Das ist Teil 2 der "Sophus-Trilogie"; hier ist der erste:
http://www.blauersalon.net/online-liter ... 305#116305
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III Einwände gegen das Schachspiel
Sophus brauchte seine Zeit, soviel dürfte aus dem vorstehenden leicht zu entnehmen sein. Er brauchte sie, und er nahm sie sich, von Erwägungen zur Angemessenheit seiner Reflexionen an den Gegenstand oder gar der Wirkung auf Außenstehende gänzlich unberührt. So dauerte es eine ganze Weile, in der seine Lehrer ihm gegenüber einen verständnisvoll-kindlichen Ton anschlugen und seinen Eltern auf verschiedene Arten den Wechsel auf eine spezielle, solchen Fällen angemessenere Bildungseinrichtung bei verschiedenen Gelegenheiten auf subtile Weise nahelegten, bis bemerkt wurde, daß sich in den Augenblicken, in denen er vordergründig von irgendeiner Alltagsbanalität aufs Schärfste ge- wenn nicht gar überfordert wirkte, durchaus erstaunlich zu nennendes in ihm begab.
Tatsächlich ist dies im Passivischen versteckte "Bemerken" namentlich bestimmbar. Der es bemerkte, war ein im Aufspüren des Genialischen hinter der Maske einfältiger Langsamkeit von Berufs wegen geübter Mann: Ein Mann mit Namen Luitzen Brenner, der in der kleinen Stadt, der Sophus entstammte, eine angesehene Schachschule unterhielt.
Besagter Herr Brenner suchte mit einiger Regelmäßigkeit die umliegenden Schulen auf und gab, wo man es ihm gestattete (wobei sein exzellenter Ruf als Spieler wie als Lehrer ihm zugute kam) bisweilen ausgewählten Klassen Proben seiner Lehrkunst. Es hat nachgerade etwas Zweideutiges, wenn wir es als einen Glücksfall für den jungen Sophus bezeichnen, daß sich unter seinen Mitschülern einige befanden, die zu beten wußten - und denen jedes Wort der Lehrer einer Offenbarung gleichkam. Sie glaubten es, was immer man ihnen auch sagen machte, und wenn man sie danach befragt, beteten sie es mit Inbrunst nach und her. Beständig schnellten ihre Finger in die Höhe, und wenn man es ihnen gestattete - und nur dann - sprachen sie, und zwar dem Lehrer nach dem Munde. Sie waren, um es mit einem Wort zu sagen, welches seinen Weg eben auch durch die Köpfe nahm und Herrn Brenner in eben diese Klasse führte, "klug".
Ein weiterer zweideutiger Glücksfalls ist, daß die Parallelklasse, in die man Sophus, um ihn mit derlei ihn zweifellos bei weitem überfordernden Geschäft nicht zu bekümmern, hatte schicken wollen, an diesem Tage einen Ausflug unternahm, worauf man ihn, um sein Gebrechen nicht zu offensichtlich werden zu lassen, an einem vor dem Einblick des Meisters gut geschützten Tisch der letzten Reihe plazierte, auf dem, wie vor allen anderen auch, ein Schachbrett stand.
Der Meister ging sehr routiniert zu Werke; geduldig erläuterte er die Grundaufstellung und das Ziel des Spieles, nannte Namen und Zugweisen der einzelnen Figuren und stellte den Schülern dann eine Reihe von Aufgaben ansteigender Schwierigkeit, fragte zunächst nur, wer nun wohin ziehen dürfe, sodann, welche Reaktionen dann dem Gegner offen stünden, wie ein gewisser wünschenswerter Zustand zu erreichen sei. Mit einer ihm ungewohnten Hartnäckigkeit fand sich selbst dann zu seinen Fragen noch eine Antwort, als er das Maß an Anforderung, welches er einer Gruppe unerfahrener Kinder glaubte zumuten zu dürfen, lange hinter sich gelassen hatte, so daß er am Ende selbst eine von der schwersten ihm bekannten Art zu stellen wagte: Nämlich zu einer gegebenen Stellung der Figuren zu ermitteln, wie sie wohl zustande gekommen und wer gerade am Zug sein müsse, eine dem eigentlichen Spiel nur noch entfernt verwandte Kunst, die unter dem Namen der "Retroanalyse" bekannt war.
