Fledermaus sein

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 05.08.2009, 15:30

Unter einem
verblassenden Orangenhimmel
Insekten jagen.

Sich nähren an dem,
was vorhanden ist.
Nicht von anderen Augen wissen.

Die den Blick auf alles.
Alles
neu öffnen könnten.


Den Schmerz nicht tragen müssen
um die dünne Linie zwischen Himmel und Meer.

Farben, denen das Auge nicht gewachsen.
Töne, die das Trommelfell nie erreichen.

Doch feuert in grauen Geländen beständig
ein Sehnen mir unter die Haut.


Als könnte ich jenseits der halbdurchlässigen Wand
das Unmögliche denken. Das Spektrum erfassen.
Und schillernd verborgene Welten so tagpfauenleicht bewohnen.

Als könnte ich mich nicht nur
hinter den Horizont träumen, sondern dort. Sein.
Gar dich spüren über mich selbst hinaus. Und am Ende: Lieben.
Zuletzt geändert von leonie am 27.08.2009, 20:32, insgesamt 3-mal geändert.

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 07.08.2009, 17:19

Liebe Leonie,

ein spannendes Thema, über das sich schon Philosophen den Kopf zerbrochen haben: Wie ist es, eine Fledermaus zu sein? Das werden wir wohl niemals wissen. Weil wir eben einen ganz anderen Sinnenapparat haben. Sehr schön, dass du das Thema angegangen bist!

Vorgestern habe ich sie noch gesehen, die Fledermäuse! Es waren zwei größere und zwei kleinere - Angehörige verschiedener Arten, wie ich erfuhr. Und zwar keine Pärchen, sondern jeweils Mutter mit ausgewachsenem Kind - so fliegen sie aus im August!

Sie sind ja ganz bei sich und in ihrem tun, diese Tierchen. Sie flattern und rufen und rufen und flattern, schlucken da mal einen Nachtfalter, hier eine Mücke und flattern weiter. Daher hätte ich - auch wenn du dich schon entschieden hast - es auch überzeugender gefunden wie Mucki es vorschlägt, ohne die letzten beiden Abschnitte. Den ersten Teil finde ich wunderschön, poetisch und zum Nachdenken anregend.

Und warum muss es ausgerechnet auf "Lieben" enden? Das ist so überstrapaziert. Und sicher lieben sie ohnehin ihre Kinder, wenn sie so gemeinsam fliegen, meinst du nicht?

Flatterhafte Grüße
fenestra

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 07.08.2009, 21:43

Oh, Leonie, ich habe gerade erst die Beschreibung entdeckt. :blume0028: Das ist ja lieb.

Ich weiß jetzt, warum der Schmetterling auch bleiben muss: Weil er ein Bild ist für die Metamorphose, die einem neue Sinne verleiht.

Genau das hat mich ja gestört. :pfeifen: Eine Sinneserweiterung, die sich aber nicht in der Sehnsucht erschöpft, jemand/ etwas anderes sein zu wollen, sondern ein über sich hinauswachsen und -sehen bedeuten würde, würde ich da noch immer lieber lesen wollen. Von der Fledermaus zum Schmetterling empfinde ich auch als etwas seltsam und wenig versprechend oder "gewinnbringend", wenn ich mir, so ohne nähere biologische Kenntnisse, die Sinneswahrnehmung und geistige Verarbeitungskapazität eines Schmetterlings vorstelle? Neue Sinne ja, aber auch der Verlust anderer, der eigenen Fähigkeiten ginge mit dieser Metamorphose einher.

Den "Horizont" würde ich nicht ersetzen, das ist ja einer der schönen Rückbezüge im Gedicht.

liebe Grüße
Flora

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leonie
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Beitragvon leonie » 08.08.2009, 11:45

Liebe fenestra,

danke für Deine Kritik!
Ja, man soll jeden Teil auch für sich lesen können, trotzdem gehören sie für mich zusammen (aber es steht Dir natürlich frei, nur den ersten zu mögen, zu lesen! :-) ).

Es geht ja nicht nur um die Fledermäuse. Sondern dann um die Sehnsucht, den Mangel an Sinnesorganen nicht empfinden zu müssen.
Und um die Sehnsucht nach "Erweiterung", dem "Nicht-aus-der-Haut-Schlüpfen-Können" zu entrinnen.
Dass man es nicht kann, ist für mich schon besonders gravierend in der Liebe.
Weil es infrage stellt, ob man überhaupt lieben kann, wenn man nicht über die Selbst-Grenzen hinaus kann....


