Psalmen an den Bruder

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Last

Beitragvon Last » 05.06.2008, 11:46

Arbeitsversion:
Psalmen an den Bruder
Erster Psalm: Zu dieser Zeit

Und wenn ich die Luft anhalte bis du Stopp rufst,
ich bleibe trotzdem der kleine Bruder.
Mutter entscheidet nur für einen Abend
und ich betrüge.
Ich drücke den linken Nasenflügel nicht ganz zu.
Das siehst du nicht.

Es liegt in meiner Natur zu atmen.
In deiner liegt es, lieber mit den Großen zu spielen.
Du redest wie alle Leute vom schmelzenden Schnee.
Aber jetzt gilt das Gesetz des Schwächeren:

Es ist wahr. Der Schnee verschwindet mit der Zeit.
Er taut und sickert in den Boden.
Bald steigt er wieder empor.
Dann regnet es.
Das weiß ich.


-------------------------------------------------------------------------------------


Erstversion:
Psalmen an den Bruder
Erster Psalm: Zu dieser Zeit

Und wenn ich die Luft anhalte bis du Stopp rufst,
ich bleibe trotzdem der kleine Bruder.
Mutter entscheidet nur für einen Abend
und ich betrüge.
Ich drücke den linken Nasenflügel nicht ganz zu.
Das siehst du nicht.

Es liegt in meiner Natur zu atmen.
In deiner liegt es lieber mit den Großen zu spielen.
Du weißt es. Ich suche nach dem, das du versteckt hältst.
Du redest wie alle Leute vom schmelzenden Schnee.
Aber jetzt gilt das Gesetz des Schwächeren.

Es ist wahr. Der Schnee verschwindet mit der Zeit.
Er taut und sickert in den Boden.
Bald steigt er wieder empor.
Dann regnet es.
Das weiß ich.
Zuletzt geändert von Last am 19.06.2008, 17:06, insgesamt 5-mal geändert.

Louisa

Beitragvon Louisa » 05.06.2008, 12:56

Lieber Last,

ich hatte dich schon fast vergessen... und freue mich, dass du wieder auftgetaucht bist!

Vielleicht kannst du mir helfen, wieso du diese Reihe gerade mit "Psalmen" betitelst!?

Das Thema finde ich sehr interessant.

Die erste Strophe:

Und wenn ich die Luft anhalte bis du Stopp rufst,
ich bleibe trotzdem der kleine Bruder.
Mutter entscheidet nur für einen Abend
und ich betrüge.
Ich drücke den linken Nasenflügel nicht ganz zu.
Das siehst du nicht.


- Ich glaube man kann das "Und" am Anfang weglassen.

Darüber hinaus sind die ersten zwei Zeilen meine Lieblinge in diesem Gedicht. Sie erzählen durch ein kleines Bild ein ganzes Lebensmodell. Ich, als kleine Schwester, glaube zumindest zu wissen, was alles damit gemeint sein kann. Sehr, sehr gut!

Danach würde es meinem Verständniss helfen, wenn du es so setzt:

"Mutter entscheidet: Nur für einen Abend
und ich betrüge."

"Das siehst Du nicht" ... erscheint mir auch etwas überflüssig. Das Bild bleibt aber sehr originel. Schön, dass du es nicht sofort loslässt.

Die zeite Strophe:

Es liegt in meiner Natur zu atmen.
In deiner liegt es lieber mit den Großen zu spielen.
Du weißt es. Ich suche nach dem, das du versteckt hältst.
Du redest wie alle Leute vom schmelzenden Schnee.
Aber jetzt gilt das Gesetz des Schwächeren.


...geht leider, leider heraus aus dieser vielschichtigen Bildebene und ist für mich auch schwerer zugänglich. Ich sehe nicht ganz die Verknüpfung zwischen "atmen" und "mit den Großen spielen" - sie kommt mir hier etwas pathetisch vor.
Genauso wie das "Du weißt es." - Das wird plötzlich so eine Mystery-Abend-Sprache, mit der ich wenig anzufangen weiß. Wenn das mit Beispielen, wörtlichen Reden, Bildern verknüpft wäre und nicht so vage.... Könnte ich mich damit anfreunden.