Die Liste derjenigen Schüler, bei denen er in seinem Namen bei den Eltern anzufragen bat, ob eine Förderung der vielversprechenden Anlagen ihrer Sprößlinge durch den Besuch seiner Schule gewünscht werde, enthielt zum Erstaunen des Klassenlehrers schließlich nur einen einzigen Namen. Noch erstaunlicher als dieser Umstand, ja ihm schlechthin unglaublich bis zu dem Grad, daß er selbst bei ausdrücklicher Nachfrage vom Glauben an eine Verwechselung nicht gänzlich loskam, war freilich, um welchen Namen es sich dabei handelte.
Fortan verbrachte Sophus jede Samstagmorgen einige Stunden in der Obhut des Meister Brenner, wie man ihn in seiner Welt, dem stets umkämpften karierten Königreich, für gewöhnlich anredete. Nun hielt jener sehr dafür, seinen Zöglingen eine ausführliche und von den Zusetzungen und Verwirrungen des Wettkampfs ungetrübte Einweisung in die Gesetze jenes Spieles zu geben. Ehe er sie gegeneinander antreten ließ, lehrte er sie außer den Zugweisen der Spielfiguren, einer Einschätzung ihres Wertes durch einen Einblick in ihre mannigfachen Arten, auf das Spielgeschehen Einfluß zu nehmen und einem scharfen Blick für ein rasches Matt auch die schon erwähnte Kunst der Retroanalyse und die der Voraussicht. Er gab hunderte von Modellsituationen als Exerzitien, ließ kommende Züge erraten und Entgegnungen finden, die den Dingen einen für die eigene Seite günstigen Verlauf verliehen; lehrte, mit welchen Figuren man noch eine Aussicht auf den Sieg hat und wie man ihn erreicht, oder wie man den eigenen König bei dünner Besetzung des feindlichen Heeres selbst dann für beliebig lange Zeit aus der Affäre zog und damit schließlich ein Patt erzwang, wenn dieser ihm allein entgegen stand, und vieles mehr. Und Sophus nahm all das begierig auf und meisterte die ihm gestellten Aufgaben mit mühelosem Geschick und, was noch mehr verblüffen mag, sogar auch noch ungewöhnlich rasch.
Er wurde seinem Lehrmeister ein verläßlicher Anlaß zu Freude und der Hoffnung, nun endlich ein Talent entdeckt zu haben, dem bei einiger Übung eine große Zukunft beschieden sein mochte.
Beides währte bis zu einem Samstag, der zwischen Weihnachten und Neujahr fiel, weswegen sich zu des Meisters nur teilweise Mißbilligung außer ihm und seinem Lieblingsschüler niemand in der Schule hatte einfinden wollen. Sophus´ Training währte zu diesem Zeitpunkt gute vier Monate, in denen er sein Auffassungsvermögen auf allerlei Arten unter Beweis gestellt hatte, ohne je der Herausforderung eines echten Spiels begegnet zu sein. Eben dies zu ändern und aus dem fähigen Rätsel lösenden Lehrling zu einem der eigentlichen Spielkunst mächtigen Gesellen heranzubilden, hatte sich Meister Brenner für diesen Tag vorgenommen.
Als er dem Jungen seine Absicht eröffnete, drängte dieser von freudiger Nervosität ergriffen mit ungewohntem Eifer, der beinahe ans Hektische grenzte, zum Beginn, faßte Brenner am Ärmel und zog ihn förmlich zu einem der stets bereiten Spielbretter. Als ihm die weiße Seite und damit der erste Zug gewährt wurde, hob er die rechte Hand über sein Heer und erwog verschiedene Eröffnungen.
Doch er zog nicht. Sein Gesichtsausdruck wurde angestrengt, die Augen verloren den Fokus und wandten sich nach innen, dann verfinsterte seine Miene sich ins Grüblerische. Endlich nahm er die Hand vom Brett zurück und blickte seinem Lehrer ins Gesicht.
"Kann ich Sie mal etwas fragen?"
„Sicher.“ Antwortete dieser und sah ihn ermunternd an.
„Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann doch schlechterdings das ganze Spielgeschehen nicht im voraus planen – wie soll ich wissen, was das Beste ist?“
"Aber du hast doch die vielen Aufgaben, die ich dir stellte, stets gelöst, den besten Zug frappierend rasch gefunden."
"Das war etwas anderes." Erwiderte Sophus; "In den Übungen führte eine überschaubare Sequenz in den gewünschten Zustand – doch hier? Der einzige als wünschenswert ausgezeichnete Zustand ist das Matt, wünschenswert ist eine Lage, die seine Herbeiführung begünstigt, was aber wiederum nur dadurch herauszubringen ist, daß man das Spiel von hier aus fortspinnt. Ohne also alles zu durchdenken – was letztlich hieße, unsinnigerweise in der Vorstellung zu tun, was man ebenso gut wirklich tun könnte – kann man doch nie einen Zug als günstig erweisen.“
„Sehr richtig – das gerade ist der Spielcharakter dieses Spiels, das andernfalls, würde es von seinen Spielern völlig überschaut, ja allenfalls ein Ritual abgeben könnte. Man ist darauf angewiesen, sich an das vorläufig plausible, erfahrungsgemäß richtige zu halten – und kann den Fortgang der Partie im voraus nicht bestimmen.“
Dies aber leuchtete Sophus nicht recht ein; etwas in ihm sperrte sich dagegen, sträubte sich, verweigerte die Annahme und empfahl dringend, sie als falsch zurückzuweisen. Er zog die Stirne kraus und sagte:
"32 Figuren und 64 Felder. Dann gibt es nur endlich viele Arten, die Figuren auf die Felder zu verteilen. Man könnte sich ein großes Netz vorstellen, an jedem Knoten eine Stellung, und die Knoten verknüpft, wo die eine Stellung von der anderen aus erreichbar ist. Ein unvorstellbares, ungeheures Ding, ein riesiges Konfigurationsgewimmel - aber doch endlich, allemal?"
Der Meister nickte, wenn auch widerwillig.
„Und bei den Endstellungen beginnend, läßt sich also für jede Konfiguration sagen, ob der am Zug befindliche Spieler von hier aus noch einen Sieg erreichen kann, indem man die möglichen Folgestellungen darauf untersucht, ob nun sein Gegner siegen kann, und so fort, bis man bei einer Matt- oder Pattstellung anlangt.“
Wieder nickte Brenner, diesmal mit offener Abscheu; es hatte mehr den Anschein, als schüttele er den Gedanken von sich ab, wobei sein Kopf sich ohne jede Absicht mitbewege.
"Im Grunde steht es also jetzt, zu Spielbeginn, schon fest, ob einer von uns, wenn er nur bestmöglich spielt, gewinnen kann, oder daß, wenn beide Spieler keine Schwäche zeigen, das Spiel sich auch am Ende nicht entscheiden kann.
Dächte man also weit genug, könnte man das sicher Beste wählen, da die Unwägbarkeiten des Glücks am Verlauf ja keinen Anteil haben. Wie aber wird gespielt? Ihr plant 10, 14, vielleicht 20 Züge im voraus. Aber warum brecht ihr ab? Was macht eine Vorläufigkeit besser als die letzte, aber schlechter als die nächste? Wieso gilt es noch als kurzsichtig und unüberlegt, sich nach der ersten zu richten, nicht aber, sich von jener leiten zu lassen? Ich verstehe nicht, wie ihr es über euch bringt, auch nur einen Zug zu tun."
„Du vergißt die Zeitlichkeit des Spieles, seine Dynamik, die Sukzessivität, die Interaktivität – Eigenarten, die jenes grobe Eismosaik, das du als sein Portrait vorführst, nicht widergibt.“
Sophus widersprach energisch. Das Schachspiel entfalte sich ja nur gewissermaßen zufällig im Zeitlichen, während jede Partie in Wahrheit einen Weg durch jenes durch und durch statische Gespinst beschreibe - womit ausgemacht sei, daß ein Wesen, welches dies Gespinst im ganzen überblicken könne, auch für beide Spieler wisse, ob von einer beliebigen Position, die Ausgangsstellung eingeschlossen, ein Sieg für ihre Seite möglich sei und ihm alsdann auch ansagen könne, wie - womit das Spiel freilich jeden Reiz verliere und im Grunde gar nicht mehr als ein solches bezeichnet werden könne. Es müsse nicht einmal von hohen Geistesgaben sein, dieses Wesen, nur von enormer Gedächtniskapazität- und Genauigkeit, fähig, das Verweisungsganze der Spielsituationen systematisch zum Ende zu durchforsten, ohne sich je zu irren - eher eine Maschine als ein Organismus, eine Denk- nein, eher eine Rechenmaschine, ein elektrischer Buchhalter von hoher technischer Präzision.
