In den Schnee geraten

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Albert

Beitragvon Albert » 04.06.2008, 21:12

Ein Fliegenfurz von einem Cellostrich,
dem war nichts hinzuzufügen

Lisbeth, zwischen die schwarzen Kacheln geraten,
lässt ihren Nacken knacken

in den Fugen rollt sich der Dreck

Das Knacken muss leiser werden, allen ist das klar
sie spürt, dass Knorpel abgeschliffen sind
Sehnen wie obszön hängende Frauenbäuche

Schnee fällt und das Knacken schimmelt
Schnee fällt auf die schwarzen Kacheln

Lisbeth fließt ihren Fingern hinterher
es lässt sich nichts fügen, Lisbeth
lässt ihren Nacken knacken

Zwischen die schwarzen Kacheln geraten,
die Bögen lösen ihr Haar

Schnee fällt und Lisbeths Nacken schimmelt
Schnee fällt auf die schwarzen Kacheln

In den Fugen, zwischen Fliegenschiss und Haaren,
Lisbeth, in den Schnee geraten

Peter

Beitragvon Peter » 06.06.2008, 01:31

Hallo Albert,

für mich verweist das Gedicht aus seiner Bewegung auf seinen Stillstand. Daraus entsteht eine Art Reibung, alles soll, kann nicht, will, wird unterbrochen, nimmt sich das Unterbrochene zum Ausdruck, wird übergangen. Was gesagt ist, und doch nicht gesagt, vor und zurück, verharrend und bewegt, scheint mir dann wie in einer... Zweidimensionalität befangen, eine Höhe fehlt (ein Freispruch) - alles wird nur angeführt, ausprobiert, aber das, um das sich das Gedicht dreht: der Name, bleibt... namenlos.

Lisbeth ist in den Schnee geraten - Schnee scheint das Weiße des Schwarzen. Ein Dimensionsverlust: "dem war nichts hinzuzufügen", "Das Knacken muss leiser werden...", aber das "Knacken schimmelt". Das Zwischen, als vielleicht die eigentliche Dimension, ist starr.

Im Lesen stelle ich mir vor, dass aus dem Gedicht, aus seiner Lautebene, läse man es schneller oder spulte man es vor, ein besonderes Geräusch zu machen wäre. Vielleicht ist das auch seine Stärke, es bildet auf der Lautebene die Verlorenheit nach - der knackende Nacken springt ja durch die Zeilen. Es wird also das Eigentliche lauthaft dargestellt, tritt in den Vordergrund - überholt das Gedicht, oder beginnt immer mehr das Gedicht zu überholen - Liest man das Gedicht mehrmals, kollidiert es, wie ich finde, seltsam mit sich selbst, fängt an mit sich zu sprechen: "Das Knacken muss leiser werden, allen ist das klar", vor allem dem Gedicht, als wäre es sich seiner selbst bewusst.

Merkwürdig ja auch dieses andere Spiel: Man könnte doch beinah sagen: da liegt eine zerbrochene Musik. Lisbeth wäre der Ton, der herabgefallene Ton, kommt nicht mehr auf. Dann wäre die verlorne Dimension vielleicht das Volumen: Der Cellostrich als Fliegenfurz. Die Musik ist auseinandergefallen, kommt nicht mehr zusammen; Bestandteile liegen zerstreut.

Man kann dieses Gedicht auf viele Weise erfahren bzw. es führt in viele Weisen.

