auf der walz [1]

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 24.02.2009, 00:59

auf der walz [1]


jetzt trennt sich die creme in. milch und wasser. du musst sie in der hand, du musst sie reiben, bis es wieder einheit wird, einheit. es schneit unaufhörlichhörlich, und die dachziegel gegenüber sind lego, unter puderkoks. das flaschenöl flockt, die holzbriketts - zwei tage - noch. diese handtücher werden nicht trocken, muss sie vor den ofen. der boden so staubig, alles muss hängen.

der kopf langsamer als die schultern - hochviskos. öffne das fenster idiot. keine steinkohle mehr, nichts von langem brand. zu staubig - damit es nicht. und trotzdem schleift es über. jetzt die ränder überall, die ränder.

heimat ist ... zurückguckgebiet. man muss bordsteine. über tote mütter. der hand sagen, dass sie jetzt hand sein soll. hand. mach jetzt das scheiß fenster auf ...
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 07.04.2009, 00:49, insgesamt 7-mal geändert.
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Lyrillies

Beitragvon Lyrillies » 24.02.2009, 01:48

Hallo lieber Tom,

da schneie ich auf meiner nächtlichen Wanderung rein aus Gewohnheit mal hier herein und was sehe ich? Diesen Text!
Ich möchte dir mit Blick auf die Uhrzeit nur ganz kurz sagen, dass mich die Atmosphäre darin sofort in ihren Bann gezogen hat und auch die Art, wie du hier verschiedene Dinge kombinierst mich sehr anspricht.
Genaueres folgt garantiert in den nächsten Tagen, jetzt muss aber selbst ich erst einmal schlafen gehen.

Liebe Grüße und gute Nacht.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.02.2009, 11:54

Hi Tom,

dieses lethargische, ja fast autistische Element, das du durch die Abbrüche und Wiederholungen hier gekonnt und originell erzeugst, springt eindringlich auf den Leser über. Ich sehe LI da sitzen, die Umgebung ist sehr plastisch beschrieben, die trostlose Stimmung breitet sich wie "Nebelfetzen" aus.
Gut gemacht! :daumen:
Bin sehr gespannt auf die weiteren Teile.
Saludos
Mucki

ecb

Beitragvon ecb » 24.02.2009, 18:22

eine welt in auflösung.
die bestandteile ihrer stoffe, ihrer sprache fremd und schwer lastend, wie sie so für sich stehen.
alles steht hier ...

ein eindrucksvoller text.
lg eva

scarlett

Beitragvon scarlett » 24.02.2009, 21:42

Bei mir kommt nur hilfloses Gestammel an - so wie die Welt nun mal eben ist. Und da passt es dann wieder.

Etwas seltsam mutet mir allerdings das Ganze schon an, vor allem deshalb, weil nichts durchgängig gehalten ist: weder die Interpunktion, noch die Halbsätze, noch das Vokabular.

Relativ ratlose Grüße,
sca

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 25.02.2009, 08:19

Ich danke den Damen für ihre Anteilnahme.

'Hilfloses Gestammel' trifft die Sache gar nicht so schlecht. Zu schreiben, wenn man keine Worte findet. Es zuzulassen, dass sich etwas Bahn bricht, ohne den Versuch zu unternehmen, es zu kontrollieren. Keine Idee beim Schreiben zu verfolgen.
Sicherlich könnte man diesen Text als Gerüst verstehen, als Basis, um daraus etwas Literarischeres zu machen. Im Moment genügt es mir, diesen Fetzen so zu akzeptieren, wie er ist. Mit all seiner Unordnung. Eine formale/sprachliche Bearbeitung ist natürlich denkbar, aber ich bin nicht sicher, ob er dann nicht an Wesentlichem verlöre. Zu etwas anderem würde.
Wahrscheinlich ist es nichts anderes als eine Suche. Die Blaupause einer Suche.