Brenner waren diese Überlegungen alles andere als fremd; um so stärker war sein Mißfallen. Zwar stimmte er seinem Schüler „gewissermaßen“ zu, und fügte an, die mathematische Behandlung von Spielen habe einen Lehrsatz hervorgebracht, der diese Möglichkeit für eine schier unerschöpfliche Klasse an Spielen eröffne. Was das Schachspiel im Speziellen angehe, so sei der postulierte Buchhalter schon emsig bei der Arbeit, und man erwarte innerhalb der nächsten Jahre deren Abschluß. Damit sei das Spiel freilich keineswegs „im Grunde“ bewältigt, wie mancher meine; im Gegenteil! „Was steht am Ende solch einer Untersuchung? Keine neue und tiefe Einsicht in die Struktur – sondern eine unverständige Tabelle, die vom Spiel soviel begreift wie ein Lautsprecher von der Musik, die aus ihm dringt. Ein Witz, der jedem deutlich machen müßte, wie wenig man es mit einem vernetzten „Konfigurationsgewimmel“ zu tun hat. Nichts wird gelernt, nichts wird begriffen sein, wenn jener Buchhalter auch gegen die größten Meister etwas in Serie vollbringt, was nur ein Narr als Sieg bezeichnen könnte – ein Sieg erfordert doch vor allem eins: Zwei Spieler! Man könnte ebenso gut einen Geigenvirtuosen als durch ein schnell abgespieltes Band besiegt ansehen! Welch eine hirnverbrannte Aufassung! Welch grundlegendes Mißverständnis dessen, was ein Spiel ausmacht!“
Meister Brenner geriet in wilde Aufregung: "Die Anzahl möglicher Partien endlich! In welchem Sinn ist hier jenes aus dem Leben stammende Konzept der Endlichkeit mißbraucht! Inwiefern gibt es denn ein Ende? Ist eines erreichbar, oder auch nur absehbar? Keineswegs! Nicht einmal vorstellbar ist es, wenn man das Wort nicht seinerseits in seiner Bedeutung ganz und gar verkehren will! Es treibt sein Unwesen in jenem verhängnisvollen Schattenstaat leblos-jenseitiger Abstraktionen, das seit den großen Weisen der alten Zeit nahezu jeden Denker unseres Teils der Welt aus eben dieser fortgelockt hat. Jenes vermaledeite Totenreich der "ewigen Ideen"! Mit seiner lieblichen Melodie lockt es die besten in den Abgrund! Noch kein Spielmann, der die Kinder von der Höhle fortlockt - alle folgen sie den Rattenfängern! Sie erdreisten sich gar dazu, ihrerseits die Wirklichkeit zur Höhle zu erklären! >>Es gibt<< nur das, was man tun kann!"
Und er erzählte die Geschichte vom König, der dem Erfinder des Schachspieles einen Wunsch offen gelassen habe; worauf dieser Getreide verlangte, ein Korn für das erste Feld des Brettes, und dann für jedes weitere die zweifache Zahl an Körnern, die das letzte erhalten habe. Sophus kannte die Geschichte, wollte darum die Belehrung unterbrechen und wurde, als er mit seinem Wunsch kein Gehör fand, ungeduldig, warum er denn noch einmal hören solle, was ihm von verschiedener Seite doch schon so oft zugetragen wurde. Doch statt, wie es üblich war, die unbedarfte Torheit des Königs zu verspotten, lobte er ihn für den Mut, das unmögliche Unterfangen begonnen zu haben und verstieg sich sogar zu der Erklärung, durch sein Scheitern habe er die wahre Natur des Spieles offenbart.
