Nachsalz I

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Louisa

Beitragvon Louisa » 18.11.2008, 21:25

Der Mann, den ich mal liebte,
ist vor Jahren eingezogen in das Haus in meinem Kopf. Er badet
jeden Morgen im trüben Wasser, das zwischen den Träumen fließt
und es tropft sein Badewasser auf meine Schläfen in der Frühe.

Der Mann, den ich mal liebte,
hat eine Bücherstimme, jetzt sprießt sie aus den Regalen
wie Vogelgezwitscher umrankt sie mein Dach und wir sprechen
in manchen Nächten miteinander über Plankton und Platon.

Der Mann, den ich mal liebte,
ist so stark wie ein Möbelpacker und so schwach wie sein Hemd.
Er schneidet das Traurige und die Birnen im Herbst auseinander,
seine Blicke salzen die Blätter, bis sie sich kräuseln, ich wollte

den Mann, den ich mal liebte, lieben,
von seinem Lächeln abbeißen. Das soll unwohl so weitergehen,
bis wir aus meinem Schädelzimmer ausgezogen sind.






Änderungen:

1. Das "und" habe ich in der zweiten Zeile vor "Er badet..." gestrichen.

2. Das "Ikea-" vor den Regalen habe ich entfernt.

3. Man sagt: Aus dem Zimmer ausziehen...
Zuletzt geändert von Louisa am 24.11.2008, 22:55, insgesamt 5-mal geändert.

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 19.11.2008, 20:29

ist so stark wie ein Möbelpacker und so schwach wie sein Hemd.

also, ich finde es originell. Man weiß sofort, was gemeint ist. Und ich denke gar nicht darüber nach, ob ein Hemd nun schwach ist oder nicht, sondern lese den ganzen Satz.
Meine Lieblingsstelle ist übrigens:
von seinem Lächeln abbeißen.
;-)
Saludos
Mucki

Max

Beitragvon Max » 19.11.2008, 20:29

Das mag ja originell seinl lieber max, aber was sagt es letztendlich aus?


Liebe Scarlett,

da es kein Sachtext ist, ist vielleicht die folgend Antwort eine Näherung: Der Satz erzeugt ein Bild in mir. Ich assoziiere diesen Mann mit einem dünnen weißen Leinenhemd, das meinem Griff keine Kraft entgegenbringt, das auf einem Bügel hängend vom Wind gedreht werden kann, das unter der kleinsten Kraft knittert. So ist dieser schwache Mann für mich durch diesen Vergleich nähergerückt. Die Schwäche gibt ihm auch (durch das Hemd) etwas Vornehmes. Außerdem lebt das ganze natürlich durch den Kontrast zum Möbelpacker, was dem Mann oder zumindest der Betrachterin eine Wahl lässt .. das Bild ist jedenfalls so gut für mich, weil es eben nicht durch ein Wort oder eine Erklärung ersetzt werden kann.

Liebe Grüße
Max

Max

Beitragvon Max » 19.11.2008, 20:30

Ich wage zu behaupten, dass das schief ist


Liebe Scarlett,
dann wäre es vielleicht an Dir, das zu erklären, oder?

Liebe Grüße
Max

scarlett

Beitragvon scarlett » 19.11.2008, 20:38

Es ist ja nicht so, lieber Max, dass es kein Bild suggerieren würde.
Ich meine nur, dass es als Kontrast zum "starken Möbelpacker" bei mir nicht funktioniert. Nicht mehr und nicht weniger.

Mit einem schwachen Hemd läßt sich auch ein alltägliches Hemd verbinden, etwas, was nicht über die Maßen bedeutend ist, nichts Herausragendes darstellt. Und das ist ja wohl weniger intendiert, denk ich mal.

Liebe Grüße,
scarlett

Max

Beitragvon Max » 19.11.2008, 20:48

Hm, bei mir ist es schon ein alltägliches Hemd, etwas, das ichaus meinem Alltag kenne, das aber selbst durch diesen Vergleich auch gewinnt .. daher finde ich ihn ja so gelungen.

Liebe Grüße
Max

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 19.11.2008, 21:48

Hallo,

na ja, ich denke schon, dass es Bilder gibt, die problematisch sind, weil sie für die Mehrheit nicht funktionieren, so ganz einfach zu sagen, dass das Bild das leistet, was man drin lesen will, ist schwierig. So kann ja oft z.B. eine kühne Metapher auch von vielen nicht mehr rezipiert werden - von anderen aber doch, es ist eben keine Frage, die generell beantwortet werden kann, aber Autor- und Kommentatorseite sollten bei Diskussionen begründen, warum es funktioniert oder nicht.

