Die Nudeln und das Nichts - Eine philosophische Melange

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Louisa

Beitragvon Louisa » 26.05.2009, 21:42

Ich weiß,
in meinem Unterleib blüht der Hormohn
und sein Geruch steigt herauf in meine Stirn.

Hier in der Höhle, sei so gut, schalt die Glotze nicht ab,
denn so ein Liebesfilm ist ein herrlich´ Schattenspiel

und wenn einer von draußen kommt
der erzählt uns von der Wirklichkeit,
dann machen wir ihn kalt, chéri.

Ganz weiß,
ist das Papier auf dem wir (f)liegen und wir
müssen uns dauernd neu entwerfen,

Deshalb probieren wir alle Stellungen aus,
und sind, verflucht noch mal, zur Freiheit verdammt.

Du weißt,
dass du hier mit mir schwarze Nudeln isst,
also hast du was du bist, ein Bewusstsein -
erweitert von Aldi-Champagner, ta-ta!

Aber pssst! Um Mitternacht kommt er,
der absolute Geist und zeigt uns zwein
wie man sich zu immer höheren Stufen schwingt...

Ich weiß, dass ich nichts weiß, außer vielleicht:
in meinem Unterleib blüht der Hormohn
und aus seinem Samen habe ich schon
einen Setzling für dich gezogen...

und wenn einer von draußen kommt
der erzählt uns von der Wirklichkeit,
dann machen wir ihn kalt, chéri.







Änderungen:

1. "Ganz Weiß" wurde zu "Ganz weiß"

2. Hier habe ich die eingeklammerten Ausrufezeichen entfernt:

...verflucht noch mal (!)
...ein Bewusstsein (!)
...absolute Geist (!)
Zuletzt geändert von Louisa am 27.05.2009, 08:41, insgesamt 1-mal geändert.

Last

Beitragvon Last » 27.05.2009, 08:13

Guten Morgen Louisa,

mal schauen ob ich es noch schaffe einen Kommentar abzugeben bevor ich zum Bahnhof muss.

Zur Interpretation:

Ich denke, dass das zentrale Motiv "der Hormohn" ist, deshalb auch die Wiederholung zum Schluss. Als Mischung aus dem Hormon als Ursache der Liebe und dem Mohnsymbol des Vergessens steht er für die Liebestrunkenheit, nichts außerhalb der Höhle zählt, alles was gedacht werden kann wird auf die Liebe angewendet. In gewisser Weise verlieren also die Anspielungen auf die großen Philosophen ihre Bedeutung: "Ich weiß, dass ich nichts weiß, außer vielleicht:/ in meinem Unterleib blüht der Hormohn".
Er steht auch für die gefühlsgesteuerte Handlungs- und Denkweise aus dem Bauch heraus, die für "wahre" Liebe notwendig ist. So dünn ihr Boden auch sein mag, er ist stark genug um jeden Hinweis auf etwas anderes (z.B. die Wirklichkeit) auszuschlagen. Wenn der Boden dünn ist, auf dem man fliegen kann, warum dann ein festeres Fundament wählen, das bloß Balast ist und unten nicht wegkommt?
Deshalb aber nicht nur deshalb ist man zur Freiheit verdammt. Die Freiheit des Daseins und Soseins gestattet die Freiheit der Liebe.
Letzten Endes wird das gesamte Bewusstsein daran festgemacht. Beim gemeinsamen Essen ist alles auf diese Liebe hin ausgerichtet, selbst schwarze Nudeln und Aldi-Champagner.
Dieses Bewusstsein wird wohl auch noch getragen von der Hoffnung auf mehr. Es ist noch immer eine junge Liebe, die sich noch entdecken kann, will und darf ("immer höhere[n] Stufen", "Setzling").


Zur Kritik:

Diese "(!)" stören mich etwas. Ich sehe keinen tieferen Sinn darin. Soll das ein gemeinsames Innehalten oder Staunen, eine Betonung, eine Erleuchtung darstellen? Die Ironie betonen?
Ich weiß nicht, ich denke du kannst die getrost weglassen.

Das Spiel mit "ich weiß" und dem Farbattribut "weiß" kann man auch lesen, wenn du "weiß" als Farbattribut ("Ganz Weiß") klein schreibst.


So, jetzt habe ich es also geschafft. Wenn auch etwas knapp. Dafür schaffe ich noch eine Tasse Kaffee :-)


LG
Last

Louisa

Beitragvon Louisa » 27.05.2009, 08:46

Guten Morgen Last!

Ich stoße mit meiner Tasse mit dir an!

(Manchmal habe ich den Eindruck du bist der einzige, der mich versteht :smile: !)

