wenn man nur sicher wäre

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 10.09.2009, 13:17

 

wenn man nur sicher wäre


dass die schale süße birgt

hab keine sorge
wir lassen uns
baumeln

solange die sonne
unter unsere kleider kriecht
ist doch kein gedichteter herbst
wir tragen die trauer
in ihrer zeit
jetzt leben wir uns fleckig
und wenn wir schrumpeln
dann nicht allein


wie die äpfel im keller?
ja.

noch schmecken wir
wie himbeern mit tau
aus dem garten
rufst du
nach zitronensprudel und butterbroten
und mir
klingt das so sommrig

ich hör mich hungrig an dir


 

Rosebud

Beitragvon Rosebud » 10.09.2009, 14:42

.
Zuletzt geändert von Rosebud am 26.06.2015, 19:02, insgesamt 1-mal geändert.

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 10.09.2009, 20:50

Hallo Flora,

ein feines Gedicht! Das "sommrig" würde ich lassen, Rosebuds Alternative z.B. hat mir zu viele "Leerwörter"; und wenn überhaupt, störte mich der leichte Stotterer so sommrig bzw. das "so" an sich... Aber nein, alles ist gut, wie es ist :-)

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

DonKju

Beitragvon DonKju » 10.09.2009, 21:45

Hallo Flora,

ich kann mich eigentlich nur anschließen : Ein sehr schöner und auch rund wirkender Text, in dem Du hier und da gängigen Redewendungen eine unerwartete Wendung zu geben verstehst ; Und daher : Sehr gern gelesen !

Lieben Gruß dazu von Hannes

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 11.09.2009, 09:11

Hallo Rosebud,

das gefällt mir sehr, wie du es liest, dank dir! "Zitronenbrote und Buttersprudel" ist wunderbar! Das „so sommrig“ muss aber bleiben, ich mag es gerade wegen seinem Klang. (Vielleicht färben die Urlaube langsam ab .-)). Bei mir hört es sich aber eher summend und schnurrend an, weich und sonnig und ein bisschen geheimnisvoll.

Hallo ferdi und Hannes, *freufreufreu* danke! :-)

liebe Grüße
Flora

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noel
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Beitragvon noel » 11.09.2009, 17:21

rosebud hat es wunderbar in worte gelegt
was das gedicht in einem/mir erregt

chapeau
& sommrig augt&ohrt mir mehr
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

Max

Beitragvon Max » 11.09.2009, 19:58

Liebe Flora,

das finde ich sehr hymnisch und sehr gelungen. Die Idee, den Herbst für Vergleiche der Liebe heranzuziehen, ist gewiss nicht neu, aber Du zeigst hier, dass es darauf auch gar nicht ankommt.
Ich finde das Gedicht an den allermeisten Stellen als ganz rund, nur hier

wie die äpfel im keller?
ja.


wünsche ich mir entweder mehr oder weniger. Also entweder gar keine Erklärung (weil man schon selbst drauf kommt) oder etwas wie

wie die äpfel im keller?
ja, wie die Äpfel im Keller
oder die Kartoffeln auf dem Feld


Ich hab's sehr gern gelesen

Liebe Grüße
Max

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leonie
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Beitragvon leonie » 13.09.2009, 12:53

Liebe Flora,

ich mag Dein Gedicht auch sehr. "So sommrig" finde ich auch summig und gelungen. Ich habe ein wenig hin-und herüberlegt wegen der beiden "wie", habe aber keine bessere Idee gefunden. "himbeern" ist bewusst ohne "e", oder? Wegen des Klanges?

Ich habe das auch gern gelesen!

Lieeb Grüße

leonie

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 13.09.2009, 17:45

Hallo Max,

wünsche ich mir entweder mehr oder weniger. Also entweder gar keine Erklärung (weil man schon selbst drauf kommt) oder etwas wie

wie die äpfel im keller?
ja, wie die Äpfel im Keller
oder die Kartoffeln auf dem Feld

Das ist interessant. Ich verstehe, was du meinst, aber ich denke für mich muss es genau so bleiben in dieser Einfachheit... warum, ergründe ich gerade noch. .-)
Schrumplige, vergessene, vereinzelte Kartoffeln auf dem braunen Herbstacker erzeugen in mir jedenfalls ein ganz anderes Bild und andere Assoziationen, das würde diesen Moment für LIch denke ich sehr ernüchtern und könnte, da es so etwas ganz Anderes anspricht, für mich auch nicht so im Raum stehen bleiben, oder LIch dann so leicht darüberhinweggehen.

Leonie, ja, die Himbeern haben aus Klanggründen ihr „e“ verloren und danke fürs mitsummen. :)

Freut mich, dass es euch etwas sagt und klingt!

Liebe Grüße
Flora

jondoy
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Beitragvon jondoy » 21.09.2009, 22:29

Hallo Flora,

das ist der Text, den ich gesucht hab.
wollte das schon vor zehn Tagen schreiben. der Kommentar von Rosebud beschreibt meinen Eindruck sehr gut.

Dieses sommrig erinnert mich vom Klang her an flaumig.

