Noch nicht ganz rund, aber es liegt jetzt schon so lange da rum, ich will es Euch mal zeigen. Ich hab selber noch verschiedentlich was dran zu meckern, aber ich bin neugierig auf Kritik und Anregungen.
Und natürlich ist das alles Fiktion, wenn es auch inspiriert sein mag durch reale Dinge, so ist doch alles erstunken und erlogen :).
Korrigierte Version.
31.12.2009 Noch mal kleine Änderung. Endlich den Anfangssatz aufgegeben.
1.1.2010 Und nochmal dran herumgeschraubt. Vielleicht etwas plausibler jetzt.
[tabs][tabs:Update 1.1.2010]
Recorder
Er hatte Kerouac gelesen, Ginsberg und Burroughs, sich inspirieren lassen von Bukowski und Miller. Sein Leben war wild gewesen, voll von Grenzerfahrungen und Inspirationen. Nichts hatte er ausgelassen bei dem Versuch, echte, authentische Narben auf seiner Seele zu erzeugen. Jeden Tag hatte er Seite um Seite seiner Moleskin-Notizbücher mit Gedanken und Skizzen bedeckt, sein Innerstes unter Qualen hervorgewürgt und auf die Blätter gespien. Bittere Gewölle der Poesie. Er stand, so war er sich sicher, seinen großen Vorbildern in nichts nach. Und doch war ihm die Anerkennung versagt geblieben. Nicht einer der angeschriebenen Verlage hatte Interesse gezeigt, die wenigsten auch nur ein paar freundliche Worte gefunden, etliche die Manuskripte nicht einmal zurückgeschickt. Selber gedruckt hatte er sein Buch dann, ohne ISBN, ohne Vertrieb. Auf Märkten und in Pinten verkloppt. Zu gut erinnerte er sich auch an seine Lesereise auf eigene Kosten, besonders an den Abend im Literaturverein seiner Heimatstadt. Erst hatten sie ihn gebeten, in der Aula des Heinrich Heine Gymnasiums vorzutragen, angekündigt als großen Sohn der Stadt, dann hatten sie ihre feinen Nasen gerümpft, diese Spießer. Was hatten die denn geglaubt? Dass er immer noch den gleichen Scheiß schrieb wie damals in der Schülerzeitung? Gerd, der Wichser, der sich enorm was einbildete auf seine Rolle als Vorsitzender, hatte sich sogar ein abfälliges Lachen vor allen nicht verkneifen können. Der war doch nicht ein einziges Mal aus diesem Kaff herausgekommen, der Provinzler! Verstand nichts von authentischer Gegenwartsliteratur! Der hielt doch sogar die schamlippengeformten Tonvasen, die seine Frau vom Volkshochschulkurs für frustrierte Arztgattinen mit nach Hause brachte, für Kunst! Kleinkariertes Pack! Bornierte Idioten! Er hatte die Welt gesehen, war gereist, hatte Gefahren getrotzt und in die Abgründe der Menschheit geblickt. Nein, nicht geblickt, er war hineingetaucht! Er hatte seine Seele im Delirium erkannt, hatte seine Eingeweide herausgespieen und wieder in sich aufgesaugt. Er hatte was zu sagen, er schon. Doch das verstanden die nicht, das wollten die nicht verstehen. Flachwichser!
Entmutigt hatte er sich danach zurückgezogen, monatelang nicht eine einzige Zeile mehr verfasst. Jeden Tag brauchte er mehr Trost aus der Flasche. Zunächst war’s noch teurer schottischer Whiskey gewesen, doch bald reichte das Geld nicht mehr. Nur um Nachschub zu holen verließ er das Haus und schleppte sich zu Penny für Toastbrot, Scheibenkäse und Bier in Plastikflaschen – und den unvermeidlichen Glen Wasweißichwas. Widerwärtiger Fusel, aber knallte auch. Er stank und war unrasiert, seine Nachbarn grüßten ihn nicht mehr. Einmal hatten sie ihn sogar angezeigt, weil er direkt vor den Hauseingang gereihert hatte und zu schwach war, aufzuwischen. War ihm eigentlich auch egal. Selbst Hamish hatte ihm schon angedroht, ihn aus dem Pub zu schmeißen. Das wäre das Schlimmste, der Verlust der Heimat. Zum Glück war Hamish eine treue Seele und hatte ihn in einer Ecke sitzen lassen. Selbst dann, wenn sich andere Gäste über den Penner beschwerten. Hamish glaubte noch an ihn.
Dann, ganz plötzlich, an einem stinknormalen Dienstagnachmittag, begannen die Stimmen zu ihm zu sprechen. Zuerst dachte er, es sei jetzt soweit, er sei endgültig übergeschnappt. Dann aber erkannte er sie, seine Geschöpfe kamen ihn besuchen, sie redeten mit ihm. Er konnte all ihre Leidenschaft hören, ihren Schmerz, die Sehnsucht, die Verzweiflung, die Ekstase. Seine Figuren ließen ihn an ihrem Leben teilhaben, füllten all die Lücken in seinen Geschichten. Es geschah das, was ihm mit Worten auf Papier nicht gelungen war: der Klang ihrer Stimmen machte sie plastisch. Die Fülle der verschiedenen Eindrücke, die ihn umschwangen, nahm ihm den Atem. Ihn schwindelte. Und er verstand, dass er einen Weg finden musste, seine Worte hörbar zu machen, dann würde man ihn verstehen.
Fiebrig kramte er den alten Vierspurrecorder hervor, den aus der Zeit, als es seine alte Band noch gab. War Top-Technologie damals. Er fand auch noch alte Cassetten, waren Covers von Sympathy for the Devil und Jumping Jack Flash drauf. Irre geile Gitarre! Die ersten Versuche, selber zu sprechen, scheiterten kläglich. Seine Stimme war dünn, farblos, ohne Druck. Beim Lesen war er verspannt und irgendwie atemlos. Wie machten die Profis das? Er besorgte sich CDs von Brückner, von Pleitgen und Brauer. Rufus Beck konnte er nicht leiden. Aber Harry vergötterte er. Keiner war größer als Harry! Ein richtiger Pfundskerl, und trinken konnte der auch! In der Kneipe bei Hamish hatte er den Kumpels vorgeschwärmt. Wie er ihn getroffen und mit ihm gesoffen hatte nach der Lesung in Göttingen. Wie sie sich sofort und ohne Worte verstanden hatten. Und er hatte von seinen Stimmen erzählt, wie man Authentizität reinbringen müsste in die Präsentation. Echtes Leben halt. Die Freunde hatten ihm noch’n paar Drinks spendiert und sich ein wenig über ihn amüsiert. Sie kannten das schon. Manch einer hatte sein Buch gekauft, aber er glaubte nicht daran, dass sie die Texte verstanden. Nur Frank war voll eingestiegen auf die Hörbuch-Idee. Sein Bruder kannte da einen, der hatte mal bei Werbeaufnahmen den Off-Sprecher gegeben. Hatte angeblich ‘ne geile Stimme und wusste auch, wie man günstig an besseres Equipment kam.
Am nächsten Morgen, na gut, Mittag war’s gewesen, hatte er ihn angerufen. Der Typ hatte selber keine Zeit was zu machen, konnte ihm aber echt gute Tipps für den Aufbau eines Kellerstudios geben, borgte ihm auch erst mal ein Mikro und ein passendes Interface für 'nen USB-Anschluss. Galgen und ein paar Dämmplatten lagen noch im Keller von damals, das musste erst mal gehen. Richtig genial war, dass der auch gleich noch ein paar Adressen von Schauspielschülern, die sowas gern gegen kleines Geld als Eigenwerbung machten, rübergeschoben hatte. Begeistert hatte er losgelegt, hatte den kleinen, fensterlosen Kellerraum gegenüber der alten Waschküche umgebaut und danach stundenlang aufgenommen. Nur um nach drei Wochen festzustellen, dass die Aufnahmen technisch schon nahezu perfekt, aber ohne jede Plastizität waren. Die Jungs waren Grünschnäbel, denen fehlte alles, was seine Worte verdienten. Nicht zu brauchen, auch Bernd nicht, der angeblich schon alles gemacht hatte. Der war es dann aber gewesen, der ihn auf die richtige Idee gebracht hatte, mit seinem ständigen Gelaber über echte Erfahrungen, Method-Acting und Stanislawski. Man musste ihnen echte Erfahrungen liefern, dann kam auch echter Klang.
Hatte ‘ne große Klappe, der Bernd, wenig drauf. Stundenlange Diskussionen, Aufwärm- und Schreiübungen, nichts. Es war kaum mehr als ein Krächzen gekommen. Er war mit ihm durch die Kneipen gezogen, hatte ihm die geilsten Typen vorgestellt. Es wurde besser, aber nicht gut. Auch die verschiedenen Drogen hatten nicht geholfen. Schließlich hatte er ihn entnervt im Studio eingeschlossen. Da konnte er toben wie er wollte, hörte ihn ja keiner. Die Aufnahme lief quasi immer mit, das war schon was, näher dran. Immer wenn Bernd aufgeben wollte, hatter er Musik eingespielt. Quer Beet, was er so da hatte. Mozart und die Ramones, Greatful Dead und dann ein wenig Abba. Schon nach drei Tagen Schlafentzug waren unglaubliche Sachen gekommen, echt gut eigentlich, aber noch fehlte was. Bernd hatte um Gnade hatte gewinselt. Aber keine vernünftige Zeile Wahnsinn aufs Band gebracht. Er hatte ihn über die Anlage angebrüllt, ihm dann die Freiheit versprochen, wenn er eine zufriedenstellende Aufnahme hinbekam. Bernd hatte begonnen, zu lesen, wie ein Wilder, voller Verzweiflung, und er hatte ihm die Lüftung abgedreht. Mann, das war stark. Genau so ging es. Dann war der Typ umgekippt. Er hatte natürlich sofort die Tür aufgemacht, aber es war schon zu spät. War eine beschissene Plackerei, die Leiche unter dem Kellerboden zu vergraben. Aber die Aufnahme! Genüsslich an einem Joint ziehend hörte er sie sich wieder und wieder an. Phantastisches Material.
