Der Poet und die Geburt

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
moshe.c

Beitragvon moshe.c » 14.05.2008, 22:13

Der Poet und die Geburt

Der Poet sah sich
bei der Geburt.

Er wurde
gezeugt
während er schwebte
und sagte später
daß du meine Geburt gesehen hast
im Keim in deinen Augen

all die Tage waren da
und alle Sätze
die man finden kann

in der Bildform
und die Bücher
verlangten nach Wahrhaftigkeit
von seiner Seele
in den Tagen
die gebildet werden

beständig
unter allen Tagen
jetzt

im Schlaf im Wachen
wie ein Teppich
spürt er sich
auf dem du dich
immer weiter bewegst

Louisa

Beitragvon Louisa » 15.05.2008, 13:44

Hallo Moshe!

ich weiß leider nicht mehr wo ich dieses Paradoxum (?), dass sich jemand bei der Geburt selbst sieht schon gehört/gelesen habe, aber ich weiß, dass es sehr bekannt ist. Ich gebe diese "Kopie" also erstmal zu Bedenken.

"Er wurde
gezeugt "

Wieso das Enjambement? (Ich frage deshalb, weil die Worte hier dadurch keine überraschend neue Bedeutung bekommen oder der Akzent auf "Er wurde" ... oder "gezeugt" besonders faszinierend ist.)

"während er schwebte"

Da hätte mich eine Forführung dieses Bildes gefreut. Zum Beispiel wo und als was er schwebte. Was meinst du? (Die Idee interessiert mich, sie ist nur noch ein bisschen blass so alleine)

"und sagte später
daß du meine Geburt gesehen hast
im Keim in deinen Augen"

Oh, ein "Du" :smile: ! Ich habe bisher nicht herausfinden können, um wen es sich dabei handelt. Eine Liebe, Gott, eine Mutter, das Ich selbst, den Leser, Jedermann... sehr undeutlich für mich...

Hier würde ich den Akzent auf den "Keim der Augen" als Ausdruck für "Geburt" legen. Das fände ich sehr schön. Außerdem könnte es dichter sein.

Deshalb evetuell:


"er erzählte
du sahst meine Geburt. Sie war
im Keim Deiner Augen"


Ich frage mich bei alledem noch: Ist der ANfang, der Keim der Augen oder der Anfang, der Keim des Menschens gemeint?

Jedenfalls finde ich das schon mal insgesamt spannend als Gedanken.


"all die Tage waren da
und alle Sätze
die man finden kann "

Ich finde immer etwas unglücklich, wenn man diese Imbissbuden-Sprache ;-) in Gedichten übernimmt.

"Alle Tagen waren da"

Alle Vögel auch :smile: ? - Nein, ich muss mich dann bloß immer fragen: Wo "DA" ? Was soll das heißen? Was soll das wirklich heißen? "Da" für dich? "Nicht da" für jemand anders? "Lebendig"? "Sichtbar" ? "Denkbar" ?

"und alle Sätze
die man finden kann"

Das klingt sehr nach dem Glauben an ein Schicksal bzw einen Gott, der das Leben vorherbestimmt. `ne Erklärung dafür, wieso alle Sätze ebenfalls "schon da" ;-) waren, vermisse ich leider.

"in der Bildform
und die Bücher
verlangten nach Wahrhaftigkeit
von seiner Seele
in den Tagen
die gebildet werden"

Mmm... die Sätze waren in Bildform "da" ? Das wiederum führt zurück zum Poeten. Ein paar Beispiele für diese herumliegenden Sätze würden mir gefallen.

(Wenn sie doch schon mal da sind :smile: ...)

Ich bezweifle, dass die Bücher nach etwas verlangten...

In dieser Strophe werden mir ein bisschen zu viele weiße Karten ausgespielt... "Seele" :eek: ? "Tage, die gebildet werden" :eek: ? "Wahrhaftigkeit" :eek: ??????

Dann die letzten beiden:

"beständig
unter allen Tagen
jetzt"

ist mir ein bisschen dreifach gemoppelt :smile: .... Ich meine, das hätte selbst meine überkorrekte Deutschlehrerin angestrichen:

"Beständig, unter allen Tagen, jetzt..." R(Wortwiederholung) :smile:

Huch! Dann fügst du auch noch "im Schlaf im Wachen" an :smile: ... Man kann es auch übetreiben!

