Fallobst

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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fenestra
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Beitragvon fenestra » 22.08.2009, 11:25

Fallobst


Wenn überreif und weich
gefallnes Obst am Boden klebt,
dann sammelt sich sogleich
ein Völkchen, das von Fäulnis lebt.

Oft als Geschmeiß verschmäht
nahn auf geheime Zeichen kühn
die Fliegen, Panzer goldengrün,
facettenübersät.

Ein Summen und ein Tanz!
Von süßen Säften hingerissen
hat eine Wespe sich schon ganz
in eine Frucht hineingebissen.

Beim nächsten Menschentritt
stäch sie vielleicht noch einmal zu,
wonach sie unter einem Schuh
den schnellen Tod erlitt.

Nun aber nähert sich galant -
ich sah ihn sommers nicht einmal
so schwerelos und elegant,
so zart beflaggt - ein Admiral.

Und er kostet bis zum Schluss
des Jahres letzte Süßen;
vom Volk zu meinen Füßen
erlern auch ich Genuss.
Zuletzt geändert von fenestra am 24.08.2009, 22:06, insgesamt 1-mal geändert.

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 22.08.2009, 13:14

Liebe Fenestra,

Dein Gedicht ist schön. Es ist, ich kann - und will - das nur teilweise beurteilen, formal interessant. Sprachlich ist es so zeitlos, dass mir persönlich eine Spraydose, ein Staubsauer, ein Handy (nicht ernstgemeinte Vorschläge) willkommen wären, weil sie einen Zeitbezug brächten. Der dann wieder, mit Bedacht zeitlos werden könnte.

Deine ausgesuchte Wortwahl besticht. Eine Schmuckarbeit kunstvollster Art. Verbunden mit dem "Volk zu Füßen" gehört es für mich zur erhabenen Dichtung (im positiven Sinne).

Es erinnert mich an eine kleine Begebenheit auf der Wartburg : Touristen, Kinder,leere Fantaflaschen. In einer hatten Kinder ein gutes Dutzend Wespen gefangen und den Flaschenhals verstopft. Kam ein junger Mann, sah das bös gelbgiftige "Ungeziefer" und befreite (unter fast prostierender Menge) einen selig beißwütigen Schwarm.

Danke für dein inspirierendes Gedicht

lG
Renée

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 23.08.2009, 20:47

Liebe Renée,

in diesem Jahr bin ich tatsächlich schon dreimal von einer Wespe gestochen worden! Sie sind schon arg beißwütig. Da gefallen mir die goldgrünen Fliegen schon besser, es sind tatsächlich Schmuckstücke, vom Admiral natürlich ganz zu schweigen. Danke, dass du meinen Text als Schmuckstück bezeichnest - es war einer der ersten, die ich vor Jahren in ein Internetforum stellte und ich habe tatsächlich eine Weile daran geschliffen und poliert! ;)

Was du zur Zeitlosigkeit sagst, leuchtet mir ein. Heute würde ich in den Text sicher einen Bruch einarbeiten, ein Wort, dass die ganze Szene in unsere schnelllebige Welt einordnet, in der sich keiner mehr Zeit für die Betrachtung von Insekten nimmt. Keiner? Das stimmt nicht, du hast mit der Begebenheit, die du schilderst, ja gerade ein Gegenbeispiel gebracht.

Liebe Grüße
fenestra

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leonie
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Beitragvon leonie » 23.08.2009, 21:33

Liebe fenestra,

na, ich musste gestern abend gezwungenermaßen eine fette Spinne betrachten und zwar länger als mir lieb war.

Da sind mir Insekten wirklich lieber, manche zumindest. In diesem Jahr waren schon sechs verschiedene Schmetterlingsarten auf dem Sommerflieder zu entdecken, nur der Schwalbenschwanz, der vor einigen Jahren vorbeikam, hat sich nicht mehr blicken lassen.

Dein Gedicht ist sehr kunstvoll gemacht und gut poliert. Ich bewundere, dass Du das so hinkriegst!
Ich merke trotzdem, dass ich mich mit der Sprache schwer tue. Aber das ist mein Problem.

facettenübersät hat ein "h" zuviel.

Liebe Grüße

leonie

Lydie

Beitragvon Lydie » 24.08.2009, 12:24

Hallo liebe Fenestra!

Vielleicht geht es mir ähnlich wie Leonie, falls ich sie richtig verstanden habe... Ich bewundere es, wenn jemand ein Gedicht reimt und in einen klaren Rythmus bringt und gleichzeitig ist es irgendwie wohl nicht mein "Ding". Ansonsten gefallen mir Bilder, Situation und Sprache und esse ich jetzt gleich eine schöne reife Pflaume... hoffentlich ohne Mitbewohner.

Herzliche Grüße,

Lydie

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 24.08.2009, 22:12

Hallo, ihr beiden,

danke für eure Rückmeldung, ich versteh euer Problem mit dieser Art polierter Sprache, sie ist etwas "altväterlich" und ich schrieb es, bevor ich dank einiger engagierter Leute in verschiedenen Internetforen total viel über zeitgenössische Lyrik lernen durfte. Trotzdem fallen mir jedes Jahr, wenn die Mirabellen faulig am Boden kleben, diese Zeilen wieder ein: "ein Summen und ein Tanz".