Doch leider nur ein Gedicht, er brauchte mehr. Dringend mehr und mindestens von der Qualität. Er begann, sein Studio auszubauen, verbesserte die Schalldämmung, baute Rohre für Zu- und Abluft ein, mit denen er gegebenenfalls auch Rauch und Gase einleiten konnte. Er kannte da einen, der auf dem Bau jobbte. Der konnte einiges besorgen. Und außerdem war er im Improvisieren schon immer König gewesen. Unter den präparierten Teppich kamen Stahlplatten mit Hochspannungsanschluß, direkt vor das Mikro. Man sah nichts. Besser als die Nirvana-Platten aus seiner Hausbesetzerzeit in Hamburg. Die Bullen hatten die Platten und die Kabel auf der Treppe sofort erkannt. Seine Konstruktion war optimal, unsichtbar und wesentlich effektiver. Nahm er jedenfalls an, in Hamburg hatte es ja nie jemanden erwischt. Seine Genialität berauschte ihn. Die Lichtsteuerung kam komplett nach außen, Top-Anlage, Tag und Nacht wie er es wünschte, Stroboskopblitze und UV nach Bedarf. Klappe in der Tür für Essen und Wasser, diskret versteckt, kaschiert, hübsch gemacht wie der ganze Raum. Sah aus wie ein Zimmer zum Wohlfühlen, seine kleine Folterkammer. Selten hatte er sich so gut gefühlt wie jetzt. Er hatte die Kontrolle, er hatte einen Plan.
Bei der Auswahl der Sprecher musste er vorsichtig vorgehen. Darauf achten, dass es nicht auffiel, wenn sie mal für einige Zeit verschwanden. Er suchte in anderen Städten, fand und verwarf Kandidaten. Schließlich hatte er einen, Leander, Student der Wirtschaftswissenschaften. Langweilte sich offenbar und hielt sich für einen verkannten Künstler. Er hatte ihm geschmeichelt, Honig um den Bart geschmiert. Schwul war der Gute, und er hatte ihm den Hof gemacht, war um ihn herumscharwenzelt und hatte ihn ausgehalten, bis Leander mit zu ihm nach Hause kam. Er hatte ein großes Geheimnis daraus gemacht, hatte behauptet, er sei verheiratet und seine Frau dürfe nichts erfahren. Leander war darauf hereingefallen und hatte niemandem etwas gesagt. Zwei Wochen später waren fünf weitere Werke vollendet. Allerbeste Qualität, zwei Gedichte und drei Kurzgeschichten. Edelsteine echten Lebens. Er war ein wenig traurig um Leander, der war nicht nur gut als Sprecher, sie hatten auch überraschend guten Sex gehabt. Überraschend, weil es seine erste Homo-Erfahrung war. Er hielt sich eigentlich nicht für schwul. Aber mit Leander … Letztendlich hatte der es nicht anders verdient, der Betrüger. Er hieß gar nicht Leander, sondern Karl-Heinz. Das hatte er jedenfalls auf dem Perso gelesen, bevor er ihn mit den Kleidern verbrannt hatte. Nun lag Karl-Heinz bei Bernd. Die hätten sich gemocht, dachte er und musste grinsen.
Den letzten hatte er übers Internet gefunden. Gerhard, 32, Elektromonteur und in seiner Freizeit Pornodarsteller. Ein heißer Typ. Leicht rauchige Stimme, ziemlich tief. Und, zu seinem Glück, notorisch pleite. Es war so einfach gewesen, ihn zu überzeugen. Ein wenig seiner Eitelkeit als „erfahrener Schauspieler“ schmeicheln und ihm ein gewaltiges Honorar versprechen. Achttausend für zwei Wochen. So viel Asche hatte er nicht, aber was machte das schon, er würde ja nicht zahlen müssen. Mann, hatte der gebrüllt, als er herausfand, dass er eingeschlossen war. In der ersten Woche war nichts zu machen mit Aufnahmen. Der Arsch hatte sogar die Kabel der Neonröhren heruntergerissen und die Polster zerfetzt. Na, ihm war’s egal gewesen, dann kriegte der halt nur noch Nacht und nichts mehr zu fressen. Das hatte dann auch gewirkt, Gerhard hatte gemacht, was er wollte. Er gab ihm wieder etwas Schlaf, Essen und sogar Bier, der wurde fast handzahm und enorm produktiv.
Dann kam der letzte Tag, das letzte Gedicht. Hier wollte er alles und Gerhard gab alles. Destillierte Seelenqual, ein Irrsinn, der alles Dagewesene übertraf. Doch er wollte noch mehr, er brauchte einen speziellen Kick zum Abschluss, den ultimativen Overdrive. Und so hatte er seine Zehntausend-Volt-Anlage getestet. Der Knall. Der Wahnsinnsblitz. Und der Gestank. Es war fast zu viel für ihn. Und leider war ein Teil des letzten Satzes auf der Aufnahme unverständlich, ging im Schrei und dem Lärm der Entladung unter. Vielleicht, dachte er, war er diesmal doch zu weit gegangen. Aber Gerhard war nicht sofort tot, er bewegte sich noch, zuckte und sonderte grünlichen Schleim auf den Teppich ab. Die Mikros funktionierten, die Aufnahme lief noch. Er drückte die Kippe aus und strich mit der linken Hand zufrieden über seine Erektion.
Das letzte Röcheln war schon echt geil.
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Recorder
Er hatte Kerouac gelesen, Ginsberg und Burroughs, sich inspirieren lassen von Bukowski und Miller. Sein Leben war wild gewesen, voll von Grenzerfahrungen und Inspirationen. Nichts hatte er ausgelassen bei dem Versuch, echte, authentische Narben auf seiner Seele zu erzeugen. Jeden Tag hatte er Seite um Seite seiner Moleskin-Notizbücher mit Gedanken und Skizzen bedeckt, sein Innerstes unter Qualen hervorgewürgt und auf die Blätter gespien. Bittere Gewölle der Poesie. Er stand, so war er sich sicher, seinen großen Vorbildern in nichts nach. Und doch war ihm die Anerkennung versagt geblieben. Nicht einer der angeschriebenen Verlage hatte Interesse gezeigt, die wenigsten auch nur ein paar freundliche Worte gefunden, etliche die Manuskripte nicht einmal zurückgeschickt. Selber gedruckt hatte er sein Buch dann, ohne ISBN, ohne Vertrieb. Auf Märkten und in Pinten verkloppt. Zu gut erinnerte er sich auch an seine Lesereise auf eigene Kosten, besonders an den Abend im Literaturverein seiner Heimatstadt. Erst hatten sie ihn gebeten, in der Aula des Heinrich Heine Gymnasiums vorzutragen, angekündigt als großen Sohn der Stadt, dann hatten sie ihre feinen Nasen gerümpft, diese Spießer. Was hatten die denn geglaubt? Dass er immer noch den gleichen Scheiß schrieb wie damals in der Schülerzeitung? Gerd, der Wichser, der sich enorm was einbildete auf seine Rolle als Vorsitzender, hatte sich sogar ein abfälliges Lachen vor allen nicht verkneifen können. Der war doch nicht ein einziges Mal aus diesem Kaff herausgekommen, der Provinzler! Verstand nichts von authentischer Gegenwartsliteratur! Der hielt doch sogar die schamlippengeformten Tonvasen, die seine Frau vom Volkshochschulkurs für frustrierte Arztgattinen mit nach Hause brachte, für Kunst! Kleinkariertes Pack! Bornierte Idioten! Er hatte die Welt gesehen, war gereist, hatte Gefahren getrotzt und in die Abgründe der Menschheit geblickt. Nein, nicht geblickt, er war hineingetaucht! Er hatte seine Seele im Delirium erkannt, hatte seine Eingeweide herausgespieen und wieder in sich aufgesaugt. Er hatte was zu sagen, er schon. Doch das verstanden die nicht, das wollten die nicht verstehen. Flachwichser!
Entmutigt hatte er sich danach zurückgezogen, monatelang nicht eine einzige Zeile mehr verfasst. Jeden Tag brauchte er mehr Trost aus der Flasche. Zunächst war’s noch teurer schottischer Whiskey gewesen, doch bald reichte das Geld nicht mehr. Nur um Nachschub zu holen verließ er das Haus und schleppte sich zu Penny für Toastbrot, Scheibenkäse und Bier in Plastikflaschen – und den unvermeidlichen Glen Wasweißichwas. Widerwärtiger Fusel, aber knallte auch. Er stank und war unrasiert, seine Nachbarn grüßten ihn nicht mehr. Einmal hatten sie ihn sogar angezeigt, weil er direkt vor den Hauseingang gereihert hatte und zu schwach war, aufzuwischen. War ihm eigentlich auch egal. Selbst Hamish hatte ihm schon angedroht, ihn aus dem Pub zu schmeißen. Das wäre das Schlimmste, der Verlust der Heimat. Zum Glück war Hamish eine treue Seele und hatte ihn in einer Ecke sitzen lassen. Selbst dann, wenn sich andere Gäste über den Penner beschwerten. Hamish glaubte noch an ihn.
Dann, ganz plötzlich, an einem stinknormalen Dienstagnachmittag, begannen die Stimmen zu ihm zu sprechen. Zuerst dachte er, es sei jetzt soweit, er sei endgültig übergeschnappt. Dann aber erkannte er sie, seine Geschöpfe kamen ihn besuchen, sie redeten mit ihm. Er konnte all ihre Leidenschaft hören, ihren Schmerz, die Sehnsucht, die Verzweiflung, die Ekstase. Seine Figuren ließen ihn an ihrem Leben teilhaben, füllten all die Lücken in seinen Geschichten. Es geschah das, was ihm mit Worten auf Papier nicht gelungen war: der Klang ihrer Stimmen machte sie plastisch. Die Fülle der verschiedenen Eindrücke, die ihn umschwangen, nahm ihm den Atem. Ihn schwindelte. Und er verstand, dass er einen Weg finden musste, seine Worte hörbar zu machen, dann würde man ihn verstehen.