Dann kommt wieder etwas, das mir gefallen hat:

"wie ein Teppich
spürt er sich
auf dem du dich
immer weiter bewegst"


Noch spannender fände ich ja, wenn man selbst still steht, sich aber der Teppich bewegt... So ist es mir manchmal mit der Zeit.

Aber da ich nicht herausfinden kann, wer "du" sein soll.... Kann ich nur sagen, dass mir der "Teppich" als BIld hier zusagt.

Kein schlechtes Gedicht, Moshe!

Manchmal zu große Worte ohne kleine Bilder, manchmal Wiederholungen... ABer auch viele spannende Stellen!

Schönen NAchmittag!
l

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 15.05.2008, 19:39

Liebe Luisa!

Die Poetenreihe entwickel ich so nach und nach, und damit auch die Figur, die Person des Poeten.
Es wird eine Reihe werden, von der ich jetzt nicht weiß, wo sie hinführt und welchen Umfang sie haben wird.
Spannend finde ich für mich selbst, daß es immer wieder weiter geht.
Einige Texte in der Reihe habe ich hier nun nicht veröffentlicht, weil das wohl ein wenig kompliziert ist und ja auch kaum Kommentare kamen.
Bei diesem reizte es mich jedoch, denn hier findet eine klare Definition dessen statt, wie es im Inneren des Poeten aussieht.
Er hat quasi eine Alter-Ego-Struktur in sich, wie alle Menschen, die ihm aber seit seiner Geburt bewußt ist: Seele und Körper. Beide Teile haben eine Autarkie bis zu einem gewissen Grade, sind aber von einander abhängig, um als Person nach aussen zu bestehen. (davon ist hier nicht die Rede.)
Somit findet hier eine Beschreibung dieser Situation und ein daraus folgendes Gespräch in sich selbst statt. :eek:
Ein Paradox ist es nicht.

Wenn oder was ich da kopiert hätte, würde mich schon sehr interessieren.

Gegen deine Deutschlehrerin habe ich natürlich nie eine Chance. :daumen:

Würde mich freuen von dir zu hören.

MlG

Moshe

Louisa

Beitragvon Louisa » 16.05.2008, 00:27

Die Frage ist für mich immer öfter: Was an der "Seele" ist nicht körperlich?

Also ist das "Du" die "Seele" ? Was ist die "Seele" ?

Das war mein Problem (eines)... das ich "große weiße Karte" nannte. "Seele" ist so ein Wort für mich wie "Liebe" oder "Gott" oder "Ewigkeit" ... Es ist so übermächtig und doch so leer.

Ich kann diese Worte nur in Bildern ertragen... (wenn es um Lyrik und Leben geht)

Vielleicht fällt mir noch ein, an welche Kopie ich dachte :smile: ... Weiß es jemand?

Vielleicht antwortest du ja noch mal!

Gute Nacht!
l

Caty

Beitragvon Caty » 16.05.2008, 15:29

Lieber Moshe, ich umschiffe dauernd dieses Gedicht und trau mich nicht, was dazu zu sagen, aus Angst, ich demaskiere meine Blödheit.

Die zweite Strophe ist mir nicht klar. Erst mal zur Klärung: Wenn ich richtig lese, handelt es sich hier um drei Personen, den (abwesenden) Poeten, das Du und das Ich. Das irritiert mich, weil das Du nirgends wo wieder auftaucht. Irgendwie finde ich es auch nicht logisch, dass LyrIch geboren wird, der Keim (der Geburt? Des Poetenseins?) aber in den Augen des Du lag. Als Aussage drängt sich mir auf, dass, wenn ein Dichter (das LyrIch) geboren wird, andere (das Du) schon wissen: Hier ist ein Dichter geboren.