Ich freunde mich zum Beispiel mit dem "schmelzenden Schnee" schon eher an. Obwohl das -meiner Ansicht nach- ein sehr verbrauchtes Bild ist.
Was das "Gesetz des Schwächeren" (an sich eine schöne Idee) aber wieder damit gemein hat, bleibt mir verschlossen. Es wirkt an der Stelle etwas zufällig. Auch wenn der Schnee (wohl) mit dem "Schwächeren" verglichen wird. Ich finde das könnte man noch deutlicher und dichter zeigen, aber da bin ich mir unsicher. Das ist wohl Geschmackssache.

Die letzte Strophe geht dann wieder in eine etwas greifbarere Sprache über, was mir persönlich eher zusagt.

Jetzt wiederholst du auch wieder dieses abschließende "Das weiß ich" - als würde es irgend etwas besonderes hervorheben, als würde es glänzen. Ich finde es aber auch hier überflüssig. Genauso wie "Das siehst du nicht"... Es ist so ein künstliches Gefühl von Überlegenheit darin.

Da ich erst beim dritten Lesen darauf kam, dass sich der große Bruder mit dem schwachen Schnee vergleicht, der taut und wieder aufsteigt... würde ich mich an deiner Stelle zwei Dinge fragen:

1. Ist Louisa zu blöd für mein Gedicht :smile:?

2. Sollte ich die Verbindung Schnee-großer Bruder nicht doch deutlicher zeichnen?

Kannst du dir aussuchen :smile: ...

Sonst wie gesagt ein spannendes Thema mit einer Prise zuviel Pathos und einem Hauch zu wenig Bild darin (zweite Strophe)... Die erste und die letzte sind aber wirklich gelungen.

Mir würde fast schon das Luft anhalten als Gedicht reichen. Das hat große Klasse.

Liebe Grüße,
l

Last

Beitragvon Last » 06.06.2008, 11:04

Hallo Louisa,

bei der Reihe "Psalme an den Bruder" dachte ich an etwa fünf Gedichte zum Thema. Bisher sind aber erst zwei geschrieben.
Warum es gerade Psalme sind? Ich hoffe das wird klar, wenn ich fertig bin. Ich möchte eigentlich nichts verraten. Nur soviel, das Gesetz des Schwächeren spielt eine zentrale Rolle. Daran sollen die Texte aus der familiären über ein psychologisches oder anthropologisches Verständnis bis in eine "religiöse" Ebene gehieft werden. Die Frage ist halt, wie sehr mir das gelingt.

Wir teilen scheinbar unsere Lieblingszeilen im Text. Ich schreibe hier ja auch als kleiner Bruder. Eine vorteilhafte Perspektive, weil ich aus Kindheitserinnerungen lyrische Bilder basteln kann (Dieser Text hier ist aber reine Fiktion).
Was die Pathoskritik angeht, bin ich noch unschlüssig ob sie nicht gerade wegen des "künstlichen Gefühls von Überlegenheit" die Rolle des lyr. Ich eher so betont, wie geplant. Die "Prise zu viel" ist schwer zu bemessen.

Strophe zwei bestand ursprünglich aus zwei Strophen. Die ersten beiden und die letzten drei Verse bildeten jeweils eine.
Vielleicht auch deswegen die scheinbar fehlenden Zusammenhänge. Ich muss wohl darüber nachdenken, wie genau ich dem "Herausgehen aus der Ebene [von Strophe 1]" entgegen wirken kann. Intendiert war eine Vertiefung und Überleitung.
Eine erste Idee wäre es einen Vers zu streichen um die Verwirrung zu mildern. Um den Übergang zu erleichtern könnte ich noch einen Doppelpunkt ans Strophenende setzen (wie in einer früheren Version). Letzteres senkt vielleicht auch den Pathosfaktor.

"Mutter entscheidet nur für einen Abend/ und ich betrüge" werde ich zunächst so stehen lassen. Dein Vorschlag verändert mir die Bedeutung zu stark.

-------------------------------------------------------------------------------------

Die beiden Fragen stelle ich mir. Meinem ersten Eindruck nach verneine ich beide.

Danke für deinen schönen und umfangreichen Kommentar. Es hat mir sehr gefallen deinen Eindruck zu lesen. Deine Bedenken muss ich noch etwas weiter bedenken.

LG
Last

Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 06.06.2008, 11:15

Lieber Last,

im Moment nur soviel: Ich meine, dass die Mehrzahl von Psalm Psalmen ist (nicht Psalme). Hab gerade nicht viel zeit. um mehr zu schreiben...

