Jule und Lula

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
wüstenfuchs

Beitragvon wüstenfuchs » 24.06.2009, 15:49

Jule trinkt aus Regeneimern. Das Wasser hat Steingeschmack. Am Eimer kleben kleine Schnecken. Regenwürmer zappeln im Matsch. Überrumpelte Wolken am Himmel seit Tagen.
Riedgräser unter den Weiden kitzeln Jules nackte Fußsohlen. Sie rupft Ringelblumenblüten, dann sammelt sie kleine Kiesel, wirft sie in die Regentonnen. Und immer Wind. Läuft durch geteilte Beete in den weißen Garten, wo ihre Zwillingsschwester Lula im Schlafmoos unter Tarnfarnen liegt.
Sie kaut Fenchelsamen. Sie ist eine kleine Närrin. Ihre Märchenworte versagen, brennen nur kurz auf ihren Wangen. Dunst sickert aus feuchten Halmen. Lula reißt ihre kornblumenblauen Augen auf und ruft den Ungewittervogel. Er schwebt über der Gerste, kreist, dann faltet er seine Flügel.
Jule schlängelt ihre Zunge in einen Klumpen Haferbrei und schnuppert an der Rotholzrinde. Da beginnt der Regen zu rauschen. Kichernd rennen Jule und Lula zum schwarzen Schuppen. Die Türe quietscht.
Drinnen ist es warm, fast stickig. Die verstaubten Möbel ächzen leise, als streckten sie ihre Glieder.
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 24.06.2009, 17:02

Mensch Fux, das ist schon wieder so liebevoll erzählt.
Phantasie und - ich nenne es mal - das 'Irdene' halten sich gut die Waage, nichts wirkt aufgesetzt, und es klingt genauso natürlich, wie sich die Szenerie auch darstellt. Mir fällt der Begriff 'herzallerliebst' ein, irgendwie ergreifend in seiner Einfachheit. Ich find sowas klasse.

Einzig am Schluss bin ich nicht sicher, ob das doppelte Türquietschen so günstig ist, da sperrt sich was in mir gegen diese Wiederholung, aber ich unterstelle mal, dass du dir dabei was gedacht hast.

Wirklich schöner Text!

Tom

p.s.: Ne Kleinigkeit: Wie ist denn nun die Überschrift? Hier steht nur 'Jule', in der Rubrik aber 'Jule und Lula'
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

wüstenfuchs

Beitragvon wüstenfuchs » 24.06.2009, 19:10

Hallo Tom,

freut mich sehr. Die Tür war ein Versehen, ich habe die Zeile vorgezogen und dann ging wohl die Löschtaste nicht,

ist klar, das dich das irritiert.

viele Grüße
Fux

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 24.06.2009, 19:16

Hallo Ben,

du sprichst in der kleinen Szene alle Sinne an, das gefällt mir. Man riecht, schmeckt, sieht, hört und fühlt, was da los ist.

BTW: Ich frage mich jetzt, ist das Teil einer größeren Sache? Denn was macht man als Autor mit so kleinen Texten eigentlich wirklich? *grübel*

Die verstaubten Möbel ächzen leise, als strecken sie ihre Glieder
streckten müsste es heißen, es ist Konjunktiv da.

Lieben Gruß
ELsa
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wüstenfuchs

Beitragvon wüstenfuchs » 25.06.2009, 12:30

Hallo Elsa,

für mich sind kurze lyrische Prosatexte nichts anderes als Gedichte, was tut man mit denen?
Viele sind ja Einzelgedichte und gehören auch thematisch nicht zusammen.

Allerdings hatte ich auch schon die Idee, eine kleine Reihe von Juletexten
zu schreiben und damit vielleicht ein kleines Bändchen zu füllen.

So wie ein Gedichtzyklus ungefähr, jeder Text eine Vignette wie ein Episodenroman in klein.

Viele Grüße
Fux

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 25.06.2009, 13:03

Ja, Fux, einen kleinen Episodenroman, die Texte wären so eine Überlegungen wert :-)

LG
ELsa
Schreiben ist atmen

DonKju

Beitragvon DonKju » 25.06.2009, 16:23

Hallo Benjamin,

man hat ja längere Zeit hier nichts von Dir lesen können, dafür ist das "Comeback" aber ein wirklich gelungener Text ...

Und die Idee, daraus eine kleine "Reihe" zu machen, die hat wirklich etwas ...

Liebe Grüße dazu von Hannes

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.06.2009, 19:45

Hi Ben,

ich mag diesen kleinen Spot gern, vor allem die fließenden Übergänge. Bei diesem Passus am Schluss:
Kichernd rennen Jule und Lula zum schwarzen Schuppen. Die Türe quietscht.
Drinnen ist es warm, fast stickig. Die verstaubten Möbel ächzen leise, als streckten sie ihre Glieder.

frage ich mich, ob du nicht nach "Schuppen" enden solltest. Die drei letzten Sätze wirken auf mich ein bisschen angehängt. Du könntest dem Schuppen dann noch ein "warmen" hinzufügen.

Saludos
Mucki

Kojote

Beitragvon Kojote » 25.06.2009, 20:05

Ich gebe dir mal einen anderen Blickpunkt auf den Text: Reduzierung:

Regeneimern Steingeschmack Schnecken Regenwürmer Ringelblumenblüten Regentonnen Fenchelsamen Ungewittervogel Rotholzrinde Regen

Das klingt für mich wie eine Naturdokumentation für Blinde :D Es ist gut geschrieben, "liebevoll" sagte einer über mir und so sehe ich das auch. Aber zuviel drum herum; man erfährt so wenig, es wird soviel gezeigt, aber hat das einen Sinn?

Nur mein Eindruck. Als Intro zu etwas Größerem aber durchaus tauglich!

wüstenfuchs

Beitragvon wüstenfuchs » 26.06.2009, 12:00

Hallo Bilbo, danke für deinen Kommentar auf den kleinen Text.

Hallo Michael,

reduktive Texte habe ich auch.

Aber hier wollte ich Fülle, die Frage nach dem Zweck oder Sinn ist eine komplexe.

Hat die Lektüre von Gertrude Stein einen Sinn?

Die überschäumenden Worte und Neologismen von Oswald Egger?

Mayröckers flutende Innenansichten?

Viele Grüße
Fux

wüstenfuchs

Beitragvon wüstenfuchs » 26.06.2009, 12:18

Liebe Gabriella,

du hast schon einen verflucht guten Blick,

ich habe das tatsächlich halbherzig drangeklebt.

Wie siehst du nur das?

Viele Grüße
Fux

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.06.2009, 13:02

Hi Ben,

es ist mir beim Lesen sozusagen ins Aug gesprungen, weil der übrige Text sich aktiv auf Jule und Lula bezieht mit all seinen liebevollen Details, während am Schluss sich der Fokus auf den Schuppen richtet, du ihn genauer beschreibst. Und das passte irgendwie nicht. ,-)

Saludos
Mucki

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noel
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Beitragvon noel » 26.06.2009, 18:36

irgenwo steht hier irgendwas
wie natur
_dokumentation für blinde.
AHA, dachte ich & las & las & las
bei weitem & mitnichten nicht
den auch die phantastischen momente,
die sich in die naturdokumentation weben,
haben ihren platz & ihre bewegung

chapeau
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