicht recht, was er will.

Die unverfrorene Sonne gefällt mir - das Geäst nicht.

die abgekauten gelben Zähne kann ich sehen, aber nicht den Grund, warum sie die Welt verspottet, während sie doch selbst lächerlich ist? Ab-gegessen? Hinüber?

Das Schräge, das Gekrümmte ist gut, wie die Sonne schräg steht, und das Jahr zum Ende krümmt, wie ein Schmerz, ein alter Schmerz, ein Altersschmerz.

Das kaufrauschige Ende klingt arg platt, ein hässliches Wort, eine banale Feststellung, ohne kritische Kraft, ohne Beobachtungs-Neuigkeit, ohne neues Sehen. Was stört? Was wird gekauft? Wo ist der Rausch? Das Wort stimmt für mich hier überhaupt nicht, bricht die Bilder, bricht aus dem Stil aus, wirkt als Adjektiv unbeholfen, gewollt.

Auch der gebackene (warum verbackene?) Silberstern und die Mandel - ich weiß nicht. Das schüttere Haar und die Lametta sind gut zusammen, gutes Bild: Lametta als schütteres Haar, aber irgendwie noch nicht - fertig gebacken im Text, stehen ohne Beziehung zur schütteren Sohne -

und das Ende, das macht es sich, mir, der LEserin zu einfach. Wie das Seufzen einer Alten "Ach Gott ja, die Welt und die Zeit". Ohne Aussage. Die Gräber (er)scheinen völlig unvermittelt im Licht dieser lyrischen Dezembersonne. Okay, ich kann mir das selbst zusammenreimen: die sterbenskranke Sonne... - aber nee. Das ist arg weit hergeholt. Und die teilnahmslose Zeit - sie nimmt doch Teil! Sie dreht sich, immer weiter. Das ist ein schön klingender Schluss, der mir irgendwie vorkommt wie Betrug. Weil er nicht wirklich - stimmt. Für mich. Wie ein zu oft wiederholter Refrain klingt. Ausgeleiert. Ist das verständlich?

Herzlich
klara

Rosebud

Beitragvon Rosebud » 01.01.2010, 15:40

.
Zuletzt geändert von Rosebud am 26.06.2015, 18:17, insgesamt 1-mal geändert.

scarlett

Beitragvon scarlett » 03.01.2010, 22:29

Hallo in die Runde und ein gutes Neues Jahr!

Wenn ich mich nicht täusche, so betreffen eure Anmerkungen und Kritikpunkte drei Stellen in meinem Gedicht.
Ganz wichtig – zumindest für mich – scheint mir die Silberstern – Mandel – Zeile zu sein.

Ich hätte ehrlich gesagt nicht vermutet, dass sie solche Verständnisschwierigkeiten bereiten würde.
Könnte das daran liegen, dass die wenigsten wohl an die BitterMandel denken? Obwohl ja gerade Bittermandelaroma zum Backen verwendet wird ...
Das Bittere eines Jahres wird an dessen Ende einfach „verbacken“, weggesteckt, schön verpackt schmeckt es vielleicht etwas besser, soll nicht das rauschige Fest belasten ... so meine Idee.

Ferner, das „kaufrauschige ende“.

Ok, ich glaube mittlerweile auch nicht mehr, dass das eine gute Idee ist, weil, wie ihr ja auch angemerkt habt, kein weiterer gesellschaftskritischer Aspekt im Gedicht vorkommt. Somit steht dieses – ja Klara, es ist tatsächlich kein schönes! – Wort mit seinen Assoziationen ziemlich verloren da.

Bleibt noch das „verspotten“.

Das wollte ich im Zusammenhang mit dem „unverfroren“ verstanden wissen, und zwar mit der zweiten Bedeutung des „unverfroren“ im Sinne von „frech“ „dreist“.
Das Gedicht versprachlicht anfangs ja eigentlich keine trübe Stimmung eines grauen Wintertages sondern gerade dessen Gegenteil! Die Sonne scheint „quer zur Jahreszeit“ ungeniert, wenn auch etwas schwach und ohne Biss und spottet somit dem Kalender.
So hatte ich mir das gedacht, aber das kommt wohl nicht rüber, also muss ich mir was überlegen.

Das tut jetzt zwar nichts zur Sache, aber ich erzähls euch trotzdem: das Gedicht ist an einem Tag entstanden, an dem es in München einen irren Fön gab, das Thermometer zeigte unglaubliche Werte für Dezember an. Das war die Ausgangssituation für diesen Text.

Dass die Schlusszeilen nicht gerade neu sind- dieses Risiko bin ich bewusst eingegangen.
Die Zeit tut m M nach gar nichts, außer zu vergehen, gnadenlos und unabhängig von allem und jedem.

Ich möchte mich ganz herzlich bei euch allen bedanken, für die vielen guten Überlegungen, für eure Kritik und für euer Lob gleichermaßen. Sollte ich was vergessen haben, bitte daran erinnern.
Persönliche Umstände hindern mich derzeit daran, zeitnah zu antworten, aber ich bin noch da ...

Ich stelle mal eine neue Version ein und bin gespannt, ob das nun besser ist oder ... nur verschlimmbessert ...

Grüße an alle,

scarlett

Klara
Beiträge: 4540
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 03.01.2010, 22:54

Hallo scarlett,
das finde ich spannend, die zweite Version!
(Wahrscheinlich ist es auch einfach so: Bei deinen Gedichten ist die Erwartungshaltung von vornherein hoch, der kritische Impuls deshalb sofort stärker, wenn irgendwas nicht stimmt...)

Mir gefällt das Grinsen besser als das Verspotten.
Mit dem goldrauschigen Ende würde ich mich nicht anfreunden, glaub ich. Auch nicht mit dem Ende, so wie es da steht. (auch fällt mir jetzt auf, dass Lametta beim besten Willen nicht rieseln kann...)

als anregung (kein vorschlag! sondern feedback, wie ich lese):
" es krümmt sich hin
das jahr
in lametta

verbäckt im honigkeks
die mandel
kämmt schütteres haar

(auf schneebedeckte gräber
rieselt leise
die zeit)

DonKju

Beitragvon DonKju » 05.01.2010, 16:58

Liebe Monika,

diese zweite Version plus Deinen ausführlichen Kommentar macht den Text auch in meinen Augen besser, wenn auch nicht völlig rund; Und Klara hat wohl recht, bei Dir hängt man die Meßlatte unwillkürlich ziemlich hoch. Aber da hier Textarbeit gelesitet werden soll und darf, ein paar neue Vorschläge:

"...
es krümmt sich hin
das jahr
zum rauschgoldigen ende

verbäckt im honigkeks
die mandel
und kämmt sich schütteres haar

leise rieselt uns lametta
..."

Bis demnächst dann mit lieben Grüßen der Hannes

Heidrun

Beitragvon Heidrun » 05.01.2010, 18:23

Kommentar wegen Löschung des Accounts entfernt.
Heidrun
Zuletzt geändert von Heidrun am 20.01.2010, 22:53, insgesamt 1-mal geändert.

scarlett

Beitragvon scarlett » 10.01.2010, 21:32

Hallo in die (verbliebene :-) ) Runde,

also ich seh schon: das Lametta und das goldrauschige Ende wollen euch nicht schmecken. :mrgreen:

Ok, ich hab nochmal was versucht, wobei ich das Gefühl habe, das wird nix mehr G´scheits mit diesem Gedicht, was aber nix mit euch zu tun hat!, vielleicht sollte ich einfach ein neues schreiben :pfeifen:

Die neueste Version steht oben.

Mit ganz lieben Grüßen an euch alle,

Monika


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