Liebe Grüße

leonie

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 06.06.2008, 19:08

Lieber Last,

ich freu mich so, danke! Und ich bin auf die Reihe gespannt!

Ich habe eurer Gespräch jetzt nicht verfolgt - also starte ich neu.


Erst einmal: ich mag so etwas! Die Psalm-idee, meine ich. Ich las mal von einer Dichterin, deren Namen ich gerade vergessen habe, eine Reihe von Gedichten unter dem Titel der Elegie, das war ein ähnliches Konzept - wenn man sanft und ohne Druck an es herangeht, kann man so einen guten Grundton schaffen und die Konnotation, die durch den Kontext, aus dem der "Gattungsbegriff" stammt, für das Evozieren nutzen. Und Psalm ist natürlich ein kräftiges Gefäß. Aber ich finde, dass es zu deinem Sprachstil passt (der sich ein bisschen geändert, aber nur verschoben hat, finde ich?): das trockene mischt sich mit einer durchaus "großen Betonung".

So auch hier. Ein einfaches, kleines Thema, wie so oft nimmst die Perspektive eines Kindes ein und das machst du immer so, dass es für mich das Gefühl trifft, dass ich mir zur Szene denke.

Was ich nicht ganz verstehe ist die "Pointenstrophe" am Schluss. Ich kriege das Bild nicht ganz gelesen. Der Bruder spricht vom Schnee, wie alle Menschen. Soll der große Bruder damit den kleinen Bruder mit dem Schnee vergleichen? Und dann ist die Idee, dass dieser zwar schmilzt, aber doch überdauert (Regen)? So ein ganz klar durchgezogenes Bild ist das so für mich nicht, entweder, weil nicht genug auserzählt ist, weshalb der Bruder ihn denn mit dem Schnee vergleicht: warum steht der Schnee für das "Schwächere"?. Oder weil ich das Bild mit dem Regen, den Bogen, nicht ganz verstehe. (also schon meterologisch, aber nicht, warum das Wiederkommen des Wassers das Schwächere nimmt).

Ich würde außerdem vielleicht das "lieber" streichen - es legt etwas zur sehr "Anklage" in die Zeilen. Unf anstatt Stopp würde ich vielleicht "Halt" nehmen, was sprachlich vielleicht etwas feiner wäre?

Eine Kindheit unter Psalmen zu erklären finde ich wirklich toll, es klingt wie ein Pfand bzw. wie eine Hand, die sich um ein Nichts zusammenschließt, als wäre darin ein Pfand. Das trifft die Kindheitsperspektive sehr, nicht nur in bezug auf einen großen Bruder, sondern allgemein das Große.

Die ganze erste Strophe und die Beschreibung finde ich absolut gelungen!

Ich habe das sehr gern gelesen - dem Thema bin ich ja sowieso nah (Kindheit).

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Last

Beitragvon Last » 10.06.2008, 10:49

Liebe Leonie,

danke für den Hinweis. Meiner Ansicht nach ist "Psalme" einfach eine wenig verbreitete Schreibweise, der Duden hingegen gibt dir Recht. Ich muss mal schaun ob ich herausfinden kann ob es sich doch um eine ungewöhnliche aber legitime Schreibweise handelt.

-------------------------------------------------------------------------------------

Liebe Lisa,

es freut mich sehr, dass dir die Psalm-Idee gefällt. Meinen Sprachstil habe ich mit Parallelismen und "Wahrheitsbekundungen" (wie nennt man so etwas eigentlich?) daran anpassen wollen.

Die Pointenstrophe soll das Schwächere nicht herausnehmen. Stattdessen möchte ich schon in der zweiten Strophe den Kontext wechseln. Das kleine Gesetz der ersten Strophe als Teil eines größeren Gesetzes beschreiben, in dem andere Autoritätsverhältnisse gelten.
Ob ich konkreter auserzählen soll weiß ich noch nicht. Lousia hatte ja ähnliche Probleme. Andererseits habe ich gerade dieses "Gesetz des Schwächeren" als großes Thema der Reihe im Sinn und denke, dass sowieso weitere Aspekte benannt werden müssen bevor diese Vorstellung konkret werden kann. Hier stelle ich es mir eher wie eine Einleitung vor, ich erwähne, dass es so etwas gibt und in welche Richtung es geht.
Evtl. kann mein Gedicht "Walfang" vorab etwas Verständnishilfe leisten(?), weil es von der gleichen Thematik geprägt ist. (Meine Idee ist es ja erst durch mehrere Bilder immer weiter aufzulösen, was dieses Gesetz ausmacht)
Eine Frage habe ich auch noch. Bezieht sich dein Leseeindruck mehr auf die ursprüngliche oder mehr auf die Arbeitsversion?

