Klöckeln

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Max

Beitragvon Max » 27.07.2009, 21:30

Hab's gerade noch geschafft :-)


2. Version auf Grund von Scarletts, Floras und Renées Anmerkungen, danke!


Klöckeln

Seit Tagen der gleiche Regen. Von Osten wütet er gegen das Haus. Auf dem Dach klingt er wie Erbsen, die man auf Papier ausschüttet, an die Scheiben klatscht er. Sie sind mit der Zeit undicht geworden. Unter dem Fenster hat sich eine kleine Lache gebildet. Auch das Dach leckt an zwei Stellen. Das Wetter hat sich im Tal gefangen. Es kommt nicht über den nächsten Berg. Nun schwappt es zwischen den Hügeln hin und her, wie Wasser, das man in einem tiefen Eimer bewegt.

Er sitzt an seinem Küchentisch und lauscht auf das Vergehen der Zeit. Zu Anfang war es leicht. Die braune Uhr im Zimmer gongte unsichtbar einmal alle 15 Minuten. Zu jeder vollen Stunde schlug sie die Zeit. Vor drei Tagen hätte er sie wieder aufziehen müssen. Seitdem ist es still und er schnitzt Kerben in den Tisch. Eine Kerbe für jede Stunde, die er fühlt, acht Kerben für die Nacht. Achtundsechzig Kerben seitdem.

Das Messer hat schon seinem Vater gehört. Auch er hat Kerben geschnitzt. Als der Bruder geboren wurde, sein Ältester, kaufte der Vater ein Kantholz. Zu jedem Geburtstag rief er die Kinder zu sich in sein Arbeitszimmer und nahm Maß. Jede Kerbe wurde mit einem Namen und einer Zahl versehen: Max 5 Jahre, Georg 7 Jahre. Stets war der Bruder im gleichen Alter ein wenig größer gewesen als er, erst in den letzten zwei Jahren bis zum achtzehnten Geburtstag spurtete er nach, schoss auf, so dass die Brüder nun exakt gleich groß sind. Nach dem achtzehnten Geburtstag fehlen die Kerben.

Das Messer hat seinem Vater gehört. Ein gutes Messer. Der Griff aus Hirschhorn, die Klinge mittlerweise dünn vom Schleifen. Ein scharfes Messer. Gestern hat er sich damit in den Daumen geschnitten. Absichtlich. Nicht tief. Nur ein paar Tropfen. Auf dem Tisch sind noch die Flecken zu sehen, dunkelbraun auf dem mittelbraunen Holz. Das Blut stockte bald, wie die Zeit hier stockt.

Er hat die Stunden gezählt, die Tage, doch hat er vergessen, welcher Tag vor drei Tagen war. Es könnte Dienstag sein oder Mittwoch. Auf jeden Fall ist Spätherbst. Der Regen draußen, das ist Herbstregen. Die Lache unter dem Fenster ist zu einem ansehnlichen See angewachsen. Kleine Seitenarme mäandern in Richtung des Esstisches. Wie lange würde es dauern, bis das Haus unter Wasser steht? Er hat die Geschichte von der Sintflut vor vielen Jahren in der Bibel gelesen. Geglaubt hat er sie nicht. Später hörte er, dass sich die gleiche Geschichte in viel älteren Überlieferungen wiederfindet. Also hat sie vermutlich doch einen wahren Kern. Er stellt sich vor, er müsse die Besatzung einer Arche zusammenstellen. Viel käme hier oben nicht zusammen. Er natürlich, ein paar Insekten vermutlich noch, das gäbe eine karge Erde nach der Sintflut.

Bald kommen sie wieder klöckeln. Er hat den alten Brauch immer gemocht, ist selbst oft genug verkleidet als Zussmandl mit Glocken von Haus zu Haus gezogen, auf die entlegenen Höfe. Es war nicht nur die Freude am Verkleiden, die ihn mitmachen ließ, nicht nur die Geselligkeit. Stets war auch das Gefühl dabei, auf den fremden Höfen willkommen zu sein. Wie ein Arzt, der Schmerzen lindert oder ein Priester, der einen Geist austreibt. Er hat in den Augen der Alten gesehen, dass er Teil des Guten war, das gegen das unbenennbare Böse stand.

