Kurz vor E

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Andreas

Beitragvon Andreas » 08.09.2008, 13:14

Gegen die Schwerkraft,
wider der Gesellschaft,
schrillten die Glocken
im Zwischenstock

und hektisch krächzt
der Souffleur
im Schweiss,


der Voyeur
in blinder Leidenschaft
ächzt hinterm Gitter.


Befreit hatten wir uns
schon längst.

Louisa

Beitragvon Louisa » 08.09.2008, 23:16

Hallo Andreas,

Dein Text gefällt mir, weil mir die Wortwahl originell erscheint.

Es fällt mir nur sehr schwer einen eigenen Schlüssel für viele Zusammenhänge der Bilder zu finden. Das "E" im Titel ist mir z.B. ein Rätsel.

Rätsel muss natürlich nicht automatisch schlecht sein, aber es gibt Rätsel, die man gerne tausendfach für sich löst und andere, die eine dumpfe Leere hinterlassen... Dazu geört für mich dieses "E" - Aber vielleicht stehe ich auch auf dem Schlauch.

Zur ersten Strophe:

Dieser Reim...mm...einerseits wirkt das schön dynamisch andererseits ein bisscen zu allgemein. "Gegen die Schwerkraft/Gesellschaft" - Das finde ich schon mal sehr pompös, als dass man es so schnell hintereinander bringen kann. Ich würde eines streichen oder näher beschreiben.

Diese Alarmglocken (so denke ich) sind wieder ganz greifbar und deshalb spannend für mich.

Dann in der zweiten Strophe die schöne Verbindung zwischen "Souffleur" und "Schweiss" - Aber wieso krächzt der "hektisch"? Wie krächzt man denn "hektisch"?

Das wirkt wieder ein bisschen willkürlich. Aber man kann sich schon etwas darunter vorstellen. Ich glaube du willst von der Sprachlosigkeit erzählen, bei der selbst ein imaginärer Souffleur nicht mehr helfen kann.

Dann würde doch aber auch:

"Der Souffleur im Schweiss"

reichen...oder?

Danach die dritte Strophe:

"in blinder Leidenschaft" gefällt mir gar nicht... Dafür möchte ich eine Metapher haben. Würde ich ebenfalls austauschen/streichen.

Dieser Souffleur und der Voyeur bringen eine gewisse Spannung in diese "Beziehungsanalyse" herein. Das mag ich ganz gern.

Das Ende ist mir auch ein großes Fragezeichen. Wieso "befreit" ? Worauf bezieht sich das?

Ganz gerne gelesen!

Guten Abend,
l

Andreas

Beitragvon Andreas » 09.09.2008, 09:06

Liebe louisa,

ich werde dir eine kurze PN schreiben, um dir einen, vielleicht wertvollen Anstoss, liefern zu können. Deswegen als PN, weil ich denke, dass es sonst hier im öffentlichen Thread zuviel verraten würde. Ich hoffe, dass das in Ordnung geht.

Liebe Grüße
Andreas

Louisa

Beitragvon Louisa » 09.09.2008, 09:43

Danke für die geheime Erklärung.

Deshalb verstehe ich aber immer noch nicht dieses "Kurz vor ..." - Ich meine auch in dieser Schreibform wird jemand/etwas nicht angekündigt, sondern jemand/etwas erscheint einfach.

Aber wie du meinst!

Ach ja: Dadurch werden auch die Schwerkraft und Gesellschaft nebeneinander nicht abgeschwächt. Das kann aber auch gefallen, glaube ich.

Was meinst du aber zu den anderen kleinen Kritikpunkten?

Immer noch ein interessanter Text für mich.
l

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 09.09.2008, 10:28

Hallo Andreas!

Texte, die Sprache auf ein Mittel zur Verrätselung von Gedanken reduzieren, sind mir sehr suspekt. Bei diesem hier hatte ich gleich den Eindruck, es sei einer von diesen, und deine Rückmeldung an Louisa und die dabei von euch gewählten Ausdrücke (verraten, geheime Erklärung) bestärken mich noch dabei. Dementsprechend: Dieser Text erreicht mich überhaupt nicht :sad:

Ist wider der Gesellschaft ein Teil des Rätsels oder einfach ein Grammatikfehler?!

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Andreas

Beitragvon Andreas » 09.09.2008, 11:39

Hallo!

Ferdi, es muss dann schlicht und ergreifend ein Grammatikfehler sein. Ich wollte sinngemäß sagen, dass es der Gesellschaft zum Trotze geschieht. Wie heisst es richtig? Wider die Gesellschaft? Tönt für mich ganz gruselig.

Was die Verrätselung betrifft, ferdi, so tut es mir leid, dass es doch so undurchsichtig geworden ist. Ich schreibe längst nicht alle meine Zeilen so kryptisch wie sie scheinbar geworden sind. Dass ich louisa gegenüber hier äußerte, dass ich ihr etwas unter 4 Augen verraten wollte, sollte keineswegs dieses Rätsel bestärken, hat es aber wohl unabsichtlich getan. Entschuldige bitte.