Diese Aussage aber, Moshe, kommt mir doch ein bisschen metaphysisch vor. Ich glaube nicht, dass man als Dichter geboren wird. Eher gehe ich davon aus, dass vielfältige
Lebensumstände einen Menschen dazu bringen können, seinem Mitteilungsbedürfnis die Möglichkeit
des Auslebens zu geben, seinem Drang nach ästhetischer Gestaltung usw. An den "inneren Ruf" bzw. die "Berufung" zu glauben halte ich für Kinderglauben, genauso, dass es eine Vorbestimmung gibt. Ich finde ja auch, dass einer, der schreibt, Verantwortung vor seinen Lesern hat, denn letzten Endes beeinflusst er (indirekt) dessen Haltung zum Leben, egal, ob sich der Leser dessen bewusst ist oder nicht, er übernimmt das Schamanische der Urzeit. Insofern ist Schreiben selbstverständlich keine "gewöhnliche" Tätigkeit. Mich stört dennoch an dieser Aussage etwas: das "höhere Wesen Poet". Für mich hat das etwas Elitäres, mit dem sich ein wirklicher Dichter niemals identifiziert.

Das Gedicht ist beinahe in biblischer Sprache gehalten, jedenfalls ist die Affinität zum Religiösen (auch durch den Begriff der Seele) nicht zu übersehen. Auch sie unterstützt die Aussage des Elitären.

Den Zeilenbruch finde ich etwas überraschend, er unterstützt meiner Ansicht nach die Aussagen nicht wirklich an allen Stellen.

Sollte ich hier irgendwas missverstanden haben, Moshe, wäre es schön, wenn du noch mal was dazu sagen könntest.

Herzlich, Caty

Louisa

Beitragvon Louisa » 16.05.2008, 18:54

Hallo Caty!

Das finde ich spannend, was du schreibst:

Mich stört dennoch an dieser Aussage etwas: das "höhere Wesen Poet". Für mich hat das etwas Elitäres, mit dem sich ein wirklicher Dichter niemals identifiziert.


Woran oder an welchen "Poeten" :smile: machst du diese Aussage denn fest?

Ich finde nicht, dass das falsch ist - ich frage mich nur selbst: Kann man denn überhaupt etwas Allgemeines über Dichter aussagen?

Wenn ich mir so die Gestalten in den Literaturzirkeln und auf Lesungen anschaue, fällt es mir schwer Gemeinsamkeiten zu finden. Es gibt ein paar Spinner, die narzistisch auf ihrer Genialität beharren und es gibt sehr viele schweigsame Beobachter unter ihnen... Die erfolgreichen, fiel mir auf, sind oft kindliche Charaktäre... aber auch da gibt es wieder andere...

Ich habe zu Hause ein schönes Buch, das heißt "Die 50 besten Gedichte" oder so ähnlich :smile: ... Es ist aus dieser Reihe "50 Klassiker" ... Dort werden dann auf jeder Seite Dichter, ihre Epoche, ihr erfolgreichstes Werk und Skurilles über die Persönlichkeit beschrieben...

Dabei fällt einem auch auf wie vielfältig und unterschiedlich das Individum "Dichter" ist :smile: ...und ich glaube deshalb, dass auch der Ansatz dieser "Poet-Reihe" ein sehr wackeliger ist.

Es würde meiner Ansicht nach nur funktionieren, wenn man herauslesen könnte, dass da jemand von sich selbst erzählt.

Schönen Abend!
l

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 16.05.2008, 19:44

Liebe Louisa!

Das DU ist hier jeweils der andere Faktor aus zwei Elementen, den man nach außen als das ICH verteidigen muß.

Das ist ein alltäglicher Kampf, der bei einem recht einfachen Versagen dann bei der Kriminalpolizei oder im Fernsehen landet, oder ggf. in einem Dichter.

Generell gibt es wohl derzeit die Tendenz alles zu Materialisieren auf der einen Seite, als Gegensatz und vielleicht als Gegengewicht, dann das Anwachsen von Religiion um die die körperlichen, materiellen Beschränkungen zu kompensieren, auch mit einer angenommenen Rechtfertigung sodann. (Entschuldige meine Thesen hier.)

Seele versus Körper.

Das ist doch ein längst bekannter Konflikt. (Und dann kommt dann noch die Umwelt mit Normen und ökonomischen Forderungen daher, die hier nicht angesprochen werden.)