Liebe Grüße,
Peter

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.06.2008, 11:21

Hallo Albert,

deinen Text ertaste ich, indem ich das zusammensetze, was du in ihm als Ganzes zuerst überleben lässt. Und das, was hier überlebt, geht am Ende zugrunde. Es beginnt mit einem Geräusch, das nur ein Hauch von einem Geräusch ist (Fliegenfurz), der knackende Nacken, erst laut, dann wird auch dieses Geräusch gezähmt (Knacken muss leiser werden), schließlich schimmelt es. Verschiedene Elemente verbindest du hier miteinander:
Geräusche, zwei Instrumente (Cello) und Klavier und unästhetische Reste, die sie erzeugen und hinterlassen.
Cello:
Dieses Instrument ist ziemlich groß, der Hals des Cellos steht aufrecht vorm Spieler, so dass er öfter seine Haltung ändern muss, seinen Nacken knacken lässt.
"obzön hängende Frauenbäuche" erinnert auch an Cello, an den Körper des Cellos.
"die Bögen lösen ihr Haar": hier sind es die Bögen.
Klavier:
"schwarze Kacheln", "in den Fugen", "fließt ihren Fingern hinterher"
Zwischen diesen Elementen geht Lisbeth als rhetorische Figur zugrunde, sie ist letztlich diejenige, die verschimmelt, wird hin- und hergerissen durch Cello und Klavier. Den fallenden, weißen Schnee lese ich als Prozess des quälenden Sterbens. Erst fällt er nur, schließlich gerät Lisbeth in die "Mühlen" des vernichtenden Schnees. Dieses "Nacken knacken" scheint mir wie ein Aufbäumen "Lisbeths" zu sein. Doch es nutzt alles nichts. Die Knorpel sind abgeschliffen, das Knacken schimmelt, der Schnee siegt. Die Teilstücke der "Instrumente" beherrschen die Figur Lisbeth, lösen ihr Haar auf, der Schnee lässt die Tasten zerfallen, indem er sie befällt. Und es lässt sich nichts fügen. Somit personifizierst du nach meiner Lesart hier die Instrumente und die vermeintliche Person Lisbeth, wird hier zum Instrument. Die Geräusche und die unästhetischen Reste wie Fliegenschiss, Schimmel, Dreck sind alles, was bleibt.
Ein ziemlich bizarrer Text, der sicherlich auf viele Arten gelesen/interpretiert werden kann, da du hier viele Metaphern verwendest.
Saludos
Mucki

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 06.06.2008, 12:09

Lieber Albert,

der Text ist eigentlich kein schwieriger Text, aber es ist sehr schwierig einen Kommentar dazu zu schreiben - ich werde es sicher nicht vollständig schaffen.

Was mir gleich beim ersten Lesen aufgefallen ist und dann immer stärker ist die Kohärenz von der Struktur des Textes und dem Geschehen bzw. dem "Knackpunkt", den Lisbeth zwischen die Kacheln treibt bzw. sie in den Schnee geraten lässt. Ich glaube daher eine genaue Analyse der Struktur würde am meisten über den Text verraten, nur kannst du die - deinen bisherigen Kommentaren nach zu urteilen - wohl selbst am besten leisten :pfeifen: (ich gebe zu, ich bin etwas zu faul, das im Einzelnen durchzuexerzieren, wenn bei mir erstmal der Eindruck da ist, dass ich das prinzip verstanden habe, ist es so schwer auch noch die Durchführung zu vollziehen, obwohl man tatsächlich nochmal viel näher an den text herankommt)

Denn der Text ist in seinen Wiederholungen, die keine Wiederholungen sind im eigentlichen Sinne, dahinter steckt sicher eine Anlehnung an den Aufbau musikalischer Stücke - als plakatives Beispiel (weil ich da nicht viel Ahnung habe) fällt mir natürlich so etwas wie eine Fuge ein (worauf ja auch die Kacheln deuten (zwischen den Kacheln geraten: in die Fuge). Ich weiß nicht, wie man das Prinzip einer Fuge richtig beschreibt, aber es sind ja keine Wiederholungen, mit der sie arbeitet, wenn sie auch mit wiederholenden Elementen arbeitet, aber es sind mehr Variationen, die in sich eine Wiederholung haben?
Und diese Struktur gibt dein text wieder, durch den je zweizeiligen Aufbau, der durch Wortkombinationen aus bisherigem Sprachmaterial neu kombiniert wird zu einer weiteren Aussage.
Und für mich schafft es so der Text den Inhalt zu transportieren: Es scheint mir um die Versuche von Lisbeth zu gehen und die stärkste Form des Versuchs ist doch, immer wieder neu anzusetzen, mit einem etwas anderem Probieren und doch ist es eigentlich derselbe Versuch, ein bisschen platt aufs Paradoxe heruntergebrochen - so eine Fugenkonzeption kann das sicher schöner fassen. Jedenfalls bleibt man da drin, wo man drin steckt, wie in eine Art Labyrinth und macht immer weiter.