"Was nützte es dem Herrscher, das die Zahl der Körner, die von ihm gefordert waren, endlich war? Im Sinn des Lebens war sie so gut als unendlich - es ist nämlich kein Ende auffindbar. Diese lebenswirkliche Unendlichkeit im bloß theoretisch endlichen als Wesen des Schachspiels aufzuweisen, ist die Weisheit dieser alten Mär, der man großes Unrecht tut, wenn man sie bloß als Darstellung des unanschaulich raschen exponentiellen Wachstums anbringt.
Jenes „im Grunde“, das du anführst - das ist keine Art, wie endliche Wesen denken sollten. Solches Gedanken-Schielen nach der Ewigkeit, sind schlechthin die Verneinung des endlichen, zeitlichen, in dem das Leben, der Mensch alleine seinen Platz hat. Sie sind im tiefsten Sinn lebensfeindlich. Das ist die verborgene Wahrheit in der naive-mythischen Auffassung der Hybris als Todsünde.
Dies merke dir über Schachspiel, es ist der Grund, für den ich es so schätze, für den ich ihm mein Leben widme: Es ist ein Spiel der Könige, nicht der Philosophen. Ich wußte es schon immer, konnte es aber niemals derart in concreto vor mir sehen, warum es eine Torheit wäre, von einem König zu verlangen, Philosoph zu werden."
So kam es, daß Sophus, ohne je gespielt zu haben, dennoch alles wesentliche über das Spiel zu wissen glaubte. Und dabei sollte es bleiben; er spielte nicht, weder an jenem Tag, an dem der alte Meister und der junge Grübler zum Schluß unverrichteter Dinge auseinander gegangen waren, unter wortreichen Versicherungen, es bald aufs Neue zu versuchen, es sei ja nur eine zeitweise gedankliche Blockade, die sie dieses Mal gehindert habe, und der beiderseitigen Gewißheit, daß man nicht nur falsch redete, sondern geradezu offen log – noch jemals später.
IV Untragbarkeiten
Einige Jahre später, in denen er trotz seiner ausgewiesenen Befähigung das Schachspiel durchgängig vermieden hatte, traf er seinen einstigen Lehrer auf der Straße wieder. Man tauschte die gewöhnlichen belanglose Grüße, dann fragte der Schachmeister ihn, wie er sich befinde.
Sohpus, der zu dieser Zeit in einer seinem Alter längst nicht mehr angemessenen Art in den Umgangsformen ungeübt war, erkannte in dieser Erkundigung nicht eine Geste wohlmeinender Anteilnahme, die sich zwanglos an nahezu jede Begrüßung anschließt - ihm war sie vielmehr eine Herausforderung von kaum ermeßlicher Schwierigkeit und existentieller Tiefe: Kaum vor sie gestellt, senkte er den Kopf und begann, zu grübeln.
Wir wollen dies zu seinen Gunsten in die Waagschale legen, während wir mit einigem Befremden belauschen, was sich dabei in seinem Kopf zutrug.
Was mochte es sein, dieses Befinden, nach dem er fragte?
Stand sein Gesundheitszustand in Frage? Wohl kaum, denn dieser wich sichtbar jedenfalls nicht in erheblichem Ausmaß vom Gesunden ab - und hätte er dies im Verborgenen getan, wie hätte er dann davon wissen sollen? Also ging es eher um sein seelisches Glück, doch auch dies war doch ein schwieriger und schwankender Gegenstand - mochte am Ende weniger seine Verfassung gemeint sein als vielmehr seine Einschätzung derselben? Allein: Konnte man sein Wissen von sich selbst so leichthin in Begriffe gießen?
Da waren Wandlungen und Widersprüche, eine Fülle von Eindrücken warben um die Gunst im Zentrum der Aufmerksamkeit für das momentane Befinden ausschlaggebend zu sein; tatsächlich wirkten sie natürlich alle, und zwar nicht bloß zugleich, sondern mit- in- über- und durcheinander...
Dies alles war sein Befinden, und dieses mitzuteilen, womöglich vorzugsweise in gesprächstauglicher Knappheit wurde ihm nun zugemutet! Eine Zumutung, die an Unverschämtheit grenzte, denn nach den angestellten Überlegungen war eines doch klar: Nur wahrhaft simple Gemüter konnten sich in sagbarer Weise "befinden".
