Ungewöhnlich

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
moshe.c

Beitragvon moshe.c » 15.06.2008, 20:43

Ungewöhnlich

Ich sei
ungewöhnlich
sagte mir
ein staatlicher Psychologe


Mein Vater

Seine Fingerabdrücke
werden immer noch verwahrt

Seine Stimme hörte ich nie

Er soll ein sehr bewusster Mensch
gewesen sein

Und so gerecht,
sagt man mir heute


Meine Mutter

Sie wurde nie gefunden
im Wald oder im Meer

Keine Leiche
Kein Mensch

Aber sie wäre
sehr mutig gewesen

Ihre Worte
hatte man verstanden


Ich selbst

liebe meine Tante
die dicke
wegen des Schweigens

Mucki
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Beitragvon Mucki » 17.06.2008, 13:18

Hallo Moshe,

an deinem Gedicht fasziniert mich erst einmal der gelungene Aufbau. Als Prolog stellst du das psychologische Stigma des LIs voran. Dann beschreibst du in knappen, dennoch durchaus ausreichenden und vielsagenden Worten die Prägung des LIs durch Vater und Mutter, um schließlich das LI endlich für sich selbst sprechen zu lassen.
Und die Aussage des LIs ist für mich eine konsequente Folge aus dem, was ich als Leser über Vater und Mutter des LI erfahre.
Vor allem empfinde ich konsequent und nachvollziehbar, dass LI seine Tante wegen des Schweigens liebt. Das bedeutet für mich zweierlei: einmal, dass LI sie liebt, weil über sie eben nicht gesprochen wird, ihr etwas nachgesagt wird und zum anderen, weil sie selbst "schweigt", also das LI nicht von ihr manipuliert wird, sonderm dem LI Freiraum lässt.
Gelungen!
Saludos
Mucki

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 17.06.2008, 18:15

Danke liebe Mucki!

Irgendwie dachte ich da ein wenig an Südamerika, wohl Argentien vermehrt, (oder auch Chile?)
Auf jeden Fall bin ich dabei mich ein wenig mit Waisen zu beschäftigen.

MlG

Moshe


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