Liebe versus Ficken

Beide haben eine Historie, und müssen sich arrangieren. Der Poet sieht diese Elemente.

Natürlich (oder nicht?) ist die Liebe elitär gegenüber dem Ficken.

Jede Evulotion sollte bis zu einem bestimmten Grade elitär gegenüber der Vorform sein, aber eine helfende Hand haben.

Der satte Bürger braucht auch ein wenig Esotorik, um seinen archaischen Glauben zu besänftigen.

Uff

Liebe Caty!

Da ist keinerlei 'Blödheit' in dir.
Wir sind wie zwei Bauern, die ganz unterschiedliche Früchte anbauen, weil wir in verschiedenen Gegenden siedeln.
Zwar komme ich aus deiner Gegend, aber mir wäre es nie möglich gewesen den Boden, den du bearbeitest, so gut zu bearbeiten, wie es in deinen Werken zum Ausdruck kommt.
Zum Anderen erfahre ich derzeit Nachhilfe (Auch besonders durch meine Übersetzungstätigkeit) hier, die mich der Sprache und den Thematiken hier näher bringt. Dem folge ich durchaus gern.

Frage: Kannst du aus meinen Kommentaren bisher genug rauslesen, um mich zu verstehen?

Kannst du dir die Triade jetzt erklären?


Liebe Louisa!

Du suchst einen festen Dichter, der kein Individuum ist und die unzerstörbare Wirklichkeit verkündet?

Na Prost!
:prost:

Seine Wirklichkeit, individuell?

Na aber, was steht denn hier geschrieben?

Mit bestem Gruß an euch

Moshe :hut0039:

Louisa

Beitragvon Louisa » 16.05.2008, 21:33

Also zu diesem schönen Beispiel:

Mir ist das eben gar nicht so klar, was da "höher steht" und ob überhaupt etwas "höher stehen" kann...

Wenn man annimmt es gibt gar keine "Seele" in dem Sinne, sondern alles ist auf organische Strukturen zurückzuführen... Es gäbe nur die Dinge, die ein Mensch erschafft und hinterlässt, es gäbe nur seine Taten und seine Untaten, die Erinnerungen bei anderen hinterlassen, es gäbe nur seine endliche Existenz - Dann weiß ich nicht mehr, was mit "Seele" eigentlich gemeint ist.

Ich persönlich sehe dieses Wort zumindest sehr kritisch oder ich meine etwas anderes damit, als die meisten :smile: ... (Genauso wie ich "Von Herzen" nicht verstehen kann)

Du vergleichst nun dieses Wort "Seele" mit "Liebe" -

Das ist gut, denn auch bei der Liebe weiß man ja nicht, was genau damit gemeint ist. Ich habe schon viele Erklärungen darüber gelesen und ich habe mir meine eigenen gemacht und ich habe biologische/psychologische gehört... Aber die Schönste Erklärung kommt von einer Salondame namens Lisa (hihi, ich petze :smile: ) und bezog sich eigentlich auf das Verliebtsein :smile: :

Ich zitiere: "Für mich ist Liebe der Wunsch einem anderen etwas Gutes zu tun ohne dabei zu registrieren, dass man jetzt gerade etwas Gutes für jemand tut. Man tut es einfach."

:wub:

Ich kann zu dieser Stunde nicht mehr naturwissenschaftlich antworten...hihi...

Nur eins: Es geht ja gar nicht darum, was "elitär" ist und was nicht... Es geht -meines Erachtens besonders dem "großen Poeten" :pfeifen: - darum, was diese Worte eigentlich im Kern bedeuten.

Ich denke jetzt darüber nach :smile: !

Bis später hier!
lounaco

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 16.05.2008, 23:04

Weil es hier jetzt immer um Liebe geht, die ich in meinem Text ganz und garmicht angesprochen habe, bin ich jetzt böse:

Jede Liebe ist egoistisch.
Selbst 'selbstlose' Liebe fordert zumindestens Lob, meistens jedoch auch Donationen.

Liebe bedeutet die Erfüllung der eigenen Wünsche und Befriedigungen durch eine andere Person. Im günstigsten Fall wird ein gerechter Ausgleich geschaffen.