Und weiter, wer war denn dieser "du"? Ein Dschungel von Erinnerungen, Motiven und Entschlüssen, so fließend, das man darauf verfallen mochte, es dem Fließen selber gleichzusetzen. Ein gewagter Bau, ohne Zweifel, von unerhörter Tiefe und vertrackter Statik, im Sturm stehend, nach zahlreichen Seiten zum Fallen geneigt. Ein Faktum vor allem, ein vor- und überbegriffliches Einzelstück, ein Brocken Wirklichkeit außerhalb sprachlicher Abstraktion, jenseits dessen, was durch die Kombination althergebrachter Kategorien zu bestimmen war und jedenfalls mit Worten nicht zu fassen. Wie war es dann diskursiv zu verantworten, über dieses rätselhafte Wesen Aussagen zu machen? Wo doch nicht einmal annähernd zu sagen war, wovon man sprach? Aber dieser Herr verlangte es - setzte also offenbar voraus, daß es doch möglich sei - was mußte dieser Herr dann von ihm denken! Was für ein armseliges Kategoriengerippe mußte er in ihm sehen, daß er ihm unterstellte, solch weitreichendes Wissen von sich zu haben!
So und noch weiter gingen seine Gedanken, man wird durch unseren Ausschnitt ein ausreichendes Bild erhalten haben und fast nicht mehr überrascht sein zu hören, wie Sophus über diesen Grübeleien allmählich ärgerlich, ja ungehalten wurde; die junge Stirn legte sich in Falten, die Miene verfinsterte sich, die Finger rieben sich unruhig raschelnd aneinander. Insgesamt stand er leicht eine Viertelstunde versunken da, während der Lehrer ihn mit halb erwartungsvollen, halb mit bangen Augen ansah, bis er das Wort wieder an diesen richtete.
"Ich verstehe Ihre Frage nicht." antwortete er in einem scharfen Ton, wie ihn manche Menschen an den Tag legen, wenn sie ein Gegenüber von solch ungeschlachter Rohheit vor sich haben, daß sie darauf hinzuweisen nötig haben, soeben gekränkt worden zu sein. Dann setzte er hinzu: "Im übrigen weiß ich auch nicht, von wem Sie reden." Und blickte ihm herausfordernd ins Gesicht.
Sein alter Lehrer antwortete hierauf nichts; er sah ihm nur kurz mit einem Ausdruck wie von Trauer über ein verlorenes Kind in die Augen und ging seiner Wege.
Zur Ehrenrettung unseres Protagonisten sei gesagt, daß dies sich zutrug, als er gerade vom Fünfzehnten ins Sechzehnte gekommen war, eben nur die spezifische Art darstellte, in der die Wirren der Adoleszenz bei einem Menschen seines Naturells in Erscheinung traten, er sich auch nur wenig nach diesem Vorfall bereit fand, sich bei dem alten Manne zu entschuldigen, welcher jedoch inzwischen schon das Zeitliche gesegnet hatte, und derlei Untragbarkeiten, als er die frühen Jugendjahre hinter sich ließ, nicht mehr vorkamen.
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Hier geht es zum großen Finale:
http://www.blauersalon.net/online-liter ... php?t=9042
Sophus2 - Einwände und Untragbarkeiten
Hi Merlin,
als passionierte Hobbyschachspielerin habe ich gerade dieses Kapitel mit größtem Genuss gelesen. Sätze wie dieser hier
und im speziellen der Part "hob er die rechte Hand über sein Heer" gefallen mir außerordentlich gut. Es ist so herrlich bildhaft. Du hast das Schachspiel auf eine ganz besondere Art und Weise beschrieben. Und dass Sophus, mit dem theoretischen Wissen angefüllt, begierig vor dem ersten Spiel sitzend, dann nicht zu ziehen vermag (weil sein ewig grübelnder Geist ihm in die Quere kommt) überrascht mich zuerst, doch dann, nachdem ich seine Gedankengänge verfolge, erscheint es mir absolut logisch und konsequent. Dieser Gedankengang ist exemplarisch für Sophus.
Im übrigen halte ich auch die einzelnen Teil-Überschriften für sehr gut gewählt.