Die Knack-, Schiss- und anderen Elemente haben dann starken pathologischen Charakter, ich lese sie allerdings nicht so, dass Lisbeth tatsächlich schon auf "der pathologischen Seite" angekommen ist, wie etwa eine Verrückte, die keine Verbindung mehr zum Außen hat, sondern dass du diese Gestaltungsart eher wählst, um zu verdeutlichen, wie entfernt Lisbeth von dem ist, wo sie hinmöchte - sie kann ihr Scheitern nicht selbst ästhetisieren und so doch im Fluss sein. Sie treibt das Spiel nicht, um sich selbst über schlecht machen kompensatorisch doch wieder aufzuwerten, sondern ist tatsächlich fremd.
Diesen Aspekt leuchtest du seelisch aber nicht zu kontrastreich aus, machst, indem diese Elemente doch wieder mit dem weichen, dem Schönen (Bögen, Haar)vermischt sind, die aber - ich weiß nicht genau, wie du diesen Effekt erzielst - eine äußere Erzählinstanz hineinbringt und nicht Lisbeth (dagegen sind andere teile für mich zugleich eine äußere und innere Erzählinstanz), was dazu führt, dass Lisbeths Empfindungen nicht angetastet, variiert werden, sie bleiben abgeschlossen, aber trotzdem hat der Gesamttext eine mehrschichtige Beschreibungsebene.
Damit schaffst du es insgesamt den befremdenden Eindruck beim Leser zu erzeugen, er nehme Anteil an Lisbeths Innenleben, erhielte eine Innenschau, gerade weil er nicht teilnehmen kann, so wie auch sie die Verbindung nicht hinbekommt.

Mucki: Ich lese übrigens nichts von einem Klavier, schwarz und weiß scheinen mir hier eher der Komposition zu dienen, zwischen etwas sein zu können, natürlich mit "gut" und böse", dem höchstem "richtig" und "falsch". dass das so dramatisch/kontrastreich gestaltet sein muss, hat für mich vor allem damit zu tun, dass es "allen klar ist" - da haben wir ja noch eine Instanz in Lisbeth, die nicht unerheblich ist.

In diesem Zusammenhang finde ich es raffiniert, das Knacken, das störende Geräusch, Lisbeths Körper entspringen zu lassen, das "Falsche" also auf die grundsätzlichste Ebene zu holen.

So, hier mache ich erstmal Schluss - ich finde den Text besonders, weil er einen seltenes, seltsames Gefühl als Leser gibt, man bleibt außen vor, aber dadurch versteht man, worum es geht.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Albert

Beitragvon Albert » 07.06.2008, 00:31

Lieber Peter, liebe Mucki und Lisa,

habt herzlichen Dank für eure schönen und gehaltvollen Kommentare, ich freue mich sehr, dass das Gedicht für euch auf die eine oder andere Art funktioniert hat.

Hallo Peter,
ich finde zwei Dinge besonders interessant, die du sagst:
für mich verweist das Gedicht aus seiner Bewegung auf seinen Stillstand. Daraus entsteht eine Art Reibung, alles soll, kann nicht, will, wird unterbrochen, nimmt sich das Unterbrochene zum Ausdruck, wird übergangen. Was gesagt ist, und doch nicht gesagt, vor und zurück, verharrend und bewegt, scheint mir dann wie in einer... Zweidimensionalität befangen, eine Höhe fehlt (ein Freispruch) - alles wird nur angeführt, ausprobiert, aber das, um das sich das Gedicht dreht: der Name, bleibt... namenlos.


