Sie (III)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Herby

Beitragvon Herby » 20.07.2009, 20:54

I

Tagsüber hatte sie getan,
was sie immer tat.

Abends saß sie auf ihrem Sofa
und starrte an die Wand.

„Die Frau mit dem Putzeimer“,
Öl auf Leinwand.
Geronnene Zeit.


II

Täglich polierte sie
ihr Bild
in den Augen der anderen

und sah nicht,
dass sie längst blind waren.



III

Sie brachte Opfer,
Menschenopfer,
auf dem Altar der Reinlichkeit.

Nun bedeckt ihn
Staub
erstickt das Echo der Frage.
Zuletzt geändert von Herby am 22.07.2009, 23:25, insgesamt 3-mal geändert.

DonKju

Beitragvon DonKju » 21.07.2009, 22:16

Hallo Herby,

schöner kurzer Text, den ich mir an zwei Stellen auch anders denken könnte, nämlich so :

Sie brachte Opfer dar,
Menschenopfer,
auf dem Altar der Reinlichkeit.

Nun bedeckt ihn
Staub, der erstickt
das Echo der Frage.

Wie üblich natürlich nur Vorschläge,
mit lieben Grüßen dazu von Hannes

Yorick

Beitragvon Yorick » 21.07.2009, 22:50

hallo herby,

auf mich wirkt sie (I-III) mütterlich. einen beleg, auch nur einen hinweis oder eine stützug dieses gefühls habe ich in den drei miniaturen nicht gefunden. und dennoch.
vielleicht eine rezeptionsgeschichte.
vieleicht ist es auch das *fehlen* anderer aspekte - bei den kurzen texten aber natürlich ebenso wage.

also gehe ich da in eine mutter-bewältigungsrichtung (das echo der fragen kommt für mich aus der entgegengesetzten richtung - also von außen.). maybe scheuklappen. und es ist auch die frage, wie hilfreich eine interpretationsrückmeldung bei diesen texten ist. aber - wie schön - mal wieder muss es nicht ich entscheiden. ich rede einfach.

ich bin nicht so der lüriker. warum hat der staub eine eigene zeile? als entsprechung zu menschenopfer? häufig empfinde ich ein solches absetzen als lesevorschrift - und in diesem falle mache ich beim inneren lesen immer eine blödsinnige pause (wegen des zeilenumbruchs). das klingt nicht schön.

grüße,
y.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 22.07.2009, 15:06

Lieber Herby,

Dieser Text Nr. III erzählt mir eine kleine Geschichte. Er erzählt, dass "sie" ihr ganzes Leben, einschließlich dem der Familie, durch ihren Putzwahn vernichtet hat, sie verlassen wurde, weil das niemand auf Dauer ertragen konnte.

Nun, alleingelassen, interessiert sie das Putzen nicht mehr. Die Frage jedoch, warum sie allein ist, kann sie gar nicht stellen, dann müsste sie ja ihren Fehler sehen ...

Mir gefallen die beiden ersten dieser Reihe besser, ich finde sie interessanter, weil sie nicht so viel erzählen.

Liebe Grüße
ELsa
Schreiben ist atmen

Max

Beitragvon Max » 22.07.2009, 19:27

Lieber Herby,

mir sind entweder die "Opfer" oder die "Menschenopfer" zu viel, wobei ich letztere am ehesten streiche wollte. Gerade hier finde ich, dass zu viel Erklärung das Gedicht schwächt, weil es dem Leser Möglichkeiten der Interpretation nimmt.

Insgesamt finde ich die Wendung, dass der Altar der Reinlichkeit nun staubbedeckt ist, eine feine Beobachtung, von der Du auch schilderst, was der Staub mit dem Lyr. Ich macht.

Irgendwann, wenn die Serie vollendet ist, würde ich gern mal alle "Sie"-Gedichte in einer Reihe sehen.

Liebe Grüße
Max

scarlett

Beitragvon scarlett » 22.07.2009, 22:24

Lieber Herby,

ich habe mit diesem Text auch ein wenig Schwierigkeiten ...
Mir ist das Opfer und Menschenopfer a bissi viel ...
Die Idee dahinter ist zwar klar, auch für das doppelte Opfer, aber sprachlich klingt mir das nicht so gut.

