Spiegel

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
SchwarzeTinte

Beitragvon SchwarzeTinte » 25.07.2009, 14:21

Der Spiegel
unbeteiligt
weit unten
ich
sehe ihn
und mich

Der Fall
beginnt
langsam
schneller
kommt sie
die gläserne
Fläche
näher
ich mir

Hindurch
breche ich
durch ihn
durch mich
ein Spiegel
weiter unten
zerschellt
und zerschneidet
mein Ich

Hunderte
breche ich
bis
zur letzten
Scheibe
dann
kein Bild mehr
und ich
zersplittert
aber
ich selbst

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.07.2009, 14:11

Hallo Mario,

bei deinem Gedicht bereiten mir die Zeilenumbrüche einige Schwierigkeiten. Es sind meiner Meinung nach zu viele. Fast jede Zeile enthält nur ein Wort, wobei ich den Grund dafür nicht verstehe. Als Beispiel:
Der Fall
beginnt
langsam
schneller
kommt sie
die gläserne
Fläche
näher
ich mir

Warum nicht so:

Der Fall beginnt langsam
schneller kommt sie
die gläserne Fläche
näher ich mir


Dazukommt, dass mir das "näher ich mir" so gebrochen/verdreht klingt.
Ich fände es 'geschmeidiger', wenn da z.B. stünde:
ich nähere mich

oder

nähe in mir

Etwas in der Art.
So geht es mir mit deinem ganzen Gedicht. Es entzieht sich mir einerseits durch die Setzung, andererseits durch die jeweiligen Schlussverse.
Vielleicht kannst du kurz erläutern, warum du es genau so gesetzt hast.

Soweit mein erster Eindruck.

Saludos
Gabriella

SchwarzeTinte

Beitragvon SchwarzeTinte » 26.07.2009, 14:18

Hallo Gabriella,
ich arbeite oft mit vielen Zeilenumbrüche, es ist schon fast wie ein "Markenzeichen" geworden, aber hier ist es noch extremer als sonst, denn, ich wollte das Thema auch formal wiedergeben, also die Zersplitterung des Ichs und die des Gedichtes.
Ausserdem sind auf diese Weise mehrere Interpretationen möglich, bei deinen Beispiele für die Zeichensetzung entfallen gewisse Interpretationsmöglichkeiten.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.07.2009, 14:44

Hallo Mario,
ich wollte das Thema auch formal wiedergeben, also die Zersplitterung des Ichs und die des Gedichtes.

die Zersplitterung käme jedoch meiner Meinung nach besser rüber, wenn du nicht von Anfang so zerplitternd setzen würdest, sondern erst nach und nach. Also zu Beginn breiter gesetzt und dann im Laufe des Textes immer schmaler bis schließlich in der letzten Strophe in jeder Zeile nur ein Wort steht.
Aber warte mal andere Meinungen ab. Dies ist bisher ja nur eine einzige (meine) Wahrnehmung.

Saludos
Gabriella

Max

Beitragvon Max » 04.08.2009, 12:53

Lieber Mario,

was ich an diesem Text vielleicht am spannendsten finde, ist der ungewöhnliche Gebrauch des Spiegels. Der Spiegel an sich ist ja ein sehr häufig benutztes Bild in der Lyrik, so dass die Gefahr besteht mit dem Gebrauch dieses Bildes mehr zu zitieren als auszusagen. Der Gebrauch hier als ein verzerrtes Bild dessen, was das lyr. Ich eigentlich ist, dass dieses lyr. Ich im wahrsten Sinne an seinem eigenen Bild gebrochen werden muss, um Identität zu bekommen, ist originell und gefällt mir. Ich finde allerdings auch, dass der Text einige sehr erklärende Passagen hat, etwa

Hindurch
breche ich
durch ihn
durch mich


und ähnliches. Ich denke, dass man dort mit lyrischen Mitteln ein eindringlicheres Miterleben erzielen könnte.

Insgesamt ein interessanter Text.

Liebe Grüße
Max

SchwarzeTinte

Beitragvon SchwarzeTinte » 13.08.2009, 09:12

Max,
du meinst ich sollte kryptischer schreiben um mehr Interpretationen Offen zu halten?

Max

Beitragvon Max » 13.08.2009, 10:10

Lieber Mario,

nein, ich meine nicht, dass Du kryptischer schreiben solltest. Ich habe eigentlich etwas dagegen, Texte kryptisch zu machen, um unverständlich zu sein ;-)

Ich denke, wenn man auf beschreibender Ebene arbeitet, sollte man so genau sein wie möglich und so detailgetreu wie es einem gelingt, denn das bannt den Leser (wenn ich das in einem Satz so apodiktisch verkünden darf ;-) ). Du arbeitest aber hier auf der metaphorischen Ebene. Der Vorteil der Metapher ist doch, dass sie Bilder aus anderen Bereichen als dem gemeinten leiht und dadurch eine Vielschichtigkeit der Bedeutung erreichen kann ... Wenn Du in Deinem Text sozusagen eine Leseanweisung gibst "so will ich es verstanden wissen", dann geht das verloren und man fragt sich: Warum sagt er es dann nicht gleich so?

Liebe Grüße
Max

SchwarzeTinte

Beitragvon SchwarzeTinte » 13.08.2009, 15:50

Ok, ja, ich verstehe was du meinst, warum Metaphern brauchen wenn man sie dann erklärt.
Werde in Zukunft daran denken, vielen Dank.


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