Jenseits des Fensters

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Benutzeravatar
Schwarzbeere
Beiträge: 254
Registriert: 03.12.2006
Geschlecht:

Beitragvon Schwarzbeere » 19.12.2009, 18:46

Jenseits des Fensters

Der kleine Fensterspalt,
durch den ich oft nach außen schau,
zeigt nackt und grau
mir einen Himmel,
ausgebleicht und alt.

Vielleicht sind draußen Flüsse, Wiesen, Wald,
von denen man aus Büchern mir gelesen,
doch wie das auch in meinem Schädel widerhallt,
in mir bleibt nur: was wär gewesen?

Seit wann, warum...?
Die Mutter konnte es nicht wissen,
dass dieses Mittel, ihr vom Arzt verschrieben,
um die Beschwerden ihrer Schwangerschaft zu lindern,
für mich, da ich noch Fötus in ihr war,
das Wachsen und Entwickeln meiner Glieder
so hindern würde, dass ich zwar ein Leben
mit dem Schrei des Neugeborenen begrüßte,
doch dann, als ich zu denken anfing,
ich nicht begreifen konnte,
es nicht verstehen wollte.

Die Mutter konnte es nicht wissen.
Wie sie, trägt niemand Schuld daran,
dass ich geworden, so wie ich jetzt bin,
gebunden an ein Bett, allein befähigt
den Kopf zu heben und zu wenden,
wenn ich gefüttert werde, oder
Verdautes aus dem Rumpf zu stoßen,
wenn man es so von mir verlangt.

Vielleicht jedoch war ich es selbst,
der es verhindern hätte können,
als damals ich Idee erst, Wille,
ins Dasein mich gewaltsam drängte?

War da noch etwas anderes?
Ist da noch etwas anderes?
Kann etwas, oder jemand, oder....
sich auch nur denken, ob es anders
sollte sein, geworden sein?

Ist dort ein Himmel, ein Bestimmtes,
ein unbestimmtes Irgendetwas,
das dies hier alles trägt und lenkt
und ohne Ziel noch Wert besteht?

Wenn ich für jenes ohne Namen,
das ich nicht lernte zu benennen,
nach einem Namen suche, so,
da es doch ich und alles ist,
will ich es auch mit Du benennen
oder auch Gott, mein Gott? was soll’s!

Ich sehe durch den Fensterspalt
auf einen nackten, grauen Himmel,
der ausgebleicht und abgenützt!

Herby

Beitragvon Herby » 20.12.2009, 11:27

Hallo Schwarzbeere,

ich habe noch Probleme mit deinem Text, er lässt mich als Leser zwiespältig zurück. Nicht wegen der schweren Thematik, sondern wegen der Form, die du ihr gegeben hast. Die ersten beiden Strophen weisen einen Reim auf, dann aber geht's ungereimt weiter bis zur letzten Strophe, die ja als Rahmen fungierend wieder den Bogen zur Eingangsstrophe schlägt.
An der folgenden Stelle

Schwarzbeere hat geschrieben:Vielleicht jedoch war ich es selbst,
der es verhindern hätte können,
als damals ich Idee erst, Wille,


trägt die syntaktische Umstellung, vermutlich der Metrik geschuldet, zu meinem Befremden bei, da die Sprache hier für mich seltsam konstruiert wirkt.

Ich glaube, ich würde mich mit deinem Text weniger schwer tun, hättest du ganz auf Reim und Versmaß verzichtet. So wirken beide Elemente auf mich wie ein einengendes, irritierendes Korsett, das der Thematik nicht gut tut.

Doch warte mal ab, was andere meinen. Eine Einzelmeinung heißt ja noch gar nix.

Adventliche Schneegrüße
Herby

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 20.12.2009, 20:04

Hallo Schwarzbeere,

mir geht es wie Herby. Aber aus anderen Gründen tue ich mich hier schwer mit deinem Text. Du gehst hier mit einem sehr schwerwiegenden Thema, aus meiner Sicht, zu oberflächlich um. Auch gefallen mir die Einschübe nicht, in denen du ansprichst, ob der Fötus selbst es hätte verhindern bzw. eingreifen können.
Die Frage ist natürlich, wie man überhaupt mit so einem Thema umgehen soll, wie schreiben, wie setzen, so dass man es ernstnehmen kann, ohne, dass ein Fingerzeig oder eine Anklage oder Betroffenheit drinsteckt. Schwierig ...

