furor

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 24.11.2008, 01:02

.
Endfassung:

furor

als älteste von uns
trotzte ich dir
es war meine verdammte aufgabe
mein verhängnis
wollte meine schwestern schützen
vor deiner kälte
vor deinem stahl
konnte nicht halten
was ich mir versprach
brach durch mit aller kraft

und du
konntest nicht einmal
still sterben




vorher geändert in : zerbrach mit aller wucht

1. Fassung:

furor

als älteste von uns
trotzte ich dir
es war meine verdammte aufgabe
mein verhängnis
wollte meine schwestern schützen
vor deiner kälte
vor deinem stahl
konnte nicht halten
was ich mir versprach
brach durch mit aller kraft
und du konntest
nicht still sterben


© Gabriella Marten Cortes
Zuletzt geändert von Mucki am 26.11.2008, 11:42, insgesamt 2-mal geändert.

scarlett

Beitragvon scarlett » 24.11.2008, 11:48

Liebe Mucki,

hier hält der Titel, was er verspricht: eine "wilde Raserei" gegen eine Übermacht (scheinbar), vielleicht des Vaters (- wegen der schwestern), aber nicht notgedrungen, es könnte sich auch um eine andere, wie auch immer geartete, aber zerstörerische Kraft handeln.
WAs LI ausrichten kann, muss letztendlich doch immens gewesen sein, wenn die Folge davon ist, dass das "du" nicht "still sterben" konnte.

Ein wenig zu sehr eins zu eins finde ich, (falls ich überhaupt richtig liege), ein wenig zu nah dran ...

Aber das gerade setzt diese Kraft frei, und deine Zeilen haben eine Menge davon.

Soweit mein Eindruck,
LG Monika

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 24.11.2008, 11:59

Liebe Monika,

danke dir für deinen Eindruck.
Wenn andere den Schluss auch so lesen wie du, muss ich etwas ändern, denn LI scheitert (deshalb "mein Verhängnis"). Und die Folge von der Handlung des LI ist nicht, dass das Du nicht still stirbt.
Mal schauen, ob es auch anders gelesen werden kann.
Saludos
Mucki
Zuletzt geändert von Mucki am 24.11.2008, 12:45, insgesamt 1-mal geändert.

Benutzeravatar
ferdi
Beiträge: 3260
Registriert: 01.04.2007
Geschlecht:

Beitragvon ferdi » 24.11.2008, 12:13

Hallo Mucki!

Für mich ein "Sowohl als auch": Das /Ich/ erreicht, was es wollte, aber nicht auf die beabsichtige Weise, so dass es eben doch scheitert. Insgesamt ist der Text ein wenig zu offen, finde ich?!

Die gewählte Schriftart macht mir das Lesen arg schwer, das mag aber auch an meinem Uralt-Bildschirm liegen :-)

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

scarlett

Beitragvon scarlett » 24.11.2008, 12:18

ferdi hat geschrieben:Die gewählte Schriftart macht mir das Lesen arg schwer, :-)


mir leider auch.

sca

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 24.11.2008, 12:19

Hi Ferdi,

das ist witzig. Für Monika ist es zu sehr 1:1, für dich zu offen. *g*
Nein, LI erreicht nicht, was es wollte:
"konnte nicht halten
was ich mir versprach"

Normalerweise nehme ich die Standardschrift, aber hier wählte ich ganz bewusst Comic Sans, diese etwas "verspielte Schrift", dafür aber fett gedruckt, weil diese Schrift m.E. den totalen Kontrast zum Inhalt des Textes bildet.
Saludos
Mucki

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 24.11.2008, 14:55

Ich habe jetzt mal eine 2. Fassung eingesetzt (in normaler Schrift) und etwas geändert. Jetzt wird die Aussage klarer, oder?
Saludos
Mucki

Last

Beitragvon Last » 24.11.2008, 15:01

Hallo Mucki,

ich denke, es verhält sich so:

Ein wenig zu offen: Es wird kein konkretes Ereignis geschildert, sondern allein die Reflexion des lyr. Ichs über Ereignisse, die sich der Leser selbst denken muss.

Ein wenig zu sehr 1 zu 1: Die Reflexion wird nicht über Bilder beim Leser ausgelöst, sondern direkt vermittelt. Das Gedicht interpretiert sich in diesem Sinne selbst.

Ich stimme beidem zu. Aber sehe die Stärke des Textes in der Erschaffung der Erzählfigur, die sich als die älteste Schwester herausstellt. Sie reflektiert ein ganzes Bündel von Ereignissen, von der Jugend bis zum Tod desjenigen Elternteils, das ihren Widerstand provozierte, ein Kampf, den lyr. Ich nicht gewinnen konnte. Das lyr. Ich bekommt also sehr wohl ein Profil, das mich auch emotional an den Text bindet.
Das faszinierende an dieser Emotion ist, dass sie wie der Text etwas unklar bleibt. Es werden lediglich Grenzen gesteckt, innerhalb denen es sich finden lässt. Du öffnest einen Raum zwischen Kraft, Wut, Stolz, Trotz, Schwäche, Scham, Verantwortungsbewusstsein, Versagensangst, Rechtfertigung, Reue, Vorwurf und Bedauern. Diesen unklaren Raum, der seinem Wesen nach immer etwas wage bleiben muss, dessen Eindeutigkeit eine Täuschung ist, diesen Raum sehe ich als den Ort, wo sich unsere Seele befindet. Ja, als unsere Seele selbst.
Vor diesem Hintergrund empfinde ich den Text als sehr stark, weil er eben -für mich- dieses transportiert.
Die Kürzung auf das Wesentliche bedeutet hier eben nicht, das wesentliche Ereignisse in form von lyrischen Bildern abgespult werden. Der Text erklärt im Gegensatz dazu die Reflektion für unabhängig von den ihr zu Grunde liegenden Ereignissen, solange man im Raum der Reflektion bleibt, hat sie ihr Eigenleben.

