Es ist nicht so

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Elsa
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Beitragvon Elsa » 27.07.2009, 09:40

Es ist nicht so

dass ich dich sehr vermisse
warst du doch stete Wunde mir

die Angst um dich
wenn du betrunken
durch die Straßen schriest

fehlt mir nicht auch nicht
das nächtelange Warten

das Abgeschnittensein
von deinem Leben jetzt

du große Liebe

ob du nun glücklich bist
und nüchtern tust
was du dir erträumt:

Das ist es


by ELsa
Schreiben ist atmen

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 27.07.2009, 10:03

Hallo Elsa,

hm, ich weiß nicht: Das scheint mir ein wenig zu protokollartig, ein wenig zu leer auch (soll heißen: die Worte sind seltsam leer: Angst, Liebe, Warten, Leben, Abgeschnittensein[!], glücklich)...

Na ja, wohl einfach nicht mein Geschmack :-) Am Aufbau etc ist, wie ja eigentlich immer bei dir, nichts zu bemängeln?!

Ferdigruß!

PS: Am erträumt irritiert mich, dass ich nicht weiß, ob nun das "s" fehlt oder das "hast" ;-) -F.
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

scarlett

Beitragvon scarlett » 27.07.2009, 14:48

Liebe Elsa,

das geht unter die Haut.

Du erzählst in knapper Form eine ganze Lebens- Leidens und Liebesgeschichte, bei der die Eckdaten schnell ausgemacht sind und doch kommt es m M nach eher auf das Dazwischen an, auf die kleinen Wörter, in denen sich eigentlich das Wesentliche verbirgt:
LI vermisst nicht - "sehr", die "stete" Wunde, das "nächtelange" Warten- wohingegen das große Wort - "große Liebe" fast schon leicht ironisch daherkommt ... so, als müsste sich LI selbst irgendwie tröstend auf die Schippe nehmen, immer noch um Abstand ringend ...
Sehr gelungen das Wortspiel "nüchtern tun", mit dem sich diese "Eckdaten" schließlich "abrunden".

LI vermisst also das Abgeschnittensein vom Leben des LD - DAS ist es, was mir immer noch die Sorge und vielleicht auch eine Restliebe offenbart, die sich eben im Sorgen fast schon zärtlich manifestiert.

Das Gedicht hat einen feinen Rhythmus, der die leise Zärtlichkeit des Inhalts trotz anders lautender Worte noch unterstreicht.

Sehr gelungen, wie ich finde.

LG,

Monika

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 27.07.2009, 14:58

Lieber Ferdi,

Danke für deine Lesung :-). Nun, alles kann nicht gefallen, diese Klischeeworte habe ich absichtlich benutzt, sie passen gut dazu, finde ich.
PS: Am erträumt irritiert mich, dass ich nicht weiß, ob nun das "s" fehlt oder das "hast"
Das "hast" fehlt, genau.

Liebe Monika,

Was soll ich sagen? Du liest es so, wie es sein soll, die Zwischentöne, ja, auf die kommts mir da an.
Danke für die feine Replik und dein Lob! *hüpf*


Liebe Grüße euch,
ELsa
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Lydie

Beitragvon Lydie » 27.07.2009, 15:19

Liebe Elsa,

Das Abgeschnittensein ist eben die größte Wunde, nicht wahr? Um ihr zu entgehen, nimmt frau ja so manches Mal sehr Schmerzliches in Kauf. Schon etwas Eigenes, nicht, dass die große Liebe sich mit dem Schmerzhaften verbindet und dem Opfer, dem über das Übliche hinaus.

Ganz lieber Gruss an Dich,

Lydie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.07.2009, 16:34

Liebe Elsie,

ja, die Zwischentöne sind es, die dein Gedicht ausmachen. Das "Weiterdenken/Weiterlesen", zu dem der Leser aufgefordert wird. Wie vor allem am Schluss: "Das ist es", bei dem ich 'was ich vermisse' in Gedanken dranhänge. LI wirkt "scheinbar" abgeklärt, doch genau das Gegenteil ist der Fall.
Ein feiner Text.

Saludos
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 27.07.2009, 17:04

Liebe Lydie,

Ja, das nicht mehr dabei sein können, wenn der Idiot sich womöglich zu Tode trinkt - oder auch nicht (vielleicht geht es ihm ja viel besser ohne LI), das macht das LI fertig, obwohl es,

liebe Mucki, scheinbar darübersteht, genau.

