bombenstimmung

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 16.06.2008, 10:34

neue version (dank leo):


bombenstimmung



unten im hafen
bei reifen küster gegenüber
haben sie ne fliegerbombe gefunden

und wir bekamen so zettel
auf denen steht
dass wir nicht raus dürfen

und alle fenster geschlossen halten sollen

bis die jungs
vom räumkommando
den zünder haben oder erben

die straßen sind gesperrt
es ist totenstill
nur die amseln und die bäume und die sonne

hatte wohl niemand informiert

ich lehne mich weit aus dem fenster zum hof
blinzle in den blauen himmel
und bete

es möge immer so bleiben



alte version



bombenstimmung



unten im hafen
bei reifen küster gegenüber
haben sie ne alte fliegerbombe gefunden

und wir bekamen alle so zettel
auf denen steht
dass wir nicht raus dürfen

und alle fenster geschlossen halten sollen

bis die jungs
vom räumkommando
den zünder haben oder erben

alle straßen sind gesperrt
es ist totenstill
nur die amseln und die bäume und die sonne

hatte wohl niemand informiert

ich lehne mich weit aus dem fenster zum hof
blinzle in den blauen himmel
und bete

es möge immer so bleiben
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 18.06.2008, 12:04, insgesamt 2-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Niko

Beitragvon Niko » 16.06.2008, 13:59

fehlt vor dem "erben" noch ein st?
erstmalige grüße: Niko

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 16.06.2008, 14:02

Hi Niko,
das ist das Blöde an der Kleinschreibung ... (sag ich ja immer :o)))

Lies mal: Erben.

Mistkacke. Die Stelle fand ich richtig gut, aber die Lesart ist wirklich nicht eindeutig. Mal sehen ...

Grüßli, Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 16.06.2008, 14:17

Lieber Tom,

ich habe besagte Stelle genau verstanden, also so lassen bitte.

Man darf doch als Leser auch nachdenken, nech?

Mir gefällt das gut. Zuerst die Aufregung, die nervöse Stille und dann der Blick aus dem Fenster, schön eingefangen.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.06.2008, 10:24

Elsa hat geschrieben:Man darf doch als Leser auch nachdenken, nech?


Das wäre der Idealfall, ja. :o) Mit Fehlinterpretationen wird man wohl als Autor immer leben müssen, allerdings mehr inhaltlicher Art. Wenn man der bloßen Gestaltung - also in diesem Falle der Kleinschreibung - diesbezüglich Tribut zollte, wäre das nicht so gut.

Vielleicht finden sich ja noch mehr Eindrücke, was die Lesbarkeit betrifft?

Danke für deine Meldung, Elsi.

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 18.06.2008, 10:53

Hallo Tom,

gefällt mir sehr gut, gerade wegen der stellenweise unlyrischen Alltagssprache. Schräges Gedicht, aber gut.
Ich wollte übrigens auch erst sterben lesen und hab es erst nach deinem Kommentar kapiert.
Die Wiederholung von "und" am Anfang nach dem ersten und zweiten Absatz halte ich für passend. Es erzeugt den Eindruck einer gelangweilt/frustierten Aufzählung.

Schönen Tag

Jürgen

Niko

Beitragvon Niko » 18.06.2008, 10:54

kurz eingeworfen, tom:
Mit Fehlinterpretationen wird man wohl als Autor immer leben müssen
das klingt etwas negativ. ich finde, wenn ein gedicht anders interpretiert werden kann als es der eigenen intention entspricht, so wertet das den text auf!

einwurfsende
lieben gruß: Niko

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leonie
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Beitragvon leonie » 18.06.2008, 11:12

Lieber Tom,

das gefällt mir! Ich habe die Szene vor Augen und kann die Gedanken und das Gebet des Protag gut nachvollziehen.