Vielleicht sollte ich aus dem Stoff mal - als Gegenentwurf - ein modernes Gedicht machen.

Liebe Grüße
fenestra

P.S.: "gesät" - habs genäht, vielen Dank, leonie!

Lydie

Beitragvon Lydie » 24.08.2009, 22:45

Hallo Fenestra,

Ja, genau, dieser Gegenentwurf, das wäre toll. Dennoch: es sind lauter Schmuckstücke in deinem Gedicht, so wie es ist.

Gute Nacht (hier stürmt und gewittert es...!),

Lydie

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 26.08.2009, 19:05

Liebe fenestra,

es wäre interessant, ob man diesen ungebrochenen Text durch eine völlig Kohäsionsperformanz nicht interessant präsentieren könnte (ich welcher Form auch immer: ungewohnter Leseort, musikalische Elemente oder aversion erregende Bilder) etc. - irgendetwas, was ein spannungsgeladenes Moment hinzu gibt. ich finde den Text nämlich auch schön gemacht (das ist nicht zynisch gemeint, sondern ganz ernst), aber das vanitasthema, die Insektenwelt und die formale Gestaltung sind irgendwie insgesamt so "bekannt", dass man den Text trotz seines Schillerns nicht mehr wahrnehmen kann - etwa so wie Hamlet Totenkopfszene nur noch parodiert wird. Irgendwie finde ich es ungerecht, dass ich so spreche, aber so richtig richtig packen kann der text mich nicht. Allerdings wäre ich gespannt auf eine Lesung.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 26.08.2009, 23:23

Liebe Lisa,

dass dich der Text aus den von dir genannten Gründen nicht packt, kann ich gut nachvollziehen und genau deswegen schreibe ich auch so etwas fast gar nicht mehr. Es ist aber eine gute Idee, ihn in der Lesung mit anderen Elementen zu kombinieren. Vielleicht habe ich da sogar was: Ich habe vor ein paar Tagen ein kleines Filmchen aufgenommen. Da ist nichts weiter zu sehen, als eine leicht angefaulte Mirabelle, an der drei bis fünf Insekten krabbeln und lutschen, wie um eine winzige Erdkugel. Eine Schmeißfliege (groß, dreht immer mal ein paar Runden durch die Luft), ein oder zwei Goldfliege (mittelgroß, verjagen sich immer mal gegenseitig), eine Schwebfliege (zart, läuft auch mal über den Tisch) und ein asiatischer Marienkäfer (sitzt ziemlich unbeweglich an einer saftigen Stelle der Frucht). Dieses Filmchen könnte ich vor dem Vortrag des Gedichts zeigen.

Schade, dass du so weit weg wohnst! Es gibt bald eine Lesung. Bin gerade bei der Zusammenstellung des Programms.

Liebe Grüße
fenestra

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noel
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Beitragvon noel » 26.08.2009, 23:34

Es gibt bald eine Lesung. Bin gerade bei der Zusammenstellung des Programms.

Liebe Grüße
fenestra


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NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

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Beitragvon fenestra » 26.08.2009, 23:44

Ja, ich kündige das dann noch im Blauen Café an (falls das hier für sowas der richtige Ort ist).

Gute Nacht!

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 27.08.2009, 10:02

Liebe fenestra,

das mit dem Filmchen klingt phantastisch! Man müsste sehen, ob so ein 1:1-Bild trägt oder ob man auch etwas ganz anderes filmen könnte. Ich liebe ja Kurzfilmprojekte und habe hier auch jede Menge Material liegen, nur leider traue ich mich nicht, da anzubieten auch mal zu schauen, weil ich es zeitlich einfach nicht einhalten könnte :-(. (sonst wäre es doch gerade spannend, etwas anderes zu deinem text zu filmen und dein Mirabellenvideo für einen Text zu nehmen, der etwas anderes spricht und das beides hintereinander zu schneiden) - Deshalb wäre ich sehr sehr gespannt - auf eine analoge Version von dir...ich helfe auch gern beim Hochladen etc, falls du Hilfe brauchst. Ich finde so etwas so spannend!!

liebe Grüße,
Lisa
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Beitragvon fenestra » 27.08.2009, 23:31

Liebe Lisa, ich verstehe, was du meinst. Allerdings ist es sicher schwierig, ein visuelles Thema zu finden, das in Zusammenklang mit diesem Text nicht einfach nur als Veräppelung (Falläpfel eben ;) daherkommt. Vielleicht müsste der Text dann eher monoton als eine Art Rap aufgesagt werden, ähnlich wie Achim Reichel den "Herrn von Ribeck" modernisiert. Das filmische Thema könnten vielleicht Sonnenbadende am Strand sein ... etwas kurzfristig Realisierbares fällt mir allerdings im Moment nicht ein. Aber manchmal kommt ja eine Idee, wenn man es gerade nicht erwartet.

Was meinst du jetzt mit analoge Version?

Für Hilfe beim Einstellen von Videos oder auch animierten Power Points wäre ich schon bei Gelegenheit sehr dankbar.

Liebe Grüße
fenestra

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Beitragvon leonie » 27.08.2009, 23:36

Ich wäre total gespannt auf so ein Projekt! Mach das auf jeden Fall! Du liest doch auch gut!

Liebe Grüße

leonie


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