Ich danke euch herzlich,
ELsa
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fenestra
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Beitragvon fenestra » 28.07.2009, 17:06

Liebe Elsa,

ein sehr schöner Text, der, wie ja schon von anderen gesagt, diesen Schmerz, der oft von echter Zuneigung untrennbar ist, spürbar macht.

Nur in den letzten Zeilen komme ich etwas raus:

ob du nun glücklich bist
und nüchtern tust
was du dir erträumt:

Das ist es


Dies "nüchtern" ist mir zu nüchtern, klingt für mich wie "mit leerem Magen". Könnte man da nicht etwas anderes finden? Etwa "frei von Sucht" oder so?
"was du dir erträumt" will mir nicht so in den Sprachrhythmus passen, es ist einfach eine betonte Silbe zuviel und es fehlt eben ein hast.

Am Ende würde es mir besser gefallen, wenn du schreiben würdest "Das ist es, was mir fehlt". Dann müsste man nicht erst rätseln, wie's gemeint ist. Ich versuche mal eine Variante:

ob du nun glücklich bist
und frei von Sucht das tust
was du dir stets erträumt:

Das ist es, was ich gerne wüsst


Viele Grüße
fenestra

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 28.07.2009, 17:56

Liebe fenestra,

Herzlichen Dank für deine Betrachtungen!

Den Zusatz in der letzten Zeile werde ich überlegen.

Was "und nüchtern tust" betrifft, ist die Schreibart wichtig, denn enthält einen doppelten Boden:
tut er nur nüchtern, oder ist er wirklich frei von Sucht? Das ist hier die Intention,
daher werde ich das wohl so beibehalten.

Liebe Grüße
ELsa
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 28.07.2009, 18:22

Liebe Elsie,
Den Zusatz in der letzten Zeile werde ich überlegen.

dein Gedicht lebt von dem "Dazwischen", wie ich oben schon schrieb. Wenn du die letzte Zeile ausführlich schreibst, würde mir genau das "Dazwischen" fehlen. Du nimmst dem Leser dadurch den Assoziationsspielraum.
Mal so einwerf.

Saludos
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 28.07.2009, 18:29

Liebe Mucki,

danke für dein *einwerf* ;-)

Ich hab es bereits entschieden: Ich kanns nicht ändern aus den von dir genannten Gründen.

@fenestra: Trotzdem danke für deine Idee.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Max

Beitragvon Max » 28.07.2009, 22:24

Liebe Elsa,

da ich mitten in Berlin und trotz mobilen Internets nur ganz sporadisch kontakt bekomme, habe ich nicht alle Vorkommentare gelesen.

Mich fasziniert an diesem Text die Sprache, die mich an einen der großen Liebeslyriker deutscher Sprache des 20. Jahrhunderts, Erich Fried erinnert, der es auch verstand aus einer Winzigkeit, einer Bewegung des Gemüts, einen funktionierenden Text zu stricken. Allerdings ist es vor allem die erste Hälfe, die ersten zwei Drittel, die mich erinnern (ich glaube vorm Klang her am ehesten an "Was weh tut"). Der Schlusssatz (ein Wort mit drei S, toll),

Das ist es


kommt mir zu schwach, ein wenig zu farblos daher .. dieses "es" bräuchte für mich noch einen kräftigeren Akzent.

Liebe Grüße
Max

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 29.07.2009, 14:56

Lieber Max,

Bumm, nun bin ich sprachlos. ;-) Was für ein Lob, meine Güte! Danke schön!

Tja, der SchluSSSatz *würg* scheußliches Wort, du hast recht, ist ja eigentlich an den Titel angehängt:

Es ist nicht so .... blablabla .... Das ist es

Ich wüsste da keine andere Lösung dafür, die mir gefiele.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 29.07.2009, 17:00

Liebe Elsa, ein sehr feingesponnener, vielschichtiger Text. Ich wage eine Variante zum Schlussvers:

Es ist nicht so

dass ich dich sehr vermisse
warst du doch stete Wunde mir

die Angst um dich
wenn du betrunken
durch die Straßen schriest

fehlt mir nicht auch nicht
das nächtelange Warten

das Abgeschnittensein
von deinem Leben jetzt

du große Liebe

ob du glücklich bist
und was du erträumt
nun nüchtern tust?


Das ist es

Vielleicht nicht direkt so, aber deine Formulierungen durch Umstellung anders gewichten?

liebe Grüße
Renée


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