Bei mir war es so ein Mittelding: kurz verunsichert war ich beim ersten Lesen auch bei dem Bild, aber durch bestimmte Assoziationen entstand bei mir ein Netz, das mir ein Verständnis für das Bild sicherte, so assoziiere ich z.B. das letzte Hemd und damit schon eine Art Schwäche und dann - ich komme aber nicht drauf - gibt es doch noch irgendeinen Ausdruck für einen schwachen Mann/menschen, der mit dem Hemd zu tun hat - ich komme aber nicht drauf (?), auch hemdsärmelig spielt da trotz etwas anderer Bedeutung mit rein. Bei mir gibt es also einen Inhalt, aus dem heraus das Bild dann wirken kann.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Louisa

Beitragvon Louisa » 19.11.2008, 23:40

Also...ich bin mit diesem Uni-Universum immer noch nicht fertig, aber ich habe ja noch den morgigen Vormittag :pfeifen: ...

Ich hoffe eure Diskussion nicht zu stören, aber am Besten ich fange von oben an :smile: .

Vielen Dank Frau Schneider!

Lieber Max (zu Kommentar 1),

ich dachte zuerst: "Oh, er hat schon einmal ein Gedicht als "das Beste" gerühmt?" Aber dann kam deine Erklärung mit dem Browser :smile: ...

Du hast Recht, ich streiche das "und" - ebenso das "Ikea" (ich dachte das wäre Globalisierungshumor, aber den sollte ich wohl eher woanders praktizieren!?)

Merci beaucoup.

Danke auch an Klara!

Wieso gefällt dir das "unwohl so weitergehen" nicht? Nimmt es das ende vorweg... Ja, das kann sein. Ich dachte nur es zeigt dieses Gezwungene schön auf... Oder?

Ich meine: Man sucht sich die Mieter in seinem Schädel ja leider nicht aus...

Danke Dir.

Hallo Mucki,

ja, mit den ersten Änderungen bin ich wie geschrieben einverstanden... Mit der letzten...Mm... ich finde es ist ja nicht soooo ein großer Unterschied zu den anderen Anfängen... Vielleicht hast Du Recht. Da überlege ich noch einmal.

Danke Dir auch.

Ebenso freue ich mich, wenn es ecb und leonie gefällt.

Liebste mir angetraute Gattin Lisa :mrgreen: -

verwunderlich, dass du nicht vor Eifersucht in die Luft gegangen bist :smile: - Ich freue mich dennoch, wenn dir die Zeilen gefallen...

Zum "mal" : Ich habe noch nie in meinem Leben "einmal" gesagt :smile: ... Immer nur: "Haste mal ´ne Mark?" oder "Du mal wieder!" - Mal... trägt auch das Malen und das Muttermal und das Maltretieren in sich, findest du nicht :smile: ?

"Einmal" klingt so edel... als wäre ich adlig und erzählte eine Legende bei Hofe :smile: ... Wie denken sie darüber?

Danke Dir.

Liebe Scarlett,

Wäre dir: "In das Haus meines Kopfes" lieber? Was wäre denn besser (vielleicht hast du einen Vorschlag) ?

So lange man nur stolpert und nicht gleich hinfällt, ist es ja auch nicht so schlimm ;-)

Ja, das "und" wird gestrichen.

Du ziehst nie aus Zimmern aus, in du einmal eingezogen bist :eek: ???

Ich habe das aber vor zwei Monaten genauso getan... Mit 12 bin ich in ein Haus in Lichtenrade gezogen, mit 20 bin ich dort ausgezogen. Nur als Beispiel :smile: ...

Im Kontext: Das ist ja hier auch irgendwo der Witz an der Sache, dass der Mann nicht ausziehen wird. Denn man überlege sich mal: Ich selbst ziehe aus meinem Kopf/aus meinem Gehirn/aus meinem Denken aus. Was bleibt dann noch übrig von mir? Und wenn ich dort ausziehe, muss dann nicht auch der Mann ebenfalls ausziehen? Das muss er. Aber solange ich dort wohne und noch nicht an Schizophrenie erkrankt bin :smile: - Solange wird er dort auch wohnen bleiben, scheint mir.

Wegen des Hemdes: Puh....ich glaube Max und besonders Lisa :wub: (hihí) haben das Thema schon ganz gut behandelt...

Ich kann aber auch dein Problem nachvollziehen. Du meinst ja, dass der "starke Möbelpacker" bei dir eine größere Assoziationskraft auslöst, als das Hemd... Das Du vielleicht ein ebenso eindringliches Beispiel für Schwäche wie für die Stärke lesen möchtest...

Aber das habe ich auch zuerst gedacht... Das man allerhand sagen könnte. Schwach wie ein Kind, schwach wie ein Kranker, schwach wie ein Verletzter, schwach wie ein Verdurstender, etc, etc...