Fiebrig kramte er den alten Vierspurrecorder hervor, den aus der Zeit, als es seine alte Band noch gab. War Top-Technologie damals. Er fand auch noch alte Cassetten, waren Covers von Sympathy for the Devil und Jumping Jack Flash drauf. Irre geile Gitarre! Die ersten Versuche, selber zu sprechen, scheiterten kläglich. Seine Stimme war dünn, farblos, ohne Druck. Beim Lesen war er verspannt und irgendwie atemlos. Wie machten die Profis das? Er besorgte sich CDs von Brückner, von Pleitgen und Brauer. Rufus Beck konnte er nicht leiden. Aber Harry vergötterte er. Keiner war größer als Harry! Ein richtiger Pfundskerl, und trinken konnte der auch! In der Kneipe bei Hamish hatte er den Kumpels vorgeschwärmt. Wie er ihn getroffen und mit ihm gesoffen hatte nach der Lesung in Göttingen. Wie sie sich sofort und ohne Worte verstanden hatten. Und er hatte von seinen Stimmen erzählt, wie man Authentizität reinbringen müsste in die Präsentation. Echtes Leben halt. Die Freunde hatten ihm noch’n paar Drinks spendiert und sich ein wenig über ihn amüsiert. Sie kannten das schon. Manch einer hatte sein Buch gekauft, aber er glaubte nicht daran, dass sie die Texte verstanden. Nur Frank war voll eingestiegen auf die Hörbuch-Idee. Sein Bruder kannte da einen, der hatte mal bei Werbeaufnahmen den Off-Sprecher gegeben. Hatte angeblich ‘ne geile Stimme und wusste auch, wie man günstig an besseres Equipment kam.
Am nächsten Morgen, na gut, Mittag war’s gewesen, hatte er ihn angerufen. Der Typ hatte selber keine Zeit, konnte ihm aber echt gute Tipps für den Aufbau eines Kellerstudios geben und auch ein paar Adressen von Schauspielschülern, die sowas gern gegen kleines Geld als Eigenwerbung machten. Begeistert hatte er losgelegt, hatte den kleinen, fensterlosen Kellerraum gegenüber der alten Waschküche umgebaut und danach stundenlang aufgenommen. Nur um nach drei Wochen festzustellen, dass die Aufnahmen technisch schon nahezu perfekt, aber ohne jede Plastizität waren. Die Jungs waren Grünschnäbel, denen fehlte alles, was seine Worte brauchten. Auch Bernd, der angeblich schon alles gemacht hatte. Der war es dann aber gewesen, der ihn auf die richtige Idee gebracht hatte, mit seinem ständigen Gelaber über echte Erfahrungen, Method-Acting und Stanislawski. Man musste ihnen echte Erfahrungen liefern, dann kam auch echter Klang.
Hatte ‘ne große Klappe, der Bernd, wenig drauf. Stundenlange Diskussionen, Aufwärm- und Schreiübungen, nichts. Es war kaum mehr als ein Krächzen gekommen. Er war mit ihm durch die Kneipen gezogen, hatte ihm die geilsten Typen vorgestellt. Es wurde besser, aber nicht gut. Auch die verschiedenen Drogen hatten nicht geholfen. Schließlich hatte er ihn entnervt im Studio eingeschlossen. Da konnte er toben wie er wollte, hörte ihn ja keiner. Die Aufnahme lief quasi immer mit, das war schon was, näher dran. Immer wenn Bernd aufgeben wollte, hatter er Musik eingespielt. Quer Beet, was er so da hatte. Mozart und die Ramones, Greatful Dead und dann ein wenig Abba. Schon nach drei Tagen Schlafentzug waren unglaubliche Sachen gekommen, echt gut eigentlich, aber noch fehlte was. Bernd hatte um Gnade hatte gewinselt. Aber keine vernünftige Zeile Wahnsinn aufs Band gebracht. Er hatte ihn über die Anlage angebrüllt, ihm dann die Freiheit versprochen, wenn er eine zufriedenstellende Aufnahme hinbekam. Bernd hatte begonnen, zu lesen, wie ein Wilder, voller Verzweiflung, und er hatte ihm die Lüftung abgedreht. Mann, das war stark. Genau so ging es. Dann war der Typ umgekippt. Er hatte natürlich sofort die Tür aufgemacht, aber es war schon zu spät. War eine beschissene Plackerei, die Leiche unter dem Kellerboden zu vergraben. Aber die Aufnahme! Genüsslich an einem Joint ziehend hörte er sie sich wieder und wieder an. Phantastisches Material.
Doch leider nur ein Gedicht, er brauchte mehr. Dringend mehr und mindestens von der Qualität. Er begann, sein Studio auszubauen, verbesserte die Schalldämmung, baute Rohre für Zu- und Abluft ein, mit denen er gegebenenfalls auch Rauch und Gase einleiten konnte. Unter den präparierten Teppich kamen Stahlplatten mit Hochspannungsanschluß, direkt vor das Mikro. Man sah nichts. Besser als die Nirvana-Platten aus seiner Hausbesetzerzeit in Hamburg. Die Bullen hatten die Platten und die Kabel auf der Treppe sofort erkannt. Seine Konstruktion war optimal, unsichtbar und wesentlich effektiver. Nahm er jedenfalls an, in Hamburg hatte es ja nie jemanden erwischt. Seine Genialität berauschte ihn. Die Lichtsteuerung kam komplett nach außen, Top-Anlage, Tag und Nacht wie er es wünschte, Stroboskopblitze und UV nach Bedarf. Klappe in der Tür für Essen und Wasser, diskret versteckt, kaschiert, hübsch gemacht wie der ganze Raum. Sah aus wie ein Zimmer zum Wohlfühlen, seine kleine Folterkammer. Selten hatte er sich so gut gefühlt wie jetzt. Er hatte die Kontrolle, er hatte einen Plan.
Bei der Auswahl der Sprecher musste er vorsichtig vorgehen. Darauf achten, dass es nicht auffiel, wenn sie mal für einige Zeit verschwanden. Er suchte in anderen Städten, fand und verwarf Kandidaten. Schließlich hatte er einen, Leander, Student der Wirtschaftswissenschaften. Langweilte sich offenbar und hielt sich für einen verkannten Künstler. Er hatte ihm geschmeichelt, Honig um den Bart geschmiert. Schwul war der Gute, und er hatte ihm den Hof gemacht, war um ihn herumscharwenzelt und hatte ihn ausgehalten, bis Leander mit zu ihm nach Hause kam. Er hatte ein großes Geheimnis daraus gemacht, hatte behauptet, er sei verheiratet und seine Frau dürfe nichts erfahren. Leander war darauf hereingefallen und hatte niemandem etwas gesagt. Zwei Wochen später waren fünf weitere Werke vollendet. Allerbeste Qualität, zwei Gedichte und drei Kurzgeschichten. Edelsteine echten Lebens. Er war ein wenig traurig um Leander, der war nicht nur gut als Sprecher, sie hatten auch überraschend guten Sex gehabt. Überraschend, weil es seine erste Homo-Erfahrung war. Er hielt sich eigentlich nicht für schwul. Aber mit Leander … Letztendlich hatte der es nicht anders verdient, der Betrüger. Er hieß gar nicht Leander, sondern Karl-Heinz. Das hatte er jedenfalls auf dem Perso gelesen, bevor er ihn mit den Kleidern verbrannt hatte. Nun lag Karl-Heinz bei Bernd. Die hätten sich gemocht, dachte er und musste grinsen.
Den letzten hatte er übers Internet gefunden. Gerhard, 32, Elektromonteur und in seiner Freizeit Pornodarsteller. Ein heißer Typ. Leicht rauchige Stimme, ziemlich tief. Und, zu seinem Glück, notorisch pleite. Es war so einfach gewesen, ihn zu überzeugen. Ein wenig seiner Eitelkeit als „erfahrener Schauspieler“ schmeicheln und ihm ein gewaltiges Honorar versprechen. Achttausend für zwei Wochen. So viel Geld hatte er nicht, aber was machte das schon. Mann, hatte der gebrüllt, als er herausfand, dass er eingeschlossen war. In der ersten Woche war nichts zu machen mit Aufnahmen. Der Arsch hatte sogar die Kabel der Neonröhren heruntergerissen und die Polster zerfetzt. Na, ihm war’s egal gewesen, dann kriegte der halt nur noch Nacht und nichts mehr zu fressen. Das hatte dann auch gewirkt, Gerhard hatte gemacht, was er wollte. Er gab ihm wieder etwas Schlaf, Essen und sogar Bier, der wurde fast handzahm und enorm produktiv.
Dann kam der letzte Tag, das letzte Gedicht. Hier wollte er alles und Gerhard gab alles. Destillierte Seelenqual, ein Irrsinn, der alles Dagewesene übertraf. Doch er wollte noch mehr, er brauchte einen speziellen Kick zum Abschluss, den ultimativen Overdrive. Und so hatte er seine Zehntausend-Volt-Anlage getestet. Der Knall. Der Wahnsinnsblitz. Und der Gestank. Es war fast zu viel für ihn. Und leider war ein Teil des letzten Satzes auf der Aufnahme unverständlich, ging im Schrei und dem Lärm der Entladung unter. Vielleicht, dachte er, war er diesmal doch zu weit gegangen. Aber Gerhard war nicht sofort tot, er bewegte sich noch, zuckte und sonderte grünlichen Schleim auf den Teppich ab. Die Mikros funktionierten, die Aufnahme lief noch. Er drückte die Kippe aus und strich mit der linken Hand zufrieden über seine Erektion.
Das letzte Röcheln war schon echt geil.
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Recorder
„Authentizität wird vielleicht überbewertet“, dachte er, als der dritte Sprecher auf dem Boden seines Studios verröchelte.
