Fledermaus sein

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 05.08.2009, 15:30

Unter einem
verblassenden Orangenhimmel
Insekten jagen.

Sich nähren an dem,
was vorhanden ist.
Nicht von anderen Augen wissen.

Die den Blick auf alles.
Alles
neu öffnen könnten.


Den Schmerz nicht tragen müssen
um die dünne Linie zwischen Himmel und Meer.

Farben, denen das Auge nicht gewachsen.
Töne, die das Trommelfell nie erreichen.

Doch feuert in grauen Geländen beständig
ein Sehnen mir unter die Haut.


Als könnte ich jenseits der halbdurchlässigen Wand
das Unmögliche denken. Das Spektrum erfassen.
Und schillernd verborgene Welten so tagpfauenleicht bewohnen.

Als könnte ich mich nicht nur
hinter den Horizont träumen, sondern dort. Sein.
Gar dich spüren über mich selbst hinaus. Und am Ende: Lieben.
Zuletzt geändert von leonie am 27.08.2009, 20:32, insgesamt 3-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 05.08.2009, 16:32

Juhuuu die Leonische Fledermaus ist aus der Schublade geflogen. :banana_1:

Vielleicht bin ich etwas blind, weil ich mich darauf schon so gefreut hatte... aber das gefällt mir wirklich sehr!
Nur ein kleiner Wehmutstropfen... warum muss der alte ;-) Schmetterling herhalten?
Fledermausleicht wäre doch auch inhaltlich viel schöner, denn dann ginge es um die Veränderung der Wahrnehmung, nicht des eigenen Seins, oder?
Oder ganz ohne:
Und schillernd verborgene Welten bewohnen.

liebe Grüße
Flora

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leonie
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Beitragvon leonie » 05.08.2009, 17:53

Liebe Flora,

Du musstest lange warten, danke für Deine Geduld. :smile: . Schön, dass der Text Dir gefällt. Über den Schmetterling werde ich noch nachdenken, ich will nochmal abwarten, ob andere dazu was schreiben...

Danke erstmal! Liebe Grüße

leonie

Max

Beitragvon Max » 05.08.2009, 21:39

Liebe Leonie,

das finde ich einen sehr spannenden, intensiven und eindringlichen Text.

Besonders gefällt mir

Den Schmerz nicht tragen müssen
um die dünne Linie zwischen Himmel und Meer.


Die darauf folgende Strophe, obwohl nichtschlecht, kann in meinen Augen die Vorgabe nicht ganz halten, wirkt für mich ein wenig komnstrierter, was aber eher an der ersten als an der zweiten Strophe liegt.

Kleinigkeiten, die ich für mich anders lese:

Sich nähren an dem,
was vorhanden ist.



Wieso nicht

Sich an Vorhandenem nähren

?

Als könnte ich jenseits der halbdurchlässigen Wand
das Unmögliche denken.



Vielleicht: das Undenkbare?

schmetterlingsleicht


Schmetterlinge fliegen mir da in schlechteren texten schon zu viele, auch "fledermausleicht" würde ich vermeiden, da es zu verspielt ist. Einfach "leicht" genügt für meinen Geschmack.

Die letzte Strophe greift nun doch den Horizont auf, den die Fledermaus doch nach der von mir gelobten Strophe gar nicht sieht, also gar nicht mit Sehnen und Endlichkeitsschmerz füllt. Ich würde mir da ein anderes Bild wünschen.

Schön Dich so fruchtbar wieder hier zu lesen!
Max

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leonie
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Beitragvon leonie » 06.08.2009, 11:17

Lieber Max,

danke, ich freu mich über Deine Rückmeldung sehr! Ehrlich gesagt, ist es der einzige Text aus dem Urlaub, den ich hier einstellen werde, aber ich spüre schon jetzt viel Anregung durch das Forum und hoffe, diese Impulse nutzen zu können.

Zu Deiner Kritik:

Ich finde "sich am Vorhandenen nähren" klingt nicht so, wie ich es möchte und seltsamerweise hat es für mich auch eine weniger präzise Aussage. Das hat mit dem Verb "ist" zu tun, das ja auch eine gewisse ontologische Dimension anspricht.

Über die anderen Punkte muss ich noch ein Weilchen nachdenken, aber sie sind nicht vergessen, weil Du wie auch Flora Dinge ansprichst, die ich auch selber als Knackpunkte sehe.

Liebe Grüße

leonie

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 06.08.2009, 11:57

Liebe leonie, willkommen zurück!

Was für ein genialer Text! Ich finde dieses Fledermausige superschön geschrieben!

Bis zu den zitierten Zeilen ist alles leicht/zart geschrieben. Hier wird mir manches zuviel, ich streichs jetzt mal, um es dir zu zeigen:

Als könnte ich jenseits der halbdurchlässigen Wand
das Unmögliche denken. Das Spektrum erfassen.
Und schillernd verborgene Welten so schmetterlingsleicht bewohnen.

Die Schmetterling sind ein Registersprung, weil es doch um Fledermäuse geht und ihr Verhalten? Schillernd würde ich auch streichen, denn die Welt der Fledermäuse ist eher dunkel. Daher meine ich, dass das LI hier zu überschwänglich wird. In der letzten Str. darf die Sehnsucht hingegen so überschwänglich bleiben, das ist dann eine schöne Klimax.

Wie gesagt, nur eine Meinung.

Lieben Gruß
Elsie
Schreiben ist atmen

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.08.2009, 13:40

Liebe leonie,

auch ich bin ganz angetan von deinem fledermausigem Gedicht. :)

Eine Anregung, vielleicht zu radikal, aber das kam mir in den Sinn: Ich würde das Gedicht hierauf begrenzen:

Unter einem
verblassenden Orangenhimmel
Insekten jagen.