Doch das passt für mich nicht auf die Beschreibung dieses geliebten Mannes. Ich möchte, dass diese Schwäche etwas ist, dass eine Hülle darstellt, das sie nichts Abschreckendes, aber auch nichts Niedliches hat. Das sie einfach als eine äußere Hülle "getragen" wird.

Mehr will ich gar nicht erklären. Nur, das auch mir dieses Bild eigentlich noch einen größeren Raum öffnet als der Möbelpacker. Der Möbelpacker - das ist für mich hier "der Witz" - ist eher eine innere Stärke. Aber das muss man auch nicht so lesen wie ich... merkte ich ja schon an...

Danke aber auf jeden Fall für den Gedankenansatz.

Schönen Abend an alle!
l.

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 20.11.2008, 00:51

Hallo Louisa,
ich finde es ist ja nicht soooo ein großer Unterschied zu den anderen Anfängen... Vielleicht hast Du Recht. Da überlege ich noch einmal.

Es ging mir nicht nur um die gleichen Anfänge, die ich sehr gut fände, sondern auch darum, dass du in der dritten Strophe den Überhang mit Absatz zur vierten Strophe vermeidest. Ich finde, dass dies den Leserrhythmus stört. Aber wenn es für dich stimmig ist, dann lass es ruhig so.
Saludos
Mucki

scarlett

Beitragvon scarlett » 20.11.2008, 07:57

Louisa hat geschrieben:Du ziehst nie aus Zimmern aus, in du einmal eingezogen bist :eek: ???



Doch, ich ziehe natürlich aus ...

Mit zwanzig bin ich aus meinem Elternhaus AUSgezogen, aber nicht GEZOGEN. Auch nur so als Beispiel :smile:

scarlett

Louisa

Beitragvon Louisa » 20.11.2008, 10:44

Guten Morgen!

Dort steht aber:

bis wir aus meinem Schädelzimmer gezogen sind.

Überdies kann man auch von einem Ort zum anderen ziehen, glaube ich.

LG,
l

Louisa

Beitragvon Louisa » 20.11.2008, 10:46

Hallo Mucki!

Vielleicht meldet sich ja noch jemand dazu... Ich weiß es selbst noch nicht. Danke aber!

LG,
l

scarlett

Beitragvon scarlett » 20.11.2008, 22:14

Also, ich hab ja die Grammatik nicht erfunden, louisa ... sorry!

Das "aus" in deinem Text ist eine Präposition mit Dativ: aus dem Zimmer.
Das Verb heißt "ausziehen".

Folglich heißt es: "Der Mann ist aus der gemeinsamen Wohnung ... AUSgezogen" und nicht "gezogen".

"Er ist aus der Stadt aufs Land gezogen" ... oder in den Krieg gezogen ... Verb: "ziehen"

Nichts anderes wollte ich damit sagen.

Für mich ist das grammatisch nicht korrekt.

Und damit ist es jetzt auch gut.

Schönen Abend noch,
scarlett

Louisa

Beitragvon Louisa » 21.11.2008, 00:42

Mmm... ich bin zu blöd.

Ich verstehe auch immer noch nicht wieso man nicht sagen kann: "Ich ziehe aus dem Zimmer."

Aber wenn es grammatikalisch korrekt ist, ändere ich es gerne.

Danke für die Mühe.
l

Benutzeravatar
ferdi
Beiträge: 3260
Registriert: 01.04.2007
Geschlecht:

Beitragvon ferdi » 21.11.2008, 11:05

Hallo Louisa!

Klar kannst du "Ich ziehe aus dem Zimmer" sagen :-) Nur: Wenn du das Verb "ausziehen" benutzen willst, geht es so eben nicht. Betrachte es mal so - der Kern wäre im einfachtsen Fall:

Ich ziehe aus.

Diesen Kernsatz erweiterst du jetzt um eine adverbiale Bestimmung: "Woraus ziehe ich aus?" Antwort: "Aus dem Zimmer". Also:

Ich ziehe aus dem Zimmer aus.

Oder, in deinem Fall:

bis wir ausgezogen sind / bis wir aus meinem Schädelzimmer ausgezogen sind.

Nun kannst du meinethalben gerne das "aus-" weglassen (klingt gut!) - das Problem ist nur, dass du dann eben "ziehen" als Grundverb hast und die Bedeutung eher bei "reisen" liegt als bei "einen (gemeinsam) bewohnten Ort verlassen". "Ausziehen" schwingt aber natürlich auch mit... Jedenfalls: Wenn du ausschließlich auf "ausziehen" abzielst, dann führt am Einfügen des "aus-" kein Weg vorbei. Finde ich :-)

Du hast es jetzt ja auch geändert - allerdings fehlt dem "augezogen" noch ein "s" ;-)

Aber egal ob mit oder ohne "-aus": Ein schöner Text, das :-)

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 15 Gäste