Er hatte Kerouac gelesen, Ginsberg und Burroughs, sich inspirieren lassen von Bukowski und Miller. Sein Leben war wild gewesen, voll von Grenzerfahrungen und Inspirationen. Nichts hatte er ausgelassen bei dem Versuch, echte, authentische Narben auf seiner Seele zu erzeugen. Jeden Tag hatte er Seite um Seite seiner Moleskin-Notizbücher mit Gedanken und Skizzen bedeckt, sein Innerstes unter Qualen hervorgewürgt und auf die Blätter gespien. Bittere Gewölle der Poesie. Er stand, so war er sich sicher, seinen großen Vorbildern in nichts nach. Und doch war ihm die Anerkennung versagt geblieben. Nicht einer der angeschriebenen Verlage hatte Interesse gezeigt, die wenigsten auch nur ein paar freundliche Worte gefunden, etliche die Manuskripte nicht einmal zurückgeschickt. Selber gedruckt hatte er sein Buch dann, ohne ISBN, ohne Vertrieb. Auf Märkten und in Pinten verkloppt. Zu gut erinnerte er sich auch an seine Lesereise auf eigene Kosten, besonders an den Abend im Literaturverein seiner Heimatstadt. Erst hatten sie ihn gebeten, in der Aula des Heinrich Heine Gymnasiums vorzutragen, angekündigt als großen Sohn der Stadt, dann hatten sie ihre feinen Nasen gerümpft, diese Spießer. Was hatten die denn geglaubt? Dass er immer noch den gleichen Scheiß schrieb wie damals in der Schülerzeitung? Gerd, der Wichser, der sich enorm was einbildete auf seine Rolle als Vorsitzender, hatte sich sogar ein abfälliges Lachen vor allen nicht verkneifen können. Der war doch nicht ein einziges Mal aus diesem Kaff herausgekommen, der Provinzler! Verstand nichts von authentischer Gegenwartsliteratur! Der hielt doch sogar die schamlippengeformten Tonvasen, die seine Frau vom Volkshochschulkurs für frustrierte Arztgattinen mit nach Hause brachte, für Kunst! Kleinkariertes Pack! Bornierte Idioten! Er hatte die Welt gesehen, war gereist, hatte Gefahren getrotzt und in die Abgründe der Menschheit geblickt. Nein, nicht geblickt, er war hineingetaucht! Er hatte seine Seele im Delirium erkannt, hatte seine Eingeweide herausgespieen und wieder in sich aufgesaugt. Er hatte was zu sagen, er schon. Doch das verstanden die nicht, das wollten die nicht verstehen. Flachwichser!
Entmutigt hatte er sich danach zurückgezogen, monatelang nicht eine einzige Zeile mehr verfasst. Jeden Tag brauchte er mehr Trost aus der Flasche. Zunächst war’s noch teurer schottischer Whiskey gewesen, doch bald reichte das Geld nicht mehr. Nur um Nachschub zu holen verließ er das Haus und schleppte sich zu Penny für Toastbrot, Scheibenkäse und Bier in Plastikflaschen – und den unvermeidlichen Glen Wasweißichwas. Widerwärtiger Fusel, aber knallte auch. Er stank und war unrasiert, seine Nachbarn grüßten ihn nicht mehr. Einmal hatten sie ihn sogar angezeigt, weil er direkt vor den Hauseingang gereihert hatte und zu schwach war, aufzuwischen. War ihm eigentlich auch egal. Selbst Hamish hatte ihm schon angedroht, ihn aus dem Pub zu schmeißen. Das wäre das Schlimmste, der Verlust der Heimat. Zum Glück war Hamish eine treue Seele und hatte ihn in einer Ecke sitzen lassen. Selbst dann, wenn sich andere Gäste über den Penner beschwerten. Hamish glaubte noch an ihn.
Dann, ganz plötzlich, an einem stinknormalen Dienstagnachmittag, begannen die Stimmen zu ihm zu sprechen. Zuerst dachte er, es sei jetzt soweit, er sei endgültig übergeschnappt. Dann aber erkannte er sie, seine Geschöpfe kamen ihn besuchen, sie redeten mit ihm. Er konnte all ihre Leidenschaft hören, ihren Schmerz, die Sehnsucht, die Verzweiflung, die Ekstase. Seine Figuren ließen ihn an ihrem Leben teilhaben, füllten all die Lücken in seinen Geschichten. Es geschah das, was ihm mit Worten auf Papier nicht gelungen war: der Klang ihrer Stimmen machte sie plastisch. Die Fülle der verschiedenen Eindrücke, die ihn umschwangen, nahm ihm den Atem. Ihn schwindelte. Und er verstand, dass er einen Weg finden musste, seine Worte hörbar zu machen, dann würde man ihn verstehen.
Fiebrig kramte er den alten Vierspurrecorder hervor, den aus der Zeit, als es seine alte Band noch gab. War Top-Technologie damals. Er fand auch noch alte Cassetten, waren Covers von Sympathy for the Devil und Jumping Jack Flash drauf. Irre geile Gitarre! Die ersten Versuche, selber zu sprechen, scheiterten kläglich. Seine Stimme war dünn, farblos, ohne Druck. Beim Lesen war er verspannt und irgendwie atemlos. Wie machten die Profis das? Er besorgte sich CDs von Brückner, von Pleitgen und Brauer. Rufus Beck konnte er nicht leiden. Aber Harry vergötterte er. Keiner war größer als Harry! Ein richtiger Pfundskerl, und trinken konnte der auch! In der Kneipe bei Hamish hatte er den Kumpels vorgeschwärmt. Wie er ihn getroffen und mit ihm gesoffen hatte nach der Lesung in Göttingen. Wie sie sich sofort und ohne Worte verstanden hatten. Und er hatte von seinen Stimmen erzählt, wie man Authentizität reinbringen müsste in die Präsentation. Echtes Leben halt. Die Freunde hatten ihm noch’n paar Drinks spendiert und sich ein wenig über ihn amüsiert. Sie kannten das schon. Manch einer hatte sein Buch gekauft, aber er glaubte nicht daran, dass sie die Texte verstanden. Nur Frank war voll eingestiegen auf die Hörbuch-Idee. Sein Bruder kannte da einen, der hatte mal bei Werbeaufnahmen den Off-Sprecher gegeben. Hatte angeblich ‘ne geile Stimme und wusste auch, wie man günstig an besseres Equipment kam.
Am nächsten Morgen, na gut, Mittag war’s gewesen, hatte er ihn angerufen. Der Typ hatte selber keine Zeit, konnte ihm aber echt gute Tipps für den Aufbau eines Kellerstudios geben und auch ein paar Adressen von Schauspielschülern, die sowas gern gegen kleines Geld als Eigenwerbung machten. Begeistert hatte er losgelegt, hatte den kleinen, fensterlosen Kellerraum gegenüber der alten Waschküche umgebaut und danach stundenlang aufgenommen. Nur um nach drei Wochen festzustellen, dass die Aufnahmen technisch schon nahezu perfekt, aber ohne jede Plastizität waren. Die Jungs waren Grünschnäbel, denen fehlte alles, was seine Worte brauchten. Auch Bernd, der angeblich schon alles gemacht hatte. Der war es dann aber gewesen, der ihn auf die richtige Idee gebracht hatte, mit seinem ständigen Gelaber über echte Erfahrungen, Method-Acting und Stanislawski. Man musste ihnen echte Erfahrungen liefern, dann kam auch echter Klang.
Hatte ‘ne große Klappe, der Bernd, wenig drauf. Stundenlange Diskussionen, Aufwärm- und Schreiübungen, nichts. Es war kaum mehr als ein Krächzen gekommen. Er war mit ihm durch die Kneipen gezogen, hatte ihm die geilsten Typen vorgestellt. Es wurde besser, aber nicht gut. Auch die verschiedenen Drogen hatten nicht geholfen. Schließlich hatte er ihn entnervt im Studio eingeschlossen. Da konnte er toben wie er wollte, hörte ihn ja keiner. Die Aufnahme lief quasi immer mit, das war schon was, näher dran. Immer wenn Bernd aufgeben wollte, hatter er Musik eingespielt. Quer Beet, was er so da hatte. Mozart und die Ramones, Greatful Dead und dann ein wenig Abba. Schon nach drei Tagen Schlafentzug waren unglaubliche Sachen gekommen, echt gut eigentlich, aber noch fehlte was. Bernd hatte um Gnade hatte gewinselt. Aber keine vernünftige Zeile Wahnsinn aufs Band gebracht. Er hatte ihn über die Anlage angebrüllt, ihm dann die Freiheit versprochen, wenn er eine zufriedenstellende Aufnahme hinbekam. Bernd hatte begonnen, zu lesen, wie ein Wilder, voller Verzweiflung, und er hatte ihm die Lüftung abgedreht. Mann, das war stark. Genau so ging es. Dann war der Typ umgekippt. Er hatte natürlich sofort die Tür aufgemacht, aber es war schon zu spät. War eine beschissene Plackerei, die Leiche unter dem Kellerboden zu vergraben. Aber die Aufnahme! Genüsslich an einem Joint ziehend hörte er sie sich wieder und wieder an. Phantastisches Material.
Doch leider nur ein Gedicht, er brauchte mehr. Dringend mehr und mindestens von der Qualität. Er begann, sein Studio auszubauen, verbesserte die Schalldämmung, baute Rohre für Zu- und Abluft ein, mit denen er gegebenenfalls auch Rauch und Gase einleiten konnte. Unter den präparierten Teppich kamen Stahlplatten mit Hochspannungsanschluß, direkt vor das Mikro. Man sah nichts. Besser als die Nirvana-Platten aus seiner Hausbesetzerzeit in Hamburg. Die Bullen hatten die Platten und die Kabel auf der Treppe sofort erkannt. Seine Konstruktion war optimal, unsichtbar und wesentlich effektiver. Nahm er jedenfalls an, in Hamburg hatte es ja nie jemanden erwischt. Seine Genialität berauschte ihn. Die Lichtsteuerung kam komplett nach außen, Top-Anlage, Tag und Nacht wie er es wünschte, Stroboskopblitze und UV nach Bedarf. Klappe in der Tür für Essen und Wasser, diskret versteckt, kaschiert, hübsch gemacht wie der ganze Raum. Sah aus wie ein Zimmer zum Wohlfühlen, seine kleine Folterkammer. Selten hatte er sich so gut gefühlt wie jetzt. Er hatte die Kontrolle, er hatte einen Plan.
Bei der Auswahl der Sprecher musste er vorsichtig vorgehen. Darauf achten, dass es nicht auffiel, wenn sie mal für einige Zeit verschwanden. Er suchte in anderen Städten, fand und verwarf Kandidaten. Schließlich hatte er einen, Leander, Student der Wirtschaftswissenschaften. Langweilte sich offenbar und hielt sich für einen verkannten Künstler. Er hatte ihm geschmeichelt, Honig um den Bart geschmiert. Schwul war der Gute, und er hatte ihm den Hof gemacht, war um ihn herumscharwenzelt und hatte ihn ausgehalten, bis Leander mit zu ihm nach Hause kam. Er hatte ein großes Geheimnis daraus gemacht, hatte behauptet, er sei verheiratet und seine Frau dürfe nichts erfahren. Leander war darauf hereingefallen und hatte niemandem etwas gesagt. Zwei Wochen später waren fünf weitere Werke vollendet. Allerbeste Qualität, zwei Gedichte und drei Kurzgeschichten. Edelsteine echten Lebens. Er war ein wenig traurig um Leander, der war nicht nur gut als Sprecher, sie hatten auch überraschend guten Sex gehabt. Überraschend, weil es seine erste Homo-Erfahrung war. Er hielt sich eigentlich nicht für schwul. Aber mit Leander … Letztendlich hatte der es nicht anders verdient, der Betrüger. Er hieß gar nicht Leander, sondern Karl-Heinz. Das hatte er jedenfalls auf dem Perso gelesen, bevor er ihn mit den Kleidern verbrannt hatte. Nun lag Karl-Heinz bei Bernd. Die hätten sich gemocht, dachte er und musste grinsen.