Danke sehr fürs Lesen und Vereinnahmenlassen,

Tom

Liebe Scarlett: Mit deiner Ratlosigkeit bist du nicht allein.
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 25.02.2009, 12:10

Anmerkung:

Ich habe den Titel erstmal auf Eis gelegt. Weil ich nicht mehr glaube, dass ich das unter dem Thema fortführen kann. Sorry, Mucki :o)
Bis ich nen gescheiten Titel habe, bleibts erstmal ohne.
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Peter

Beitragvon Peter » 25.02.2009, 13:27

Hallo Tom,

mir gefiel eigentlich dieser Reise- oder Wandergedanke, auf den der Titel hinwies. "Walz" als dieses einerseits Provisorium, andrerseits Gebundene, Bestimmte - was sich ja dann auch durch den Text führt: dort das Viskose, und schon darin die Auflösung. Der Text spielt damit, auch formal. Satz als ein Ding selbst auf der Reise, gebunden und lose zugleich; sagend und sich schon auflösend im Sagen. Da kommt vieles zueinander, wie ich meine. Im schönsten Blick auf den Text wird er zu jener Creme selbst, durchdrungen von etwas, wodurch sie sich in ihrer Bestandteile auflöst; die Creme trennt sich, wie es zu Anfang heißt. Das Abständige der Worte wird "sichtbar", bildgetragen, ideegetragen - Mir ging es so im Lesen, man schaut plötzlich die Sätze, man liest sie nicht mehr. Und kommt selbst irgendwie an den Ruf: Öffne das Fenster! Vielleicht so: Schau die Idee! Oder anders: Schau die Hand dahinter!

Für mich stellt der Text eine Art Seinsverlust dar; er ist sich selbst so in die Nähe geraten, dass er sich kaum noch erkennt. Alles im Text ist ja von einer Nähe geprägt, stolpert im Grunde über sich selbst; hat dieses Selbst so nah, so nah aber, dass es sich, absurd, aber ich glaube so absurd wie es wirklich absurd ist, nicht erkennt - Wo es also ganz vor sich selbst ist und an sich selbst, erkennt es sich nicht. Das Naheliegende ist ja immer das, was man am ehesten übersieht. Wie zeigt sich das Naheliegende? Anscheinend, so der Text, über die Offenheit. Da muss etwas offen werden. Der Text nennt es "das Fenster". Du musst den Raum öffnen, damit du erkennst - vielleicht. Aber es bleibt sein Rätsel.

Offenheit übrigens auch jene offene Hand, in der die Creme ist; Offenheit, dass man die Creme hinein reiben soll; dass sie also übergehen soll ins Offene.

So mein Lesen.

Mit lieben Grüßen,
Peter

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.02.2009, 13:45

Hi Tom,
ich habe den Titel erstmal auf Eis gelegt. Weil ich nicht mehr glaube, dass ich das unter dem Thema fortführen kann.

ich finde den Titel, wie Peter, auch sehr gelungen und passend. Du könntest ihn ja "auf der walz" nennen, ohne die "1" dahinter. So bist du ganz frei, ob du es fortsetzen möchtest oder nicht.
Das fände ich auf jeden Fall besser als "ohne titel".

Saludos
Mucki

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 25.02.2009, 14:16

Oi, ich hätte gar nicht gedacht, dass sich der Titel so im Text widerspiegelt. 'Ohne Titel' finde ich auch doof, aber diesmal kam mir einfach nichts Passendes. Normalerweise ist der Titel immer sofort da (ich habe jede Menge Texte, die bislang nur aus einem Titel bestehen). Außerdem ist 'Auf der Walz' eigentlich der Arbeitstitel für einen Roman, aber den schreibe ich wahrscheinlich eh nie fertig. Gut. Ich lasse einstweilen 'Auf der Walz' als Arbeitstitel (ohne Fortsetzungsversprechen), aber so richtig dolle find ich den auch noch nicht.

