"Sie brauchen Ruhe“ hat mein Arzt zu mir gesagt. „Beginnendes Burnout. Damit ist nicht zu spaßen“.
Also habe ich meine Sachen gepackt, um in der beschaulichen Umgebung eines altehrwürdigen Klosters zur Ruhe und möglicherweise gar zu mir selbst zu finden.
Kurz vor dem Mittagessen komme ich dort an und habe gerade noch Zeit, meine Zelle zu beziehen und meine Sachen in eine Art Spind zu räumen, an dessen Tür mir ein Bild der Heiligen Mutter Gottes als Pinup entgegen lächelt. Na, ob dem Herrgott das gefallen würde...
Dann mache ich mich auf den Weg in den Speisesaal. Ich werde an einen Tisch für externe Gäste geführt, an dem drei Gedecke aufgelegt sind. Da bin ich ja mal gespannt.
Nebenan ist eine lange Tischreihe für mindestens zwanzig Personen eingedeckt. Ich dachte eigentlich, hier lebe nur noch eine Handvoll Mönche. Aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren.
Doch kein Mönch, sondern eine Nonne betritt den Raum. Sie sieht aus als kenne sie sich schon aus und kommt schnurstracks auf mich zugeeilt. „Ach, wie schön,“ sagt sie, „endlich nicht mehr allein am Tisch.“ Ich versuche nicht allzu sichtbar zu schlucken und dabei gleichzeitig einigermaßen freundlich zu lächeln. Das Ergebnis ist ein ausgiebiger Hustenanfall.
Sie klopft mir beherzt auf den Rücken, sie scheint weder zimperlich noch kontaktscheu zu sein. Während ich mir noch die Tränen abwische, beginnt sie mich auszufragen. Ich ringe benommen um Fassung. Das nutzt sie, um sich mit mir zu einem gemeinsamen Spaziergang nach dem Essen zu verabreden.
Ein älterer Herr kommt zu uns an den Tisch. Sein Hemd ist gestreift, darüber rote Hosenträger. „Guten Tag“ sagt er in einem mir vertrauten ostfriesischen breiten Tonfall und setzt sich.
Dann stürmt eine Horde Teenager in den Raum. „Sie haben gerade eine Schulklasse hier“, sagt die Nonne und sieht aus, als hätte sie in einen Tennisball gebissen.
Ein Berg Hühnerbeine betritt den Tisch. Dazu Kartoffeln und Broccoli. Gott sei Dank habe ich vegetarisches Essen bestellt.
Die Nonne scheint Gedanken lesen zu können und verdonnert mich sanft aber unnachgiebig, das Tischgebet zu sprechen. “Ähm, Lieber Gott“, beginne ich und krame in meinen Erinnerungen nach passenden Worten“ danke, dass Du uns das Essen bereitet hast, es...wird uns sicher gut schmecken.“ Hastig füge ich noch ein „Amen“ hinzu. Geschafft.
Die Teenager fallen über die Hühnerbeine her. „Morgen fahren sie wieder“ weiß die Nonne mit erleichtertem Tonfall zu berichten. Schaut dabei aber besorgt auf die Hühnerbeinchen. Dann informiert sie uns über ihr schlecht sitzendes Gebiss und beginnt mit akribischen Filetierbewegungen die Haut vom toten Federvieh zu pulen. Mit Messer und Gabel, versteht sich.
Ich nehme mir ungerührt von meinem Vegetarier-Rührei und versuche, mich auf das Essen zu konzentrieren. Währenddessen erzählt der Ostfriese mit fistelnder Johann-König-Stimme, wann er wo wie viel zu essen bekommen habe. Als er bis Bremen gekommen ist, gibt die Nonne das Filetieren auf. Stattdessen wendet sie sich mir zu. „Ihr Rührei sieht aber auch lecker aus“, sagt sie.
Ich schiebe ihr resigniert die Schüssel rüber. Das kenne ich schon. Unter Fleischessern werden Vegetarier nie satt. „Nehmen Sie sich ruhig“, sage ich, nachdem ich die letzten Reste an Höflichkeit aus meinem Repertoire ans Tageslicht befördert habe. Ich wollte sowieso gerade abnehmen, füge ich nicht mehr ganz so höflich in Gedanken hinzu.