Deine beiden Vorschläge erschienen mir sehr plausibel und habe das Gedicht dahingehend geändert. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht mehr, was ich mit den Ausrufezeichen beabsichtigt habe. Außer vielleicht, dass ich bei Bewusstsein (!) so eine künstliche Euphorie erzeugen wollte. Vielleicht wäre da ein normales Ausrufezeichen besser? Momentan steht keines dort.

Ich möchte noch anmerken: Hast du einmal schwarze Nudeln gegessen? Diese dämliche Teigware hat mich jetzt zwei Monate beschäftigt, weil ich sie in keinem einzigen Supermarkt gefunden habe - bis ich schließlich die Gourmet-Abteilung im Kadewe aufsuchen musste und mir danach von einem Anzugträger auf der Rolltreppe anhören konnte: "Na, ganz schöner Großeinkauf, hehe!"

Sie schmecken jedenfalls sehr gut. Ich glaube in letzter Zeit beende ich jeden zweiten Kommentar mit "Das schmeckt gut" :mrgreen: ....

Also ich danke dir und wünsche einen schönen Reisetag!
l

Louisa

Beitragvon Louisa » 27.05.2009, 08:48

PS: Ich dachte vielleicht spielen wir alle lustiges Philosophen-Suchen und ihr müsst sagen welcher Philosoph sich hinter welchem Vers versteckt :smile: !?

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leonie
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Beitragvon leonie » 27.05.2009, 10:35

Liebe Louisa,

das ist ein tolles Gedicht. Ich denke manchmal, Du saugst wie ein Schwamm auf, was Dich umgibt, dann schüttelst Du es durch und machst ein Gedicht daraus. Die Bilder und Verknüpfungen: toll!

Last, mich verwundert auch immer wieder, wie Du interpretierst und in Worte fasst. Hut ab!

Ein paar der Philosophen habe ich erkannt, aber ich oute sie hier nicht, (dafür laufen mir zuviele hier herum, die das wirklich studiert haben...)

Liebe Grüße

leonie

Louisa

Beitragvon Louisa » 27.05.2009, 11:17

Danke Leonie!

Das ist charmant von dir! Ich bewundere auch wie nah am Text und wie bewunderswert unempfindlich Last kommentiert (*zieht sich an den Ohren*) -

Ich bin so froh, dass es immer noch viele wunderbare kleine Dinge und Geschichten um mich herum gibt, die ich noch nicht beachtet habe. Jedes Wort erscheint mir dann bei näherer Betrachtung wie ein Wunder. Der "Setzling" zum Beispiel war ein echtes Zauberwort für mich, als ich es gefunden habe.

Das ist wie wenn man als Kind lernt wie die Dinge heißen... nur auf neue Art und Weise... Andererseits hoffe ich auch, dass es sich nicht alleine in den "neuen Ideen" erschöpft, sondern auch etwas Beständiges in den Bildern liegt. Das weiß ich auch nicht, ob es mir gelingt.

Ich finde zum Beispiel in so etwas wie der "schwarzen Milch" liegt etwas Beständiges, Grundfestes... und in ganz vielen anderen Bildern, die genauso ungewohnt sind liegt es nicht. Das ist die Hexerei, die man beherrschen muss :smile: ...

Schönen verhexten Tag!
l

Last

Beitragvon Last » 27.05.2009, 14:05

Hallo Louisa,

ich reise ja gar nicht, ich pendel nur.

PS: Ich dachte vielleicht spielen wir alle lustiges Philosophen-Suchen und ihr müsst sagen welcher Philosoph sich hinter welchem Vers versteckt smile !?


Ja, das hat aber die Gefahr, dass ich mich für Unwissen schämen muss. Deshalb verbinde ich das Spiel mit etwas, was ich zu sagen vergessen habe.

Es stimmen -für mich- Philosophen und Stimmung überein, wo ich den Philosophen erkennen kann.

Hier in der Höhle, sei so gut, schalt die Glotze nicht ab,
denn so ein Liebesfilm ist ein herrlich´ Schattenspiel


Der hier ist ja noch einfach. Platons Höhlengleichnis in Verbindung mit der Feststellung, dass sich die Struktur von Liebesfilmen seit Aristoteles nicht verändert hat.

Darauf hätte ich ja auch die nächste Strophe noch angewendet. Vielleicht bezieht die sich aber auch auf einen radikaleren Philosophen, z.B. Nietzsche?

Ständiger Neuentwurf, neue Stellungen, zur Freiheit verdammt, das sind die Existentialisten. Sartre, Camus, ich weiß nicht recht, aber es passt zum Hippiekommunentonfall und irgendwie auch zu den Yoko-Ono-Gedächtnis-Nudeln: "All you need is love".

Ich weiß, das ich nichts weiß, ist natürlich der Herr Sokrates.