Ich habe ein paar kleine Anmerkungen:

Einige Adjektive halte ich für überdenkenswert "alte fliegerbombe", ich denke, das ist klar, dass sie nicht von gestern ist, da wir ja nun schon ein Weilchen sowas wie Frieden hier haben.

"blauer himmel". da zuvor die Sonne erwähnt wird, ist blau überflüssig und zudem im Zusammenhang mit Himmel zu abgelutscht. Das kannst Du besser!

"weit" wäre für mich verzichtbar, aber ich kann verstehen, wenn es das für Dich nicht ist.

Außerdem kommt in dem recht kurzen Text dreimal "alle" vor, da würde ich auch nochmal überlegen...

"erben" und "totenstill" gefallen mir sehr gut.

Gern gelesen, schön, wieder einige Gedichte von Dir hier zu finden!

Liebe Grüße

leonie (leider zur Zeit mit zu wenig Zeit für den Salon...)

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 18.06.2008, 11:16

Hallo Tom!

Sehr schön, der Text :-) "erben" war kein Problem, ein kleines Schlagloch und danach ein Lächeln, und weiter ging's ;-) (Obwohl ich ja nun kein übertriebener Fan dieser Dauerkleinschreibung bin...)

Ach ja: Falls dieser Text eine "Interpretation" benötigen sollte, weigere ich mich einfach, sie zu leisten, und lese ihn so, wie er da steht - einverstanden?!

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.06.2008, 11:52

Gute Idee, Ferdi :o))))

Ich liiiiiebe Schlaglöcher :o)

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.06.2008, 12:01

Uups, da waren ja noch mehr Kommentare ... *tomatenaufdenaugen*

@ Jürgen:
Ich hoffe, dass die 'gelangweilte/frustierte Aufzählung' im Schlusssatz eine positive Wendung bekommt :o)

@ Niko:
Unbestritten. Frage ist für mich, ob die (Fehl-? Zweit-?)Interpretation inhaltlicher oder typographischer Natur ist. Ersteres ist natürlich erwünscht, letzteres nicht so, da vermeidbar.

@ Leo:
Da stecken etliche Wahrheiten und gute Beobachtungen in deiner Rezension. 'Alt' und 'Fliegerbombe' war mir auch schon aufgefallen gewesen :o) Deine anderen Einwürfe sind auch durchweg richtig und nützlich. Oftmals habe ich zu sehr den Rhythmus bzw. den Klang im Auge(?) .. äh ... im Ohr (?) ... und dann entstehen diese Doppelungen. Alte Schwäche von mir :o)

Eigentlich habe ich jetzt gerade gar keine Zeit, aber das fuchst mich jetzt ... Mo-ment!

...

Danke euch allen,
Tom.
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.06.2008, 12:10

@Leo:

So. Bis dahin schonmal.
Bei dem 'blauen Himmel' bin ich noch zu verliebt in den Klang und die traumhafte Alliteration :o). Das bleibt vorläufig.
'Weit aus dem Fenster lehnen' hat eine Doppelbedeutung, und ist sozusagen doppelt provokant/renitent gegenüber der Aufforderung, die Fenster geschlossen zu halten. Bloßes Rauslehnen genügt mir da nicht, das bleibt auch.
Endgültig behalte ich auch die 'erben' drin. Wie Ferdi so schön von 'Schlagloch' sprach, ist es (rein zufällig?) genau die Stelle, wo eine Pause hingehört. Ein unsichtbarer Punkt quasi.

Können wir uns so einigen, Leo? :o)

Herzlichen Dank, der Text hat gewonnen.

Tom
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Beitragvon leonie » 18.06.2008, 12:11

kleine Nachfrage noch: das blau willst Du wegen des blinzelns drin lassen?

blauäugige Grüße

leonie

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.06.2008, 12:16

... und wegen 'bleiben' und - zweiten Grades - 'beten'.

Ich finde, das zieht ordentlich am Tempo zum Schluss, bzw. verdichtet.

(Um Verständnis) betende Grüße,

Tom :o-}
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