Louisa, so jetzt nochmal zu deinen anderen Punkten.

Kennst du diese kleinen, vergitterten Lautsprecher in Personenaufzügen? Hast du schonmal erleben dürfen/müssen, wenn dort jemand zu dir spricht? Ich glaube, dass hier krächzen absolut passend ist. Alternativ könnte ich mir nur noch kratzend, knirschend als Substitut vorstellen. Der Souffleur sollte übrigens weniger sprachlos sein, sondern schon sprachgewaltig, fast hektisch. Hektisch, weil er auf Resonanz hofft, die er aber nicht bekommt. Normal ist ja ein Souffleur gewohnt, dass man ihm, seinen Vorgaben, Folge leistet. Das würde ihm sicher nicht den Schweiss auf die Stirn treiben.

Blind ist ebenfalls etwas, was ich gerne dort drin haben möchte. Normal ist ein Voyeur ja nicht blind, sondern bezieht seine spezielle Neigung aus dem sehen. Dadurch, dass er aber nur hören kann, ist das eben blinde Leidenschaft. Es geht hier primär also nicht um die Leidenschaft des lyr.Ich, sondern die der dritten Person. Alles, was kursiv geschrieben ist, ist das Nebenschauspiel zum Haupt"akt".

Das "befreit" am Ende steht in seiner oberflächlichen Betrachtung, wenn meine Zeilen nicht so kryptisch wären :(, für den ganz normalen Ausstieg noch vor dem Eintreffen des technischen Personals. Allerdings hat es aber auch noch eine zweite Bedeutung.

Genauso verhält es sich mit dem Titel "Kurz vor E". Möchte man das ganz nüchtern betrachten, dann ist sicher E einfach nur das Erdgeschoss. Will man eine etwas fühligere Komponente, dann kann man es auch sicher als E .............. (Punkte willkürlich) lesen.

Falls hier nochmehr Fragen auftauchen, hoffe ich, dass ich im Laufe des Tages oder der nächsten Tage noch Stellung nehmen kann.

Liebe Grüße einstweilen
Andreas

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 09.09.2008, 11:47

Hallo nochmal :-)

"Wider" steht mit Akkusativ, daher wäre tatsächlich "wider die Gesellschaft" richtig!? Aber eigentlich bedeutet "wider" ja "gegen", und ich habe es daher auch parallel zu Z1 gelesen; wenn du "trotz" meinst, dann schreib das doch einfach, so könntest du auch das "der" beibehalten ;-)

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Nicole

Beitragvon Nicole » 09.09.2008, 12:39

O.k., jetzt hab ich's, glaube ich:
Kurzfassung:

(erotisches) Stelldichein im Aufzug. Man kommt zur Sache, bringt den Aufzug zwischen den Stockwerken zum stehen... Wie üblich in "Notfällen" meldet sich über den Fahrstuhllautsprecher jemand, der mitteilt, das gleich geholfen wird bzw der mitteilt, was man tun soll.. Da es sich normalerweise um Gegensprechanlagen handelt, wird er wohl "Zeuge" dessen, was er im Fahrstuhl so zu hören kriegt - blinder Voyeur, sozusagen. Vielleicht gefällt ihm, was er hört um er "ächzt" deswegen, vielleicht ächzt er auch nur verzweifelt, weil seinen Anweisungen keine Folge geleistet wird...

Befreit hatten wir uns
schon längst.


Ist vermutlich dann eine "innere" Antwort des Protag auf die Aussage des Menschen am anderen Ende des Lautsprechers. Der meint "wir werden sie aus dem stecken gebliebenen Aufzug befreien", der Protag meint vermutlich eher die Bekleidung.....

??? Liege ich richtig???

Nicole

Andreas

Beitragvon Andreas » 09.09.2008, 12:46

Hi Nicole,

dem habe ich kaum etwas hinzuzufügen.

Minianmerkung noch:
Du hast die beiden Bedeutungen von befreit genau herausgestellt. Ich würde mir zum Beispiel auch noch eingehen lassen, wenn man befreit als Entfesselung / Freigabe der Lust aufeinander interpretiert.

Liebe Grüße
Andreas

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 09.09.2008, 21:36

Hallo Andreas,

so recht mag der Text bei mir auch nicht einschlagen. Zum einen kryptisch, und dann doch mit 'eindeutigen' Wörtern wie 'ächzt' oder 'Schweiß' (kurzgesprochene Diphtonge fordern das 'ß') sehr plakativ für ... ja was? Das eindeutige Kopulationsmoment steht für mich inhaltlich in keinem erkennbaren Zusammenhang mit Elementen der ersten Strophe (wider die Gesellschaft, wie Ferdi richtig anmerkte). Ich würde den besagten Satz ganz austauschen, der lenkt auf falsche Geschosse (um beim Thema zu bleiben) :o)

Vom Rhythmus her hat das Ding nämlich einen ganz guten Drive.

