bombenstimmung

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Benutzeravatar
Thomas Milser
Beiträge: 6069
Registriert: 14.05.2006
Geschlecht:

Beitragvon Thomas Milser » 16.06.2008, 10:34

neue version (dank leo):


bombenstimmung



unten im hafen
bei reifen küster gegenüber
haben sie ne fliegerbombe gefunden

und wir bekamen so zettel
auf denen steht
dass wir nicht raus dürfen

und alle fenster geschlossen halten sollen

bis die jungs
vom räumkommando
den zünder haben oder erben

die straßen sind gesperrt
es ist totenstill
nur die amseln und die bäume und die sonne

hatte wohl niemand informiert

ich lehne mich weit aus dem fenster zum hof
blinzle in den blauen himmel
und bete

es möge immer so bleiben



alte version



bombenstimmung



unten im hafen
bei reifen küster gegenüber
haben sie ne alte fliegerbombe gefunden

und wir bekamen alle so zettel
auf denen steht
dass wir nicht raus dürfen

und alle fenster geschlossen halten sollen

bis die jungs
vom räumkommando
den zünder haben oder erben

alle straßen sind gesperrt
es ist totenstill
nur die amseln und die bäume und die sonne

hatte wohl niemand informiert

ich lehne mich weit aus dem fenster zum hof
blinzle in den blauen himmel
und bete

es möge immer so bleiben
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 18.06.2008, 12:04, insgesamt 2-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 18.06.2008, 13:13

Hi Tom,

wieder ein starker Text von dir. Vor allem der Titel ist klasse gewählt!
Die 2. Version hat noch gewonnen durch die kleinen Änderungen. Aber so würde ich das jetzt lassen, nichts mehr ändern.
Gelungen! :daumen:
Saludos
Mucki
P.S. mit den "erben" hatte ich keinerlei Probleme, hab es gleich richtig verstanden. Null problemo,-)

Benutzeravatar
Thomas Milser
Beiträge: 6069
Registriert: 14.05.2006
Geschlecht:

Beitragvon Thomas Milser » 18.06.2008, 13:21

Hi Mucki.

Prima, dass du mal den Titel ansprichst.

'Bomben'stimmung ist ja - ähnlich wie Bombenwetter oder Bombenlaune - eigentlich was Gutes.
Kein Mensch denkt dabei (heute noch) an die Stimmung, bevor die Bombe hochgeht.

Es ist ja nicht so, dass man sich bei ner Bombenentschärfung angsterfüllt hinter der Kommode verschanzt (Die Jungs, die die Dinger entschärfen, wollen auch weiterleben, da bin ich mir sowas von sicher).
Insofern gings mir echt gut, weil mal alles still war. Ich war in Bombenstimmung, quasi :o)

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 18.06.2008, 13:35

Hi Tom,
'Bomben'stimmung ist ja - ähnlich wie Bombenwetter oder Bombenlaune - eigentlich was Gutes.
Kein Mensch denkt dabei (heute noch) an die Stimmung, bevor die Bombe hochgeht.

eben, deshalb finde ich den Titel ja so klasse! :)))
Saludos
Mucki

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 18.06.2008, 21:09

Hallo Tom,

Ich hoffe, dass die 'gelangweilte/frustierte Aufzählung' im Schlusssatz eine positive Wendung bekommt


bekommt sie ohne Frage.

Schöne Grüße

Jürgen

Benutzeravatar
Thomas Milser
Beiträge: 6069
Registriert: 14.05.2006
Geschlecht:

Beitragvon Thomas Milser » 22.06.2008, 00:54

Hi Jürgen,

find ich gut. Dankevielmals.

Wir sollten beizeiten mal wieder ein Bierchen trinken? Herby? Was geht?

Tom :o-}
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Herby

Beitragvon Herby » 22.06.2008, 01:11

Offtopic:

Ich grübele z.Zt. noch über Sex in der Halbzeit... ;-)

Benutzeravatar
Thomas Milser
Beiträge: 6069
Registriert: 14.05.2006
Geschlecht:

Beitragvon Thomas Milser » 22.06.2008, 01:30

pssst ... falsche Rubrik :o)
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Last

Beitragvon Last » 22.06.2008, 10:25

Hallo Thomas,

du hast mit "10 minuten" und "bombenstimmung" zwei sehr souveräne Texte eingestellt. Ich äußere mich nur zu diesem hier, weil es mir noch etwas besser gefällt. Ich finde es kreativer.

Es wirkt vor allem das Ruhrpott(?)deutsch der ersten Strophen. Das lyr. Ich berichtet das Wesentliche, dass es bei Reifen Küster gegenüber war und das man nicht raus darf. Sehr stark simplifiziert. Sehr charakteristisch für eine Gegend, in der man sich zu hause fühlt.
Dann spüre ich einen sprachlichen Wechsel. Direkt nach "den zünder haben oder erben". An dieser Stelle halte ich zunächst etwas inne. Denke kurz über die Formulierung nach. Es folgt der eigentlich erzählte Moment, die Bombenstimmung. Hier zwar immer noch in einfacher Sprache (ich mag das), aber nicht mehr unbedingt umgangssprachlich.
Eine kleine Idylle ist geschaffen. Es war nur eine Bombe dafür nötig. Die Beiläufigkeit, die Normalität mit der du das vermittelst ist super. Der Fokus richtet sich nicht auf die Bombe, sondern auf die Ruhe. Die Welt, in der in 10 Minuten eine ganze Menge passieren kann, ist durchaus in der Lage anzuhalten. Oder viel mehr der Mensch ist dazu in der Lage trotz aller Dinge, die ihn so beschäftigen. Er muss sich halt nur aus dem Fenster lehnen, das geschlossen bleiben soll. Die Idylle ist ein Bruch mit dem Lauf der Welt.