Den letzten hatte er übers Internet gefunden. Gerhard, 32, Elektromonteur und in seiner Freizeit Pornodarsteller. Ein heißer Typ. Leicht rauchige Stimme, ziemlich tief. Und, zu seinem Glück, notorisch pleite. Es war so einfach gewesen, ihn zu überzeugen. Ein wenig seiner Eitelkeit als „erfahrener Schauspieler“ schmeicheln und ihm ein gewaltiges Honorar versprechen. Achttausend für zwei Wochen. So viel Geld hatte er nicht, aber was machte das schon. Mann, hatte der gebrüllt, als er herausfand, dass er eingeschlossen war. In der ersten Woche war nichts zu machen mit Aufnahmen. Der Arsch hatte sogar die Kabel der Neonröhren heruntergerissen und die Polster zerfetzt. Na, ihm war’s egal gewesen, dann kriegte der halt nur noch Nacht und nichts mehr zu fressen. Das hatte dann auch gewirkt, Gerhard hatte gemacht, was er wollte. Er gab ihm wieder etwas Schlaf, Essen und sogar Bier, der wurde fast handzahm und enorm produktiv.
Dann kam der letzte Tag, das letzte Gedicht. Hier wollte er alles und Gerhard gab alles. Destillierte Seelenqual, ein Irrsinn, der alles Dagewesene übertraf. Doch er wollte noch mehr, er brauchte einen speziellen Kick zum Abschluss, den ultimativen Overdrive. Und so hatte er seine Zehntausend-Volt-Anlage getestet. Der Knall. Der Wahnsinnsblitz. Und der Gestank. Es war fast zu viel für ihn. Und leider war ein Teil des letzten Satzes auf der Aufnahme unverständlich, ging im Schrei und dem Lärm der Entladung unter. Vielleicht, dachte er, war er diesmal doch zu weit gegangen. Aber Gerhard war nicht sofort tot, er bewegte sich noch, zuckte und sonderte grünlichen Schleim auf den Teppich ab. Die Mikros funktionierten, die Aufnahme lief noch. Er drückte die Kippe aus und strich mit der linken Hand zufrieden über seine Erektion.
Doch, das letzte Röcheln war schon echt geil.[/tabs]
Recorder
Hahaha, Ich fass es nicht. Henkki, falls Du mich als Sprecherin engagieren möchtest: Ich stehe nicht zur Verfügung.
Geiler Text.
Ich lese oft wenig Prosa, hier habe ich angefangen und konnte nicht mehr aufhören. Das war ein Lesevergnügen! Die Beschreibungen, das, was im Inneren des Herrn vor sich geht, die Steigerung des "Wahns" und die Perfektionierung im Dienste der Poesie. Also, ich finde es super und würde auch nicht mehr viel dran ändern.
Liebe Grüße
leonie

Geiler Text.
Ich lese oft wenig Prosa, hier habe ich angefangen und konnte nicht mehr aufhören. Das war ein Lesevergnügen! Die Beschreibungen, das, was im Inneren des Herrn vor sich geht, die Steigerung des "Wahns" und die Perfektionierung im Dienste der Poesie. Also, ich finde es super und würde auch nicht mehr viel dran ändern.
Liebe Grüße
leonie
Hola Enrique,
du solltest viel öfter Prosa schreiben. Ich finde die Story klasse, liest sich flutschig durch bis zum Ende.
So manches Mal musste ich an Tom denken und wie er beschrieb, als du bei ihm gelesen hast, wie er dich antrieb, du immer wieder von vorne beginnen musstest.
Da sind etliche Tippfehler drin, die müsste man mal durchgehen.
Wollte dir erst mal meinen ersten Eindruck wiedergeben.
Gelungen!
Saludos
Mucki
du solltest viel öfter Prosa schreiben. Ich finde die Story klasse, liest sich flutschig durch bis zum Ende.
So manches Mal musste ich an Tom denken und wie er beschrieb, als du bei ihm gelesen hast, wie er dich antrieb, du immer wieder von vorne beginnen musstest.

Da sind etliche Tippfehler drin, die müsste man mal durchgehen.
Wollte dir erst mal meinen ersten Eindruck wiedergeben.
Gelungen!

Saludos
Mucki
Hallo Henkki,
ich muss zugeben, dass ich ziemlich schnell ausgestiegen bin. Innerlich, schon allein aufgrund des vermuteten Themas, schon beim Verröcheln des dritten Sprechers. Allerdings geht es mir davon einmal abgesehen auch so, dass mir zu viel gesagt, behauptet wird und zu wenig gezeigt, ich bekomme gar kein Gespür für die Echtheit des Menschen, des Erzählten und damit auch keine Lust weiterzulesen.
Ich versuche mal am Anfang zu zeigen:
„Authentizität wird vielleicht doch überbewertet“, dachte er.
Das wäre für mich ein Auftakt gewesen, der mich neugierig gemacht hätte, gelockt hätte.
Schwupps schon bin ich weg.
Das kommt für mich viel zu früh.
*wow* welch namedropping. Wozu?
Oh... so, wild war es also, voll Grenzerfahrung und Inspiration... toll! Und sogar echte, authentische Narben! ... Aber ich sehe nichts davon, alles nur heiße Luft. Ich komme mir vor, wie bei einer schlechten Anmache. Vielleicht muss ich weiterlesen, um mehr zu erfahren, aber bei mir gehen hier schon die Rollläden runter. Also das ist so auf dicke Hose gemacht, dass ich nichts davon glaube. (Ich frage mich, ob es aus der Ich-Perspektive dann nicht stimmiger gewesen wäre.) Und da ich dann im Überfliegen zu den letzten Sätzen gesprungen bin... musste ich wirklich lachen.
Na ja, vielleicht sollte ich das auch?
Also nix für ungut, nur als spontane Rückmeldung meinerseits.
Vermutlich bin ich einfach komplett die falsche Adresse, für andere Leser(-innen) funktioniert es ja.
liebe Grüße
Flora
ich muss zugeben, dass ich ziemlich schnell ausgestiegen bin. Innerlich, schon allein aufgrund des vermuteten Themas, schon beim Verröcheln des dritten Sprechers. Allerdings geht es mir davon einmal abgesehen auch so, dass mir zu viel gesagt, behauptet wird und zu wenig gezeigt, ich bekomme gar kein Gespür für die Echtheit des Menschen, des Erzählten und damit auch keine Lust weiterzulesen.
Ich versuche mal am Anfang zu zeigen:
„Authentizität wird vielleicht doch überbewertet“, dachte er.
Das wäre für mich ein Auftakt gewesen, der mich neugierig gemacht hätte, gelockt hätte.
, als der dritte Sprecher auf dem Boden seines Studios verröchelte.
Schwupps schon bin ich weg.
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Er hatte Kerouac gelesen, Ginsberg und Burroughs, sich inspirieren lassen von Bukowski und Miller.
*wow* welch namedropping. Wozu?
Sein Leben war wild gewesen, voll von Grenzerfahrungen und Inspirationen. Nichts hatter er ausgelassen bei dem Versuch, echte, authenische Narben auf seiner Seele zu erzeugen.
Oh... so, wild war es also, voll Grenzerfahrung und Inspiration... toll! Und sogar echte, authentische Narben! ... Aber ich sehe nichts davon, alles nur heiße Luft. Ich komme mir vor, wie bei einer schlechten Anmache. Vielleicht muss ich weiterlesen, um mehr zu erfahren, aber bei mir gehen hier schon die Rollläden runter. Also das ist so auf dicke Hose gemacht, dass ich nichts davon glaube. (Ich frage mich, ob es aus der Ich-Perspektive dann nicht stimmiger gewesen wäre.) Und da ich dann im Überfliegen zu den letzten Sätzen gesprungen bin... musste ich wirklich lachen.
Na ja, vielleicht sollte ich das auch?
Also nix für ungut, nur als spontane Rückmeldung meinerseits.
Vermutlich bin ich einfach komplett die falsche Adresse, für andere Leser(-innen) funktioniert es ja.
liebe Grüße
Flora
Danke Flora,
das zeigt erst mal nur, dass es so nicht sicher funktioniert. Das "dicke Hose"-Ding ist Absicht, ebenso wie das "Namedropping" und das ganze Geschwaller über die wilden Grenzerfahrungen. Weil es für mich die Person als doch letztendlich recht hohl darstellt, und so soll sie sein. Denn diese Frage bleibt ja offen: ist das, was er schreibt, denn gut, etwas Eigenes? Oder nur Selbstdarstellung? Kopie? Ausdruck des Wunsches so zu sein wie seine Helden? Im Ich wäre das gar nicht gegangen, zu wenig Distanz. Ob das gut oder schlecht ist, kann ich nicht sagen. Ohne das ist allerdings die Idee weg. Also muss ich es erst mal lassen. Was vermutlich fehlt, ist ein Kontrast. Etwas, was klar macht, dass das "dicke Hose" dem Charakter zuzuschreiben ist, nicht der Geschichte. Bedenkenswert.
Lieben Gruß,
Henrik
das zeigt erst mal nur, dass es so nicht sicher funktioniert. Das "dicke Hose"-Ding ist Absicht, ebenso wie das "Namedropping" und das ganze Geschwaller über die wilden Grenzerfahrungen. Weil es für mich die Person als doch letztendlich recht hohl darstellt, und so soll sie sein. Denn diese Frage bleibt ja offen: ist das, was er schreibt, denn gut, etwas Eigenes? Oder nur Selbstdarstellung? Kopie? Ausdruck des Wunsches so zu sein wie seine Helden? Im Ich wäre das gar nicht gegangen, zu wenig Distanz. Ob das gut oder schlecht ist, kann ich nicht sagen. Ohne das ist allerdings die Idee weg. Also muss ich es erst mal lassen. Was vermutlich fehlt, ist ein Kontrast. Etwas, was klar macht, dass das "dicke Hose" dem Charakter zuzuschreiben ist, nicht der Geschichte. Bedenkenswert.