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Estragon

Beitragvon Estragon » 10.09.2008, 00:09

Also die Lust aufeinander ist so ziemlich das wunderbarste und sonderbarste, aber
dass man es eine Befreiiung nennt, dass ist mir doch ein bißchen arg an den Haaren
herbeigezogen.
Ich finde das ganze Gedicht gewollt...und künstlich.
Lust und Befreiiung klingen jedenfalls anders und ich gebe zu dass es genau das ist
dass man am schwersten beschreiben kann

Louisa

Beitragvon Louisa » 11.09.2008, 09:27

Man kann höchstens die Lust selbst befreien...

Andreas

Beitragvon Andreas » 16.09.2008, 10:49

Hallo,

entschuldigt meine verspätete Meldung. Möchte hier aber nichts unkommentiert stehen lassen, wenn es zeitlich irgendwie geht. Seht mir also nach, wenn meine Reaktionszeit doch eher ungewöhnlich lang ist.

Thomas:
Verrätselung, entschlüssen, kryptisch, alles Worte, die im Zusammenhang mit diesen Zeilen aufgetaucht sind. Ich frage mich, da bei vielen dieser Eindruck entsteht / enstanden ist, ob diese Bezeichnungen für meinen Text auch zutreffend sind. Lese ich Kryptik, assoziiere ich automatisch so etwas wie Enigma, Schablonen und Muster zwecks Entschlüsselung kleinster Fragmente. Darum bin ich nicht überzeugt, dass es wirklich kryptisch ist, eventuell kann ich mich aber damit anfreunden, wenn man sagen würde, dass man schwerlich Zugang zu meinen Zeilen findet. Schliesslich ist meine Intention nicht, euch Rätsel aufzugeben, die eines Geheimdiensts würdig wären, sondern vielmehr mit meiner Wortwahl ein Szenario X zu konstruieren. Dass nicht jeder / fast alle damit harmoniert / harmonieren, muss ich einplanen.

Ächzt oder Schweiß, krächzt und mehr, was invers geschrieben ist, ist zwar ein Teil des Gesamtwerks, hat aber keine emotionale Schnittmenge mit Absatz 1 oder 4. Eventuell hätte ich die Abschnitte noch anders optisch setzen sollen, um es deutlicher aufzuzeigen. Weil in den invers geschriebenen Zeilen ganz andere emotionale Momente hervorherrschen als beim lyr.Ich, kann ich auch bewusst die Wortwahl in diesen Zeilen ganz anders gestalten. Es muss absolut nicht harmonieren. Er, der Souffleur / Voyeur, hat auch keinen Schweiss auf der Stirn, der von körperlicher Leidenschaft herrührt und ein blinder Voyeur ist eh ein Paradoxum. Ein Kopulationsmoment gibt es dort auch nicht im klassischen Sinne, sondern maximal im Übertragenen.

Was den Austausch des "der" gegen "die" in Strophe 1 betrifft, werde ich mich Ferdis und deinem Vorschlag gerne anpassen. "der" war leider, wie ich vorab erwähnte, pure Unfähigkeit meinerseits.

Estragon und louisa:
Hmm ich gebe zu, dass man Lust wirklich schöner und ansprechender verpacken kann. Man kann dieses Gefühl, was Hand in Hand mit Sehnsucht, Versuchung, Begierde usw. geht, sicherlich auch so beschreiben / bedichten, dass es nicht künstlich oder an den Haaren herbeigezogen scheint, ja, ich vermute, dass ich das vielleicht auch könnte, aber man darf auch nicht vergessen, dass wir hier von einem gerade noch so eben zweckmäßigen 1m² Umfeld reden, kalt, sexueller Kurzweil. Man kann sich übrigens auch von der Lust aufeinander befreien. Ich denke nicht mal, dass ich das wirklich ausführen muss.

Ich hoffe, dass ich in nächster Zeit wieder etwas mehr einstellen / kommentieren kann. Vielleicht hilft das auch ein bisschen mehr, etwas Gewöhnung an meinen Schreibstil zu finden. Meine Hoffnung wäre dann auch, dass in Zukunft manches etwas weniger kryptisch scheint, weil ich doch öfter mal weniger transparent schreibe.

Liebe Grüße
Andreas

Max

Beitragvon Max » 28.09.2008, 21:33

Lieber Andreas,

ich muss zugeben, dass es mir ähnlich geht wie ferdi.

Ich versuche die Bilder aufzuschließen, finde aber keinen Zugang und frage mich gleichzeitig, ob ein Aufschlüsseln tatsächlich mehr Aufschluss über das gäbe, was Du wirklich sagen möchtest .. ich farge mich eben, ob Du eine transportierende Ebene eingezogen wird, die einen die Situation weiterdenken lässt, oder ob Ferdi mit dem "verrätseln" recht hat .. . da ich es aber nicht verstehe, kann ich es auch nicht entscheiden ;-).

Liebe Grüße
Max


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