Büroalltag

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Nicole

Beitragvon Nicole » 26.05.2009, 21:06

Mein Firmenapparat zeigt Deine Nummer. Ich hasse es, wenn Du anrufst. Eigentlich müsstest Du einen Waffenschein beantragen. Deine Stimme ist gefährlich wie eine Stichwaffe aus japanischem Stahl, Härtegrad 59.
O.k., ich nehm’ meinen Schild fest in die Hand und den Hörer ab.
Deine Angriffstechnik ist meisterlich, eine kleine Finte zunächst mit Nennung deines Namens, trocken und sachlich. Dann, erster kurz angetäuschter Angriff über die linke Seite, die rhetorische Frage: „Wie geht es Dir?“ Ich reiße meinen Schild hoch, pariere mit einem gelassenen „Danke, prima.“ Und schon setzt Du nach, schickst ein Lächeln durch die Leitung. „Das freut mich.“ Ich mache einen Ausfallschritt zur Seite. Zu langsam, touché.
Du transponierst noch ein wenig, klingst sehr privat jetzt, fast horizontal.
Attackierst mich mit diffizilen Fragen: Erlössituation, Auftragslage, Liquiditätsplan. Kurze, klar formulierte Inhalte. Ich komme langsam ins Schwitzen, der Kopf spuckt passende Antworten, aber meine Deckung wankt. Ich kontrolliere meine Stimme, schicke Dir trockene Fakten und schwanke gleichzeitig unter den Schallwellen, die Du sendest. Langwellig, warm, gespickt mit Pheromonen.
Irgendwas Witziges habe ich wohl gerade gesagt, unter der Vibration Deines Lachens zersplittert mein Schild nun endgültig. Kapitulation. Ohne weitere Gegenwehr ergebe ich mich, nehme weitere Treffer hin, Schmerzen in Brust und Bauch machen sich breit.
„Ok, ich geb’ Dir Info, klar!“ Mit diesen Worten lege ich den Hörer auf. Eine kurze Bestandsaufnahme zeigt keine irreparablen Schäden. Fast muss ich grinsen. Vernarbtes Gewebe ist halt stabil. Ich versprüh’ großflächig Lokalanästhetika und leg das Begehren auf Wiedervorlage. Dann sende ich Dir die gewünschten Daten – per E-Mail.


Korrekturen:
Lokalanesthetika -> Lokalanästhetika. Danke Leonie
Das Schild -> Der Schild. Mit Hilfe von Zefira gerade wieder was gelernt.
eine kurz Bestandsaufnahme -> eine kurze Bestandsaufnahme dank Gabriella, die mir ein e geschenkt hat
Bombadierst -> Attackierst. Schöne Idee von Nifl
Tom hat noch einen Schild(bürgerstreich) äh, Schildfehler entdeckt. (Zeile 5) korrigiert
E-Mail statt Email dank Tom
Zuletzt geändert von Nicole am 15.06.2009, 17:36, insgesamt 8-mal geändert.

Klara
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Beitragvon Klara » 26.05.2009, 21:48

Hi Nicole,
das gefällt mir gut.
Es lässt mehrere Interpretationen zu (der Ex? der Chef? der Bruder? der heimlich Geliebte? der unheimlich Geliebte?)

aber was heißt transponieren?

klara

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leonie
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Beitragvon leonie » 26.05.2009, 22:17

Liebe Nicole,

hm, ich weiß noch nicht so recht, ob es mir nicht zu "undurchsichtig" ist, muss noch mal schauen. Aber es muss "Lokalanästhetika" heißen.

Lieeb Grüße

leonie

Nicole

Beitragvon Nicole » 27.05.2009, 08:37

Hi Klara,

vielen Dank! Ja, es könnte der Ex-Geliebte sein, der (geliebte) Chef, der heimlich Geliebte... den Bruder klammere ich mal aus, sonst kommt mir das Begehren doch ziemlich komisch vor.
Transponieren ist ein Begriff aus der Musik, übertragen in eine andere Tonlage, ein Musikstück aus C Dur in G Moll transponieren z.B. Im Text eben die Änderung der Stimmlage..

Hi Leonie,

danke für die Korrektur der Betäubungsmittels, ich habs geändert. Ja, undurchsichtig ist es sicher irgendwie. Aber mehr "Hintergrund", mehr "Wer?", "Warum?" bedurfte es meiner Ansicht nach nicht.