Am Ende dazusitzen und selbst das Echo der Frage nicht mehr zu hören, ist bitter. Und besonders bitter, wenn das, was man ein Leben lang "bekämpft" hat, sich als Kampf gegen Windmühlen erweist ...

Ja ja, die Gedanken, die dein Text freisetzt, sind nicht ohne ...
Werd wohl noch ne Weile darüber sinnieren.

Gruß in die Nacht,

Monika

Herby

Beitragvon Herby » 22.07.2009, 23:15

Hallo in die Runde,

ich gehe jetzt mal in umgekehrter Reihenfolge auf eure Kommentare ein.

@Max: ja, ich verstehe, was du meinst, und ich habe selbst lange mit den "Menschenopfern" gerungen (klingt ja jetzt dramatisch, trifft es aber tatsächlich). Dass dieser Zusatz erklärend sein würde, war mir bewusst, ich habe es jedoch zugunsten der Steigerung, die mir wichtig war und ist, in Kauf genommen. (Noch) scheint mir, der Text verlöre, ließe ich die "Menschenopfer" weg.

Du schreibst:

Irgendwann, wenn die Serie vollendet ist, würde ich gern mal alle "Sie"-Gedichte in einer Reihe sehen.


Teil III war der letzte aus dieser kurzen Reihe, ich setze die anderen beiden dann mal oben dazu. Lasse ich jetzt mal die Herr A.-Texte aufgrund ihrer thematischen Unterschiedlichkeit außen vor, ist "Sie", neben dem Palazzo-Zyklus I-V, der zweite Versuch einer zusammenhängenden Abfolge. Bei den Palazzo Texten kam es nie dazu, dass alle fünf in einer Reihe bzw. auf einer Seite erschienen. Aus diesem Grunde wäre ich dankbar für Rückmeldungen zu den obigen drei Texten. Möglicherweise taugen sie ja auch in ihrer Gesamtheit gar nicht als Trilogie.

@Elsa, Yorick: ich fand eure Auslegung meines Textes interessant, wobei ich sie als eine unter mehreren denkbaren Interpretationen betrachte. Yorick, du fragst, warum "Staub" eine gesonderte Zeile einnimmt - es war mir wegen der unterschiedlichen Lesbarkeit wichtig.

@Bilbo: dein Vorschlag zu II,3 würde sich nicht mit dem decken, was ich gerade an Yorick schrieb. Aber genau aus dem Grunde habe ich dieses Wort nicht benutzt. Deine Alternative zu I,1 stand zunächst auch in meinem Manuskript, ich strich es aber, da es mir ohne klarer erschien.


Euch allen danke ich herzlich für die Auseinandersetzung mit meinem Text und für eure Rückmeldungen.

Liebe Grüße aus einer Nacht, in der es einfach nicht abkühlen will,
Herby
Zuletzt geändert von Herby am 22.07.2009, 23:55, insgesamt 1-mal geändert.

Herby

Beitragvon Herby » 22.07.2009, 23:37

Liebe Monika,

zu "Opfer - Menschenopfer" schrieb ich schon oben an Max. Meine Antwort hatte sich leider mit deiner gekreuzt. Du schreibst, es klinge dir sprachlich nicht so gut. Woran liegt es (Wiederholung von "-opfer"?)?

Werd wohl noch ne Weile darüber sinnieren.


Wenn es bei dir eine ähnlich herrliche sommerliche Nacht ist wie bei mir, dann genieße sie. Zum Sinnieren wäre sie viel zu schade! :engel:

Lieben Gruß und Dank
Herby

Mucki
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Beitragvon Mucki » 22.07.2009, 23:40

Lieber Herby,

Aus diesem Grunde wäre ich dankbar für Rückmeldungen zu den obigen drei Texten. Möglicherweise taugen sie ja auch in ihrer Gesamtheit gar nicht als Trilogie.


wenn ich mir die drei Texte untereinander ansehe,

I

Tagsüber hatte sie getan,
was sie immer tat.

Abends saß sie auf ihrem Sofa
und starrte an die Wand.

„Die Frau mit dem Putzeimer“,
Öl auf Leinwand.
Geronnene Zeit.

