am nächsten

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Klara
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Beitragvon Klara » 28.01.2009, 18:02

am nächsten

s
wie nichts sonst
Zuletzt geändert von Klara am 12.11.2013, 11:33, insgesamt 1-mal geändert.

Niko

Beitragvon Niko » 24.03.2009, 17:09

liebe klara...
mich berührt dein gedicht. auch wenn mich ein paar sachen eher stören. aber im gesamten stimmt die stimmung, die melancholisch sich durch deine zeilen zieht. "klitzalter narben"......das wort klitzalter finde ich zu konträr zur restlichen stimmung. auch verstehe ich den zeilenbruch an genau dieser stelle nicht. auch fände ich es spannender, "in meinem erwachsenen" einfach weg zu lassen. käme die klammer vielleicht auch ohne "zu mancher zeit war das anders" aus? und vielleicht zusätzlich ohne das klammernde? meine version sähe dann so aus (die nichts als vielleicht eine anregung sein soll!!!):

am nächsten
sind mir die
am weitesten weg
(ich reich mir lang
schon nicht mehr)

mit händen
geb ich
bin ich
hart
voller schwielen
narben vom vorletzten kauen
an nagelhäuten bis blut kam das eisen
im mund
mühsam unterdrückt
und die eine
durch andere sucht ausgesetzt
immer suchend

ich finde ein kind
endlos weit
und so nah
wie nichts sonst



oder raffitückischer weise am ende eine umstellung:

ich finde ein kind
endlos weit
und so nah
wie sonst
nichts


lieben gruß: Niko

Anna Blume

Beitragvon Anna Blume » 25.03.2009, 10:49

Liebe Klara,

Mir gefällt Deine Gedicht – vor allem seine Thematik. Ich fühle seine Suche und Sehnsucht – es ist eine aufwühlende Stimmung.
Weilst mir auch so mach eine Formulierung sehr zusagt:

mit händen
geb ich
bin ich
hart

muβ ich NJ Kahlen zustimmen und meine auch, daβ die letzte Strophe, die sehr stark in ihrer Aussage ist, die Zeile:

in meinem erwachsenen

verlieren könnte, auch die Umformulierung gefällt mir:

ich finde ein kind
endlos weit
und so nah
wie sonst
nichts

Mit liebem Gruβ,

Anna

Klara
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Beitragvon Klara » 25.03.2009, 11:18

Hallo,
dank euch sehr für eure Kommentare!
Ich denke darüber nach.
Die Umstellung mit nichts am Ende, Niko, finde ich reizvoll...

Danke und Grüße
Klara

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 25.03.2009, 11:25

Ich finde das Gedicht sehr gut, stolpere aber auch über klitzalter. Ist mir kein vertrautes Wort und bricht daher den Fluss. Bin gespannt auf Deine nächste Version.

Gruß
Henkki

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leonie
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Beitragvon leonie » 25.03.2009, 11:29

Liebe Klara,

ich mag dein Gedicht auch sehr. Es ist getragen von einer rauen Zärtlichkeit. Ah, und das Kind inm lyr Ich selbst. Ja, das ist schön.

Für mich könntest Du die Nagelhäute streichen, das Bild entsteht von selbst. Mit dem "klitzalter" tu ich mich schwer, weil ich anfange nachzudenken, was Du meinen könntest. Ich will aber gar nicht nachdenken müssen, weil mich das Gedicht auf einer anderen Ebene anspricht als auf der des Kopfes.

Schön, das zu lesen und von Dir zu lesen! Hab Dich schon vermisst.

Liebe Grüße

Klara
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Beitragvon Klara » 25.03.2009, 17:37

Mist, jetzt hätte ich gerne Zeit, den Text zu überarbeiten (oder auch nicht: zumindest über eure Einwürfe nachzudenken...)
Vielleicht nachher.
Danke für eure Feedbacks, Henkki und Leonie.
Ach, und Leonie: Ich vermisse mich auch ,-) Kennst du das?

klara

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Beitragvon leonie » 25.03.2009, 18:13

Ja!!! :blumen:

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 25.03.2009, 20:03

Für mich ist Klitzealter ein Neologismus, welcher mir sehr gut gefällt, denn er verwiest auf den Zusammenhang zwischen der Zeit, als man klitzeklein war und deren Bedeutung für das/die nachfolgenden Alter.

Dieses wird für mich dann weiter ausgeführt/eingelöst in den Zeilen:

'ich finde ein kind
in meinem erwachsenen'

Spricht mich sehr an.

MlG

Moshe

Klara
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Beitragvon Klara » 26.03.2009, 10:24

Hallo Moshe, danke für dein nachvollziehendes Lesen von "klitzalt":
That's it! Wahrscheinlich so ein typischer Klara-Stolperstein, der eine eventuell mögliche Verbesserung, Verschönerung verhindert... - und auch von diesem Neuwort mag ich mich nicht trennen, sondern lieber weiter drüber stolpern, weil ich ohne mehr genug wüsste, was ich in meinem Text verloren hab.

Wirrwarr! Sorry!