Nichtsdestotrotz wäre mir das ein oder andere Bild sicher hilfreich mich stärker an den Text zu binden. Der Nachteil des Reflektionscharakters ist nämlich, das der Leser selbst nicht mehr so viel zu reflektieren hat, weil ihm die Einstiegsebene des zugehörigen Gedankensgangs fehlt.

Gelungen finde ich Einstieg und Schluss:

als älteste von uns
trotzte ich dir[...]
und du konntest
nicht still sterben


Eventuell könnte man für "die verdammte aufgabe" die "schwestern [zu] schützen" und das "brach durch mit aller kraft" noch eine konkretere Situation verbinden(?).
Und vielleicht eine andere Schriftart?

LG
Last

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 24.11.2008, 16:54

Hallo Last,

danke dir für deinen Kommentar. Da beschreibst genau das, was ich intendierte. Ich wollte aus der Sicht des LIs die verschiedenen Emotionen von Wut, Verantwortungsgefühl, Ohnmacht und Enttäuschung ausdrücken, ohne jedoch das kausale Ereignis zu benennen (das kann und soll sich der Leser selbst dazudenken) und ohne konkrete Bilder einzuflechten, wobei die Wut und der aussichtslose Kampf hier im Vordergrund stehen.
Ich habe oben eine 2. Fassung eingestellt und da auch eine andere Schriftart benutzt und diesen Teil geändert in:

zerbrach mit aller wucht

und du
konntest nicht einmal
still sterben


damit es deutlicher wird, was ich meine. Aus den bisherigen Kommentaren wurde mir klar, dass man es sonst falsch liest, nämlich, dass LI den Kampf gewinnt, doch das Gegenteil ist der Fall. Am Wichtigsten ist für mich der letzte Part, in dem die ganze Wut des LIs verborgen ist.

Saludos
Mucki

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 24.11.2008, 20:33

Tolles Drama, das du hier erstellst!

Fast wie ein Theaterstück, auch wenn es dafür zu kurz ist.

(Irgendwie erinnert es mich an die Bartholomäusnacht, bzw. an den Film von Patrice Cherau darüber)

Aber diese Verdichtung!

Also meine ganze Stimme hier!

(in furore ?)

MlG

Moshe

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 24.11.2008, 21:15

Lieber Moshe,

ich freu mich, dass es dir gefällt!
Ursprünglich wollte ich als Titel "furiosa" schreiben. *g* Aber dann dachte ich, "furor" passt besser.
Saludos
Mucki

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 24.11.2008, 21:43

Naja, nun, Titel hin oder her ...
Das Exakte findet sich ja vielleicht noch.

Für mich der dichteste Text, den ich von dir kenne.
(natürlich kann ich auch was übersehen haben)

Auch diese Perpektive einer Frau ist gut gesehen... Warum hast du 'furiosa' nicht gelassen? Wäre dir das zu sehr in die Nähe von Furie gekommen?

Und so ein Drama mit Dramaturgie!


Mit liebem Gruß

Moshe

PRIMA

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 24.11.2008, 21:58

Lieber Moshe,
Warum hast du 'furiosa' nicht gelassen? Wäre dir das zu sehr in die Nähe von Furie gekommen?

bingo! Genau aus diesem Grund. ;-)
Saludos
Mucki

Benutzeravatar
Elsa
Beiträge: 5286
Registriert: 25.02.2007
Geschlecht:

Beitragvon Elsa » 24.11.2008, 22:57

Liebe Mucki,

furor ist ein Klassetitel, furiosa würde mir für den Text nicht so ...

Also ich lese da eine Tochter, es könnte das DU Mutter oder Vater sein, es gibt leider auch Mütter aus Stahl und mit Kälte. Jedenfalls ein Elternteil, vor dem die/der Erstgeborene die Geschwister schützen will. Dies Last ist es, an der das LI zerbricht, denn LI ist ja auch nur ein Kind. (starkes Thema für das moderne Familienaufstellen übrigens).

In der 2. Fassung ist das Ende anders. Deutlicher. Ob es das bessere ist, weiß ich jetzt nicht.

zerbrach mit aller wucht <- das ist ein gängiger Ausdruck, der das gedicht recht klar macht.

oder

brach durch mit aller kraft <- das finde ich ja interessanter und macht mehrere Deutungen möglich.

und du
konntest nicht einmal
still sterben
<- den Teil finde ich hier besser als in F 1. Ich denke mir das so, dass der Elternteil sogar noch im Tod gemein ist?

Gefällt mir sehr!

Lieben Gruß
ELsie
Schreiben ist atmen


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: Google [Bot] und 18 Gäste