Schneezeit

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Louisa

Beitragvon Louisa » 01.11.2008, 16:49

Meine Mutter schläft im Schneewagon in der Kälte eines besonderen Winters.
Sie schlürft am Kaffee, der sie nicht aufwecken will, und sie hört das Flüstern
von mir und meinem Bruder und von Obama, der im Radio wohnt.
Es fällt kein Wort in ihr Abteil, nur Genuschel.
Ein Boskoopbaum wächst aus ihrem Bett.
Ein Fliegenpilz aus ihrer Stirn, es kann sein,
dass im Sommer ihr Mund auftaut, die Salmonellen-
gesprächspartner werden hinzutreffen, sich anschweigen,
wieder ausschweigen und allmählich die Herzen zu Fäusten ballen,
das habe ich bei einem Geflüster aufgeschnappt.




Änderungen:

Sehet Lisas Beitrag ;)
Zuletzt geändert von Louisa am 05.11.2008, 12:53, insgesamt 3-mal geändert.

Max

Beitragvon Max » 02.11.2008, 21:45

Liebe Louisa,

ich habe den Text nun ein paar Mal gelesen und ich finde ihn sehr expressionistisch.

Ich finde, dass das Gedicht in den Einzelbildern sehr ausdrucksstark ist, wobei diese varriieren ... von kindlich naiv "Obama, der im Radio wohnt" bis zu einfach gekungen ("Herzen zu Fäusten ballen").

Die gesamtaussage finde ich allerdings schwer zu verstehen ... bei mir rundet sich das Gedicht nicht, ich weiß aber, dass das anderen besser geht :-)-

Liebe Grüße
Max

Max

Beitragvon Max » 03.11.2008, 08:36

Liebe Louisa,

ich bin heute Morgen erwacht und wusste mit einem Mal, wovon der Text handelt. Anscheinend hat er mich im Schlaf beschäftigt, sogar so sehr, dass sich in mir eigenen Zeilen gefunden haben.

Es ist dann wohl ein sehr guter Text :-.

Liebe Grüße
Max

Louisa

Beitragvon Louisa » 03.11.2008, 16:27

Hihi...das ist ja süß! Ich habe ihn gestern Nacht vorgelesen und darf ihn jetzt so einer Zeitung einsenden... Vielleicht war das "MAGIC GEDANKENÜBERTRAGUNG" :smile:

Eigentlich ist sein Ursprung aber ein zwei-jahre-altes Heftchen, indem ein einziger Satz von jemand steht, der mich dermaßen berührt hat...weil er so eine warme Friedlichkeit in seiner Beschreibung innehatte, dass mir auf einmal die gesamte Schönheit eines vergangenen Augenblicks in die Glieder fuhr - und das Verrückte daran war, dass ich diesen Augenblick, als er war, gar nicht beachtet habe und erst jetzt in dieser plötzlichen Rückblende wurde mir bewusst wie wertvoll und wie ewig er eigentlich gewesen ist...
Ich weiß nicht, ob du das hören wolltest, aber ich wollte es mal schreiben :smile:

Danke Dir :blumen:
l

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 03.11.2008, 17:46

Dafür ein Blumensträusschen.

:blume0030: :stern:

Ich träume mit offenen Augen.

Moshe

Louisa

Beitragvon Louisa » 03.11.2008, 19:00

Danke!

Was gebt ihr hier denn alle für süße KOmmentare ab :smile: ! Der nächste wird wahrscheinlich noch ein schlüpfendes Küken sein, was :smile: ?

Max

Beitragvon Max » 03.11.2008, 20:32

Liebe Lou,

doch, das wollte ich schon hören :-).

Liebe Grüße
Max

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 03.11.2008, 21:10

Deshalb ja doch DIESE MOMENTE, die ich ins Leben gerufen habe....

:eek: :pfeifen: :idee:

Moshe

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 04.11.2008, 13:47

Liebe Louisa,

das finde ich sehr gelungen - wie oft brachte ich schon den Vergleich zu surrealistischen bzw. expressionistischen Gemälden (gähn-smiley denken), aber so ist es nun mal! Du schaffst es sogar ihre Farben vor meine Augen zu bringen - beim Fliegenpilz vor ihrem Mund z.B., ich sehe das! Und hier passt das sehr, die Mutter ist anwesend und ist es nicht oder: durch die Wirklichkeitsstruktur des Textes hat die Mutter eine unheimliche Kraft in ihrer Abwesenheit anwesend zu sein.