Sich nähren an dem,
was vorhanden ist.
Ohne von Augen zu wissen.

Die einem den Blick auf alles.
Alles
neu öffnen könnten.

Den Schmerz nicht tragen müssen
um die dünne Linie zwischen Himmel und Meer.

Farben, denen das Auge nicht gewachsen.
Töne, die das Trommelfell nie erreichen.

Doch feuert in grauen Geländen beständig
ein Sehnen mir unter die Haut.


Dies wäre ein schönes, offenes Ende, finde ich. Die zwei nachfolgenden Strophen wirken auf mich irgendwie "angehängt".
Wenn du sie jedoch behalten möchtest, würde ich zumindest verdichten und vorher nach "Haut" einen Doppelpunkt setzen: also

...
ein Sehnen mir unter die Haut:

jenseits der halbdurchlässigen Wand
das Unmögliche denken.
Das Spektrum erfassen.
Verborgene Welten bewohnen.

im Horizont träumen. Sein.
Dich spüren über mich selbst hinaus.
Und am Ende: Lieben.


Was meinst du?

Saludos
Mucki

Lydie

Beitragvon Lydie » 06.08.2009, 14:19

Hello Leonie und tout le monde,

Tolle Idee, toll umgesetzt, durch Gabriella's Bearbeitung noch viel gewonnen, gefällt mir so sehr gut!

Taglichtgrüsse,

Lydie

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 06.08.2009, 15:30

Hallo,

ich würde auf den letzten dieser drei Abschnitte (also die letzten beiden Strophen) nicht verzichten wollen, er würde mir sehr fehlen. Ich finde ihn bis auf die Schmetterlinge genau richtig, auch in der inneren und sprachlichen Entwicklung, Veränderung hin zu dieser weiten Setzung, dem Hinausreichen, mit ihrem weichen Einstieg durch das „als“ und auch mit den inhaltlichen Bezügen, den Bögen zu den anderen Zeilen.
Das Schöne ist, dass ich immer mehr für mich darin entdecke. Nur mal vorbeugend... ;-) Leonie, ich hoffe du änderst hier nicht zu viel.

liebe Grüße
Flora

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leonie
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Beitragvon leonie » 06.08.2009, 16:13

Hallo, die Damen,

kleines Frauentreffen hier und heute, möchte jemand Kaffee? Kuchen? Oder lieber ein Eis? :-) .

Ich danke Euch für die Rückmeldungen, ich bin froh, dass Ihr mit dem Text etwas anfangen könnt.
Ändern kann ich noch nichts, ich bin aber sicher, dass es nicht viele Änderungen werden. Das hat mit dem zu tun, was Du schreibst, Flora.

Der Text ist sorgfältig und langsam gewachsen, fast ungewöhnlich für mich...Dass Du, Flora, nach und nach immer mehr entdeckst, freut mich.

Und, Mucki, für mich ist er tatsächlich zu sehr reduziert durch Deinen Vorschlag.

Es ist der erste Text überhaupt von mir, bei dem ich einen Moment lang darüber nachgedacht habe, ihn im Publicus einzustellen.
Aber ich merkte dann, ich brauche das Dialogische und will antworten können.

Am Horizont überlege ich noch. Wie wäre dire Räume, die Zeiten, die Tag, die Dimensionen (eins davon) ? Ebenso am "schmetterlingsleicht". Wie wäre zartflügelig oder leichtflügelig. Ich möchte da ein Adjektiv haben...Nur "leicht" ist mir zu wenig...

Liebe Grüße


leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.08.2009, 17:01

Liebe leonie,

für mich bitte Eis mit viel Sahne! :mrgreen:
Ich dachte mir schon, dass dir mein Vorschlag zu radikal ist, schrieb ich ja oben. Es sind ja immer nur Anregungen.
Verlass dich auf dein Gefühl. Für dich muss es stimmig sein.

Saludos
Mucki

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leonie
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Beitragvon leonie » 06.08.2009, 17:25

Liebe Mucki,

ich hätte auch noch ein paar Sauerkirschen, wenn Du magst!

Ich weiß jetzt, warum der Schmetterling auch bleiben muss: Weil er ein Bild ist für die Metamorphose, die einem neue Sinne verleiht. Ich könnte ihn allerdings spezifizieren. Tagpfauenleicht? (Den Admiral sollte ich wohl eher nicht verwenden...).

Liebe Grüße

leonie

Max

Beitragvon Max » 06.08.2009, 19:52

Liebes Kaffeekränzchen ;-),

dass meine Version von Strophe 2 einen anderen Klang erzeugt als Deine, Leonie, sehe ich ein .. das war eigentlich auch der Sinn, nur sollte es natürlich vor allem Dir auch besser gefallen - die onthologische Dimension von "ist" habe ich tatsächlich übersehen :-) ... einen anderen Sinn aber vermag ich nicht so genau zu erkennen ... Nun das sind aber wirklich nur Nuancen, von mir auch kann die Stelle natürlich auch so bleiben.

Liebe Grüße
Max

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Beitragvon leonie » 06.08.2009, 22:09

Lieber Max,

erstmal bleibt sie so...Aber dafür ändere ich das "schmetterlingsleicht" in "tagpfauenleicht". Was meinst Du zu den o.g. Alternativen zum Horizont? Oder fällt Dir (oder jemand anderem) noch eine ein?
Gibt auch nen Kaffee!

Danke Dir und liebe Grüße

leonie


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