Nun nistet in seinem Haus die Stille. Der nächste Hof ist fünfhundert Meter talabwärts. Einen knappen Kilometer höher liegt noch eine Hütte. Wenn er jetzt stürbe, man fände ihn vermutlich erst Tage später. Niemand wüsste, dass er jetzt, genau jetzt, stirbt. Nur er. Er könnte sich selbst beim Sterben zusehen. Wie damals dem Fisch im Aquarium seines Bruders, der tagelang mit kaputter Schwimmblase schief im Becken schwamm und dabei träger und immer träger wurde. Zum Schluss stieß er ein paar Mal mit dem Kopf durch die Wasseroberfläche und tauchte wieder auf den Grund des Beckens hinab. Er hatte seinen Blick nicht abwenden können. Auch als sein Bruder, der den Todeskampf des Fisches nicht sehen wollte, ihn bannen wollte wie eine ansteckende Krankheit, ihn bat wegzuschauen, hatte er weiter ins Aquarium gestarrt. Schließlich hatte sein Bruder geschrien, den Tränen nahe, er solle endlich den Fisch in Ruhe sterben lassen. Da war er gegangen. Am nächsten Tag lag der Fisch tot am Grund.

Woran würde er merken, dass er stirbt? Würde er es überhaupt merken oder würde nur das Geräusch der Tropfen, die von der leckenden Decke in kleine Pfützen spritzen, immer leiser werden? Dass er lebt, merkt er nicht. Er atmet ein und er atmet aus. Er fühlt. Er denkt. Ja. Aber er hat geatmet, gefühlt und gedacht, solange er sich erinnern kann. Wäre er tot, würde er es vermutlich auch nicht merken. Wieso aber gibt es einen Unterschied zwischen Leben und Totsein, wenn man beides nicht spürt? Und wieso merkt man dann, dass man stirbt? Selbst dass er älter wird, ist für ihn eher eine Tatsache als ein Gefühl. Man kann sie an den Falten ablesen, die sich um seine Augen gebildet haben, oder seinem grau gewordenen Haar. Aber er fühlt sich nicht anders als er sich vor zwanzig Jahren gefühlt hat. Denkt er.

Auch das Haus ist älter geworden. Die große Blutbuche stützte sich, vor ein paar Jahren alt geworden, zu sehr auf das Dach. Das kostete ein paar Schindeln. Ein Sturm raubte weitere. Dort dringt nun Wasser ein. Außerdem ist die Farbe an den Wänden rissig geworden. Sie hätten schon längst einen neuen Anstrich gebraucht. Er seufzt.

Die Arme des Sees unter dem Fenster haben sich unterdessen mit den anderen beiden Pfützen, zusammengeschlossen. Er sollte nun wirklich Eimer holen. Der Wind ist unter die Läden der Fenster gefahren. Vielleicht klopft es auch. Er steht nicht auf, um nachzusehen.




Klöckeln


Seit Tagen der gleiche Regen. Von Osten wütet er gegen das Haus. Auf dem Dach klingt er wie Erbsen, die man auf Papier ausschüttet, an die Scheiben klatscht er. Sie sind mit der Zeit undicht geworden. Unter dem einen Fenster hat sich eine kleine Lache gebildet. Auch das Dach leckt an zwei Stellen. Das Wetter hat sich im Tal gefangen. Es kommt nicht über den nächsten Berg. Nun schwappt es zwischen den Hügeln hin und her, wie Wasser, das man in einem tiefen Eimer bewegt.

Er sitzt an seinem Küchentisch und lauscht auf das Vergehen der Zeit. Zu Anfang war es leicht. Die braune Uhr im Zimmer gongte unsichtbar einmal alle 15 Minuten. Zu jeder vollen Stunde schlug sie die Zeit. Vor drei Tagen hätte er sie wieder aufziehen müssen. Seitdem ist es still und er schnitzt Kerben in den Tisch. Eine Kerbe für jede Stunde, die er fühlt, acht Kerben für die Nacht. Achtundsechzig Kerben seitdem.