Saludos
Gabriella

Benutzeravatar
Schwarzbeere
Beiträge: 254
Registriert: 03.12.2006
Geschlecht:

Beitragvon Schwarzbeere » 20.12.2009, 23:45

Lieber Herby,

ich versuche nicht mehr zu der Frage, ob Reim oder nicht und wenn, dann alle Verse oder keine, in den Ring zu treten, da ich manchmal bereits davon mehr als genug gehört habe; so sagte meine Italienischprofessorin, die noch recht jung ist, dass man heute, glücklicherweise, in Gedichten keine Reime mehr verwenden darf, da sie diese, die Reime, als Kotzmittel ansieht. Wenn mir aber ein Text durch den Kopf geht, dann sind dort vielleicht Reime dabei, die selbst wieder andere Verse hochbringen, dann aber setzt sich ein Gedanke fort, ohne dass ich gleich exakte Formen denke, was dann, bei der Niederschrift erst manchmal hineingearbeitet wird. Wenn sich aber ein Bild aufdrängt, dass sich nicht innnerhalb der ziemlich beschränkten Reimmöglichkeiten unserer Sprache gestalten lässt, werde ich in der Frage, ob ich den Sinn abändere oder vielmehr eine vielleicht unschöne sprachliche Fügung versuche, mich wohl meist für die zweite Lösung entscheiden.

Bleibt auch noch die Frage, ob ein Text wie der hier eingestellte, hier überhaupt ewas zu suchen hat, und nach einer ersten zornigen Reaktion, in der ich den Text wieder entfernen wollte, habe ich mich beruhigt und bekenne mich dazu. Ich habe den Text auch heute in meine gesprochenen Texte eingefügt (http://www.box.net/shared/fsfvrtv7gi), und dort habe ich ihn mehrmals abgehört, um ihn auf Sprechrhythmus und Verständlichkeit zu testen.

Du hast wahrscheinlich Recht, dass hier ein Versuch vorliegt, ein Thema aufzugreifen, das nicht sehr sympathisch ist und uns eventuell mit etwas Angst zurücklässt. Wunders, dass es in einem Ambulatorium geschrieben - zumindest die allererste Fassung!

Auch Dir beste Festtagsgrüße.
Schwarzbeere

Benutzeravatar
Schwarzbeere
Beiträge: 254
Registriert: 03.12.2006
Geschlecht:

Beitragvon Schwarzbeere » 21.12.2009, 12:39

Liebe Gabriella,

Man kann freilich nicht in die Seele eines anderen sehen, wenn man deren Sitz nicht im Zwerchfell ansiedelt und auch kein Chirurg ist, der sich neugierig durch die Bauchdecke durchschneidet. Aber selbst jener verbriefte Schnitter würde wahrscheinlich wenig Brauchbares finden. Daher verbleibe ich bzw verblieb ich bei meinem Text an der „Oberfläche“, die Du mir vorwirfst und weshalb Du mich nicht ernstnehmen kannst.

Die Frage, wann das Leben beginnt bzw was das Leben ist, hat schon ein paar Gehirne vor mir beschäftigt, wenn sie auch nicht meine intellektuelle und schöpferische Kapazität besaßen (sic!). Auch ein paar frustrierte oder exaltierte Jünglinge wie Jesus oder Mohammed haben sich dazu etwas einflüstern lassen, aber, glücklicherweise, was sie auch deklamierten und proklamierten, es ließ uns ausreichend Raum, um uns dazu Überlegungen anzustellen, wie z.B. den Schluss, dass, wenn ewiges Leben, dann auch kein Anfang, und ähnliche Spintisierereien. Die aber in einem seriösen Poesieforum keinen Platz haben sollten, nicht wahr, liebe Gabriella?

Als unsere liebe Elsa eine von ihr geschaffene Figur die Hälse harmloser Passanten wie Schilfrohr abschneiden ließ, fand ich diese Ich-Erzählung so gelungen, dass ich die Aufnahme Elsas in den Blauen Salon durchaus befürwortete. Ich habe sie ernstgenommen…

Eine in Schwierigkeiten verlorene Schwarzbeere wünscht Dir schöne Feiertage

Benutzeravatar
noel
Beiträge: 2666
Registriert: 04.08.2006

Beitragvon noel » 21.12.2009, 17:17

wundervoll
bewegend
gesprochen
& jaaaaaaaaaaaaaaaa
ich kenne es
dass man den reim verlässt weil er nicht mehr pässt (*grins)
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 21 Gäste