Ganz liebe Grüße Euch beiden

Nicole

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 27.05.2009, 08:51

Hallo Nicole,
ich bräuchte zu diesem Text keinen weiteren Hintergrund; ich würde sagen, der spielt für die Befindlichkeit bei dem Gespräch keine Rolle.
Wie man bei solchen Gesprächen zweigleisig funktioniert, oder sogar dreigleisig, wenn man den Aspekt der Selbstbeobachtung mitzählt, das ist sehr treffend beschrieben.
Tschuldigung, wenn ich noch mal den Erbsenzählmodus anwerfe, aber müsste es nicht "der Schild" bzw. "meinen Schild" heißen?
Das Schild wäre kein Schutz-, sondern zb ein Verkehrsschild.
"Sehr privat jetzt, fast horizontal" ist genial!!
Gruß von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Nicole

Beitragvon Nicole » 27.05.2009, 09:00

Hi Zefira,

Du hast natürlich völlig Recht mit der/das Schild, ich habe gerade mal wikipidia befragt und was gelernt.
Das (Hinweis) Schild
Der (Schutz) Schild.

Ich korrigiere das mal flott...

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!

Nicole

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.05.2009, 13:14

Hallo Nicole,

dein kleiner Ausschnitt aus dem "Büroalltag" gefällt mir gut. Gelungen vor allem dies hier:
klingst sehr privat jetzt, fast horizontal.

Eine kurz Bestandsaufnahme zeigt keine irreparablen Schäden.

hier schenk ich dir ein "e" nach "kurz"
Ich versprüh’ großflächig Lokalanästhetika und leg das Begehren auf Wiedervorlage.

Als zu undurchsichtig empfinde ich es überhaupt nicht. Der Waffenschein zu Beginn läutet ein, was hier amüsant geschildert wird.
Hab ich gern gelesen.

Lieben Gruß
Gabi

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 27.05.2009, 15:50

Liebe Nicole,

Gefällt mir auch sehr. Das hat so einen Drive, dass ich zuerst mal durch den Text gesaust bin.

Wer das am anderen Ende der Leitung ist, interessiert mich nicht besonders, den will ich gar nicht kennenlernen, aber wie das Ich damit zurechtkommt, das ist spannend.

Ich würde aber Lokalanästhetikum schreiben, weil es ja nur eine Sorte davon ist.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Nicole

Beitragvon Nicole » 27.05.2009, 16:31

Liebe Mucki,

vielen Dank für das "e" und deinen Kommentar.
Ich gebe zu, auf die Formulierung "klingst privat jetzt, hast horiontal" bin ich fast ein wenig stolz, die mag ich selber sehr gerne...

Danke, liebe Elsa!!!

Ich amüsiere mich gerade darüber, dass dies zu einem "reinen Frauenfaden" avanciert.
Dabei dachte ich immer, Männer wären mindestens ebenso oft gedanklich "zweigleisig" unterwegs, wie wir Frauen... :-)

Lieben Gruß,

Nicole

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.05.2009, 17:11

Hi Nicole,
Ich amüsiere mich gerade darüber, dass dies zu einem "reinen Frauenfaden" avanciert.
Dabei dachte ich immer, Männer wären mindestens ebenso oft gedanklich "zweigleisig" unterwegs, wie wir Frauen... :-)

vielleicht halten sie sich gerade deshalb so bedeckt? *lach*

Lieben Gruß
Gabi

Rala

Beitragvon Rala » 27.05.2009, 20:30

Hallo Nicole,

alltägliche, scheinbar harmlose Kommunikation als Krieg, immer wieder kleine Schlachten, die man dann doch verliert, egal, wie gut man sich "gerüstet" zu haben glaubt - ich finde das wunderbar beobachtet und umgesetzt! Und wer das am anderen Ende ist, das finde ich auch ziemlich unerheblich - dass es nicht näher erläutert wird, lässt dem Leser ja umso mehr Spielraum, das auf seinen eigenen Erfahrungshorizont zu beziehen.
Gefällt mir sehr!

Liebe Grüße,
Rala

Nicole

Beitragvon Nicole » 28.05.2009, 08:42

Guten Morgen Rala,

die Kommunikation mit einer Gegenüber, der eine derart magisch-erotische Stimme hat, kann wirklich zum "Krieg" führen... Sicher kommt auch eine ähnliche Schlacht zustande wenn der Gegenüber einen weniger in emotional-erotischer Art anspricht, sondern es immer wieder schafft, mit klitzekleinen bösartogen Spitzen dem Ego einen Stich zu versetzen...