Lieben Gruß,
Henrik
Hallo Flora,
genau DAS will Henkki hier doch darstellen, darum geht es hier doch. Alles ist total übertrieben, daher auch die Wiederholungen von "geil", "Wichser", etc. etc. Henkki führt das Thema der Story "Authentizität" hier selbst auf die Spitze und damit ad absurdum.
Henkki, du musst diese Story bitte unbedingt lesen! Und zwar in diesem Sinne:
Saludos
Mucki
Edit:
Hat sich gerade mit deinem posting überschnitten, Henkki
Also das ist so auf dicke Hose gemacht, dass ich nichts davon glaube.
genau DAS will Henkki hier doch darstellen, darum geht es hier doch. Alles ist total übertrieben, daher auch die Wiederholungen von "geil", "Wichser", etc. etc. Henkki führt das Thema der Story "Authentizität" hier selbst auf die Spitze und damit ad absurdum.
Henkki, du musst diese Story bitte unbedingt lesen! Und zwar in diesem Sinne:
Wahnsinn aufs Band gebracht.

Saludos
Mucki
Edit:
Hat sich gerade mit deinem posting überschnitten, Henkki
Liebe Flora,
ich lese das eigentlich komplett aus der Innenperspektive des Protagonisten. Alles seine eigene (kranke) Wahrnehmung. Ich finde es genau richtig so, weil es eben die Hohlheit, die Großkotzigkeit, die Enttäuschung über das Verkanntwerden, etc. und die Zusammenhänge dazwischen erst sichtbar macht.
Liebe Grüße
leonie
ich lese das eigentlich komplett aus der Innenperspektive des Protagonisten. Alles seine eigene (kranke) Wahrnehmung. Ich finde es genau richtig so, weil es eben die Hohlheit, die Großkotzigkeit, die Enttäuschung über das Verkanntwerden, etc. und die Zusammenhänge dazwischen erst sichtbar macht.
Liebe Grüße
leonie
Hola Henkki,
so, ran an die Tippfehler, hab sie fett markiert:
Nichts hatter er ausgelassen bei dem Versuch, echte, authentische Narben auf seiner Seele zu erzeugen. Jeden Tag hatter er Seite um Seite seiner Moleskin-Notizbücher mit Gedanken und Skizzen bedeckt, sein Innerstes unter Qualen hervorgewürgt und auf die Blätter gespieen. Bittere Gewölle der Poesie. Er stand, so war er sich sicher, seinen großen Vorbildern in nichts nach. Und doch war ihm die Anerkennung versagt geblieben. Nicht einer der angeschriebenen Verlage hatte Interesse gezeigt, die wenigsten auch nur ein paar freundliche Worte gefunden, etliche die Manuskripte nicht einmal zurückgeschickt. Zu gut erinnerte er sich auch an seine Lesereise (also hatte doch irgendein Verlag das Buch gedruckt? Ist etwas verwirrend hier.) auf eigene Kosten, besonders an den Abend im Literaturverein seiner Heimatstadt. Erst hatten sie ihn gebeten, in der Aula des Heinrich-Heine-Gymnasiums vorzutragen, angekündigt als großen Sohn der Stadt, dann hatten sie ihre feinen Nasen gerümpft, diese Spießer. Was hatten die denn geglaubt? Dass er immer noch den gleichen Scheiß schrieb wie damals in der Schülerzeitung? Gerd, der Wichser, der sich enorm was einbildete auf seine Rolle als Vorsitzender, hatte sich sogar ein abfälliges Lachen vor allen nicht verkneifen können. Der war doch nicht ein einziges Mal aus diesem Kaff herausgekommen, der Provinzler! Verstand nichts von authentischer Gegenwartsliteratur! Der hielt doch sogar die schamlippengeformten Tonvasen, die seine Frau vom Volkshochschulkurs für frustrierte Arztgattinen mit nach Hause brachte, für Kunst! Kleinkariertes Pack! Bornierte Idioten! Er hatte die Welt gesehen, war gereist, hatte Gefahren getrotzt und in die Abgründe der Menschheit geblickt. Nein, nicht geblickt, er war hineingetaucht! Er hatte seine Seele im Delirium erkannt, hatte seine Eingeweide herausgespieen und wieder in sich aufgesaugt. Er hatte was zu sagen, er schon. Doch das verstanden die nicht, das wollten die nicht verstehen. Flachwichser!
Entmutigt hatte er sich danach zurückgezogen, monatelang nicht eine einzige Zeile mehr verfasst. Jeden Tag brauchte er mehr Trost aus der Flasche. Zunächst war’s noch teurer schottischer Whiskey gewesen, doch bald reichte das Geld nicht mehr. Nur um Nachschub zu holen, verließ er das Haus und schleppte sich zu Penny für Toastbrot, Scheibenkäse und Bier in Plastikflaschen – und den unvermeidlichen Glen Wasweißichwas. Wiederwärtiger Fusel, aber knallte auch. Er stank und war unrasiert, seine Nachbarn grüßten ihn nicht mehr. Einmal hatten sie ihn sogar angezeigt, weil er direkt vor den Hauseingang gereihert hatte und zu schwach war, aufzuwischen. War ihm eigentlich auch egal. Selbst Hamish hatte ihm schon angedroht, ihn aus dem Pub zu schmeißen. Das wäre das Schlimmste, der Verlust der Heimat. Zum Glück war Hamish eine treue Seele und hatte ihn in einer Ecke sitzen lassen. Selbst dann, wenn sich andere Gäste über den Penner beschwerten. Hamish glaubte noch an ihn.
Dann, ganz plötzlich, amn einem stinknormalen Dienstagnachmittag, begannen die Stimmen zu ihm zu sprechen. Zuerst dachte er, es sei jetzt soweit, er sei endgültig übergeschnappt. Dann aber erkannte er sie, seine Geschöpfe kamen ihn besuchen, sie redeten mit ihm. Er konnte all ihre Leidenschaft hören, ihren Schmerz, die Sehnsucht, die Verzweiflung, die Eksxtase. Seine Figuren ließen ihn an ihrem Leben teilhaben, füllten all die Lücken in seinen Geschichten. Es geschah das, was ihm mit Worten auf Papier nicht gelungen war: der Klang ihrer Stimmen machte sie plastisch. Die Fülle der verschiedenen Eindrücke, die ihn umschwangen, nahm ihm den Atem. Ihn schwindelte. Und er verstand, dass er einen Weg finden musste, seine Worte hörbar zu machen, dann würde man ihn verstehen.
Fiebrig kramte er den alten Vierspurrecorder hervor, den aus der Zeit, als es seine alte Band noch gab. War Top-Technologie damals. Er fand auch noch alte Cassetten, waren Covers von Sympathy for the Devil und Jumping Jack Flash drauf. Irre geile Gitarre! Die ersten Versuche, selber zu sprechen, scheiterten kläglich. Seine Stimme war dünn, farblos, ohne Druck. Beim Lesen war er verspannt und irgendwie atemlos. Wie machten die Profis das? Er besorgte sich CDs von Brückner, von Pleitgen und Brauer. Rufus Beck konnte er nicht leiden. Aber Harry vergötterte er. Keiner war größer als Harry! Ein richtiger Pfundskerl, und trinken konnte der auch! In der Kneipe bei Hamish hatte er den Kumpels vorgeschwärmt. Wie er ihn getroffen und mit ihm gesoffen hatte nach der Lesung in Göttingen. Wie sie sich sofort und ohne Worte verstanden hatten. Und er hatte von seinen Stimmen erzählt, wie man Authentizität reinbringen müsste in die Präsentation. Echtes Leben halt. Die Freunde hatten ihm noch’n paar Drinks spendiert und sich ein wenig über ihn amüsiert. Sie kannten das schon. Manch einer hatte (hier wieder verwirrend, Buch wurde also verlegt?) sein Buch gekauft, aber er glaubte nicht daran, dass sie die Texte verstanden. Nur Frank war voll eingestiegen auf die Hörbuch-Idee. Sein Bruder kannte da einen, der hatte mal bei Werbeaufnahmen den Off-Sprecher gegeben. Hatte angeblich ‘ne geile Stimme und wusste auch, wie man günstig an besseres Equipment kam.
Am nächsten Morgen, na gut, Mittag war’s gewesen, hatter er ihn angerufen. Der Typ hatte selber keine Zeit, konnte ihm aber echt gute Tipps für den Aufbau eines Kellerstudios geben und auch ein paar Adressen von Schauspielschülern, die sowas gern gegen kleines Geld als Eigenwerbung machten. Begeistert hatte er losgelegt, hatte den kleinen, fensterlosen Kellerraum gegenüber der alten Waschküche umgebaut und danach stundenlang aufgenommen. Nur um nach drei Wochen festzustellen, dass die Aufnahmen technisch schon nahezu perfekt, aber ohne jede Plastizität waren. Die Jungs waren Grünschnäbel, denen fehlte alles, was seine Worte brauchten. Auch Bernd, der angeblich schon alles gemacht hatte. Der war es dann aber gewesen, der ihn auf die richtige Idee gebracht hatte, mit seinem ständigen Gelaber über echte Erfahrungen, Method-Acting und Stanislawski. Man musste ihnen echte Erfahrungen liefern, dann kam auch echter Klang.
