die Ingeborg

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Thea

Beitragvon Thea » 02.11.2008, 09:57

die Ingeborg

Ihr Wasserfuß war so groß und ihr Hund war so klein, dass sie sich ähnelten und deswegen Gefallen aneinander fanden und der eine sich auf den anderen legte und es mir schwer fiel, die beiden voneinander zu trennen. Band ich die Leine um den dünnen Hals des Hundes und setzte ihn auf die feuchte Straße, drehte er seinen Kopf zur Tür um, aus der wir kamen und wimmerte und zog zurück zu der Ingeborg, die sich bis dahin schwer aus dem Sessel erhoben hatte und sich mit beiden Händen am Türrahmen festhielt und uns nachschaute.
An diesen Tagen, an denen das Leder mit einem Ruck meine Hand nach unten zog, weil der Hund die Beine einknickte und den fülligen Körper auf die feuchte Straße fallen ließ, setzte ich mich auf ein Taschentuch auf den Bordstein und sah zu, wie er eine Leinenlänge entfernt auf der Straße lag und zu mir sah, wie ich meine knochigen langen Beine von mir wegstreckte. So war es. Dem Hund war es recht und mir auch und mal winkelte ich die Beine wieder an und mal rollte er sich auf den Rücken in eine Pfütze und blieb liegen wie die tote Fliege auf dem Fensterbrett, die man nicht wegkehrt. War die Stunde vorbei, zerrte ich ihn zurück und sein Fell war nass und Zigarettenstummel klebten an ihm.
Sie nahm den Hund in den Arm und drückte ihre Stirn an das feuchte Fell. Die Ingeborg war eine gute Frau. Ach, sagte sie, und ließ sich langsam in den Sessel nieder und hielt sich noch an der Lehne fest, als sie schon in Polster eingesunken war. Sie fragte nicht, ob ich rauche. Sie lächelte mir ins Gesicht und eine Hand am Fell zupfte abwesend die Stummel ab. Ich nahm den Umschlag. Der Hund entwand sich ihrem Griff und schmiegte sich an den Wasserfuß, dass der feuchte Nylonstrumpf schimmerte.
Die Ingeborg sprach mit ihrem Hund, nannte ihn Frithjof und gab ihm Katzenfutter zu Essen, weil sie nicht mehr richtig sehen kann. Sie sagte, sie möge sich an diesen Tagen die Farben im Supermarkt nicht anschauen. Ach, sagt sie.
Seit dann war ich an ihrer Stelle einkaufen gegangen für den Hund und ich nahm das, was in der Werbung immer kam. Bitte, aber nicht wieder das, sagte die Ingeborg einmal, als sie mir die Hand um ihre Geldtasche schloss, das Alte war besser, bitte, sind Sie so gut, das Alte hat er gegessen, aber das hier, was sie immer kaufen, das schmeckt ihm nicht. Sie sind so gut, danke. Ich war so gut und der Hund bekam sein Katzenfutter und aß es ganz auf vor Ingeborgs Wasserfuß.

Ich lernte sie kennen, bevor sie mich kannte. Die Treppen hinunter auf die Straße und an der Ecke rechts im Supermarkt, in dem ich acht Tage später dem Hund Katzenfutter einkaufen würde, da sah ich sie, ohne zu kennen, sah über die Ware hinweg, wie eine Frau ihr an den Arm fasste und die Wange küsste und sich die Körper beider im Wege waren. Und wie die ersten Sätze gewechselt waren, hob sie den Rock und zeigte der Frau ihre Gummisocken, die eng bis über die Knie reichten und die Beine in sich zusammendrückten und der Wasserfuß im weiten Schuh schien einsam. Ach, du, Ingeborg, rief die Frau. Jaja, ach ja, sagte die Ingeborg und ließ den Rock herunter.

Als ich an einem dieser Tage auf Ingeborgs Rockhöhe hockte und die Ware sammelte, um sie zurück in den Einkaufswagen zu heben, weil sie herausgefallen war und die Ingeborg sich nicht bücken kann und ich es auch nicht gut kann, aber in die Hocke gehen kann ich und das tat ich und sah Ingeborgs Wasserfuß von nahem in der speziell angefertigten Sandale und sah ihre Zehen sich übereinander verkreuzen, dass es mich ins Herz stach. Danke, Sie sind so gut, sagte die Ingeborg zu mir. Ingeborg war immer noch schwarz unter den Achseln. Sie nahm mich am Handgelenk und schloss meine Hand um einen Schein. Bei ihr zu Hause roch es nach Birne.

[align=right]Änderungen: Dana gestrichen + siehe Lisa[/align]
Zuletzt geändert von Thea am 04.11.2008, 17:55, insgesamt 1-mal geändert.

Oldy

Beitragvon Oldy » 02.11.2008, 10:39

Hallo Thea,

schöne, von Melancholie getragene Geschichte.
Die seltsame Beziehung dieser beider Menschen finde ich wunderbar an den Leser gebracht, was meines Erachtens in erster Linie an dem doch ungewöhnlichen Erzählstil aus der Ich-Perspektive liegt. Diese langen, verschachtelten Sätze passen sehr gut zur Geschichte, lehnen sie sich doch in ihrer scheinbare "Umständlichkeit" an die Charaktere an, machen sie für mich als Leser greifbarer.
Das geistige Bild "der Ingeborg" (schöne, liebevolle Ansprache übrigens) war bei mir nach den ersten zwei, drei Sätzen da, selbst die Szene mit dem dicken Hund lief gleich im Kopfkino ab. In diese Geschichte bin ich sofort "eingetaucht", was mir durch die ruhige Sprache, welche ohne "Knalleffekte auskommt und den schon angesprochenen Stil besonders leicht fiel.
Ein wunderschön geschriebenes Beziehungsbild zweier vollkommen unterschiedlicher Menschen, die durch Zufall zueinander gefunden haben und sich, jeder auf seine Weise, gegenseitig helfen.

lg
Uwe

Nachtrag am 03.11.08: Habe es gerade noch einmal gelesen. ausgedruckt und an meine Pinwand genagelt. Ich finde immer mehr in diesem Text. Ein grandioses Stück Prosa.