Das Messer hat schon seinem Vater gehört. Auch er hat Kerben geschnitzt. Als der ältere Bruder geboren wurde, sein Ältester, kaufte der Vater ein Kantholz. Zu jedem Geburtstag rief er die Kinder zu sich in sein Arbeitszimmer und nahm Maß. Jede Kerbe wurde mit einem Namen und einer Zahl versehen: Max 5 Jahre, Georg 7 Jahre. Stets war der Bruder im gleichen Alter ein wenig größer gewesen als er, erst in den letzten zwei Jahren bis zum achtzehnten Geburtstag spurtete er nach, schoss auf, so dass die Brüder nun exakt gleich groß sind. Nach dem achtzehnten Geburtstag fehlen die Kerben.

Das Messer hat seinem Vater gehört. Ein gutes Messer. Ein Hirschhorngriff, die Klinge mittlerweise dünn vom Schleifen. Ein scharfes Messer. Gestern hat er sich damit in den Daumen geschnitten. Absichtlich. Kein tiefer Schnitt, nur leicht geritzt. Nur ein paar dunkelrote Tropfen. Auf dem Tisch sind noch die Flecken zu sehen, dunkelbraun auf dem mittelbraunen Holz. Das Blut stockte bald, wie die Zeit hier stockt.

Er hat die Stunden gezählt, die Tage, doch hat er vergessen, welcher Tag vor drei Tagen war. So fühlt er wie die Zeit vergeht und hat doch kein Gefühl für sie. Es könnte Dienstag sein oder Mittwoch. Auf jeden Fall ist Spätherbst. Der Regen draußen kündet davon. Die Lache unter dem Fenster ist zu einem ansehnlichen See angewachsen. Kleine Seitenarme mäandrieren in Richtung des Esstisches. Wie lange würde es dauern, bis das Haus unter Wasser steht? Er hat die Geschichte von der Sintflut vor vielen Jahren in der Bibel gelesen. Geglaubt hat er sie nicht. Später hörte er, dass sich die gleiche Geschichte in viel älteren Überlieferungen wiederfindet. Also hatte sie vermutlich doch einen wahren Kern. Er stellt sich vor, er müsse die Besatzung einer Arche zusammenstellen. Viel käme hier oben nicht zusammen. Er natürlich, ein paar Insekten vermutlich noch, das gäbe eine karge Erde nach der Sintflut.

Bald kommen sie wieder klöckeln. Er hat den alten Brauch immer gemocht, ist selbst oft genug verkleidet als Zussmandl mit Glocken von Haus zu Haus gezogen, auf die entlegenen Höfe. Es war nicht nur die Freude am Verkleiden, die ihn mitmachen ließ, nicht nur die Geselligkeit. Stets war auch das Gefühl dabei, auf den fremden Höfen willkommen zu sein. Wie ein Arzt, der Schmerzen lindert oder ein Priester, der einen Geist austreibt. Er hat in den Augen der Alten gesehen, dass er Teil des Guten war, das gegen das unbenennbare Böse stand.

Nun nistet auch in seinem Haus die Stille. Der nächste Hof ist fünfhundert Meter talabwärts. Einen knappen Kilometer höher liegt noch eine Hütte. Wenn er jetzt stürbe, man fände ihn vermutlich erst Tage später. Niemand wüsste, dass er jetzt, genau jetzt, stirbt. Nur er. Er könnte sich selbst beim Sterben zusehen. Wie damals dem Fisch im Aquarium seines Bruders, der tagelang mit kaputter Schwimmblase schief im Becken schwamm und dabei träger und immer träger wurde. Zum Schluss stieß er ein paar Mal mit dem Kopf durch die Wasseroberfläche und tauchte wieder auf den Grund des Beckens hinab. Er, damals noch ein Junge, hatte seinen Blick nicht abwenden können. Auch als sein Bruder, der den Todeskampf des Fisches nicht sehen wollte, ihn bannen wollte wie eine ansteckende Krankheit, ihn bat wegzuschauen, hatte er weiter ins Aquarium gestarrt. Schließlich hatte sein Bruder geschrien, den Tränen nahe, er solle endlich den Fisch in Ruhe sterben lassen. Da war er gegangen. Am nächsten Tag, lag der Fisch tot am Grund.