II

Täglich polierte sie
ihr Bild
in den Augen der anderen

und sah nicht,
dass sie längst blind waren.

III

Sie brachte Opfer,
Menschenopfer,
auf dem Altar der Reinlichkeit.

Nun bedeckt ihn
Staub
erstickt das Echo der Frage.



finde ich, dass sie sehr gut als Trilogie stehen können. Da ist eine starke Klimax enthalten. Insgesamt erzählst du hier eine tragische Geschichte, die ihren Höhepunkt im dritten Text findet, bei dem ich das doppelte "Opfer" als richtig empfinde, da ich das erste "Opfer" als ein anderes Opfer als die "Menschenopfer" lese.

Saludos
Mucki

Max

Beitragvon Max » 23.07.2009, 11:02

Lieber Herby,

jetzt, wo Mucki sie zusammengestellt hat, finde ich, dass sie sehr gut als Trilogie taugen.

Liebe Grüße
Max

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 23.07.2009, 12:07

Lieber Herby,

Super, die Texte so miteinander zu sehen, danke Mucki!

Wenn ich das so sehe, dann revidiere ich
Mir gefallen die beiden ersten dieser Reihe besser, ich finde sie interessanter, weil sie nicht so viel erzählen
, denn das passt einwandfrei für mich zusammen :-)

Lieben Gruß
ELsa
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 23.07.2009, 16:24

Hallo Herby,

ich habe mit Interesse die einzelnen Teile verfolgt. Schon beim ersten Lesen war mir in Teil 1 die explizit benannte „Frau mit dem Putzeimer“ zu viel, jetzt in der Trilogie wird das noch verstärkt, da dieses Thema ja auch ohne Benennung durch die beiden anderen Teile sichtbar wird, dieser “Bildtitel” für mich daher eingrenzt und etwas vorwegnimmt, was ich Schade finde. Zudem bringt er eine gewisse abwertende Komik mit hinein (ein Lächerlichmachen, damit man nicht weint), bei der ich mir nicht sicher bin, ob das so intendiert ist.

In der Reihe empfinde ich die unterschiedliche Vers- und Strophenanzahl als sehr unruhig, und würde mir auch angesichts ihrer Starre, ihrer ritualisierten Welt einen gleichförmigeren Aufbau wünschen. (Eh sei denn, das ist bereits ein Zeichen für die Auflehnung des Erzählers. .-) )

Die unterschiedlichen Leseweisen entstehen für mich auch, wenn du Worte in die Zeilen einbindest, da ich auch dann automatisch Zeilenübergreifend lese.

Die Menschenopfer klingen für mich sehr urteilend, anklagend, dramatisch emotional. Der Erzähler scheint ein Teil dieses Systems gewesen zu sein, er fühlt sich betroffen, scheint sich selbst auch als Opfer (Aufopferungsvoll) zu fühlen. Das wäre dann wieder ein innerer Bezug zum Putzeimertitel.

Der Bruch, die Wende ganz hin zum Erzähler ist am Ende, wenn die Beschreibung in der Gegenwart landet.
Sie ist nicht mehr da. Niemand putzt den Staub weg, warum? Vielleicht auch, um sich zu rächen, als kleine Genugtuung.
Ich frage mich nur, welche Frage das ist, sind es nicht eher ganz viele?
Wenn das Echo nun nicht mehr zurückgeworfen wird, dann war es wohl so, dass der Erzähler früher immer wieder gefragt hatte, aber keine Antwort bekommen hatte, die Frage immer wieder auf ihn zurückgefallen ist.
Ich finde die Texte wirken sehr gut zusammen. Den dritten Teil finde ich dabei am spannendsten, weil darin ganz viel erzählt wird, ohne es wirklich auszusprechen.

Hier mal eine Variante, nur zum Anschauen ;-), vielleicht ist etwas für dich dabei.

Liebe Grüße
Flora

Geronnene Zeit

I

Tagsüber hatte sie getan,
was sie immer tat.

Abends saß sie auf ihrem Sofa
und starrte an die Wand.

II

Täglich polierte sie ihr Bild
in den Augen der anderen

und sah nicht,
dass sie längst blind waren.