Ich habe eure Vorschläge abgewogen, auch das "nichts" am Ende, Niko, und doch... bitte verzeiht, wenn ich nichts davon ändern will. Vielleicht ist das in zwei Monaten anders, jetzt gerade klingt es genauso, wie es ist, stimmig für mich, und anders klänge es falsch. Der stolpernde Rhythmus ist wichtig, denn es ist ein Rhythmus! Ich lese das vielleicht noch mal bei Gelegenheit laut (oder leise, jedenfalls außerhalb von Köpfen hörbar), damit man versteht - oder auch wieder nicht versteht - was ich meine.

Danke nochmal!
Grüß euch
Klara

Lydie

Beitragvon Lydie » 27.03.2009, 09:56

Hallo Klara,

Es ist ein Gedicht, das denke ich, komplexer ist, als es erst einmal scheint. Der erste und letzte Block sind wie eine Klammer, mit der Frage nach nah und fern und darin nach dem « nächsten », in die ja ganz viel hineinschwingt, da sie, zumindest im Christentum und im Judentum, zu den Grundpfeilern im Leben gehört. Ich habe mehrmals hintereinander « weg » nicht als « fort » sondern als « weitesten weg » gelesen, und irgendsoetwas ist da ja : von einem Ermessen des Weges. So ein Doppelsinn ist ja auch in « sucht » und « Sucht ».
Und dann zeigt sich die Frage nach den Nächsten ganz stark als Suche nach Beziehung nicht nur zu –bis an die Schmerzgrenze, sich selbst zufügenden Schmerz- anderen, sondern zu sich selbst, aber zu einem selbst, mit dem das LI nicht einfach eins ist.

Wer ist mir am nächsten ? Zu wem stehe ich im innigsten Bezug ? Zu mir selbst ? « ich reich mir schon lang nicht mehr ». Doch dann wieder, als letztendliche Antwort auf die Suche : « in meinem erwachsenen » (so jemanden gibt es also im LI) « FINDE ich ein Kind » « endlos weit und so nah wie nichts sonst ». Ganz nah, immer noch und weiter lebendig, wirkmächtig, ja, vielleicht das Kostbarste überhaupt, dieses « Kind in meinem Erwachsenen », in mir, und dann –biographisch- schon so weit weg, aber auch überhaupt weit weg, irgendwas von dem « mühsam unterdrückt » und der ganze Mittelteil kommt jetzt in’s Spiel : Ich höre da die Sehnsucht nach Hingabe « mit den Händen » (das ist wichtig, nicht irgendeine Hingabe, sonst eine, die ganz konkret über die Hände geht, in den Händen ihren Ausdruck und ihr Bild findet) und dass diese Sehnsucht sich abarbeitet, an dem was ist und begegnet : Schwielen, Härte, und vor allem so ein « vor nicht wissen wohin mit sich und wie » sich selbst Auffressen, Anfressen, nagend, schmerzlich, bis hin zum Blut (dann Eisen, Fremdkörper im Mund, eine Zahnspange ?). Dazu passt dann die Sucht-Suche.

Das ganze Gedicht ist sehr eindrücklich, aber der Mittelteil, da sind mir so viele Bilder gekommen, von Freundinnen, die sich die Nägel bis auf’s Blut herunterkauten. Eine Rastlosigkeit, ein innerer –vermutlich in äusserern Umständen immer mit oder hauptsächlich begründeter- Druck, der bis zur Selbstverletzung geht, eben dieses harten, verhornten Teils der Hand, ihrer Spitzen, das feinfühligste auf der einen, härteste auf der anderen Seite, über das die Gabe geht und auch das, was « ich bin » oder werde, in diesem Fall hart. Voller (ver-) zweifelnder Selbstverletzung. Immer suchend.

All das macht, dass das Kind, mich dem ich (Lydie) Empfindsamkeit, Weichheit, Unmittelbarkeit, und sicher auch so etwas wie Unschuld, vielleicht auch ein Stück inneres Zuhause, assoziiere (eben noch nicht Härte oder Verhärtung, und auch keine Such-Sucht), einerseits endlos weit und andererseits ganz nah ist. Denn das ist das so Anrührende : es ist eben da. Nicht « weg ». Endlos weit ja, « und so nah wie nichts sonst. »

Liebe Klara, ich hoffe sehr meine Art von Sprache steht Dir hier nicht im Weg.

Ganz herzlicher Gruss,

Lydie

Klara
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Beitragvon Klara » 27.03.2009, 10:34

Liebe Lydie,

(wir sind uns hier noch nicht begegnet, oder? Grüß dich also!)

Deine Beschäftigung und klare Lesart ist für mich nicht nur interessant, sondern scheint mir danach zu streben, dem kleinen Text "gerecht" zu werden. Das rührt und ehrt mich, macht mich stolz und demütig zugleich: Danke für deine ausführliche Interpretation!

Ich kann nachvollziehen, wie du nachvollziehst.

