Himmel und Erde

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Max

Beitragvon Max » 20.12.2009, 15:36

Weil ich Leonie doch ein Antwortgedicht hierauf

viewtopic.php?f=2&t=10154

versprochen habe. Sorry, dass es so lange gedauert hat und nun so schnell gestrickt ist.





Himmel und Erde

Zu Mariä Geburt
fuhr der Herbst in uns

Die Kartoffelfeuer brannten
die Luft roch rauchig
und wir bargen uns unter Bäumen
die schwer an Äpfeln trugen

Dort riefen wir mit heiserer Stimme
den Sommer zurück
wärmten die Erde mit unserem Leib
und liebten uns als wäre Frühling

Doch wir glaubten nicht mehr
an die Beständigkeit des Wortes

Ich legte meinen Kopf in deinen Schoß
du zerfurchtest mein Haar

Zwei Sonnen leuchteten über mir
kein Blau, keine Wolken
aber jede Menge Himmel
Zuletzt geändert von Max am 21.12.2009, 13:14, insgesamt 2-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 20.12.2009, 17:31

Hallo Max,

erst mal nur die Frage, warum du es nicht im Monatsthema einstellst?

liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Max

Beitragvon Max » 20.12.2009, 20:21

Liebe Flora,

ich dachte, das Monatsthema sei mit Ende November abgelaufen ... danke für den Hinweis.

Liebe Grüße
Max

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leonie
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Beitragvon leonie » 20.12.2009, 21:41

Lieber Max,

ein kleiner erster Eindruck: Mir gefällt das, wie Du den Augenblick zwischen Himmel und Erde im herbst hier einfängst und das geschehen zwischen den beiden Liebenden und der herbst in gewisser Weise korrespondiert.
Mich hat nur eine Kleinigkeit stutzig gemacht: Wenn der Kopf in den Schoß gegraben ist, wie kann lyrIch dann das Bild über sich selbst wahrnehmen? Das finde ich noch nicht ganz stimmig.

Soviel (bzw. eher so wenig :-)) fürs erste

Liebe Grüße

leonie

Max

Beitragvon Max » 21.12.2009, 10:26

Liebe Leonie,

Du musst den Kopf des Lyr. Ich drehen ;-) (oder ich). Es steht ja nix davon, dass das ganze mit dem Gesicht voran geschieht ;-).

Liebe Grüße
Max

Max

Beitragvon Max » 21.12.2009, 10:27

PS: Aber vielleicht ist "bettete" dann besser .. nur wollte ich eigentlich dieses erdnahe Element "grub" behalten

Herby

Beitragvon Herby » 21.12.2009, 12:12

Hallo Max,

mir gefallen die Bilder, die du mit Worten zeichnest, sehr. Vor allem den Auftakt, die ersten beiden Verse, finde ich nachgerade furios. In Anbetracht der Tatsache, dass, rein meteorologisch betrachtet, an Mariä Geburt noch Sommer herrscht, macht das Verb "fuhr" Sinn im Hinblick auf die beiden Ebenen (jahreszeitlich - zwischenmenschlich) des Textes.

Nur zu Beginn der zweiten Strophe "hänge" ich etwas - dass die Luft bei brennenden Kartoffelfeuern rauchig riecht, scheint mir irgendwie naheliegend. Ich muss allerdings zugeben, dass ich noch nie ein solches Kartoffelfeuer erlebt habe, kann es denn tatsächlich auch nach (Brat ;-) ) Kartoffeln riechen? Ich will stattdessen immer "erdig" lesen, aber das Nomen Erde kommt ja schon wenige Verse später.

Und was "graben" und "betten" betrifft - für mich bedeutet deine Version auch, dass das Gesicht im Schoß liegt, die Augen also nicht himmelwärts gerichtet sind. "Ich barg..."?

Lieben Gruß
Herby

Max

Beitragvon Max » 21.12.2009, 13:13

Lieber Herby,

herzlichen Dank für Deine Rückmeldung.

Also ich vermute, was an Bratkartoffeln riecht, ist das Fett ;-) .. Jedenfalls haben meine Kartoffelfeuer immer von nassem Laub gedampft ... vielleicht bin ich aber auch zu doof für Kartoffelfeuer ;-).

"Barg" wäre in der Tat gut, wenn ich nicht schon zwei Strophen drüber bürge (oh, mein erster Konjunktiv von bergen, glaube ich). Ich denke ich versuche mal das schlichte "legte"

Liebe Grüße
Max

Herby

Beitragvon Herby » 21.12.2009, 14:03

Lieber Max,

barg - barg ... stimmt, das hatte ich nicht bemerkt. Der Konjunktiv ist ein Genuss... :-)
"Mein Kopf ruhte..."?? - Nee, geht auch nicht, das bezeichnet ja das Ergebnis, nicht aber den Vorgang selbst.

Ach, ich werde gleich der Ruhe pflegen und mein Haupt betten :neutral:

Herzlich
Herby

scarlett

Beitragvon scarlett » 27.12.2009, 16:46

Lieber Max,

da ist dir wieder einmal ein sehr schöner Text gelungen, ansprechend und berührend in den Bildern und in der Komposition.

Es scheint, als habe der Herbst seinen Auftakt ganz furios und plötzlich genommen und den Sommer beendet zu einem Zeitpunkt, da man nicht mit ihm rechnete. Doch die "heiseren Stimmen", mit denen LI und LD versuchen, den Sommer zurückzurufen, sind mir ein Indiz dafür, dass da wohl schon lang und wiederholt nach etwas gerufen wurde, was es nicht mehr gibt.