Liebe Flora,

ich glaube, ich habe das jetzt verstanden.

Aber ich intendiere es in der "Tagpfauenlesart". Weil man eben nicht über sich hinaus wachsen kann, solange man in der eigenen (oder der Raupenhaut) steckt.

Beim Horizont bin ich noch unentschlossen, weil ich Max Kritik daran nachvollziehen kann...

Liebe Grüße und danke Dir nochmal. Ich freue mich einfach, dass Du die Fledermaus immer noch im Hinterkopf hattest!

leonie

Max

Beitragvon Max » 08.08.2009, 21:12

Beim Horizont bin ich noch unentschlossen, weil ich Max Kritik daran nachvollziehen kann...


Juhu :-) (*grins* .. entschuldige, ich werde so gerne verstanden ;-) )

Max

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leonie
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Beitragvon leonie » 09.08.2009, 11:10

Gerne doch! :-)

Leider ist mir immer noch nichts Besseres eingefallen!

Liebe Grüße und einen schönen Sonntag Dir

wünscht leonie


Hm, ich bin gerade etwas unsicher, wie dieser Text eigentlich genau verstanden wird...Naja.

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 09.08.2009, 13:40

Es geht ja nicht nur um die Fledermäuse. Sondern dann um die Sehnsucht, den Mangel an Sinnesorganen nicht empfinden zu müssen.
Und um die Sehnsucht nach "Erweiterung", dem "Nicht-aus-der-Haut-Schlüpfen-Können" zu entrinnen.
Dass man es nicht kann, ist für mich schon besonders gravierend in der Liebe.
Weil es infrage stellt, ob man überhaupt lieben kann, wenn man nicht über die Selbst-Grenzen hinaus kann....


Das ist natürlich völlig richtig! So hatte ich es in diesem Zusammenhang nicht gesehen. Wirklich ein sehr schöner Text!

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leonie
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Beitragvon leonie » 09.08.2009, 20:49

Liebe fenestra,

Danke Dir nochmal, das freut mich!

Liebe Grüße

leonie

Max

Beitragvon Max » 09.08.2009, 21:39

Liebe Leonie,

da Du fragst: In meiner Lesart ist der Schlüssel die letzte Zeile, in der das Lieben als Steigerung des Sehens gesetzt ist. Sehen ist wiederum ein Äquivalent für das Empfinden, man kann also nicht lieben ohne zu empfinden - was so gelesen eine Plattitüde ist (von mir, nicht von Dir), bekommt eine tiefe daurch, dass man sich nicht aussuchen kann, ob man Schmerzhaftes oder Schönes empfindet ... wer also lieben will, nimmt auch in Kauf, dass er die Enttäuschungen erfärht, die mit der Voraussetzung für die Liebe verbunden sind ... die Hoffungen, die enttäuscht werden können. So in etwa ;-)

Liebe Grüße
Max

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Beitragvon leonie » 09.08.2009, 22:26

Danke Max,

erstens freue ich mich, dass Du die Frage gelesen hast, zweitens, dass Du sie beantwortest, drittens über Deine Lesart! Die ist wirklich sehr fein!

Liebe Grüße

leonie

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 26.08.2009, 19:43

Liebe leonie,

ich komme hier spät vorbei, erst wollte ich mich entschuldigen, weil es ja für den Autor auch schwierig ist, nach abgeschlossener Diskussion noch einmal auf einen Kommentar einzugehen, aber jetzt finde ich, es ist doch ein guter Zeitpunkt, weil wir einfach so vorgehen können, dass ich Kritik übe, ohne dass du Änderungen vornimmst, das entspannt mich - ist das nicht geschickt? :eusa_whistle: :spin2:

Ich habe nämlich überlegt: Einerseits ist da etwas Großartiges in diesem Text, etwas freies, leichtes, etwas, was auf schmerzhafte Weise gut tut (wie die Ruhe nach dem Weinen) und dafür das Bild der Fledermaus und ihre Lebensart zu nehmen finde ich sehr gelungen und passend, gerade wenn ich an den irgendwie doch noch leuchtenden Spätabendhimmel (über einem See oder Feld) denke.