Woran würde er merken, dass er stirbt? Würde er es überhaupt merken oder würde nur das Geräusch der Tropfen, die von der leckenden Decke in kleine Pfützen spritzen, immer leiser werden? Dass er lebt, merkt er nicht. Er atmet ein und er atmet aus. Er fühlt. Er denkt. Ja. Aber er hat geatmet, gefühlt und gedacht, solange er sich erinnern kann. Wäre er tot, würde er es vermutlich auch nicht merken. Wieso aber gibt es einen Unterschied zwischen Leben und Totsein, wenn man beides nicht spürt? Und wieso merkt man dann, dass man stirbt? Selbst, dass er älter wird, ist für ihn eher eine Tatsache als ein Gefühl. Man kann sie den Falten ansehen, die sich um seine Augen gebildet haben, oder seinem grau gewordenen Haar. Aber er fühlt sich nicht anders als er sich vor zwanzig Jahren gefühlt hat. Denkt er.

Auch das Haus ist älter geworden. Die große Blutbuche stützte sich vor ein paar Jahren alt geworden zu sehr auf das Dach. Das kostete ein paar Schindeln. Ein Sturm raubte ein paar weitere. Hier dringt nun Wasser ein. Außerdem ist die Farbe an den Wänden rissig geworden. Sie hätten schon längst einen neuen Anstrich gebraucht. Er seufzt.

Die Arme des Sees unter dem Fenster haben sich unterdessen mit den beiden Pfützen, die aus der Decke getropft sind, zusammengeschlossen. Er sollte nun wirklich Eimer holen und sie unter die eindringenden Rinnsale stellen. Der Wind ist unter die Läden der Fenster gefahren, so dass es klingt, als ob jemand klopft. Vielleicht klopft es auch wirklich. Er mag nicht zur Tür gehen, um nachzuschauen.
Zuletzt geändert von Max am 05.08.2009, 14:03, insgesamt 2-mal geändert.

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Beitragvon leonie » 08.08.2009, 15:41

Lieber Max,

ich lese das erst heute und schließe mich dem Lob an, was den Inhalt betrifft.
Für die sprachliche Umsetzung habe ich noch ein paar Anregungen, sie betreffen in erster Linie Wiederholungen. Also:


Klöckeln

Seit Tagen der gleiche Regen. Von Osten wütet er gegen das Haus. Auf dem Dach klingt er wie Erbsen, die man auf Papier ausschüttet, an die Scheiben klatscht er. Sie sind mit der Zeit undicht geworden. Unter dem Fenster hat sich eine ((kleine) Lachen sind meistens klein, oder?) Lache gebildet. Auch das Dach leckt an zwei Stellen. Das Wetter hat sich im Tal gefangen. Es kommt nicht über den nächsten Berg. Nun schwappt es zwischen den Hügeln hin und her, wie Wasser, das man in einem tiefen Eimer bewegt.

Er sitzt an seinem Küchentisch und lauscht auf das Vergehen der Zeit. Zu Anfang war es leicht. Die braune Uhr im Zimmer gongte unsichtbar einmal alle 15 Minuten. Zu jeder vollen Stunde schlug sie die Zeit. Vor drei Tagen hätte er sie wieder aufziehen müssen. Seitdem ist es still und er schnitzt Kerben in den Tisch. Eine (Kerbe) für jede Stunde, die er fühlt, acht (Kerben) für die Nacht. Achtundsechzig Kerben seitdem.

Das Messer hat schon seinem Vater gehört. Auch er hat Kerben geschnitzt. Als der Bruder geboren wurde, sein Ältester, kaufte der Vater ein Kantholz. Zu jedem Geburtstag rief er die Kinder zu sich in sein Arbeitszimmer und nahm Maß. Jede Kerbe wurde mit einem Namen und einer Zahl versehen: Max 5 Jahre, Georg 7 Jahre. Stets war der Bruder im gleichen Alter ein wenig größer gewesen als er, erst in den letzten zwei Jahren bis zum achtzehnten Geburtstag spurtete er nach, schoss auf, so dass die Brüder nun exakt gleich groß sind. Nach dem achtzehnten Geburtstag fehlen die Kerben.