Das Eisen bezieht sich nicht auf eine Zahnspange, sondern auf den deutlichen Geschmack des Blutes. Den man will und fürchtet, denn man verletzt sich damit: Man spürt (sich) und es tut weh. Vielleicht liegt - neben Anderem - ein ähnliches Bestreben, eine ähnliche Suche, ein ähnliches Fehlen dem offenbar bei Jugendlichen mitunter "angesagten" Ritzen zugrunde? Ich weiß es nicht, habe keine Erfahrung damit, weder mit Ritzen noch mit Jugendlichen, die es tun, nur aus der Ferne.
Aber wer weiß? Vielleicht lauerte da auch eine Zahnspange in der semantischen "Wolke" (dem "tag" sozusagen, das Web 2.0 bietet vielleicht nicht nur hier die ganze Palette von Wort-Netz-Werkung)

Besonders interessant für mich deine Deutung des "Nächsten" mit Bezug zum Religiösen/Ethischen, zum Gebot. War es in der Wurzel Bedürfnis und nicht Gebot? Lag auch das in der semantischen Kette des Wortes im Text? Ist es mitbedeutet?

Ich interpretiere ja meine eigenen Texte nicht - aber deine Interpretation ist spannend für mich, gibt mir noch mal einen anderen Blick aufs (scheinbar?) Eigene. Danke dafür!

Klara

Last

Beitragvon Last » 27.03.2009, 11:07

Hallo Klara,

ich stimme Lydie zu, was die Komplexität angeht. Diesen Doppelsinn finde ich ganz toll; wie er den Ton des Textes bestimmt, dadurch, dass er zwei Pole, Minus- und Pluspol, aufstellt ohne ihre Mitte treffen zu wollen, also nicht nach einem Kompromiss suchend, sondern das magnetische Feld meinend, das aus den Polen resultiert.

Lydie hat ja schon einiges angesprochen. Ich beziehe mich daher mehr auf einzelne Details, die mir gefallen.

Die beiden ersten Zeilen sind ja auf zwei Arten lesbar. Als ein Chiasmus, "am nächsten sind mir die/ am weitesten weg", oder als einen eigenständigen Satz, "am nächsten sind mir die, die am weitesten Weg sind." Die am weitesten Weg sind eine Sorte von Menschen, die auf besondere Weise in sich gekehrt sind. Sie bauen eine große Distanz zu sich selbst und anderen auf, dadurch gewinnen sie einen besonderen Blick auf sich selbst und die Gesellschaft. Dieser Blick ist oft besonders treffend und zu ungewöhnlich großem Mitgefühl fähig.
Sowas findet sich in der letzte Strophe wieder, wenn lyr. Ich vom Kind im Erwachsenen in sich spricht. Es meint nicht direkt das innere Kind, sondern einen inneren Erwachsenen, der ein inneres Kind zu haben hat. Hier ist das innere Kind das besondere Mitgefühl, also das, was sich trotz der enormen Distanz besonders nah anfühlt. Das Mitgefühl wird aber nur möglich, wenn das innere Kind nicht als Gemeinplatz angesehen wird, nicht als etwas, das man eben zu haben hat, nicht als Kitsch oder Etiquette. Dieser Kitsch muss zunächst entlarvt werden, was dadurch geschieht, dass man den inneren Erwachsenen erkennt. Der innere Erwachsene steht für den Mensch, der man im öffentlichen Leben zu sein vorgibt. Wer sich mit ihm gleichsetzt, also sich völlig mit ihm identifiziert, verpasst die Möglichkeit des weitesten Wegs. Wer ihn als einen Teil von sich begreift, der wiederum einen Teil hat, mit dem man sich identifizieren möchte, ist nicht nur distanzierter zu sich selbst, sondern auch ehrlicher und somit näher.

Zwischem diesem Rahmen steht ein Mittelteil, der äußerliche Anzeichen für den inneren Kampf zwischen den Polen als Bilder für die ambivalente Gefühlslage nutzt, in die lyr. Ich geworfen ist.
In der äußeren Welt, die beherrscht wird von den inneren Erwachsenen, die dem lyr. Ich fremd sind, findet sich das lyr. Ich nicht zurecht. Die Menschlichkeit, die es in sich selbst und anderen sucht, kommt hier nicht zum Vorschein. Hier bringt die Distanz ein Trübsal mit sich, welches durch die Nähe zu dieser Distanz noch potenziert wird.
Diese Welt ist der größere Teil von lyr. Ich. Das innere Kind ist ein Teil des inneren Erwachsenen, nicht andersherum. Wenn es versucht das Leben eines Erwachsenen zu führen, ist es zwangsläufig überfordert. Diese Überforderung schafft wieder eine Distanz zur Nähe.

Ich lese das Gedicht daher als einen warmherzigen Blick auf eine innere Kälte, oder einen erkalteten Blick auf ein warmes Herz.

LG
Last

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Beitragvon Klara » 27.03.2009, 11:19

Hallo Last,
wow, du beeindruckst mich! Auch dein spezifischer Blick auf diesen Text ist hochspannend für mich.

Ich glaube, du triffst eine Menge...

Ich lese das Gedicht daher als einen warmherzigen Blick auf eine innere Kälte, oder einen erkalteten Blick auf ein warmes Herz.

Darüber muss ich nachdenken. Das "oder" ist ja ein Widerspruch - oder?
,-)

Vielen Dank!

Klara


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