Wichtig bei so einer romantischen Unterstellung (der fabelhafte Vergleich, die Fledermaus habe in ihrer Daseinsform mehr Glück/Leichtigkeit als der Mensch) ist für mich, dass man der Romantisierung auf den Leim geht, was eigentlich nur heißt, dass man sie nicht bemerkt, weil man sich ständig im Zustimmen befindet, das Bild wahr sprechen hört.
In diesem text ist diese Romantisierung für mein Gefühl noch nicht ausgereift - ich glaube, weil der Text zum Teil sehr direkt auf das Leben der Fledermaus eingeht und bei mir dadurch an irgendeiner Stelle der Gedanke einsetzt, dass der Vergleich eigentlich doch sehr aus menschlicher perspektive spricht (was er ja immer tut, aber wenn man nicht darüber nachdenkt, was der Text schaffen muss, stellt man sich die Frage nicht)- denn die Fledermaus nimmt ja ganz anders wahr, und in diesem Sinne stimmt es ja nicht, dass sie nicht "sieht" bzw. besser gesagt, die unterstellte heilsame Wahrnehmungslücke, die der Fledermaus unterstellt wird, gibt es eigentlich gar nicht...
Ich würde daher wohl den text Fledermaus nennen und die Bezüge zur Fledermaus sehr viel freier sprechen (denn die freuen Stellen des textes sind für mich auch die großartigen):

flattermaus

unter einem verblassenden Orangenhimmel

sich nähren am vorhandenen
ohne (dass) augen wissen

die einem den blick auf etwas
alles noch einmal öffnen könnten

den schmerz nicht tragen müssen
um die dünne linie zwischen himmel und wasser

.

doch feuert in grauen geländen beständig
ein sehnen mir unter die haut

als könnte ich jenseits der halbdurchlässigen wand
das unmögliche denken. das spektrum erfassen
und (in der dämmerung) verborgene welten bewohnen

als könnte ich nicht bloß
mich hinter den horizont träumen, sondern dort
sein. gar dich spüren über mich hinaus. und am ende vielleicht: lieben



Wie gesagt, ich mache solche Fassungen ja eigentlich nicht mehr, aber hier konnte ich nicht anders, aber nur unter der Prämisse, dass das nur eine Art ist zu zeigen, dass ich den Text mag.
(nur die grammatischen Änderungen am Ende bei dem Doppelspiel mit mich hnter etwas träumen und dort sein würde ich überdenke, da der Bezug sonst falsch ist)

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 26.08.2009, 22:33

Liebe Leonie,
*seufz*. Bin mal wieder zu spät. Alles schon mal gesagt. Mea culpa. Also nur so viel: Ich habe deinen Text gelesen. Und bin in mehr als einem Sinn be-eindruckt.
Vielen Dank
Merlin

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leonie
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Beitragvon leonie » 27.08.2009, 08:48

Lieber Merlin.

Dein Posting hat mich einige Momente lang fast ein wenig glücklich gemacht! Danke...

Liebe Lisa,

ich glaueb, ich kann den Text wirklich nicht ändern.

Ich verstehe,was Du meinst mit der Romantisierung...Ja, die Kürzung der einen Strophe verstehe ich sogar auch.
Aber: für mich stimmt es im Moment so sehr so.Ich muss noch selbst dahinter kommen,warum...
Darf ich mir Deine Version abspeichern? Für den Blick aus der Distanz. Da ändere ich nämlich doch oft noch.

Ich danke Dir, ich freue mich, dass Du Dir Zeit für den Text genommen hast und Deine Gedanken sind mir wertvoll!

Liebe Grüße

leonie

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Beitragvon Lisa » 27.08.2009, 09:59

Liebe leonie,

nicht entschuldigen, genau so war es doch gedacht!

liebe Flattergrüße,
Lisa

(natürlich abspeichern erlaubt)
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Zefira
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Beitragvon Zefira » 27.08.2009, 19:01

Als Fledermausfan muss ich auch ein großes Lob loswerden. Ich habe beim Lesen einen Kloß in den Hals bekommen ... :icon_redface:

Fledermäuse sind allerdings nicht blind, auch wenn es im Volksmund so heißt. Grautöne können sie gut unterscheiden. Das "ohne von Augen zu wissen" geht mir insoweit ein klein wenig gegen den Strich. Aber nur ein ganz, ganz klein wenig.

Ebenfalls halbblinden Gruß von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)


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