(Das Messer hat seinem Vater gehört., das weiß man schon, weil es im Absatz drüber steht) Ein gutes Messer. Der Griff aus Hirschhorn, die Klinge mittlerweise dünn vom Schleifen. Ein scharfes Messer. Gestern hat er sich damit in den Daumen geschnitten. Absichtlich. Nicht tief. Nur ein paar Tropfen Blut?. Auf dem Tisch sind noch die Flecken zu sehen, dunkelbraun auf dem mittelbraunen stattdessen: hellerenHolz. Das Blut stockte bald, wie die Zeit hier stockt.

Er hat die Stunden gezählt, die Tage, doch hat er vergessen, welcher Tag vor drei Tagen war. Es könnte Dienstag sein oder Mittwoch. Auf jeden Fall ist Spätherbst. Der Regen draußen, das ist Herbstregen. Die Lache unter dem Fenster ist zu einem ansehnlichen See angewachsen. Kleine Seitenarme mäandern in Richtung des Esstisches. Wie lange würde es dauern, bis das Haus unter Wasser steht? Er hat die Geschichte von der Sintflut vor vielen Jahren in der Bibel gelesen. Geglaubt hat er sie nicht. Später hörte er, dass sich die gleiche Geschichte, stattdessen: sie sich in viel älteren Überlieferungen wiederfindet. Also hat sie vermutlich doch einen wahren Kern. Er stellt sich vor, er müsse die Besatzung einer Arche zusammenstellen. Viel käme hier oben nicht zusammen. Er natürlich, ein paar Insekten vermutlich noch, das gäbe eine karge Erde nach der Sintflut.

Bald kommen sie wieder klöckeln. Er hat den alten Brauch immer gemocht, ist selbst oft genug verkleidet als Zussmandl mit Glocken von Haus zu Haus gezogen, auf die entlegenen Höfe. Es war nicht nur die Freude am Verkleiden, die ihn mitmachen ließ, nicht nur die Geselligkeit. Stets war auch das Gefühl dabei, auf den fremden Höfen willkommen zu sein. Wie ein Arzt, der Schmerzen lindert oder ein Priester, der einen Geist austreibt. Er hat in den Augen der Alten gesehen, dass er Teil des Guten war, das gegen das unbenennbare Böse stand.

Nun nistet in seinem Haus die Stille. Der nächste Hof ist fünfhundert Meter talabwärts. Einen knappen Kilometer höher liegt noch eine Hütte. Wenn er jetzt stürbe, man fände ihn vermutlich erst Tage später. Niemand wüsste, dass er jetzt, genau jetzt, stirbt. Nur er. Er könnte sich selbst beim Sterben zusehen. Wie damals dem Fisch im Aquarium seines Bruders, der tagelang mit kaputter Schwimmblase schief im Becken schwamm und dabei träger und immer träger wurde. Zum Schluss stieß er ein paar Mal mit dem Kopf durch die Wasseroberfläche und tauchte wieder auf den Grund des Beckens hinab. Er hatte seinen Blick nicht abwenden können. Auch als sein Bruder, der den Todeskampf des Fisches nicht sehen wollte, ihn bannen wollte wie eine ansteckende Krankheit, ihn bat wegzuschauen, hatte er weiter ins Aquarium gestarrt. Den Satz finde ich im Vergleich zum sonstigen Sprachduktus sehr umständlich...Schließlich hatte sein Bruder geschrien, den Tränen nahe, er solle endlich den Fisch in Ruhe sterben lassen. Da war er gegangen. Am nächsten Tag lag der Fisch, stattdessen: das Tier tot am Grund.