Hatte ‘ne große Klappe, der Bernd, wenig drauf. Stundenlange Diskussionen, Aufwärm- und Schreiübungen, nichts. Es war kaum mehr als ein Krächtzen gekommen. Er war mit ihm durch die Kneipen gezogen, hatte ihm die geilsten Typen vorgestellt. Es wurde besser, aber nicht gut. Auch die verschiedenen Drogen hatten nicht geholfen. Schließlich hatte er ihn entnervt im Studio eingeschlossen. Da konnte er toben wie er wollte, hörte ihn ja keiner. Die Aufnahme lief quasi immer mit, das war schon was, näher dran. Immer wenn Bernd aufgeben wollte, hatter er Musik eingespielt. Quer Beet, was er so da hatte. Mozart und die Ramones, Greatful Dead und dann ein wenig Abba. Schon nach drei Tagen Schlafentzug waren unglaubliche Sachen gekommen, echt gut eigentlich, aber noch fehlte was. Bernd hatte um Gnade hatte gewinselt. Aber keine vernünftige Zeile Wahnsinn aufs Band gebracht. Er hatte ihn über die Anlage angebrüllt, ihm dann die Freiheit versprochen, wenn er eine zufriedenstellende Aufnahme hinbekam. Bernd hatte begonnen, zu lesen, wie ein Wilder, voller Verzweiflung, und er hatte ihm die Lüftung abgedreht. Mann, das war stark. Genau so ging es. Dann war der Typ umgekippt. Er hatte natürlich sofort die Tür aufgemacht, aber es war schon zu spät. War eine beschissene Plackerei, die Leiche unter dem Kellerboden zu vergraben. Aber die Aufnahme! Genüsslich an einem Joint ziehend hörte er sie sich wieder und wieder an. Phantastisches Material.
Doch leider nur ein Gedicht, er brauchte mehr. Dringend mehr und mindestens von der Qualität. Er begann, sein Studio auszubauen, verbesserte die Schalldämmung, baute Rohre für Zu- und Abluft ein, mit denen er gegebenenfalls auch Rauch und Gase einleiten konnte. Unter den präparierten Teppich kamen Stahlplatten mit Hochspannungsanschlussß, direkt vor das Mikro. Man sah nichts. Besser als die Nirvana-Platten aus seiner Hausbesetzerzeit in Hamburg. Die Bullen hatten die Platten und die Kabel auf der Treppe sofort erkannt. Seine Konstruktion war optimal, unsichtbar und wesentlich effektiver. Nahm er jedenfalls an, in Hamburg hatte es ja nie jemanden erwischt. Seine Genialität berauschte ihn. Die Lichtsteuerung kam komplett nach außen, Top-Anlage, Tag und Nacht, wie er es wünschte, Stroboskopblitze und UV nach Bedarf. Klappe in der Tür für Essen und Wasser, diskret versteckt, kaschiert, hübsch gemacht wie der ganze Raum. Sah aus wie ein Zimmer zum Wohlfühlen, seine kleine Folterkammer. Selten hatte er sich so gut gefühlt wie jetzt. Er hatte die Kontrolle, er hatte einen Plan.
Bei der Auswahl der Sprecher musste er vorsichtig vorgehen. Darauf achten, dass es nicht auffiel, wenn sie mal für einige Zeit verschwanden. Er suchte in anderen Städten, fand und verwarf Kandidaten. Schließlich hatte er einen, Leander, Student der Wirtschaftswissenschaften. Langweilte sich offenbar und hielt sich für einen verkannten Künstler. Er hatte ihm geschmeichelt, Honig um den Bart geschmiert. Schwul war der Gute, und er hatte ihm den Hof gemacht, war um ihn herumscharwenzelt und hatte ihn ausgehalten, bis Leander mit zu ihm nach Hause kam. Er hatte ein großes Geheimnis daraus gemacht, hatte behauptet, er sei verheiratet und seine Frau dürfe nichts erfahren. Leander war darauf hereingefallen und hatte niemandem etwas gesagt. Zwei Wochen später waren fünf weitere Werke vollendet. Allerbeste Qualität, zwei Gedichte und drei Kurzgeschichten. Edelsteine echten Lebens. Er war ein wenig traurig um Leander, der war nicht nur gut als Sprecher, sie hatten auch überraschend guten Sex gehabt. Überraschend, weil es seine erste Homo-Erfahrung war. Er hielt sich eigentlich nicht für schwul. Aber mit Leander… (Leerzeichen vor den Punkten) Letztendlich hatte der es nicht anders verdient, der Betrüger. Er hieß gar nicht Leander, sondern Karl-Heinz. Das hatte er jedenfalls auf dem Perso gelesen, bevor er ihn mit den Kleidern verbrannt hatte. Nun lag Karl-Heinz bei Bernd. Die hätten sich gemocht, dachte er und musste grinsen.
Den letzten hatte er übers Internet gefunden. Gerhard, 32, Elektromonteur und in seiner Freizeit Pornodarsteller. Ein heißer Typ. Leicht rauchige Stimme, ziemlich tief. Und, zu seinem Glück, notorisch pleite. Es war so einfach gewesen, ihn zu überzeugen. Ein wenig seiner Eitelkeit als „erfahrener Schauspieler“ schmeicheln und ihm ein gewaltiges Honorar versprechen. Achttausend für zwei Wochen. SovielSo viel Geld hatte er nicht, aber was machte das schon. Mann, hatte der gebrüllt, als er herausfand, dass er eingeschlossen war. In der ersten Woche war nichts zu machen mit Aufnahmen. Der Arsch hatte sogar die Kabel der Neonröhren heruntergerissen und die Polster zerfetzt. Na, ihm war’s egal gewesen, dann kriegte der halt nur noch Nacht und nichts mehr zu fressen. Das hatte dann auch gewirkt, Gerhard hatte gemacht, was er wollte. Er gab ihm wieder etwas Schlaf, Essen und sogar Bier, der wurde fast handzahm und enorm produktiv.
Dann kam der letzte Tag, das letzte Gedicht. Hier wollte er alles und Gerhard gab alles. Destillierte Seelenqual, ein Irrsinn, der alles Dagewesene übertraf. Doch er wollte noch mehr, er brauchte einen speziellen Kick zum Abschluss, den ultimativen Overdrive. Und so hatte er seine Zzehntausend-Volt-Anlage getestet. Der Knall. Der Wahnsinnsblitz. Und der Gestank. Es war fast zu viel für ihn. Und leider war ein Teil des letzten Satzes auf der Aufnahme unverständlich, ging im Schrei und dem Lärm der Entladung unter. Vielleicht, dachte er, war er diesmal doch zu weit gegangen. Aber Gerhard war nicht sofort tot, er bewegte sich noch, zuckte und sonderte grünlichen Schleim auf den Teppich ab. Die Mikros funktionierten, die Aufnahme lief noch. Er drückte die Kippe aus und strich mit der linken Hand zufrieden über seine Erektion.
Doch, das letzte Röcheln war schon echt geil.
Soweit die Fehler. Ich hoffe, dass ich alle gefunden habe.
Saludos
Mucki
so, ran an die Tippfehler, hab sie fett markiert:
Nichts hatter er ausgelassen bei dem Versuch, echte, authentische Narben auf seiner Seele zu erzeugen. Jeden Tag hatter er Seite um Seite seiner Moleskin-Notizbücher mit Gedanken und Skizzen bedeckt, sein Innerstes unter Qualen hervorgewürgt und auf die Blätter gespieen. Bittere Gewölle der Poesie. Er stand, so war er sich sicher, seinen großen Vorbildern in nichts nach. Und doch war ihm die Anerkennung versagt geblieben. Nicht einer der angeschriebenen Verlage hatte Interesse gezeigt, die wenigsten auch nur ein paar freundliche Worte gefunden, etliche die Manuskripte nicht einmal zurückgeschickt. Zu gut erinnerte er sich auch an seine Lesereise (also hatte doch irgendein Verlag das Buch gedruckt? Ist etwas verwirrend hier.) auf eigene Kosten, besonders an den Abend im Literaturverein seiner Heimatstadt. Erst hatten sie ihn gebeten, in der Aula des Heinrich-Heine-Gymnasiums vorzutragen, angekündigt als großen Sohn der Stadt, dann hatten sie ihre feinen Nasen gerümpft, diese Spießer. Was hatten die denn geglaubt? Dass er immer noch den gleichen Scheiß schrieb wie damals in der Schülerzeitung? Gerd, der Wichser, der sich enorm was einbildete auf seine Rolle als Vorsitzender, hatte sich sogar ein abfälliges Lachen vor allen nicht verkneifen können. Der war doch nicht ein einziges Mal aus diesem Kaff herausgekommen, der Provinzler! Verstand nichts von authentischer Gegenwartsliteratur! Der hielt doch sogar die schamlippengeformten Tonvasen, die seine Frau vom Volkshochschulkurs für frustrierte Arztgattinen mit nach Hause brachte, für Kunst! Kleinkariertes Pack! Bornierte Idioten! Er hatte die Welt gesehen, war gereist, hatte Gefahren getrotzt und in die Abgründe der Menschheit geblickt. Nein, nicht geblickt, er war hineingetaucht! Er hatte seine Seele im Delirium erkannt, hatte seine Eingeweide herausgespieen und wieder in sich aufgesaugt. Er hatte was zu sagen, er schon. Doch das verstanden die nicht, das wollten die nicht verstehen. Flachwichser!
Entmutigt hatte er sich danach zurückgezogen, monatelang nicht eine einzige Zeile mehr verfasst. Jeden Tag brauchte er mehr Trost aus der Flasche. Zunächst war’s noch teurer schottischer Whiskey gewesen, doch bald reichte das Geld nicht mehr. Nur um Nachschub zu holen, verließ er das Haus und schleppte sich zu Penny für Toastbrot, Scheibenkäse und Bier in Plastikflaschen – und den unvermeidlichen Glen Wasweißichwas. Wiederwärtiger Fusel, aber knallte auch. Er stank und war unrasiert, seine Nachbarn grüßten ihn nicht mehr. Einmal hatten sie ihn sogar angezeigt, weil er direkt vor den Hauseingang gereihert hatte und zu schwach war, aufzuwischen. War ihm eigentlich auch egal. Selbst Hamish hatte ihm schon angedroht, ihn aus dem Pub zu schmeißen. Das wäre das Schlimmste, der Verlust der Heimat. Zum Glück war Hamish eine treue Seele und hatte ihn in einer Ecke sitzen lassen. Selbst dann, wenn sich andere Gäste über den Penner beschwerten. Hamish glaubte noch an ihn.
