Plötzlich das Meer

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Lydie

Beitragvon Lydie » 27.03.2009, 13:47

Plötzlich das Meer

Plötzlich das Meer
Schäumend zu meinen Füssen
In felsiger Bucht

Offenes Band weißen Strandes
Möwenschrei lebendig
Löst mich aus besorgter Starre

Plötzlich Verwandlung
Liegend gleite ich über die Erde
Auf einer Handbreit Luft

Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.04.2009, 19:50

Hallo Lydie,

das häufige "plötzlich" und die vielen Partizipien würde ich entfernen. Dann würde es m.E. lebendiger und auch geschmeidiger werden. Es wirkt, so wie es jetzt ist, auf mich etwas starr/abgehackt. Ich frage mich bez. "plötzlich" zudem, warum das Meer plötzlich da ist. LI befindet sich doch, so lese ich es zumindest, am Meer. Oder soll alles eine Art Traum sein? Das, was hier plötzlich geschieht, ist die Verwandlung. "Auf einer Handbreit Luft" finde ich fein.

Saludos
Mucki

Max

Beitragvon Max » 19.04.2009, 13:29

Liebe Lydie, liebe Mucki,

ehrlich gesagt kann ich in dem gedicht nur zwei Partizipien entdecken ...

Ich empfinde das Gedicht allerdings als relativ unruhig. es springt hin und her zwischen Beschreibung, Metapher und Selbstreflexion. Ich würde mir wünschen, er bliebe bei einem davon und ließe den Rest zwischen den Zeilen erahnen ...

Liebe Grüße
Max

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.04.2009, 18:06

Hi Max,

ja, hast Recht. (däutsche Sprache, schwäre Sprache *g*)
Ich meinte diese Worte:

Schäumend, felsiger, lebendig, besorgter, Verwandlung, Liegend

die ich aktiver ausdrücken würde durch Entfernen der "end", "ig" und "ung"

Saludos
Mucki

scarlett

Beitragvon scarlett » 20.04.2009, 11:23

Liebe Lydie,

das Gedicht beginnt unvermittelt und spart eine ganze Menge aus. Das nicht Gesagte, nicht Gezeigte muss ich, als Leser, aus dem, was da steht herausschälen. Und das gelingt mir gut, weil die Bilder tragen, weil ich mich in diese Situation sehr gut einfühlen kann.

Das plötzliche Auftauchen des Meeres, "Einrücken" ins Blickfeld des LI schiebt dessen Sichtweise aufs eigene Befinden mit einem Schlag wieder zurecht. Das Elementare, die "Urgewalt", die immer existieren wird, unabhängig von Besorgnis oder anderen, menschlichen Befindlichkeiten, hat für das LI eine erlösende Wirkung. Es verwandelt sich, vielmehr seine Grundstimmung, mit der es "unterwegs" war, verwandelt sich. Das "gleiten" kommt hier fast einer Befreiung gleich, Befreiung aus "Starre", aus Festgefahrenem, Immobilität wird zu Beweglichkeit.

Sehr schön, wie du den Kreis im Betrachten immer enger ziehst: Meer - Fels - Strand - und schließlich am Ende die Möwe, über die die Verbindung zum LI geschieht.

Und die letzten beiden Verszeilen: äußerst fein!

Sehr gern gelesen!

LG,
Monika

Ich würde die erste Verszeile als Titel (Fett- oder Kursivschrift) nehmen.

Lydie

Beitragvon Lydie » 20.04.2009, 22:39

Hallo liebe Gabriella, Max und Scarlett,

Beim Lesen Eurer Kommentare fällt mir ein, dass das Gedicht eigentlich "Traum" heisst, und ich es auf Gabriella's Anregung hin umbenannt hatte, um zu vermeiden, dass da zwei meiner Gedichte mit dem Titel "Traum" gleichzeitig unterwegs waren. Es ist tatsächlich ein "Traum", was auf Deine Frage, Gabriella, antwortet, und auch auf Deinen Kommentar, Max; oder eine Vision: ein Ort jedenfalls, der ungewöhnliche Erfahrungen oder Wahrnehmungen möglich macht, wie dieses "liegende Gleiten auf einer Handbreit Luft".

Dazu fällt mir übrigens was Lustiges ein. Ich habe nämlich schon oft geträumt, dass ich fliegen kann, bzw. schweben zumindest, aber eher fliegen, wie Peter Pan, so ganz mühelos gleiten. Und ich habe mich dann immer gewundert, warum nur ich das kann und andere nicht. Ich war in meinem Traum davon überzeugt, dass ich wirklich fliege. Und neulich bin ich zum ersten Mal aufgewacht (aufgedacht, habe ich gerade geschrieben) und habe gedacht: "Das ist ja ein Traum. Den träumst du schon so oft, und hast nicht gemerkt, dass es ein Traum war. Ganz Innen hast Du gedacht, Du kannst, anders als andere Menschen, wirklich fliegen."

Das "plötzlich" ist wichtig. Es ist Auslöser. Dieses plötzliche Auftauchen des Meeres, an einer Klippe, nach einer Biegung. "Plötzlich das Meer". Für mich gehört das zu den schönsten Erinnerungen in meinem Leben, dieses plötzliche Auftauchen des Meeres und was es bewirkt.

Scarlett beschreibt die Bewegung des Gedichtes und die hinter dieser liegende Erfahrung sehr schön:

"Das Elementare, die "Urgewalt", die immer existieren wird, unabhängig von Besorgnis oder anderen, menschlichen Befindlichkeiten, hat für das LI eine erlösende Wirkung. Es verwandelt sich, vielmehr seine Grundstimmung, mit der es "unterwegs" war, verwandelt sich. Das "gleiten" kommt hier fast einer Befreiung gleich, Befreiung aus "Starre", aus Festgefahrenem, Immobilität wird zu Beweglichkeit."

Es ist eine spannende Sache mit den Kommentaren. "Ich empfinde das Gedicht allerdings als relativ unruhig. es springt hin und her zwischen Beschreibung, Metapher und Selbstreflexion. Ich würde mir wünschen, er bliebe bei einem davon und ließe den Rest zwischen den Zeilen erahnen ..." sagst Du, Max, und für mich ist vermutlich gerade das bei jedem Gedicht ganz wesentlich. Nur empfinde ich es eben nicht als Springen von einer Ebene zur anderen sondern als eine Art Zusammenschau und Zusammenerleben. Das sinnliche Erleben von etwas, die Betrachtung von etwas, die bei mir wie selbstverständlich meine Selbstwahrnehmung in Schwingung, Aufruhr, Reflexion, versetzt. Etwas in der Natur, das zum Bild wird für etwas in mir oder umgekehrt. Das alles ist WAHRNEHMUNG und findet nur in diesem Ineinander von Sehen, Erleben, ins Bewusstsein Bringen überhaupt statt.

Und auch Gabriella findet da ja irgendetwas als starr und abgehackt. Lustig, weil mir das selbst überhaupt nicht so geht. Aber das ist eben der Unterschied von Innen- und Aussensicht. Vielleicht versuche ich noch eine etwas andere Version.

Vielen Dank jedenfalls an alle drei!

Lydie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 21.04.2009, 01:09

Hallo Lydie,

alles klar, ich hatte mich schon gewundert, wo denn dein 2. Gedicht mit dem Titel "Traum" geblieben war. ,-) Okay, dann lese ich dein Gedicht auch anders. Dieses Sprunghafte und das "plötzlich" passt dann schon. Nur ein bisschen geschmeidiger könntest du es schon formulieren. Bin gespannt auf eine zweite Version von dir.

Saludos
Mucki


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