Danke Dir!

lieben Gruß, Nicole

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 28.05.2009, 10:32

Hallo Nicole,

das kommt für mich sprachlich nicht über eine durchaus amüsante (mündliche) Erzählung unter Freundinnen hinaus, und das wäre auch die einzige Möglichkeit, wie der Text für mich funktionieren würde. In die Vergangenheit gesetzt und mit einem „Er“. (Wenngleich er mir auch dann nichts Neues oder wirklich Berührendes erzählen würde.) Denn es ist zwar im Präsens geschrieben, als Beschreibung eines Zustandes, einer Situation, einem unmittelbaren inneren Vorgang kann ich es nicht lesen. Vor allem Sätze wie: „Mit diesen Worten lege ich den Hörer auf.“ sind eindeutig für einen Leser/Zuhörer geschrieben, wer denkt denn so etwas? Ich spüre nichts von einer magisch-erotischen Stimmung oder Stimme (liegt vielleicht am Stahl .-) ), sie wird nur behauptet und auch der Kriegsvergleich und das dazugehörige Vokabular kommt mir sehr bemüht „witzig“ daher, völlig verharmlost und ungefährlich, eher als würdest du mit der Anpassung an eine „männliche“ Sprach/Bilderwelt kokettieren. Die Verletzung scheint ja dann auch eher oberflächlicher Natur. Und Pheromone passen hier zwar gut in den Kontext, aber durch Telefonleitungen riecht man sich so schlecht. :o)

Liebe Grüße
Flora

Nicole

Beitragvon Nicole » 29.05.2009, 10:15

Hi Flora,

das kommt für mich sprachlich nicht über eine durchaus amüsante (mündliche) Erzählung unter Freundinnen hinaus

Autsch... Wieso sprachlich? Findest Du es schlecht formuliert, nur holperig lesbar?

Würde ich den Text in die Vergangenheit setzen und über das angesprochene Du als Er erzählen, liefe das für mich in eine völlig andere Richtung. Es ist nicht mehr und nicht weniger als eine Momentaufnahme dessen, was sich in einem Kopf während eines Telefonats abspielen kann. Sicher, ich könnte schreiben „Ich lege den Hörer auf.“ Statt „mit diesen Worten lege ich den Hörer auf“, aber das macht für mich nicht wirklich einen Unterschied. Würde diese Situation einer Freundin erzählt, dann sicherlich nicht mit den verwendeten Bildern, sondern im Klartext und sicher auch mit den dazugehörigen Hintergründen.
Ich spüre nichts von einer magisch-erotischen Stimmung oder Stimme

Es geht auch nicht darum, dass der Leser etwas von der Stimme (die ich in dem Kommentar an Rala als „magisch-erotisch“ beschrieb) spürt. Das war nicht das Ziel und ich würde mir auch niemals zutrauen, eine Stimme zu beschreiben. Maximal deren Wirkung auf das LI und das habe ich versucht.
(Wenngleich er mir auch dann nichts Neues oder wirklich Berührendes erzählen würde.)

Nun, sicher ist eine solche Momentaufnahme nicht dazu geeignet, etwas Berührendes zu erzählen. Dafür ist die Situation zu banal. Aber, wenn ich Dir nichts Neues erzählen würde, in der „Er“ Form, dann habe ich mein Ziel erreicht, finde ich.
Anpassung an eine „männliche“ Sprach/Bilderwelt kokettieren.Die Verletzung scheint ja dann auch eher oberflächlicher Natur.

Ich habe mich nicht bemüht, mich einer männlichen Sprachwelt anzupassen oder auch nur damit zu kokettieren. Vielleicht betrachte ich einige Dinge tatsächlich weniger blumig, als andere Frauen und formuliere sie dann auch entsprechend.
Natürlich ist der Kriegsvergleich verharmlost und die Verletzungen oberflächlich … Es ist doch kein Beinbruch, wenn man auf eine Stimme abfährt (und möglicherweise auch den dazugehörigen Gesprächspartner extrem lecker findet) und sich selbst ( mehr oder weniger amüsiert) dabei beobachtet, wie man sich zwar wehrt, aber trotzdem letztendlich heftigen Appetit bekommt…
Und Pheromone passen hier zwar gut in den Kontext, aber durch Telefonleitungen riecht man sich so schlecht. :o)

Nein Pheromone kann man nicht durch die Telefonleitung riechen, aber man kann das Gefühl haben, sie kriechen hindurch und entfalten so ihre Wirkung. Oder?

Vielen Dank für Deine Beschäftigung mit diesem Textlein, auch wenn ich Deinen Geschmack damit nicht getroffen habe...

Liebe Grüße in Deinen Tag,

Nicole


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