So ging es mir beim Schreiben tatsächlich auch, du hast die Problematik, die dieses Gedicht letztlich beschränkt, hier sehr gut aufgegriffen. Mir schien, als ich erst mal angefangen hatte zu schreiben, immer noch eine andere Ebene erreicht werden zu wollen, die aber der Form nicht mehr zu öffnen war. Ich bin sehr unsicher, ob das Gedicht daher überhaupt etwas sagt und nicht eher eine "Formalie" ist und vielleicht "nur" auf der Laut- oder allgemeinen Strukturebene interessant bleibt. Der Leser scheint Lisbeth gegenüber, wie Lisa unten schreibt, außen vor gelassen; die Frage ist natürlich, ob eine derart indirekte, dem sozusagen toten Objekt anhaftende Beschäftigung überhaupt etwas über Lisbeth ausdrücken kann.

In diesem Sinne freue ich mich über deinen Satz, die Musik sei auseinandergefallen. In diesem Auseinanderfallen liegt sozusagen meine einzige Hoffnung diesem Gedicht gegenüber.

Liebe Mucki,

dank dir für das "bizarr" ;-) - du hast den Auflösungsgedanken schön in Worte gefasst. Dass du Lisbeth zum Instrument werden lässt, finde ich sehr interessant und damit wirst du dem Text wahrscheinlich ziemlich gerecht - ihrer Instanz ist ja letztlich von Anfang an nicht autark, insofern für mich nachvollziehbar, obwohl mir das "Nacken knacken" doch, wie du es ja auch als "Aufbäumen" liest, nicht so ganz damit vereinbar, oder? (Vgl. dazu auch Lisas Anmerkung, dass das Knacken ja auch "das Falsche" ist, was sie wohl aus der Zeile "allen ist das klar" zieht - wie integrierst du dieses "alle"? - Ich frage das nicht aggressiv, sondern weil ich mich frage, inwieweit der Text überhaupt kohärent gelesen werden kann).

Dass du ein Klavier herausliest, hat mich wie Lisa auch ein wenig überrascht, sicherlich lädt der schwarz-weiß-Gegensatz dazu ein, zumal die Räumlichkeit von Kacheln im Text sonst ja auch nicht weiter verankert ist (außer mit den "Fugen", wobei die, so scheinst du ja zu schreiben, auch die Tastenzwischenräume sein können? Oder wie erklärst du das?). In jedem Fall ein interessanter Gedanke!

Liebe Lisa,

danke für das Kompliment - ich bin allerdings unsicher, wie ergiebig eine Strukturanalyse hier wirklich wäre (man könnte z.B. damit anfangen, dass das Gedicht nicht einheitlich zweizeilig gegliedert ist, was wohl, da liegst du mit deiner intuitiven Lesart ganz richtig, eher ein Manko ist), solange man an so einer Analyse nichts versteht bzw. erklären kann oder muss, scheint sie mir eher unnötig. Davon ab hast du die strukturelle Wirkweise des Textes doch auch gut beschrieben (jedenfalls wäre sie gut, wenn sie so wäre, wie du sie beschreibst :smile: ).
Sehr freue ich mich natürlich über den Fugen-Bezug, der mir doch ein wenig wichtig war (obwohl ich doch denke, dass die Umsetzung hier den Bezug zu Fugen letztlich nicht behaupten kann, der Effekt, den du beschreibst, würde ich hingegen schon als charakteristisch bezeichnen).

In Folgendem finde ich mich sehr gut wieder:

wie entfernt Lisbeth von dem ist, wo sie hinmöchte - sie kann ihr Scheitern nicht selbst ästhetisieren und so doch im Fluss sein


achst, indem diese Elemente doch wieder mit dem weichen, dem Schönen (Bögen, Haar)vermischt sind, die aber [...] eine äußere Erzählinstanz hineinbringt und nicht Lisbeth (dagegen sind andere teile für mich zugleich eine äußere und innere Erzählinstanz), was dazu führt, dass Lisbeths Empfindungen nicht angetastet, variiert werden, sie bleiben abgeschlossen


Deine Argumentation bezüglich des von Mucki ins Spiel gebrachten Klaviers finde ich übrigens sehr einleuchtend; ich würde vielleicht nicht von "gut" und "böse" sprechen (verstehe aber, in welcher Rolle du dann Lisbeth gegenüber den "allen" siehst und finde das wahrscheinlich am plausibelsten), was die eher formale Rolle des schwarz und des weiß anbelangt, stimme ich aber mit dir überein.