Woran würde er merken, dass er stirbt? Würde er es überhaupt merken oder würde nur das Geräusch der Tropfen, die von der leckenden Decke in kleine Pfützen spritzen, immer leiser werden? Dass er lebt, merkt er nicht. Er atmet ein und er atmet aus. Er fühlt. Er denkt. Ja. Aber er hat geatmet, gefühlt und gedacht, solange er sich erinnern kann. Wäre er tot, würde er es vermutlich auch nicht merken. Wieso aber gibt es einen Unterschied zwischen Leben und Totsein, wenn man beides nicht spürt? Und wieso merkt man dann, dass man stirbt? Selbst dass er älter wird, ist für ihn eher eine Tatsache als ein Gefühl. Man kann sie an den Falten ablesen, die sich um seine Augen gebildet haben, oder seinem grau gewordenen Haar. Aber er fühlt sich nicht anders als er sich vor zwanzig Jahren gefühlt hat. Denkt er.

Auch das Haus ist älter geworden. Die große Blutbuche stütze sich vor ein paar Jahren alt geworden zu sehr auf das Dach. Das kostete ein paar Schindeln. Ein Sturm raubte weitere. Dort dringt nun Wasser ein. Außerdem ist die Farbe an den Wänden rissig geworden. Sie hätten schon längst einen neuen Anstrich gebraucht. Er seufzt.

Die Arme des Sees unter dem Fenster haben sich unterdessen mit den anderen beiden Pfützen, zusammengeschlossen. Er sollte nun wirklich Eimer holen. Der Wind ist unter die Läden der Fenster gefahren. Vielleicht klopft es auch. Er steht nicht auf, um nachzusehen.


Alles nur Anregungen...

Lieeb Grüße

leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 08.08.2009, 17:18

Lieber Max,

eine kurze Frage, da ich übermorgen alle Texte aus dem vorherigen Monatsthema ins Archiv verschiebe und das Unterforum von Lisa danach gelöscht wird:
Magst du diesen Text nach Kurzprosa verschieben, da hier ja noch kräftig kommentiert wird und du evtl. noch ändern wirst?

Saludos
Mucki

Max

Beitragvon Max » 08.08.2009, 21:57

Ja gerne .. :-)

Danke
Max

Max

Beitragvon Max » 08.08.2009, 21:58

*lach* .. es geht nicht .. Mucki, kannst Du es verschieben .. ich habe hier keine Rechte .. sonst melde ich mich unter dem Pfau an ..

Mucki
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Beitragvon Mucki » 08.08.2009, 22:48

erledigt. ,-)

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leonie
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Beitragvon leonie » 10.08.2009, 17:14

Huhu, hört mich wer?

Liebe Grüße

leonie

Max

Beitragvon Max » 14.08.2009, 21:16

Liebe Leonie,

entschuldige, ich habe Dich tatsächlich übersehen, weil Du kurz vor Muckis Verschiebeantrag geschrieben hast ... :-)

Zu Deinen Anmerkungen.

- Ob Lachen immer klein sind, weiß ich nicht ... immerhin kommt es ja vermutlich von "Teich" und meine sollte noch etwas kleiner sein ;-)

- Die wiederholten "Kerben" waren Absicht, denn das Kerbenschnitzen ist ene monotone Tätigkeit, die sich ebenso wiederholt.

- Gleiches gilt für den Satz, dass das Messer dem Vater gehörte. Es ist dies eine der Stellen, wo die Erzählung ganz bei den Gedanken des Protagonisten sein soll und er denkt dies doppelt. Wenn Du lange alleine bist, so wiederholen sich deine Gedanken (das würde deutlicher, wenn die Erzählung länger wäre ;-) ) und dies ist so eine Stelle

- Bei den Blutstropfen bin ich unschlüssig. Flora hat mir dort die roten Topfen weggestrichen, nun das Blut ... irgendwie habe ich den Eundruck, dass sowohl meine usrpüngliche als auch Deine als auch meine jetzige als auch Floras Version möglich sind und sich nicht allzuviel geben, oder?

- Die Sintflutgeschichte .. das ist eine Stelle, über die ich eh noch nachdenke, ob sie vielleicht weniger belehrend daherkommen könnte ...

- Hm, bei dem Satz mit dem Bruder ... wie sollte man es denn weniger umständlich ausdrücken? Irgendwie sollte das ja da stehen, dass der das nicht sehen wollte.

Danke für die ausfürhliche Lektüre und die vielen Hinweise :-)

Liebe Grüße
Max


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