Dann, ganz plötzlich, amn einem stinknormalen Dienstagnachmittag, begannen die Stimmen zu ihm zu sprechen. Zuerst dachte er, es sei jetzt soweit, er sei endgültig übergeschnappt. Dann aber erkannte er sie, seine Geschöpfe kamen ihn besuchen, sie redeten mit ihm. Er konnte all ihre Leidenschaft hören, ihren Schmerz, die Sehnsucht, die Verzweiflung, die Eksxtase. Seine Figuren ließen ihn an ihrem Leben teilhaben, füllten all die Lücken in seinen Geschichten. Es geschah das, was ihm mit Worten auf Papier nicht gelungen war: der Klang ihrer Stimmen machte sie plastisch. Die Fülle der verschiedenen Eindrücke, die ihn umschwangen, nahm ihm den Atem. Ihn schwindelte. Und er verstand, dass er einen Weg finden musste, seine Worte hörbar zu machen, dann würde man ihn verstehen.
Fiebrig kramte er den alten Vierspurrecorder hervor, den aus der Zeit, als es seine alte Band noch gab. War Top-Technologie damals. Er fand auch noch alte Cassetten, waren Covers von Sympathy for the Devil und Jumping Jack Flash drauf. Irre geile Gitarre! Die ersten Versuche, selber zu sprechen, scheiterten kläglich. Seine Stimme war dünn, farblos, ohne Druck. Beim Lesen war er verspannt und irgendwie atemlos. Wie machten die Profis das? Er besorgte sich CDs von Brückner, von Pleitgen und Brauer. Rufus Beck konnte er nicht leiden. Aber Harry vergötterte er. Keiner war größer als Harry! Ein richtiger Pfundskerl, und trinken konnte der auch! In der Kneipe bei Hamish hatte er den Kumpels vorgeschwärmt. Wie er ihn getroffen und mit ihm gesoffen hatte nach der Lesung in Göttingen. Wie sie sich sofort und ohne Worte verstanden hatten. Und er hatte von seinen Stimmen erzählt, wie man Authentizität reinbringen müsste in die Präsentation. Echtes Leben halt. Die Freunde hatten ihm noch’n paar Drinks spendiert und sich ein wenig über ihn amüsiert. Sie kannten das schon. Manch einer hatte (hier wieder verwirrend, Buch wurde also verlegt?) sein Buch gekauft, aber er glaubte nicht daran, dass sie die Texte verstanden. Nur Frank war voll eingestiegen auf die Hörbuch-Idee. Sein Bruder kannte da einen, der hatte mal bei Werbeaufnahmen den Off-Sprecher gegeben. Hatte angeblich ‘ne geile Stimme und wusste auch, wie man günstig an besseres Equipment kam.
Am nächsten Morgen, na gut, Mittag war’s gewesen, hatter er ihn angerufen. Der Typ hatte selber keine Zeit, konnte ihm aber echt gute Tipps für den Aufbau eines Kellerstudios geben und auch ein paar Adressen von Schauspielschülern, die sowas gern gegen kleines Geld als Eigenwerbung machten. Begeistert hatte er losgelegt, hatte den kleinen, fensterlosen Kellerraum gegenüber der alten Waschküche umgebaut und danach stundenlang aufgenommen. Nur um nach drei Wochen festzustellen, dass die Aufnahmen technisch schon nahezu perfekt, aber ohne jede Plastizität waren. Die Jungs waren Grünschnäbel, denen fehlte alles, was seine Worte brauchten. Auch Bernd, der angeblich schon alles gemacht hatte. Der war es dann aber gewesen, der ihn auf die richtige Idee gebracht hatte, mit seinem ständigen Gelaber über echte Erfahrungen, Method-Acting und Stanislawski. Man musste ihnen echte Erfahrungen liefern, dann kam auch echter Klang.
Hatte ‘ne große Klappe, der Bernd, wenig drauf. Stundenlange Diskussionen, Aufwärm- und Schreiübungen, nichts. Es war kaum mehr als ein Krächtzen gekommen. Er war mit ihm durch die Kneipen gezogen, hatte ihm die geilsten Typen vorgestellt. Es wurde besser, aber nicht gut. Auch die verschiedenen Drogen hatten nicht geholfen. Schließlich hatte er ihn entnervt im Studio eingeschlossen. Da konnte er toben wie er wollte, hörte ihn ja keiner. Die Aufnahme lief quasi immer mit, das war schon was, näher dran. Immer wenn Bernd aufgeben wollte, hatter er Musik eingespielt. Quer Beet, was er so da hatte. Mozart und die Ramones, Greatful Dead und dann ein wenig Abba. Schon nach drei Tagen Schlafentzug waren unglaubliche Sachen gekommen, echt gut eigentlich, aber noch fehlte was. Bernd hatte um Gnade hatte gewinselt. Aber keine vernünftige Zeile Wahnsinn aufs Band gebracht. Er hatte ihn über die Anlage angebrüllt, ihm dann die Freiheit versprochen, wenn er eine zufriedenstellende Aufnahme hinbekam. Bernd hatte begonnen, zu lesen, wie ein Wilder, voller Verzweiflung, und er hatte ihm die Lüftung abgedreht. Mann, das war stark. Genau so ging es. Dann war der Typ umgekippt. Er hatte natürlich sofort die Tür aufgemacht, aber es war schon zu spät. War eine beschissene Plackerei, die Leiche unter dem Kellerboden zu vergraben. Aber die Aufnahme! Genüsslich an einem Joint ziehend hörte er sie sich wieder und wieder an. Phantastisches Material.
Doch leider nur ein Gedicht, er brauchte mehr. Dringend mehr und mindestens von der Qualität. Er begann, sein Studio auszubauen, verbesserte die Schalldämmung, baute Rohre für Zu- und Abluft ein, mit denen er gegebenenfalls auch Rauch und Gase einleiten konnte. Unter den präparierten Teppich kamen Stahlplatten mit Hochspannungsanschlussß, direkt vor das Mikro. Man sah nichts. Besser als die Nirvana-Platten aus seiner Hausbesetzerzeit in Hamburg. Die Bullen hatten die Platten und die Kabel auf der Treppe sofort erkannt. Seine Konstruktion war optimal, unsichtbar und wesentlich effektiver. Nahm er jedenfalls an, in Hamburg hatte es ja nie jemanden erwischt. Seine Genialität berauschte ihn. Die Lichtsteuerung kam komplett nach außen, Top-Anlage, Tag und Nacht, wie er es wünschte, Stroboskopblitze und UV nach Bedarf. Klappe in der Tür für Essen und Wasser, diskret versteckt, kaschiert, hübsch gemacht wie der ganze Raum. Sah aus wie ein Zimmer zum Wohlfühlen, seine kleine Folterkammer. Selten hatte er sich so gut gefühlt wie jetzt. Er hatte die Kontrolle, er hatte einen Plan.
Bei der Auswahl der Sprecher musste er vorsichtig vorgehen. Darauf achten, dass es nicht auffiel, wenn sie mal für einige Zeit verschwanden. Er suchte in anderen Städten, fand und verwarf Kandidaten. Schließlich hatte er einen, Leander, Student der Wirtschaftswissenschaften. Langweilte sich offenbar und hielt sich für einen verkannten Künstler. Er hatte ihm geschmeichelt, Honig um den Bart geschmiert. Schwul war der Gute, und er hatte ihm den Hof gemacht, war um ihn herumscharwenzelt und hatte ihn ausgehalten, bis Leander mit zu ihm nach Hause kam. Er hatte ein großes Geheimnis daraus gemacht, hatte behauptet, er sei verheiratet und seine Frau dürfe nichts erfahren. Leander war darauf hereingefallen und hatte niemandem etwas gesagt. Zwei Wochen später waren fünf weitere Werke vollendet. Allerbeste Qualität, zwei Gedichte und drei Kurzgeschichten. Edelsteine echten Lebens. Er war ein wenig traurig um Leander, der war nicht nur gut als Sprecher, sie hatten auch überraschend guten Sex gehabt. Überraschend, weil es seine erste Homo-Erfahrung war. Er hielt sich eigentlich nicht für schwul. Aber mit Leander… (Leerzeichen vor den Punkten) Letztendlich hatte der es nicht anders verdient, der Betrüger. Er hieß gar nicht Leander, sondern Karl-Heinz. Das hatte er jedenfalls auf dem Perso gelesen, bevor er ihn mit den Kleidern verbrannt hatte. Nun lag Karl-Heinz bei Bernd. Die hätten sich gemocht, dachte er und musste grinsen.
Den letzten hatte er übers Internet gefunden. Gerhard, 32, Elektromonteur und in seiner Freizeit Pornodarsteller. Ein heißer Typ. Leicht rauchige Stimme, ziemlich tief. Und, zu seinem Glück, notorisch pleite. Es war so einfach gewesen, ihn zu überzeugen. Ein wenig seiner Eitelkeit als „erfahrener Schauspieler“ schmeicheln und ihm ein gewaltiges Honorar versprechen. Achttausend für zwei Wochen. SovielSo viel Geld hatte er nicht, aber was machte das schon. Mann, hatte der gebrüllt, als er herausfand, dass er eingeschlossen war. In der ersten Woche war nichts zu machen mit Aufnahmen. Der Arsch hatte sogar die Kabel der Neonröhren heruntergerissen und die Polster zerfetzt. Na, ihm war’s egal gewesen, dann kriegte der halt nur noch Nacht und nichts mehr zu fressen. Das hatte dann auch gewirkt, Gerhard hatte gemacht, was er wollte. Er gab ihm wieder etwas Schlaf, Essen und sogar Bier, der wurde fast handzahm und enorm produktiv.
Dann kam der letzte Tag, das letzte Gedicht. Hier wollte er alles und Gerhard gab alles. Destillierte Seelenqual, ein Irrsinn, der alles Dagewesene übertraf. Doch er wollte noch mehr, er brauchte einen speziellen Kick zum Abschluss, den ultimativen Overdrive. Und so hatte er seine Zzehntausend-Volt-Anlage getestet. Der Knall. Der Wahnsinnsblitz. Und der Gestank. Es war fast zu viel für ihn. Und leider war ein Teil des letzten Satzes auf der Aufnahme unverständlich, ging im Schrei und dem Lärm der Entladung unter. Vielleicht, dachte er, war er diesmal doch zu weit gegangen. Aber Gerhard war nicht sofort tot, er bewegte sich noch, zuckte und sonderte grünlichen Schleim auf den Teppich ab. Die Mikros funktionierten, die Aufnahme lief noch. Er drückte die Kippe aus und strich mit der linken Hand zufrieden über seine Erektion.
Doch, das letzte Röcheln war schon echt geil.
Soweit die Fehler. Ich hoffe, dass ich alle gefunden habe.
Saludos
Mucki
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