Lutry's Uferpromenade im Mai, 1 und 2

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Lydie

Beitragvon Lydie » 18.03.2009, 08:58

Lutry's Uferpromenade im Mai 1

Süsse windet sich
um den Atemstengel
in's Herz zur Blüte

weiss regnet es
bleicht schält sich
die ewige Kugel

aus gewitterlichem Grau
der See riecht nach Meer
die Segel gehisst.


Lutry's Uferpromenade im Mai 2
Für Sam

Sonntagnachmittag, ich sitze draussen,
in einem Café an der Uferpromenade in Lutry,
es ist Mai, aber auf so eine ganz schwüle,
fast giftige Weise,
es regnet weisse Blüten in den See,
die Sonne will nicht scheinen,
der Himmel ist nicht blau,
die Menschen lachen nicht wirklich,
und das Paar mir gegenüber liebt sich nicht wirklich,
so denke ich jedenfalls,
der See riecht nach See,
aufdringlich, marode,
so auf's Nahe gesehen,
hat es fast was vom "Tod in Venedig",
Süsse, die erdrückt,
Fäulnis und Langweile,
man hört förmlich etwas abblättern,
oder tödliche Schmetterlinge ihre Larven ablegen,
trotz der schönen Segelboote
draussen auf dem See,
kein Windhauch,
die Sonne eine bleiche Kugel im Grau,
Stillstand.
Selbst der Regen dann
ist weich und lau.
Zuletzt geändert von Lydie am 20.03.2009, 10:52, insgesamt 1-mal geändert.

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leonie
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Beitragvon leonie » 20.03.2009, 19:23

Liebe Lydie,

für mich hat der erste Text keine wirkliche Richtung. Es entsteht kein Bild in mir. Gerade die letzte Strophe hat für mich etwas Verheißungsvolles, was aber den beiden anderen im Grunde widerspricht.
Ein See, der nach Meer riecht, gehisste Segell, das klingt nach Aufbruch für mich.
Lese ich den zweiten Text, dann scheint aber gerade das nicht der Fall zu sein.

Der zweite Text bringt mir die Stimmung ganz nah. Eine fast schon gammelnde Art von Stillstand. Viel besser, finde ich. Ich glaube aber, dass man ihn sprachlich noch verbessern könnte.
In den vier verneinenden Sätze zum Beispiel könnte man noch deutlicher herausarbeiten, dass die Wiederholung gewollt ist, weil sie die Langeweile, den Stillstand unterstreicht.
Diese Art, wie Du es geschrieben hast, eher erzählend, die finde ich passend für den Inhalt.

Liebe Grüße

leonie

Lydie

Beitragvon Lydie » 20.03.2009, 20:20

Ja, danke, Leonie. Für mich ist das alles sehr interessant. Ich habe bisher in meinem Leben Texte von mir noch nie mit so vielen -dazu noch interpretationsgeübten und für Feinheiten sensiblen- Menschen geteilt.
Es ist schon ein Wagnis, da etwas von sich herzugeben, ohne genau zu wissen, auf welche Art von Leser und Kritik man stossen wird. Ich muss damit auch erst einmal umgehen. Was mich beeindruckt, das ist, dass durch die Besprechung etwas herauskommt, das sich auch in dem ersten Gedicht niedergeschlagen hat, in seiner gewissen Steifheit und Leblosigkeit, Formelhaftigkeit, ich weiss nicht, wie ich das genau ausdrücken soll. So als sei das Gedicht eben indirekt doch ein Abdruck des Erlebten. Ja, und dann, was sich dahinter verbarg, an Eindrücken, die ich im Gedicht einfach "weggedrückt" hatte, und was eigentlich erst Sam's Härte wieder hervorgeholt hat. Schon interessant, wie so ein "Atemstengel" dann "Stagnation" und "Schwüle" in sich verbirgt. Die ganze Zeit ging mir das Wort Postkartenidylle durch den Kopf. Es war eine Postkartenidylle, die nicht so recht funktionieren wollte. Sprachlich kann man die zweite Variante ganz sicher verbessern. Sie war ja mehr oder weniger so "aus dem Ärmel" geschüttelt, fast ein wenig in journalistischem Stil. Ganz anders als das erste Gedicht. Aber mit nehme ich etwas, das ich insgesamt auch von mir weiss: ich kann sprachlich geradezu prüde sein und mag manches negativ Empfundene gar nicht in seiner Schärfe herauslassen. Es ist wie eine Zensur.

Jetzt bin ich KO. Werde mich ein wenig von meinem Forum-Intensiv-Bad erholen.
Im blauen Café stelle ich mich sicher demnächst noch ein wenig vor, danke für den Hinweis.

Grüsse und :a025:

Lydie

Nifl
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Beitragvon Nifl » 20.03.2009, 22:47

Huhu Lydia,

ja, der 2te Mai hat Kraft, da kommt Authentizität rüber, da spüre ich was, der nimmt mich mit. Der erste kommt mir ein bisschen so vor wie ein Text, der einem Reim geopfert wurde, nur eben hier nicht dem Reim, sondern einer vermeintlich lyrischen Formvorgabe. Mich stört dabei weniger der Atemstengel oder die ewige Kugel als „in’s (warum nicht „ins“?) Herz zur Blüte“ und „die Segel gehisst“ dieses bewusste (und dadurch unechte) Ziselieren, dieser zuckrige Anstrich…

LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)


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