LG
Last

Albert

Beitragvon Albert » 10.06.2008, 23:52

Lieber Last,

finde ich ein sehr anspruchsvolles Gedicht, kann mich meinen Vorkommentatoren da nur anschließen! Finde den Stil sehr passend für das, was ich verstehe und stimme dir völlig zu, dass die Überheblichkeit ein gutes Stilmittel ist (liebe Louisa, oft ist mangelnde Sympathie für ein Werk Anzeichen für dessen Defizite, manchmal kann man sie allerdings auch benutzen, um zu verstehen).

Die erste Strophe erschließt sich mir sehr mehrschichtig, die zwei Brüder in einem Wettkampf, den der kleine zwar gewinnt aber nur aufgrund eines Betrugs, den er (sich?) eingesteht - er hat scheinbar kein Interesse am Spiel der Großen, die Mutter gibt ihm (trotzdem) den Sieg oder worum auch immer es da geht. Das ist schon recht komplex: einerseits ein erschummelter Triumph, andererseits dieses Pathos der Missachtung des Wetkampfes überhaupt (2. Strophe) - und dann noch das: "ich bleibe trotzdem der kleine Bruder"
Die Begründung hierfür ist, dass die Mutter "nur für einen Abend" entscheidet - heißt das, dass sie es sonst nicht tut? Warum dann das "Das siehst du nicht", denn wichtig wäre ja, dass sie es nicht sieht? Oder: sie entscheidet jeweils nur für einen Abend (und sieht es vielleicht sogar? Die Mutter wird hier als so eine Sphäre der Un-Macht evoziert, ich bin recht zwiespältig).

In jedem Fall werden zwei Prinzipien - Atmen und Spielen - gegenüber gestellt.
Dann - übrigens für mich in der zweiten Version sehr viel besser lesbar, Änderungen haben sehr gut getan, insbesondere der fehlende Satz - die Schnee-Stelle, mit der ich mich auch recht schwer tue.
Der größere Bruder, offensichtlich in irgendeinem Zusammenhang mit seiner Verknüpfung zu den Großen, zum Wettbewerb usw. redet wie alle von schmelzendem Schnee. Das scheint mir für die Einsicht zu stehen, dass alle Dinge vergänglich sind - eine Einsicht, die das lyr. Ich hier etwas verachtet und als Gemeinplatz hinstellt.
Demgegenüber steht das Gesetz des Schwächeren, der Wiederkehr des Schnees, aber nicht als Schnee, sondern als Regen.

Die Frage ist jetzt: "Das sieht du nicht" und "Das weiß ich" verbinden ja die beiden Teile des Gedichts - aber auf welche Weise?

Das Prinzip des kleinen Bruders, darauf hat ja auch dein Verweis auf "Walfang" hingedeutet, also das Prinzip des Schwächeren, scheint das der Zurückweisung des, sagen wir mal: "männlichen Wettbewerbs" zu sein (aber: warum spielt der große Bruder dann nicht mit den Großen, statt mit seinem kleinen Bruder? oder geht es um eine Erziehungsmaßnahme seitens des Älteren?). In jedem Fall wird der Wettkampf durch Betrug umgangen, der Messung wird sich entzogen, und damit auch der Bemessung. Die beiden Sichtweisen auf den Schnee würde ich jetzt nicht als Vergleiche für die beiden Brüder sondern eher als Denkweisen verstehen - Vergänglichkeits"pathos" gegen einen Substanzglauben. Deshalb versucht der kleine Bruder auch festzuhalten an dem, was er ist, trotz aller sozialen Übergriffe?

Darüber muss ich erstmal schlafen.

Anregendes Gedicht, bis jetzt.

Liebe Grüße,
Albert

Last

Beitragvon Last » 17.06.2008, 12:29

Hallo Albert,

danke für deinen ausführlichen Kommentar. Er ist sehr wertvoll.
Deine Lesart passt zu dem, was ich auch ausdrücken wollte. Teilweise auch an den Stellen, an denen du Fragen an das Gedicht stellst.