@Peter: Hab Dank für diesen wunderbaren Kommentar. Gestatte, dass ich ihn einstweilen sacken lasse und mir Zeit nehme, um darauf zu adäquat zu antworten. Du hast dich offensichtlich beim Lesen weitaus tiefer mit dem Text beschäftigt als ich beim Schreiben.
Zur 'Creme': Ich kann mich erinnern, dass auch mal kurz bei der Niederschrift der Begriff 'Das Versagen der Emulgatoren' auftrat, was ich aber verwarf, weil es der Erklärbär ist. Ich melde mich später nochmal.


Tom.
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 25.02.2009, 17:22, insgesamt 1-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Max

Beitragvon Max » 25.02.2009, 16:47

Lieber Tom,

wie schön, wieder ein text von Dir! Ein sehr starker noch dazu. Das Stakkato der Sätze erzeugt ein sehr intensives Lesegefühl.

Zwei Kleinigkeiten:

der kopf langsamer als die schultern - gedankensprünge; hochviskos.


Das "hochviskos" halte ich für ein Wort, das mehr verspricht als es beschreibt, für mich ist der Text an dieser Stelle weniger dicht als sonst.

Hier
heimat ist ... nichts. zurückguckgebiet.



finde ich das "nichts" ein wenig enttäuschend. Heimat ist so ein krätiges Wort, dass das anschließende "nichts" ein wenig schlapp daher kommt und die Waage unbalanciert lässt. Dafür finde ich "zurückguckgebiet" eine hervorragende Neuschöpfung. Ich würde vielleicht das "nichts" dazwischen einfach streichen.

Ein sehr guter Text, alter Walzer ;-)

Lieeb Grüße
Max

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 25.02.2009, 17:03

Hello Mäx,

vielen schönen Dank.

Interessant ist das hier:

Max hat geschrieben:Das "hochviskos" halte ich für ein Wort, das mehr verspricht als es beschreibt, für mich ist der Text an dieser Stelle weniger dicht als sonst.


Eins der wenigen Überbleibsel an Beschreibungen, die ich (beim Schreiben) schon alle aus dem Text eliminert hatte (altes Kriegsleiden, du kennst das?). Interressant daran ist auch, dass die Wirkung einer konkreten Beschreibung auf dich 'weniger dicht' wirkt als das völlig Offene, Zusammenhanglose ... keine Ahnung, ob ich mit der Stelle was machen soll? 'Zäh' kam mir nicht richtig vor, um den Gedankenfluss, das Nachschwappen des Gehirns zum Körper zu beschreiben ... Hast du einen Vorschlag für diese Stelle?



Max hat geschrieben:Hier:

heimat ist ... nichts. zurückguckgebiet.



finde ich das "nichts" ein wenig enttäuschend. Heimat ist so ein krätiges Wort, dass das anschließende "nichts" ein wenig schlapp daher kommt und die Waage unbalanciert lässt. Dafür finde ich "zurückguckgebiet" eine hervorragende Neuschöpfung. Ich würde vielleicht das "nichts" dazwischen einfach streichen.


Kann man drüber nachdenken. Gut beobachtet. Eine Änderung des Textes diesbezüglich täte ihm keinen Abbruch, glaube ich.
Die große Gretchenfrage, ob die Nachbearbeitung allgemein gut wäre ...
Ich guck ma ... lass ma sacken ... eine Suche nach neuen Formen ... unter 'Experimentelle Lyrik' gings nicht, weils keine Lyrik ist ...

Ich habe keine Ahnung ... ich versuche gerade, etwas mit mir geschehen zu lassen ... nicht umgekehrt, wie sonst ...



Tanx, Tom.
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 25.02.2009, 18:56, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon Thomas Milser » 25.02.2009, 18:47

hab mal die heimat geändert. geht.

hochviskos bleibt erstmal. da sehe ich nix besseres.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Max

Beitragvon Max » 25.02.2009, 22:23

Hi Tom,

das mit der Heimat gefällt mir jetzt viel besser - wen wundert's -).

Ich glaube an der Hochviskos stört mich am meisten das 'hoch'. Nur 'viskos' ginge nicht?

Ansonsten ein sehr guter Text, der gerade durch seine Sprünge beimir eine Dichte erzeugt.

Liebe Grüße
Max


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