Als ich endlich das Besteck beiseite lege, weiß ich, dass die Nonne hier von abgeschiedenem Schweigen hinter den Mauern ihres Mutterklosters Urlaub macht. Und das tut sie gründlich. Ich kenne die Namen ihrer Mitschwestern und deren Haupt-und Nebeneigenschaften, die Gewächse des Klostergartens, den Grad ihrer Anfälligkeit für Blattläuse und die Bezugsquellen für deren Hauptfeinde, die Siebenpunktmarienkäfer.
Doch ich habe noch mehr gelernt, denn auch der Ostfriese hat die seiner Spezies nachgesagte Wortkargheit anschaulich und überzeugend widerlegt und so bin ich über die Restaurants von Emden bis Göttingen und von Osnabrück bis Peine und ihr Preis-Leistungs-Verhältnis informiert. Ich bin mir im Klaren darüber, wo ich künftig die knusprigsten Hühnchen und das panierteste Schnitzel bekomme.
Außerdem weiß ich, dass ich nie in eine Johann-König-Vorstellung gehen werde. Das hier könnte der sowieso nicht toppen.
In Ruhe und Frieden
Liebe leo,
ich bin jetzt mal ganz dreist und verschiebe das in die Prosa-satire-Rubrik .-). Kommentar später, da ich gerade nicht mehr zum Lesen komme und den text nicht halb lesen möchte.
Liebe Grüße,
Lisa
ich bin jetzt mal ganz dreist und verschiebe das in die Prosa-satire-Rubrik .-). Kommentar später, da ich gerade nicht mehr zum Lesen komme und den text nicht halb lesen möchte.
Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Liebe Lisa,
Oh, wieder mal falsch gepostet. Höhö, ich kann kein einziges Formular korrekt ausfüllen und jetzt geht das mit den Rubriken auch schon so los. Klar sollte es nicht unter Lyrik, sondern unter Prosa stehen. Danke fürs Verschieben!
Liebe Grüße
leonie
Oh, wieder mal falsch gepostet. Höhö, ich kann kein einziges Formular korrekt ausfüllen und jetzt geht das mit den Rubriken auch schon so los. Klar sollte es nicht unter Lyrik, sondern unter Prosa stehen. Danke fürs Verschieben!
Liebe Grüße
leonie
Hallo leonie,
das hat mir richtig Spaß gemacht, es zu lesen! Sind etliche schöne Schmankerl drin wie z.B.
*lach*
Ja, nicht einmal in einem Kloster findet man seine Ruhe.
Und wenn du ein Schweigekloster buchen möchtest, sind alle Plätze bis auf etliche Monate im voraus ausgebucht, da sie von Managern regelrecht überlaufen werden, die alle kurz vorm Burnout-Syndrom stehen.
Verrückte, verkehrte Welt.gif)
Saludos
Gabriella
das hat mir richtig Spaß gemacht, es zu lesen! Sind etliche schöne Schmankerl drin wie z.B.
Ich versuche nicht allzu sichtbar zu schlucken und dabei gleichzeitig einigermaßen freundlich zu lächeln. Das Ergebnis ist ein ausgiebiger Hustenanfall.
Sie klopft mir beherzt auf den Rücken, sie scheint weder zimperlich noch kontaktscheu zu sein. Während ich mir noch die Tränen abwische, beginnt sie mich auszufragen. Ich ringe benommen um Fassung. Das nutzt sie, um sich mit mir zu einem gemeinsamen Spaziergang nach dem Essen zu verabreden.
Schaut dabei aber besorgt auf die Hühnerbeinchen.
Als er bis Bremen gekommen ist, gibt die Nonne das Filetieren auf. Stattdessen wendet sie sich mir zu. „Ihr Rührei sieht aber auch lecker aus“, sagt sie.
Ich kenne die Namen ihrer Mitschwestern und deren Haupt-und Nebeneigenschaften, die Gewächse des Klostergartens, den Grad ihrer Anfälligkeit für Blattläuse und die Bezugsquellen für deren Hauptfeinde, die Siebenpunktmarienkäfer.
*lach*
Ja, nicht einmal in einem Kloster findet man seine Ruhe.
Und wenn du ein Schweigekloster buchen möchtest, sind alle Plätze bis auf etliche Monate im voraus ausgebucht, da sie von Managern regelrecht überlaufen werden, die alle kurz vorm Burnout-Syndrom stehen.
Verrückte, verkehrte Welt
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Saludos
Gabriella
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