Ich hab relativ viel Kriddelfiddel:

Meine Mutter schläft im Schneewagen in der Kälte eines besonderen Winters.
Sie schlürft am Kaffee, der sie nicht aufwecken will (Komma) und sie hört das Flüstern
von mir und meinem Bruder und von Obama, der im Radio wohnt.
Es fällt kein Wort in ihr Abteil, nur Genuschel . <-- Leerzeichen vor Punkt weg
Ein Boskoopbaum wächst aus ihrem Bett.
Ein Fliegenpilz aus ihrer Stirn, es kann sein,
dass im Sommer ihr Mund auftaut, die Salmonellen-
gesprächspartner werden hinzutreffen, sich anschweigen,
wieder ausschweigen und allmählich die Herzen zu Fäusten ballen,
das habe ich bei einem Geflüster aufgeschnappt.

das anschweigen und ausschweigen finde ich etwas viel, ich kann nicht wirklich eine Unterschied zwischen beiden erkennen, sodass sich die Dopplung lohnt - vielleicht das anschweigen löschen.

Obama finde ich originell, aber doch auch etwas willkürlich für die Szene, weil es das einzig konkrete Gegenwartsbild ist, was du nimmst, alles andere sind ja zeitlose Attribute. Er könnte noch etwas Unterstützung von gleichgesinnten Konkretheiten gebrauchen?

wagen und abteil passt nicht ganz, bei wagen allein denkt man eher an kraftfahrzeug - ich z.B. an eine sargartige kutsche -- wagon?

das "schläft" ist natürlich einerseits eine Hilfe für den Leser, den Tod zu lesen, andererseits ist es doppelt gemoppelt damit, dass sie kurz danach am Kaffee schlürft (sie schläft doch?) - hier hast du zwei Bildebenen durcheinander gemischt denke ich? wie wäre reisen? obwohl schlafen natürlich schon ein rundes Bild ist - na ja, ich wollte nur darauf hinweisen.
Überhaupt ist das Wagen-Bild etwas inkonsistent, du näherst dich doch immer mehr dem "Grab"-Realem, verlierst das erste Bild etwas, das wirkt nicht ganz beabsichtigt/durchkomponiert
sind salmonellen dinger, die im Grab leichen zersetzen? ich dachte, das sind andere (bin jetzt zu faul zu googeln)
zudem find ich salmonellen-gesprächspartner, auch noch mit Bindestrich, etwas ..laaaaaaaaaaaang .-)

Ich frage mich außerdem, ob man denn den Gedanken, der dich so berührt hat und das Gedicht hervorgebracht hat, erkennen kann bzw. sollte?

ich bin nicht wirklich zufrieden mit meinen Alternativvorschlägen, aber die Hinweise finde ich richtig. Also bitte nicht einfach irgendwas übernehmen..

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Louisa

Beitragvon Louisa » 05.11.2008, 12:52

*hat irgendwas übernommen* :mrgreen:

Huhu Lisa!

Vielen Dank.

Hihi...was wollte ich sagen? - Genau! "Wagon" ist besser, ja- Auch Komma und Leerzeichen wegstreichen (hui!) ist besser -

Mm....*grübel, grübel* - Ich finde, dass es sich eigentlich nicht wiederspricht, dass jemand, den man "Tot" nennt schläft und gleichzeitig Kaffee trinkt - Für mich waren diese Paradoxa (ist das die Mehrzahl?) schon absichtlich gewählt - Man kann sich ja auch z.B. denken, dass jemand kurzzeitig aufwacht in diesem ewigen Dauerschlaf.... Ich meine, da könnte man auch sagen: Wie kann man im Zug fahren, wenn man unter der Erde liegt - oder?

Mm....Obama kann zu schwach sein, aber was Besseres fällt mir gerade auch nicht ein, weil ich die ganze Zeit nur "Obama" höre, den ganzen Tag! Obama im Radio, Obama bei den Hausarbeiten, Obama in der U-Bahn, Obama, Obama, Obama... und alle Toten müssten doch von irgendwoher etwas davon durchsickern hören ;-)

Für mich wächst der Baum im Zug und ebenso der Fliegenpilz... vielleicht sollte man da noch ein Zugbild "dazuschmeißen" - was meinst du? Damit der Leser nicht so unterirdisch fortgeführt wird...ja...