Und abschließend freut mich das hier, insbesondere angesichts meiner oben geäußerten Zweifel, besonders:
Damit schaffst du es insgesamt den befremdenden Eindruck beim Leser zu erzeugen, er nehme Anteil an Lisbeths Innenleben, erhielte eine Innenschau, gerade weil er nicht teilnehmen kann, so wie auch sie die Verbindung nicht hinbekommt.


Wenn das so wäre, wäre ich ziemlich zufrieden.

Dank euch nochmal für eure sehr interessanten Lesarten!

Liebe Grüße,
Albert

Mucki
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Beitragvon Mucki » 07.06.2008, 00:57

Hallo Albert,
ihrer Instanz ist ja letztlich von Anfang an nicht autark, insofern für mich nachvollziehbar, obwohl mir das "Nacken knacken" doch, wie du es ja auch als "Aufbäumen" liest, nicht so ganz damit vereinbar, oder? (Vgl. dazu auch Lisas Anmerkung, dass das Knacken ja auch "das Falsche" ist, was sie wohl aus der Zeile "allen ist das klar" zieht - wie integrierst du dieses "alle"? - Ich frage das nicht aggressiv, sondern weil ich mich frage, inwieweit der Text überhaupt kohärent gelesen werden kann).

Gerade, weil ich Lisbeth als Instrument lese, bzw. genauer gesagt: Sie wird im Laufe des Textes zum Instrument. Zu Beginn hat sie nach meiner Lesart schon eine gewisse Autarkie, die jedoch im Laufe der Zeilen immer mehr zerfällt. "Allen ist das klar", aber Lisbeth nicht. Gerade das macht für mich den Text so bizarr, gibt ihm diesen diffusen "Schleier".
Dass du ein Klavier herausliest, hat mich wie Lisa auch ein wenig überrascht, sicherlich lädt der schwarz-weiß-Gegensatz dazu ein, zumal die Räumlichkeit von Kacheln im Text sonst ja auch nicht weiter verankert ist (außer mit den "Fugen", wobei die, so scheinst du ja zu schreiben, auch die Tastenzwischenräume sein können?

Genau, die Zwischenräume hatte ich im Sinn, las also die Fugen wortwörtlich. Da passte für mich der fallende Schnee gut dazu. Und insgesamt das Schwarz-Weiß-Bild. Insgesamt erscheint mir der Text wie eine Art Folie, die nach und nach abgerissen, entschleiert wird.
Saludos
Mucki

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 09.06.2008, 09:59

Hallo Albert,

da wurde ja schon viel gesagt, ich versuche es trotzdem mal, selbst dem Gedicht zu folgen, nachzuspüren.