III

Sie brachte Opfer, Menschenopfer
auf dem Altar der Reinlichkeit.

Nun bedeckt ihn Staub
erstickt das Echo der Fragen.

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 26.07.2009, 16:41

Hallo Herby!

Sehr gelungen, sowohl als einzelner Text als auch im Zusammenhang der drei Teile. Bloß nichts ändern :-) Menschenopfer lese ich hier als Präzisierung, noch nicht einmal als Steigerung; und ich habe das komische Gefühl, dass ein Opfer bringen anderes bedeutet als ein Opfer darbringen, ein Austausch mithin nicht unproblematisch wäre. Der Staub hat mit vollem Recht eine einzelne Zeile!

Ferdigruß :-)
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Herby

Beitragvon Herby » 26.07.2009, 23:12

Mit einiger Verzögerung, für die ich um Entschuldigung bitte, nun aber endlich...


@Mucki, Elsa, Max: ganz herzlichen Dank für eure positive 'Gesamtschau'.

@Flora: dein Interesse an den drei Texten freut mich, lieben Dank fürs Lesen und Kommentieren.

Du schreibst:

Schon beim ersten Lesen war mir in Teil 1 die explizit benannte „Frau mit dem Putzeimer“ zu viel, jetzt in der Trilogie wird das noch verstärkt, da dieses Thema ja auch ohne Benennung durch die beiden anderen Teile sichtbar wird, dieser “Bildtitel” für mich daher eingrenzt und etwas vorwegnimmt, was ich Schade finde.


Ja, ich verstehe gut, was du meinst - und kann DOCH nicht nicht davon lassen. Im Moment würde es ausufern, dir die Gründe darzulegen, sofern sie mir denn selber klar sind. Vielleicht schaffe ich es, mich etwas zu "sortieren" und dir dann konkreter darauf zu antworten.

Zudem bringt er eine gewisse abwertende Komik mit hinein (ein Lächerlichmachen, damit man nicht weint), bei der ich mir nicht sicher bin, ob das so intendiert ist.


Hier siehst du mich ratlos, da ich die abwertende Komik, das Lächerlichmachen nicht nachvollziehen kann, die beide - wenn sie denn tatsächlich vorhanden sein sollten - von mir NICHT intendiert waren.

Du sprichst von unterschiedlicher Vers- und Strophenanzahl. Die Versanzahl variiert, ja, - aber die Anzahl der Strophen??

Wenn du Unruhe empfindest, so beruhigt mich das. Hättest du mir erklärt, du verspürtest beim Lesen des Textes so etwas wie Harmonie, dann hätte ich Essentielles falsch gemacht. ;-)

Zu dem, was du in der zweiten Hälfte deiner ausführlichen Antwort schreibst, kann ich nur nicken.

Ich frage mich nur, welche Frage das ist, sind es nicht eher ganz viele?


Mir selbst kam, als ich an den Texten arbeitete, nur eine einzige, große Frage in den Sinn, der sich alle anderen unterordnen.

Den dritten Teil finde ich dabei am spannendsten, weil darin ganz viel erzählt wird, ohne es wirklich auszusprechen.


Das freut mich sehr, Danke! :engel:



@ferdi: auch dir Dank für deine Zustimmung!

Menschenopfer lese ich hier als Präzisierung, noch nicht einmal als Steigerung;


Mir erscheinen sie beides.


und ich habe das komische Gefühl, dass ein Opfer bringen anderes bedeutet als ein Opfer darbringen, ein Austausch mithin nicht unproblematisch wäre.


Daran ist nichts Komisches. Im Gegenteil, du unterscheidest hier mit viel Feingefühl für den Text. Ich habe dieses Wort eben wegen der abweichenden Bedeutungsnuance ausgelassen.

Und was den Staub betrifft: ja, Ferdi, er kann für mich an keiner anderen Stelle als der gegebenen stehen.


Mich interessiert noch eine grundsätzliche Frage zu Gedichtzyklen, aber dafür ist hier nicht der Platz. An anderer Stelle später dazu mehr.

Ich bin euch allen herzlich dankbar für eure Beschäftigung mit den drei Texten und wünsche euch einen guten Start in die Woche!

Herby


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