LG
Last

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 22.06.2008, 11:05

Hallo Tom,

zwei Bomben( : ) ) Texte kurz hintereinander, 10 minuten und das hier.

Hier find ich vor allem die Progression "gefunden haben, bekamen, steht, bis..haben" sehr gelungen, dieser mühelose Wechsel von Vergangenheit bis Zukunft, die da in der Gegenwart abgearbeitet wird.

Inhaltlich find ich bis auf die "Amseln" nichts störendes. Die sind ziemlich inflationär im Blauen Salon, flattern durch einige Texte und erfreuen sich (un)eingeschränkter Beliebtheit.

Starker Text!

Gruß

Sneaky

Benutzeravatar
Thomas Milser
Beiträge: 6069
Registriert: 14.05.2006
Geschlecht:

Beitragvon Thomas Milser » 22.06.2008, 15:17

Hey Last,

erstmal freue ich mich, dass du wieder an Bord bist :o)

Du hast wirklich feine Worte gefunden. Anscheinend merkt man dem Text die Mühelosigkeit an, mit der entstand, und das ist schön.
Es wundert mich nur ein bisschen, wo du hier Ruhrpottdeutsch liest. Selbst direkte Umgangssprache sehe ich hier nicht (bis auf vielleicht die Abkürzung 'ne' für 'eine'). Oder meinst du damit enfach nur 'unlyrisch' (was ja wohl stimmte)?
Reifen Küser hätte es sich bestimmt nie träumen lassen, mal in einem Gedicht zu erscheinen :o)
Ich finde diesen hier auch kreativer als '10 minuten'. Besten Dank für deine nette Besprechung!


Hello Sneaky,

auch dir vielen Dank für deinen Zuspruch. Nach so langer Schreibpause ist es immer ungewiss, wo die neuen Texte hingehen. Als die Pause begann, war ich mir sicher, ich müsste meinen Stil komplett ändern, und ganz was anderes machen. Denke ich eigentlich immer noch.
Feststellen muss ich hingegen, dass ich aber irgendwie doch an die älteren Texte anknüpfe, und zwar ziemlich nahtlos. Naja, wenns denn so sein soll, dann ists wohl richtig?
Bloß um der Sache willen was neues zu machen, kann ja nicht Beweggrund sein. Wenn das nicht authentisch rauskommt, dann lässt man es besser. Wie es aussieht, werden ich wohl Gedichtchen dieser Art hier ewiglich begleiten. Man steckt halt zu tief drin, nöch?

Grüßli,
Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Max

Beitragvon Max » 22.06.2008, 17:51

Hi Tom,

den Text hier entdecke ich erst jetzt und halte ihn für eines der gelungensten Lyrikstücke, die ich von Dir kenne. Dir gelingt es tatsächlich den Moment angefüllt mit Stille und Spannung im Gedciht zu bannen, ich finde mich als Leser in diesem Bogen wieder.

Die "erben" Stelle ist verständlich, aber aich insofern kritisch, als dass die Frage bleibt, willst Du den Leser aus dem Fluss reißen - dann sollte sie so bleiben, oder bist du an einem durchgehenden Spannungsbogen interessiert. Sann würde ich versuchen, es transparenter zu machen.

Guter Text!

Liebe Grüße
Max

Benutzeravatar
Thomas Milser
Beiträge: 6069
Registriert: 14.05.2006
Geschlecht:

Beitragvon Thomas Milser » 22.06.2008, 18:53

Danke Max!!!

Du kennst alle. Du hast mein Buch :o)

Also die besagte "erben"-Stelle markiert in meinen Augen genau den richtigen Rhythmus- bzw. Sprachwechsel, oder besser gesagt, die Stelle zum kurzen Innehalten. Das habe ich zwar aus dem Kommentar von Last abgeschrieben, aber ich finde auch, dass der Text das gut verträgt bzw. ihn ausmacht.


Beste Grüße,
Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Max

Beitragvon Max » 22.06.2008, 19:22

Hi Tom,

gut dass man Kommentatoren hat ;-)

Fein gemacht!
Max

Last

Beitragvon Last » 24.06.2008, 09:54

Hallo Thomas,

Es wundert mich nur ein bisschen, wo du hier Ruhrpottdeutsch liest. Selbst direkte Umgangssprache sehe ich hier nicht (bis auf vielleicht die Abkürzung 'ne' für 'eine'). Oder meinst du damit enfach nur 'unlyrisch' (was ja wohl stimmte)?
Reifen Küser hätte es sich bestimmt nie träumen lassen, mal in einem Gedicht zu erscheinen :o)
Ich finde diesen hier auch kreativer als '10 minuten'. Besten Dank für deine nette Besprechung!


Du beschreibst es selbst sehr gut. Ich lese das nicht direkt sondern indirekt. Es hat auch viel mit der Perspektive des lyr. Ichs zu tun. Reifen Küser und die Jungs vom Räumkommando (lyr. Ich ist Malochertyp). Dann die sehr einfache Beschreibung des Zettelinhalts. Uns so Zettel gegeben.
Ich spreche selbst nicht so. Ich habe nach einem Wort gesucht, das meinen Leseeindruck wiedergibt.

LG
Last


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 4 Gäste