Ein spannender Text, sowohl lautmalerisch, als auch die gelungene sprachliche Verknüpfung von Inhalt und Ausführung. Das wiederholende, variierte Moment. Ich habe das Gefühl, da müsste etwas gesagt, ausgesprochen werden, um eine Wandlung herbeizuführen, die grundsätzlicher ist, die einen Neuanfang möglich macht. Ein Ausbrechen, aus diesem jämmerlichen Ton. Da ist das Schwarze, man vermutet, dass es negativ besetzt ist, da sie dazwischen gerät und aufbegehrt. Sie lässt den Nacken knacken. Aber es ist zu laut. Lisbeth scheint nicht das richtige Maß zu finden, um sich einzufügen. Wie sich auch nichts fügen lassen will. Und da ist schon eine Wut über diese Unmöglichkeit, sie (sich) zu integrieren. Sie stört.
Ist es Lisbeths Blick auf ihre Welt, sich selbst, oder ist es die Außensicht, die abschätzig, beinahe angeekelt auf diese Töne, ihr Sein blickt?
Die zweite Zeile sagt ja, diesem Missklang lässt sich nichts hinzufügen. Er bleibt isoliert in der Luft hängen. Zugleich schwingt darin aber auch mit, dass es keinen Wert hat, ihm etwas hinzuzufügen. Der Glaube an Veränderung, von innen oder von außen fehlt, egal, was getan wird, Lisbeth ist nicht in ein positives Klang/Lebensbild zu retten.
Dann taucht das Weiß auf, der Schnee, der Antagonist der schwarzen Kacheln, des Drecks, zwischen dem Lisbeth gefangen scheint, das Fugenmoment, etwas Leichtes. Aber was geschieht, er lässt schimmeln. Vielleicht kann ich dieses Wort deshalb nicht in seiner eigentlichen Bedeutung lesen. Ich bekomme die Kälte des Schnees nicht mit diesem warmen Verderben zusammen. Wenn ich aber nun das Wort wende und das Schimmeln als Weißen lese, eine Umwandlung des negativen Schwarzen in etwas positives Weißes, so würde hier ganz verborgen doch eine Entwicklung stattfinden. Zuerst ist es das Knacken, der Ton, den Lisbeth erzeugt, dann sie selbst. Das Weiß greift auf sie über. Da geschieht etwas mit ihr. Lisbeth wird verändert, instrumentalisiert, sie gerät auch hier wieder nur hinein. Sie fließt ihren Fingern hinterher, ihre Haare lösen sich. Beides versuche die Starre zu lösen, ein Öffnen, vielleicht gar ein Aufkeimen von Hoffnung. Aber sie bleibt stecken, in den Fugen, den Wiederholungen, ob schwarz oder weiß, gut oder schlecht, es macht keinen Unterschied, weil nichts wirklich an Lisbeth heranzureichen scheint und sie nicht hinaus. Die Kommunikation, das Miteinander ist gestört.
Und ich glaube, das ist schließlich die Ohnmacht, die diese Zeilen erzeugen. Es gelingt nicht, da ist ein Missklang, der sich nicht in Wohlgefallen auflöst. Der Fliegenschiss zieht den Bogen wieder zurück zum Anfang, dem Fliegenfurz. .-) Und die zweite Zeile behält recht: dem war nichts hinzuzufügen.

Das hat mir Spaß gemacht. Gefällt mir gut, ich freue mich schon auf weitere Gedichte von dir.

liebe Grüße smile

Albert

Beitragvon Albert » 10.06.2008, 23:02

Liebe smile,

hab vielen Dank für deinen einfühlenden Kommentar! Hat Spaß gemacht, auch noch von dir eine Stimme zum Text zu hören. Was du zum Schnee sagst finde ich spannend - Peter hat ja oben gemeint, der Schnee sei das Weiße des Schwarzen; deine Lesart scheint mir das hier noch etwas näher zu erläutern. Ich hatte mir den Schnee ja als eine Art Wut gedacht, aber wie in kleinen Glasblitzen gefangen. Ich glaube, du triffst daher etwas, wenn du sagst, gerade dieses Weiße würde hier etwas öffnen ohne dass Lisbeth darüber heraus käme (nochmal zu Peters Ausdruck - "Schnee fällt auf die schwarzen Kacheln" kommt ja unverändert als Zeile zweimal vor - da scheint mir die Unveränderlichkeit zu ruhen). "Knacken" - "Kacheln", sowie "Schnee"-"Schimmel" und "Schnee"-"Kachel" würden für mich da die Hauptansatzpunkte bilden, analysierte ich das Gedicht jetzt.

Freut mich, dass es dir gefallen hat.