Der absolute Geist, ist das Hegel? Tut mir Leid, mehr weiß ich nicht mehr :confused:

Louisa

Beitragvon Louisa » 27.05.2009, 14:10

Fast alle gefunden :smile: ! Haha...wie zu Ostern!

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Beitragvon Lisa » 30.05.2009, 13:24

Liebe Louisa,

da schließe ich mich (wie sollte es auch anders sein .-) ) an: Ich finde diesen Text auch sehr gelungenen, er hat wieder diese gelungene Haltung aus Ernsthaftigkeit und Unernsthaftigkeit, Anspielungen und Anernstungen.

Lediglich an einer Stelle meine ich zu spüren, dass du das "Material" oder die Idee noch nicht ganz beherrscht. Es geht um die Vermischung von philosphischen Bezügen und Konkreten Dingen und Wesen, wie es ja auch der Titel schon andeutet. Ich meine diese Stelle hier:

Ganz weiß,
ist das Papier auf dem wir (f)liegen und wir
müssen uns dauernd neu entwerfen,

Deshalb probieren wir alle Stellungen aus,
und sind, verflucht noch mal, zur Freiheit verdammt.



Erstens erkenne ich nur im zweiten Sartre, das weiße Papier kenne ich nicht, nur die tabula rasa-Idee im weiteren Sinne, meinst du die? (Aber um mein Nichtwissen geht es ja gar nicht :mrgreen:), was mich stört ist, dass diese Passage etwas zu vorstechend den philosophischen Bezug herstellt. Zum einen geht dadurch das Homogene verloren, wodurch ich aus dem Lesefluss gerate, zum anderen wirkt dadurch wiederum der Absatz für mich so positioniert, so bewusst refierend. Da diese philosophischen Thesen bei einigermaßen gebildeten Menschen meines Erachtens zum Allgemeinwissen gehören wirkt es dadurch auch ein bisschen "philosophendelettantisch - das ist jetzt natürlich überzogen dargestellt, das mache ich aber nur, um es sichtbar zu machen. Vielleicht geht es vielen anderen ja auch anders. Die anderen Passagen (Hegel etc.) empfinde ich als eingebundener.

Habe ich jetzt ausdrücken können, dass das ein toller Text ist? Ich finde sein Titel verrät schon, wie fein du die Balance zwischen Nichtigkeit und Tiefsinn halten kannst, in der man sich als Mensch ja ständig fühlt: Entweder hat alles eine tiefere Beduetung oder alles ist sinnlos und irgendwo darin liebt man dann miteinander. Man soltle also seinen Humor nicht verlieren, sonst wird es bitter.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Louisa

Beitragvon Louisa » 30.05.2009, 17:28

Hallo Lisa!

Ich habe zwar dieselbe Idee wie diese der "tabula rasa" im Kopf gehabt, aber nicht die tabula rasa :smile: ! - Vielleicht wäre es schöner, wenn ich schriebe: "Die Wachstafel auf der wir (f)liegen" !?

Mmm... ich kann es auch herausnehmen... Stimmt schon, dass diese sartre-dinger abgenutzt sind und beinahe zur pop-kultur gehören...

Hilfe! Was soll ich tun :smile: ? Ich bin gerade nach meiner gestrigen wilden Nacht auch kaum in der Lage klar zu denken :smile: ... ich hoffe auf eure Antworten!

Schönen Abend!
l

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Beitragvon Lisa » 30.05.2009, 17:43

Liebe Lou,

das mag ich nicht entscheiden, vielleicht gibt es ja noch ein paar andere Stimmen, die sagen, wie sie die Stelle empfinden?

(..).

liebe Grüße
selber l

.-)
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
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Beitragvon leonie » 31.05.2009, 09:29

Ich als Nichtphilosophin mag die Stelle so, wie sie ist.

Liebe Grüße und schöne Pfingsten!

leonie

Max

Beitragvon Max » 31.05.2009, 11:31

Liebe Lou,

das entdecke ich erst jetzt.
Ich finde das eine phantastische Melnage zwischen zugegeben sehr skizzenhaften philosophischen Konzepten und dem wirklichen Leben, das sich einer wundervollen absurden metapher, dem Hormohn, der im Unterleib blüht und zu allen möglichen Stellungen (ver-)ührt, präsentiert.
Ich hätte übrigens auch in dem Selbstentwurf Sarte erkannt, aber vielleicht habe ich damals in seinem Café auch zuviel Pernot getrunken ;-)

Liebe Grüße
Max

Louisa

Beitragvon Louisa » 31.05.2009, 11:41

Huhu Max!

Dankeschön. Wie heißt denn "sein Café" ? Cafe de la flaure? Da waren auch Celan und Co - Aber als ich es besuchen wollte bauten sie gerade um :sad: ...

Ich wünsche weiterhin einen feinen Tag!
l


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