Saludos
Mucki
als passionierte Hobbyschachspielerin habe ich gerade dieses Kapitel mit größtem Genuss gelesen. Sätze wie dieser hier
Als er dem Jungen seine Absicht eröffnete, drängte dieser von freudiger Nervosität ergriffen mit ungewohntem Eifer, der beinahe ans Hektische grenzte, zum Beginn, faßte Brenner am Ärmel und zog ihn förmlich zu einem der stets bereiten Spielbretter und als ihm die weiße Seite und damit der erste Zug gewährt wurde, hob er die rechte Hand über sein Heer und erwog verschiedene Eröffnungen.
und im speziellen der Part "hob er die rechte Hand über sein Heer" gefallen mir außerordentlich gut. Es ist so herrlich bildhaft. Du hast das Schachspiel auf eine ganz besondere Art und Weise beschrieben. Und dass Sophus, mit dem theoretischen Wissen angefüllt, begierig vor dem ersten Spiel sitzend, dann nicht zu ziehen vermag (weil sein ewig grübelnder Geist ihm in die Quere kommt) überrascht mich zuerst, doch dann, nachdem ich seine Gedankengänge verfolge, erscheint es mir absolut logisch und konsequent. Dieser Gedankengang ist exemplarisch für Sophus.
Im übrigen halte ich auch die einzelnen Teil-Überschriften für sehr gut gewählt.
Saludos
Mucki
Hallo Mucki,
hör mir auf mit Schach! Gestern bin ich bei echtem Sch...wetter zwei Stunden quer durch NRW gejuckelt, habe dann in nur zwei Stunden eine meiner peinlichsten Leistungen abgeliefert, durfte dann noch vier Stunden auf meine Mannschaftskollegen warten, nur um dann drei Stunden bei noch viel üblerem Wetter zurückzujuckeln... Ich steig auf Hallenhalma um.gif)
Hallo Merlin!
Retroaufgaben sind toll - davon habe ich früher auch viele gelöst / viele für Freunde gebaut... Neben ganz normalen Problemen. Aber das ist lange her (ich weiß noch, dass ich mit, äh, 17?! eine Woche lang völlig euphorisiert durch die Gegend gewandelt bin, nur weil in der Schachecke des "Stern" ein schlichter Dreizüger von mir abgedruckt worden war... Hach, die schlichten Freuden der Jugend
)
Ferdigruß!
hör mir auf mit Schach! Gestern bin ich bei echtem Sch...wetter zwei Stunden quer durch NRW gejuckelt, habe dann in nur zwei Stunden eine meiner peinlichsten Leistungen abgeliefert, durfte dann noch vier Stunden auf meine Mannschaftskollegen warten, nur um dann drei Stunden bei noch viel üblerem Wetter zurückzujuckeln... Ich steig auf Hallenhalma um
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Hallo Merlin!
Retroaufgaben sind toll - davon habe ich früher auch viele gelöst / viele für Freunde gebaut... Neben ganz normalen Problemen. Aber das ist lange her (ich weiß noch, dass ich mit, äh, 17?! eine Woche lang völlig euphorisiert durch die Gegend gewandelt bin, nur weil in der Schachecke des "Stern" ein schlichter Dreizüger von mir abgedruckt worden war... Hach, die schlichten Freuden der Jugend


Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)
Hi Ferdi,
der Spruch mit dem Halma kommt mir seeeeehhhhr bekannt vor!
Den gibt mein Mann immer von sich, wenn ich ihn im Blitz schlage. (Natürlich unter für ihn extrem schweren Bedingungen *he,he*, da er Bundesliga-Stärke spielt, sonst hätte ich nicht den Hauch einer Chance
)
Tja, die Retrodinger sind natürlich besonders gemein, wenn da Sonderzüge dabei sind wie Rochade oder en passent..gif)
Saludos
Mucki
der Spruch mit dem Halma kommt mir seeeeehhhhr bekannt vor!

Den gibt mein Mann immer von sich, wenn ich ihn im Blitz schlage. (Natürlich unter für ihn extrem schweren Bedingungen *he,he*, da er Bundesliga-Stärke spielt, sonst hätte ich nicht den Hauch einer Chance

Tja, die Retrodinger sind natürlich besonders gemein, wenn da Sonderzüge dabei sind wie Rochade oder en passent.
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Saludos
Mucki
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