Ich habe übrigens überlegt, beim ersten Dreizeiler die zweite und dritte Zeile ("sie spürt [...] Frauenbäuche") zu streichen, da die keiner außer Mucki bei seiner Rückmeldung zum Nachfühlen des Textes erwähnt hat , der Text aber trotzdem nachgefühlt wurde, mir die Stelle also entbehrlich scheint (vielleicht kannst du, Mucki, noch kurz sagen, wie wichtig dir die Stelle wäre? Aber andere natürlich auch, falls das jetzt sonst Zufall war). Ich bin aber aufgrund des sowieso schon recht "formalen" Eindrucks des Gedichts unsicher, ob es dann nicht nur noch ein Hin- und Herschieben von Wörtern wird?

Liebe Grüße,
Albert

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.06.2008, 01:09

Hallo Albert,
Ich habe übrigens überlegt, beim ersten Dreizeiler die zweite und dritte Zeile ("sie spürt [...] Frauenbäuche") zu streichen, da die keiner außer Mucki bei seiner Rückmeldung zum Nachfühlen des Textes erwähnt hat , der Text aber trotzdem nachgefühlt wurde, mir die Stelle also entbehrlich scheint (vielleicht kannst du, Mucki, noch kurz sagen, wie wichtig dir die Stelle wäre?

ich finde diesen Dreizeiler:

Das Knacken muss leiser werden, allen ist das klar
sie spürt, dass Knorpel abgeschliffen sind
Sehnen wie obszön hängende Frauenbäuche


so wie er da steht, schon wichtig. Würdest du die zwei letzten Zeilen hier streichen, fehlte etwas. Denn hier sehe ich den beginnenden Zerfall der geringen Autarkie von Lisbeth. Aber du entscheidest. Für dich als Autor muss es stimmig sein.
Saludos
Mucki

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Beitragvon Ylvi » 11.06.2008, 08:40

Hallo Albert,

sie spürt, dass Knorpel abgeschliffen sind
Sehnen wie obszön hängende Frauenbäuche

Für mich braucht es diese zwei Zeilen. Diese Stelle in meinem Komm. bezog sich haupstächlich auf sie.
Ist es Lisbeths Blick auf ihre Welt, sich selbst, oder ist es die Außensicht, die abschätzig, beinahe angeekelt auf diese Töne, ihr Sein blickt?

Wobei ich hier (vermutlich völlig übertrieben :rolleyes: ) das Wort Sehnen sehr spannend finde. Zum einen lese/höre ich darin immmer auch "Szenen" und zum anderen auch die Sehnsucht. Selbst diese ist ihrer Schönheit, ihrem Reiz beraubt, erhält ein negatives Kleid. Sehnen halten die Dinge zusammen, sind Verbindungen, ohne die keine Bewegung möglich wäre. Und dieses Bild, das mit ihnen verknüpft wird, scheint mir für den Text wichtig zu sein. Ebenso das "abgeschliffen" sein, abgenutzt sein. Es hebt die Zeilen aus einem Moment in eine zeitliche Spanne hinein, gibt Lisbeth eine Vergangenheit.

liebe Grüße smile

Albert

Beitragvon Albert » 17.06.2008, 01:40

Liebe Mucki, liebe smile,

nach einer langen Woche - danke für eure Rückmeldungen! Dann lasse ich es so stehen - smile: ja, du hast da einige meiner intendierten Konnotationen schön erfasst. Ich war mir nur nicht sicher, ob das Gedicht nicht ohne den Vers auskommt und der nicht eher "rausfällt" - da das nicht der Fall zu sein scheint, lass ich es einfach so. :-)

Liebe Grüße,
Albert

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Beitragvon Lisa » 17.06.2008, 15:29

Lieber Albert,

ich finde im Gegensatz zu den anderen schon, dass die Zeile mit den Frauenbäuchen verzichtbar wäre. Ich finde sie nicht schlecht und sie färbt den Text schon, aber eigentlich hat sie keinen Restbildbezug - auf der Bildebene meine ich, steht sie sehr alleine da. Ich verknüpfe sie aus Not zwar mit den anderen und interpretiere durch sie den Text etwas offener, nicht nur in Richtung Musik, sondern eben damit auch Musik als Bild für ein anderes Misslingen, aber sie wirkt doch letztlich etwas willkürlich.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
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