Das sich Bergen unter den Apfelbäumen erscheint mir fast schon wie eine Flucht und so, als würden nicht nur die Bäume eine schwere Last tragen ...
Trotzdem versuchen LI und LD so zu tun, als ob nichts sei (ich muss an dieser Stelle immer an die „Sachliche Romanze“ denken!), wohl wissend, dass ihr Rufen, ihre Worte den Herbst und damit das Ende nicht werden verhindern können.

An diesem Punkt nun zerfällt das „wir“ und „uns“, das den Text bisher in jeder Strophe geprägt hat, in ein „ich“ und ein „du“. Das Trennende wird also auch formal gekennzeichnet und gipfelt schließlich in den zwei Sonnen und einer Menge Leere drumherum.
(Sehr schön gesetzt in diesem Zusammenhang auch die gesamte S. 5, einerseits den Kopf in den Schoß legen andererseits das Zerfurchen des Haares)

Diese Leere bietet aber andererseits wiederum die Möglichkeit eines Neuanfangs und so schließt sich, für mich zumindest, der Kreis, d. h. am Schluss kehrt das Gedicht zu seinem Anfang zurück, zu Mariä Geburt.

Sehr gern gelesen!

scarlett

Max

Beitragvon Max » 30.12.2009, 21:45

Liebe Scarlett,

hab herzlichen Dank für diesen Dank für Deinen Kommentar, der vieles in meinem Text aufspürt, vielleicht sogar einiges, was auch mir verborgen war (entschuldige, dass ich so spät antworte, ich bin auf Juist und habe seitdem nicht mehr in diese Rubrik geschaut).

Ein gutes neues Jahr
Max

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Beitragvon Ylvi » 02.01.2010, 00:04

Hallo Max,

hier wollte ich auch noch schreiben. :-)

Bei diesem Gedicht höre ich gleich eine ruhige Erzählstimme, als wäre es schon zur Geschichte geworden. Ich denke das liegt vor allem an der sprachlichen Gestaltung, aber auch an diesem Naturszenario, das du entwirfst und für mich sehr gelungen einwebst in die Zeilen.

Dort riefen wir mit heiserer Stimme
den Sommer zurück
Wir wärmten die Erde mit unserem Leib
und liebten uns als wäre Frühling

Hier würde ich klanglich das „Wir“ in der dritten Zeile weglassen wollen, weil ich diese Strophe in einem Schwung lesen möchte und an dieser Stelle ausgebremst werde. Für mich könnte auch der Leib wegfallen, aber das liegt wohl hauptsächlich daran, dass ich den Klang nicht mag ... und wären es nicht auch die Leiber (noch schlimmer .-)) und die Stimmen?

Dort riefen wir mit heiseren Stimmen
den Sommer zurück, wärmten die Erde
und liebten uns als wäre Frühling


Die spannendste Strophe für mich ist diese:
Doch wir glaubten nicht mehr
an die Beständigkeit des Wortes

Ich kann sie mir nicht vollständig entschlüsseln. Wieder dieses „Wort“ das auch schon in der „Ebbe“ da war und wieder die Frage, ist es ein bestimmtes Wort? Warum nicht „der Worte“? Was hat der Glaube an die Beständigkeit der/des Worte(s) mit der Liebe zu tun, wie verhält sich diese Verbindung über das „doch“, auf was bezieht es sich, was bedeutet es? Und was für Konsequenzen folgen aus diesem „nicht mehr glauben können“?

Und schließlich die letzte Strophe, erzählt sie wirklich von der Trennung? Wird das LDu zur entfernten Sonne, die aber noch immer leuchtet und vielleicht auch wärmt, nur nicht mehr erreichbar ist auf diese „bodenständige“ Liebesweise. Und liegt in „jede Menge Himmel“ nicht auch eine Offenheit und Weite und Freiheit, oder doch eher eine Leere und Verlassenheit...

Das sind nun alles gute Fragen, die das Gedicht mir stellt und das gefällt mir sehr, dass es das tragen kann, ohne dass es für mich darüber zerfällt.

Das "intertextuelle" würde ich hier weniger als "Antwortgedicht" sehen, denn als Inspiration zu etwas Neuem, ganz Eigenem. Also zumindest konnte ich die Antwort, oder den inneren Bezug zueinander nicht erkennen.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Max

Beitragvon Max » 02.01.2010, 17:19

Liebe Flora,

danke für Deinen Kommentar und Deine Überlegungen zum Text!

Du hast Recht, die Stimme soll auch entfernt klingen ... es ist etwas Geschehenes, Abgeschlossenes.

Bei Strophe 3 hast Du (auch) Recht, ohne das "wir" klingt das ganze glatter, das werde ich mal ändern, die "Leiber" würde ich aber gerne lassen.

Strophe 4 ist eine Variation der Überschrift. Vermutlich sollte ich das mal wieder nicht verrraten, aber sei's srum ;-). Im Grunde hatte ich mehrere Assoziationen als ich das Thema "Himmel und Erde" hörte. Zum einen ein Liebesgedicht, dann natürlich das Gericht aus Apfelmus und Kartoffeln und dann eine Stelle aus dem Matthäus-Evangelium "Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte nicht" (oder so). Der Bezug fügte sich aber auch gut in das Liebesgedicht, in dem sie auch eine Bedeutung haben.

Die Assoziationen zur letzten Strophe finde ich spannend - sie sind aber so nicht intendiert, obwohl natürlich das ganze Gedicht nicht nur wegen der Äpfel in einem Spätsommer oder Frühherbst siedelt; eher ein sich Schließen des Kreises wie von scarlett gelesen.

Danke für die Anregungen und spannenden Einsichten
Max


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