Gruß,
Stefan

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 23.09.2009, 09:17

Hallo Stefan,

danke fürs Suchen .-) und dass du noch etwas dazu geschrieben hast. Freut mich. Ja, das stimmt "sommrig" und "flaumig" erinnern aneinander, das war mir gar nicht so bewusst.

liebe Grüße
Flora

scarlett

Beitragvon scarlett » 28.09.2009, 10:20

Wenn man nur sicher wäre ... dass noch lange derartige Gedichte geschrieben würden, man würde sich zurücklehnen können im Vertrauen darauf.
Und sommrig wird es immer werden, selbst wenn sich nicht nur der gedichtete Herbst unter die Haut schiebt- es ist eben nicht alles nur eine Frage der Zeit!

Ein wunderbarer Text, Flora!

scarlett

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 28.09.2009, 12:08

:blume0028: Danke scarlett!

carl
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Beitragvon carl » 09.10.2009, 20:23

hallo Flora!

ich betrachte jetzt dieses gedicht im licht der hypothesen, die wir im ode-faden verhandeln:

- der prozess der entstehung ist im gedicht codiert
- wenn das gedicht den leser anspricht, dann, weil er diesen prozess wieder erkennt/ selber in ihm steckt/ oder das gedicht ihn sogar klären hilft
- das gedicht ist ergebnis eines inneren dialoges des autors
und damit ist es von vorne herein für einen leser geschrieben:
den autor selbst, der sich etwas (er-) klärt, indem er es zur sprache bringt.
- das gedicht ist selbst subjekt und objekt des prozesses, den es nachvollzieht/ ausdrückt (= prädikat):
mit dem auftreten des lyr. ichs, das als sprecher die szene entwirft, löst sich das gedicht vom autor und der konkreten entstehungssituation (eine 1:1 beziehung zwischen autor und lyr. ich kann deshalb nicht unterstellt werden).

normaler weise sind diese 4 punkte nicht so deutlich erkennbar, wie in diesem gedicht. ist mir schon fast peinlich es auszusprechen:

1. die situation: ein paar im garten im spätsommer (himbeeren).
das lyr. ich (im kontext des gedichtes hätte ich auf eine frau getippt: er baumelt faul im garten und sie macht die brote ;-)) beschäftigt die frage nach der zukunft:
wird sich die liebe, die beziehung, das leben als so süß erweisen, wie die verlockende oberfläche es zeigt?
wenn man nur sicher wäre, dass die schale süße birgt bevor man hineinbeißt.
dahinter steht angst vor enttäuschung/ verletztung/ verbitterung.
und damit ein zögern, sich auf den prozess einzulassen!
denn die perspektive ist weit gefasst, bis zu einem gemeinsamen alter.
denn wenn wir schrumpeln, dann nicht allein.

wenn die frucht, die süße verheißt, metapher für die beziehung ist, dann ist die jahreszeit auch eine:
der frühling des verliebtseins und die heißen phase ist vorbei.
das paar ist schon sehr vertraut miteinander, sodass die frage nach zukunft & beständigkeit nicht zufällig kommt.

im blick auf punkt 4 ist es gar nicht so wichtig, ob die situation deshalb wahr ist, weil sie ganz und gar erfunden wurde, oder ob sie einnen realen kern hat.
ich tippe allerdings auf letzteres.

zu punkt 2 kann ich nur persönlich antworten:
es ist das erste und einzige gedicht, dass ich von dir, Flora, bisher gelesen habe. anlass dazu war eine diskussion in einem andern faden, wo es (für mich im hinterkopf) um die frage nach dem impliziten du oder dem riskierten ich ging und ich wollte deine position dort an einem gedicht von dir verifizieren.
und siehe da, ich wurde fündig ;-)
und ja: meine frau und ich sind zwar schon etwas schrumpeliger als das lyr. ich & du in diesem gedicht, aber auch wieder einmal an dieser punkt...

zu punkt 3 ist nun wirklich nix zu sagen. das gedicht ist ein dialog.
das lyr. du vertritt die position, ganz den augenblick zu leben und ruft bilder aus der kindheit wach: sich sorglos baumeln lassen, vielleicht sogar kopfüber, dass die sonne unter die kleider kann, den ganzen sommerferientag lang, der nicht enden will.
und was später kommt, kommt später.
die botschaft ist (von mir etwas salopp formuliert): wenn du nicht zugreifst und herzhaft hineinbeißt, wirst du es nicht herausfinden, ob die schale süße birgt.

aber mehr noch, das lyr. du hat lebens-zuversicht: in guten wie in schlechten tagen.
diese zuversicht und das ja-wort gibt den ausschlag, selbst das schrumpeln im keller toll zu finden, wenn es nur gemeinsam geschieht!
bei diesem prozess kristallisieren sich "ich" und "du" stärker heraus: das du kommt über das carpe diem hinaus und das ich bekommt lust sich ganz und gar einzulassen.

und der leser vollzieht diesen prozess bereitwillig nach.
selbst wenn seine erfahrungen (auch) andere sind.
die dinge sind nämlich nicht an sich so oder so, sondern sie werden auch so, wie man sie sieht.

lg, c


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