Zur ersten Strophe: Ich versuche noch herauszufinden, ob mir wirklich bewusst ist wie "komplex" sie daherkommt. Klar ist, dass nur der Anriss einer alltäglichen Situation dort steht. Sie vereinfachen, ob mittels Kürzen oder weiterem Beschreiben, möchte ich aber noch nicht. Wichtig ist mir ja weniger wie sich die Situation bildlich aufbaut sondern eher welche Perspektive angenommen wird. Was, wenn ich deinen Kommentar lese, auch ganz gut funktioniert.
Die Rolle der Mutter ist logischer Weise am unklarsten, weil das Gedicht sie zwar benennt, aber nicht weiter darauf eingeht. Ich bin mir aber sicher, dass diese Unklarheit mit den weiteren Psalmen ausgeräumt
wird. Es werden auch noch Vater und Großmutter auftreten (In Psalm 2 und 3). Sie werden ebenfalls ein Urteil fällen.

Zur Schnee-Stelle: Ich überlege inwiefern hier Gattungsmerkmale dem Verständnis zur Hilfe kommen und inwiefern ich sie überhaupt richtig verstanden und umgesetzt habe. Psalmen beginnen oft mit einer Art Klage oder damit ein Feindbild zu benennen um später umzuschlagen, dann wird Gott gehuldigt. Ein Psalm kann gleichzeitig Lob- und Klagelied sein. Ähnlich ist es hier, ich stelle das Gesetz des Schwächeren zwar dem Prinzip des männlichen Wettkampfs (wie du es nennst) gegenüber, aber nicht als Gegenteil sondern als etwas, das es umfassen soll.


Das Prinzip des kleinen Bruders, darauf hat ja auch dein Verweis auf "Walfang" hingedeutet, also das Prinzip des Schwächeren, scheint das der Zurückweisung des, sagen wir mal: "männlichen Wettbewerbs" zu sein (aber: warum spielt der große Bruder dann nicht mit den Großen, statt mit seinem kleinen Bruder? oder geht es um eine Erziehungsmaßnahme seitens des Älteren?). In jedem Fall wird der Wettkampf durch Betrug umgangen, der Messung wird sich entzogen, und damit auch der Bemessung. Die beiden Sichtweisen auf den Schnee würde ich jetzt nicht als Vergleiche für die beiden Brüder sondern eher als Denkweisen verstehen - Vergänglichkeits"pathos" gegen einen Substanzglauben. Deshalb versucht der kleine Bruder auch festzuhalten an dem, was er ist, trotz aller sozialen Übergriffe?


Ja, in genau diese Richtung gehen meine Vorstellungen.

LG
Last

Albert

Beitragvon Albert » 17.06.2008, 20:20

Lieber Last,

klingt auf jeden Fall spannend, was du da noch vorhast! Ich denke, was das Verständnis angeht, solltest du jetzt keine Veränderungen vornehmen - die anderen Psalme werden da einen ausreichenden Kontext herstellen, stelle ich mir vor. Besonders, wenn die Rolle der Mutter noch ausgebaut wird.

Zu überlegen wäre, ob das "lieber", wie Lisa anmerkt, tatsächlich eine etwas zu vordergründige Anklage ausdrückt? Andererseits drückt der Satz so natürlich eine explizite Wertung durch den größeren Bruder aus - "es liegt in deiner Natur, das lieber zu tun" statt "es liegt in der Natur, das zu tun"; die Alternative scheint für den Bruder demnach durchaus vorzuliegen, aber, jedenfalls aus der Perspektive des lyrischen Ichs, von ihm lapidar übergangen zu werden. Das wäre für mich wieder die von Louisa angesprochene, etwas selbstgerechte Stimme des lyr. Ichs. In jedem Fall kommt nach "liegt es" ein Komma :smile:
(Das "Stopp", pace Lisa, scheint mir hingegen die Färbung der Spielsituation zwischen den Brüder besser einzufangen als das "Halt")

Freu mich auf die nächsten!
Liebe Grüße,
Albert

Last

Beitragvon Last » 19.06.2008, 17:28

Hallo zusammen,

@Louisa: Das "Und" am Anfang wird bestehen bleiben. Für mich hat es eine Bedeutung. "Und wenn..." ist für mich eine Floskel, in etwa wie "Und wenn schon..."