Sam

Beitragvon Sam » 03.11.2008, 11:51

Hallo Thea,

ich denke, das ist wieder ein Auszug aus einem längeren Text. Jene Dana taucht ja des öfteren in deinen Texten auf. Das macht es natürlich schwer, sich einen Gesamteindruck zu verschaffen. Betrachtet ich dieses hier als abgeschlossene Geschichte, empfinde ich die Erwähnung Danas als zu sehr ablenkend, wenn nicht sogar störend. Es rundet das Bild der Ingeborg ja nicht ab, sondern bringt eine zusätzliches Komponente in die Geschichte, die aber zu sehr in der Luft hängen bleibt.

Abgesehen davon aber gefällt es mir sehr gut, wie du Ingeborg zeichnest. Die Beschreibung der Begegnung zwischen der Erzählerin und der Frau im Supermarkt ist wirklich gelungen. Und auch das Zusammenspiel von Hund/Wasserfuß. Wie schon bei Lorenz gelingt es dir, den Charakter von Menschen, oft in ihrer Einsamkeit und Isolation, bildhaft zu machen und zwar an deren Berührungspunkten zu ihrer Umwelt. (so z.B. das Zusammentreffen von Ingeborg und der anderen Frau -großartig in seiner wortarmen aber vielsagenden Kürze)
Sowieso scheint mir dein Blick hauptsächlich den Menschen zu gelten, die am Rand der Gesellschaft stehen oder dabei sind, vom Leben dahin gespült zu werden. Es ist kein mitleidiger, aber dennoch warmer Blick. Ein Blick, der ein Interesse an den Menschen zeigt, das nicht von sozialem Engagement überlagert wird, welches nur der eigenen Beruhigung dient.


Liebe Grüße

Sam

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 03.11.2008, 13:04

Liebe Thea,

ich lese das auch als einen weiteren Abschnitt der Dana-texte (sonst stimmte ich Sam zu, dass der Danabezug am Ende etwas zu stark und damit auch zu plötzlich kommt) - dann gefällt er mir sehr. Irgendwie haben Sam und Oldy ansonsten genau die Stärken des Textes benannt: die gelungene Menschenschau und der besondere Erzählton, ja, das ist es, ich würd mich also nur wiederholen, darum ganz leer: - daran merkt man wirklich dein Talent, es ist ein Genuss, deine Texte zu lesen.

Ein paar mehr Detailanmerkungen als in den anderen Ausschnitten, hab ich diesmal gefunden:


Legte ich die Leine -wiederholung von legte irritiert (siehe davor), hängte?

lieb liegen, wie die tote Fliege - Komma weg

noch an der Lehne fest, als sie schon in Polster eingesunken ____ - die verkürzung schafft immer poetik, passt aber hier nicht zum Stil, finde ich

dass der Nylonstrumpf vom Pfützenwasser schimmerte. - ich bin nicht sicher, man kann das sagen, es ist gängig, aber das "vom" klingt doch etwas unsauber

Katzenfutter zum Essen - Katzenfutter zum Essen geben?

sind sie so gut, das Alte hat er gegessen, aber das hier, was sie immer kaufen, das schmeckt ihm nicht. - sie groß

da sah ich sie, ohne zu kennen - noch ohne sie zu kennen

Als ich an einem dieser Tage auf Ingeborgs Rockhöhe hockte und die Ware sammelte, um sie zurück in den Einkaufswagen zu heben, weil sie herausgefallen war und die Ingeborg sich nicht bücken kann und ich es auch nicht gut kann, aber in die Hocke gehen kann ich und das tat ich und sah Ingeborgs Wasserfuß von nahem in der speziell angefertigten Sandale und sah ihre Zehen sich übereinander verkreuzen, dass es mich ins Herz stach, wie es gestochen hatte, als Danas Finger knackten, weil Dana sie ineinander verkreuzt dehnte.


Ich mag, wie der Satz seine Grammatik/Ausrichtung wechselt, aber gegen Ende müsste er dies noch einmal tun, damit das zeitliche "als" vom anfang eingelöst wird - sonst wird es grammatisch haarig


Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Thea

Beitragvon Thea » 04.11.2008, 17:48

Hallo ihr Lieben und danke danke für die schnelle Rückmeldung!

Uwe, finde ich großartig zu wissen, dass die ingeborg in einem anderen teil deutschlands angepinnt ist :) kommt mir kaum zu glauben

Sam, du denkst richtig. es ist ein auszug. dana habe ich drinnen gelassen, weil ich es so lese, dass ingeborg umso wichtiger für die protagonistin wird, je mehr assoziationen sie mit dana zulässt. für mich ist dana wie ein orgelton, der schon takte vor dem schlussakt klingt. allerdings verstehe ich, dass die hier aufgeführten assoziationen nicht ausreichen, um danas auftritt zu rechtfertigen. darum streich ich sie aus diesem auszug.
sehr beruhigend ist zu lesen, dass der text nicht überengagiert ankommt. danke dir dafür

Lisa, du bist wirklich wie regen; wäschst die sprache sauber. ich habe türlich deine anmerkungen übernommen. schön! danke!

liebe grüße,
in mainz ist es schon dunkel und dabei erst viertel vor sechs...


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