Also ich mache mir da Gedanken. Vielleicht machst du dir auch welche :engel2: ?

Danke und bis bald :blumen:
l

Louisa

Beitragvon Louisa » 05.11.2008, 12:52

PS: Wie ich darauf komme und was ich mir dazu denke ist unwichtig :smile: !

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 05.11.2008, 14:19

Liebe Louisa,

ich finde Obama gar nicht schwach - nur eben etwas allein als konkretes Bild. Ich würde ihn also nicht streichen, sondern ein anderes gegenwärtiges Detail noch einbauen. Das mit dem Zugbild verstärken am Ende find ich eine gute Idee, wenn es den Rhythmus etc. nicht zerstört, so im Nachhinein eingebaut.

Mit dem schlafen und schlürfen weiß ich nicht: Man kann es schon leicht überlesen, es klingt schon zusammen, ich glaube aber, dass du den Widerspruch so nicht wirklich beabsichtigt hast - also weiß ich nicht .-). Obwohl: Eigentlich sichert der Punkt nach der ersten Zeile diese als Prolog - ja..ich denke, so geht es :blume0030:

Übrigens: trotz der schönen Idee, dass kein Wort wie kein Schnee in ihr Abteil fällt, würd ich überlegen, ob du die Zeile

Es fällt kein Wort in ihr Abteil, nur Genuschel.


nicht streichst, da sie ja doch das Flüstern hört und Obama etc. und die Zeile im Grunde etwas redundant ist.

Oh, ne, nicht noch ein Vorschlag..ich husche lieber weiter :verwirrt:

den ich finde den text doch wirklich gelungen. Manchmal hab ich das Gefühl, das kann ich bei deinen Texten nur durch Kritik ausdrücken - :-)

liebe Grüße,
Lisa
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Louisa

Beitragvon Louisa » 05.11.2008, 14:32

Hallo!

Also wenn mir noch ein derzeitiges Detail einfällt bzw. ein Zugbild, dann setze ich es ein... Ich bin aber auch für jeden Vorschlag dankbar.

Mm...das ist ja zum immer verrückter werden hier :smile: ! Ich scheine nicht mehr ganz dicht bis hin zu Wasserschaden zu sein - Denn mir war diese "Genuschel-Zeile" mit die wichtigste. Ich fand die Vorstellung, dass man als Toter die andere Welt der Lebenden noch wahrnimmt, aber eben doch nichts Konkretes, kein Wort, keine Tatsachen aus ihr erfährt sehr spannend. Das Wort "Genuschel" trifft es da für mich auf den Punkt. 1. habe ich es noch nie in einem Gedicht gelesen und zweitens drückt es eine Sprache aus, die der Sprechende versteht, der Zuhörer aber nicht "entziffern" kann, ein perfektes Wort meiner Ansicht nach, wenn es um eine Welt der Lebenden und eine der Toten gehen soll.

Kannst du das nachvollziehen? - Denn es ist meines Erachtens auch etwas ganz anderes, als "Flüstern" - Denn da verstehst du ja meistens, was der andere sagt - nur leiser.

Ich kann meine Zustimmung an der Kritik nur durch eine verteidigende Kampfhaltung ausdrücken :mrgreen: .

Schönen Nachmittag!
l

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 05.11.2008, 14:47

Liebe Lou,

Ich kann meine Zustimmung an der Kritik nur durch eine verteidigende Kampfhaltung ausdrücken :mrgreen: .


juhu, endlich hab ich dich mal soweit!

Aber ernsthaft: Ja, deine Argumentation verstehe ich! Und ich habs sogar vorher schon so verstanden, es ist von dir also richtig angelegt. Das Problem ist nur, dass du vorher schreibst, dass sie das Flüstern hört und Obama im Radio - flüstern ist ja so speziell, dass es sich mit "genuschel" beißt, man denkt, sie hört das Flüstern UND gleichzeitig alles nur als Genuschel, irgendwie erscheint mir das unabsichtlich doppelt beschrieben, auf zwei verschiedene Weisen -- verstehst du? "Unsauber".

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
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