Erben wie eh und je

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 04.06.2008, 16:28

Erben wie eh und je

Erzählen will ich vom Alten und seiner Frau.
Und von den Brüdern natürlich.
Die sich so unähnlich waren wie eigentlich nur Zwillinge es sein können.

Der Erstgeborene als Erbe vorgesehen.
Natürlich, wer denn sonst.
Ein Jäger, ein Fresser, ein Habgieriger.
Wie schon Opa und Papa.

Der Zweite streng genommen überflüssig.
Es sei denn, es geht um die Arbeit.
Die ja auch getan werden muss.
Wenn der Erste seinem Hobby nachgeht.
Verschlagen der Gute, wie Mama und Oma.

Mit dem Alten ist es zu Ende gegangen.
Das hat den Erstgeborenen nicht weiter beunruhigt.
So als Erbe.
Den Zweiten um so mehr.
So als Nachgeborener.

Auf die Lauer gelegt hat er sich, die Nummer Zwei.
Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort dann den anderen ausgetrickst.
Mit dem Spatzen in der Hand.
Den es sofort gab.
Auf den man nicht warten musste.

Die nächste Klippe war der Alte.
Eine leichte Übung.
Wenn man die Mutter als Helfer hat.
Wie schon Generationen zuvor.

Und als die Sache gedeichselt war?
Da hat der Alte die Hände in den Schoß gelegt.
Konnte ja nichts mehr machen.
Die Mutter hat sich die Hände gerieben.
Alles bestens gelaufen.
Der Erste hat der Taube nachgeweint.
Danach die Koffer gepackt auf Nimmerwiedersehen.
Wie schon der Onkel.
Der Zweite hat die Knete eingesackt.
Wie schon Opa und Papa.
Zuletzt geändert von MarleneGeselle am 05.06.2008, 15:51, insgesamt 2-mal geändert.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 04.06.2008, 20:18

Liebe Marlene,

das hat was - und so kenn ich dich ja gar nicht (die sarkastische Ebene schon, aber die Art Text, die daraus entsteht). ich gebe nur zwei Dinge zu bedenken: erstens würde ich einen Prosatext draus machen (also anders setzen), das macht ihn freier und zweitens schreibst du erst von Zwillingen und dann von Brüdern, was nicht unlogisch ist, weil jedes männliche Zwillingspaar zugleich Brüder sind, aber irgendwie ist es im Vergleich komisch, weil es um das Hervorheben der Unähnlichkeit geht, der anhand der Nähe der beiden kontrastmäßig hervorgehoben wird. Wenn man dann erst liest, dass es Zwillinge sind und dann in dem Vergleich "Brüder" wirkt das abgeschwächt?

Kain und Abel und nicht Kain und Abel, weil viel kleinere Menschen in dunkellandmodernversion - inzüchtig, bösmenschig - gefällt mir auch hinsichtlich der mehrfachwendungen am schluss,
Prosasetzung würde ich aber stark vorziehen.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 05.06.2008, 10:58

Hallo Lisa,

danke für den prompten Kommentar.

In meinen Kurzkrimis geht es so manches liebe Mal nicht besonders moralisch zu. Meine Mörder sind sympatischer als die Opfer, und der Kommissar stiefelt in schöner Regelmäßigkeit vergeblich hinter dem Täter her. Happy End der anderen Sorte!

Ich habe mit Absicht die Gedichtform gewählt, um den in der Familiengeschichte immer wiederkehrenden Ablauf formel- bzw. gebetsmühlenmäßig rüberzubringen. Als normaler Prosatext, das hatte ich vor zwei Jahren mal geschrieben als Entwurf für einen Krimi, kam der Inhalt ziemlich lau rüber. Abraham, Jakob und Esau lugten da an allen Ecken und Enden durch, auch wenn Jakob und Esau nur Halbbrüder waren!

Wenn ich dich richtig verstehe denkst du bei der ersten Strophe an:

Erzählen will ich vom Alten und seiner Frau.
Und von den Brüdern natürlich.
Die sich so unähnlich waren wie nur Zwillinge es sein können.

Oder soll ich komplett die Abraham/Jakob/Esau-Schiene fahren?

Liebe Grüße
Marlene

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 05.06.2008, 11:23

Hallo Marlene!

Also mir würde das Vertauschen von "Brüder" und "Zwillinge" schon einleuchten... Ansonsten ein schöner Text, der durch die Umstellung auf "Prosa" in meinen Augen nur dann gewinnen würde, wenn du ein paar Satzverknüpfungen vornehmen würdest - wonach es dann natürlich ein anderer Text wäre ;-) Von daher würde ich ihn doch lassen, wie er ist.

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Beitragvon leonie » 05.06.2008, 12:25

Huch, wieso waren Jakob und Esau nur Halbbrüder? Ich denke, das waren Zwillinge...

fragende Grüße

leonie

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 05.06.2008, 15:53

Hallo Leonie,
Hallo ferdi,

die erste Strophe habe ich umgeändert? Alles klar oder alle Klarheiten beseitigt? Ich hoffe, Ersteres.

Jakob und Esau waren wirklich nur Halbbrüder, die Sache mit den Zwillingen habe ich reingenommen, um die Verschiedenartigkeit bei gleichzeitiger Ähnlichkeit rüberbringen zu können

Liebe Grüße
Marlene

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Beitragvon leonie » 05.06.2008, 16:16

Liebe Marlene,

ich glaube, da täuschst Du Dich. Jakob und Esau waren doch Zwillinge, allerdings sehr unterschiedliche. Da bin ich sicher, ich fragte mich dann nur, wie sie zwei verschiedene Väter haben können sollten. Haben sie aber doch nicht, wie ich mich inzwischen erinnerte, Isaak ist der Vater beider.

Esau, der Erstgeborene, wurde von Jakob (der sich bei der Geburt an Esaus Ferse festgehalten hat) mittels eines Linsengerichts und des Unterstützung der Mutter um seinen Erstgeburtssegen gebracht.
Mich hat Dein Text an die beiden am meisten erinnert.

Verwechselst Du die beiden vielleicht mit Ismael und Isaak? Die hatten einen gemeinsamen Vater (Abraham), aber unterschiedliche Mütter...

Liebe Grüße

leonie

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 06.06.2008, 09:33

Hallo Leonie,

ups, da hast du Recht. Da bin mit der Familiengeschichte des Hauses Abraham durcheinandergekommen. Nicht ist schlimmer als Erbstreitigkeiten über Generationen.

Liebe Grüße
Marlene


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