@Leonie: Allem Anschein nach ist der Plural nur Psalmen. Was die ungewöhnliche Schreibweise betrifft habe ich mich wohl vertan.

@Lisa und Albert: Das "Stopp" und das "lieber" bleiben beide bestehen. Die Gründe dafür sehe ich in Alberts Post direkt über diesem hier.
( Das fehlende Komma habe ich natürlich gesetzt :pfeifen: )

LG
Last

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 19.06.2008, 20:35

Lieber Last,

ich bezog mich übrigens auf beide Fassungen bzw. entdeckte zunächst nur den Doppelpunkt als Überarbeitung.

ich denke, inzwischen gebe ich Albert Recht, allerdings nicht ganz beim Stopp: denn ich denke, dass man das, was er ins Feld führt vielleicht nur liest, weil man die jetzige Fassung kennt - wie wäre es, wenn von Anfang dort Halt gestanden hätte? Tendenziell zumindest -ein bisschen ist der Duktus vielleicht "realisitischer" damit dokumentarischer und dadurch wieder im fiktiven Bereich authentischer -. Vielleicht.

Ansonsten bin ich durch Alberts und deine Antworten dem Text jetzt noch mehr auf die Spur gekommen. Ich wäre gespannt, die ganze Reihe zu sehen - das muss noch einmal eine andere Wirkung haben.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Last

Beitragvon Last » 21.06.2008, 13:28

Hallo Lisa,

ich denke, inzwischen gebe ich Albert Recht, allerdings nicht ganz beim Stopp: denn ich denke, dass man das, was er ins Feld führt vielleicht nur liest, weil man die jetzige Fassung kennt - wie wäre es, wenn von Anfang dort Halt gestanden hätte?


Man hat ja manchmal so "Eingebungen". Damit meine ich einfach nur die Verse, die einem schier aus dem Nichts einfallen. Bei mir ist es oft so, dass mir einzelne Verse einfallen, nicht ein ganzes Gedicht. Aber diese Verse nehmen das gesamte Gedicht eigentlich vorweg.
Bei den beiden ersten Versen handelt es sich um solche Verse. Nur, dass aus ihnen gleich mehrere Gedichte hervorgehen. Deshalb tue ich mich besonders schwer, da zu editieren.
Vielleicht liegt es daran, dass ich mir "Halt" anstelle von "Stopp" irgendwie gar nicht vorstellen kann. Ich denke daran, wie ich als Kind gesprochen habe und da gehörte "Halt" halt nicht zu meinem Vokabular. Man ruft: "Stopp!" Das beendet das Spiel.

Außerdem würde "Halt" zu weiteren Komplikationen führen. "Und wenn ich die Luft anhalte bis du Halt rufst" Das wirkt evtl ungeschickt.
"Stopp" hat wiederum den Vorteil, dass -zumindest ich- dadurch im zweiten Vers das trotzdem besonders betone. Jedenfalls finde ich, dass sich die erste Strophe insgesamt sehr gut liest, vom Klang und vom Textfluss her. Das möchte ich gerne halten. :confused:

Ich werde mir mal eine Version mit Halt schreiben und sie in einer Woche oder so lesen. Vielleicht verfallen dann meine Überlegungen zu Staub.



Heute habe ich übrigens den vierten Psalm geschrieben. Nachdem mir zweiter und dritter Psalm recht schwer gefallen sind, ging der mir relativ leicht von der Hand.
Ich werde noch mindestens einen weiteren schreiben und vielleicht die Reihenfolge etwas aneinander anpassen. Dann werde ich euch wohl mit der ganzen Reihe "beglücken", weil ich vom zweiten und dritten Psalm als eigenständiges Gedicht nicht ganz so überzeugt bin :smile:

LG
Last

Last

Beitragvon Last » 02.07.2008, 21:05

Kleine Anmerkung. Habe noch etwas gefunden, dass aus meinen Augen die Formulierung der ersten Strophe unterstreichen kann. Also das "Und wenn..."

Aus Martin Luthers "Ein' feste Burg is unser Gott":

3. Und wenn die Welt voll Teufel wär
Und wollt uns gar verschlingen,
So fürchten wir uns nicht so sehr,
Es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
Wie sau'r er sich stellt,
Tut er uns doch nichts,
Das macht, er ist gericht',
Ein Wörtlein kann ihn fällen.


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 15 Gäste