Für mich ist Liebe ein erfolgreiches Zusammenleben über Jahrzehnte mit dem Ziel, nach langer Zeit beieinander zu sitzen und sagen zu können: Das haben wir geschaffen. (Inclusive Kinder) , und nicht eine kleine temporäre Handlung.

Soweit

Morgen mehr

Moshe

Louisa

Beitragvon Louisa » 16.05.2008, 23:32

Ich sprach die Liebe nur an, weil du sie zuvor mit der Seele verglichen hast (.....)

Nicht jede Liebe ist egoistisch. Liebe zu Kindern meines Erachtens z.B. nicht.

Dadurch ist mir aber immer noch nicht klarer geworden, was "Seele" sein soll :smile: ...

Caty

Beitragvon Caty » 17.05.2008, 10:53

Louisa, um noch mal auf die Seele zurückzukommen. Moshe hat geschrieben: Die Bücher verlangten nach Wahrhaftigkeit von seiner Seele in den Tagen, die geboren werden. (Moshe, besser ohne von? oder ohne nach?) Man kann das auch so interpretieren: Wenn du schreibst, kannst du alles schreiben, aber niemals die Unwahrheit. Oder: Wahrheit ist das höchste Gut des Poeten.

Die Seele war in der Religion nicht gleich zu Anfang da, in den Religionen der Stammes- und Sippengemeinschaften spielte sie noch nicht die Rolle, die sie in den zur Zeit lebenden Religionen spielt, damals, als man noch Totems und Ahnen verehrte und allmählich die Macht der Priester wuchs. Ich habe auch niemals wirklich verstanden, was mit der Seele gemeint war. Denn wenn ein Mensch tot war, war er tot. Anzunehmen, irgendein Etwas, das keinen Sitz im Körper hat, nämlich seine Seele, lebe im Himmel weiter, kommt mir auch heute noch wie ein Priesterbetrug vor, auch wenn ich ein bisschen was von Religionen weiß und den Begriff der Seele nicht unterschätzen will. Ich als Materialistin übersetze mir das Wort Seele mit höchstem Gut des Menschen, das er am meisten zu achten hat. Der Konfuzianismus zum Beispiel nennt das Gesicht, wenn ich mich nicht irre. Dazu brauche ich aber den Begriff Seele nicht. Trotzdem, vielleicht ist auch daran noch etwas Metaphysisches, Mystisches, es ist anzunehmen. Ich glaube, selbst der Papst könnte dir nicht wirklich einsichtig erklären, was eine Seele ist, bestenfalls würde er drumherum reden und dich anschließend segnen, auf dass du erlöst wirst von deinen Zweifeln. Adäquat übersetze ich Moshes Wahrheit als das höchste Gebot des Poeten. Mir wäre es recht, wenn er es so direkt geschrieben hätte, ohne den Umweg über die Seele zu nehmen. Aber Moshe lebt in einer sehr religiösen Welt, und irgendwo ist es mir deshalb auch verständlich.

Was aber die Liebe angeht, auch die Liebe zu Kindern, Louisa: Selbstverständlich ist auch sie egoistisch, denn sie schließt immer etwas aus. In der Liebe erwarte ich ein Entgegenkommen des Geliebten (also eine "Belohnung"), auch wenn ich es mir nicht eingestehe, ein Drittes schließe ich aus, und das eben nicht nur aus moralisch-gesellschaftlichen Gründen. Und die Mutterliebe? Wenn man eine Mutter vor die Wahl stellte: deine oder fremde Kinder - zu wessen Gunsten würde sie sich entscheiden? Wir verhalten uns im allgemeinen menschlich, und das nicht deshalb, weil wir Menschen sind (wir sind Raubtiere), sondern - wie uns die Priester versprechen - um nach dem Tode belohnt zu werden oder zu Lebzeiten schon allen Mitmenschen ein angenehmer Zeitgenosse zu sein, der keine Feinde hat, wir sind eben "zivilisiert" und insofern natürlich auch "egoistisch". Und die Religionen schreiben sich diese Zivilisiertheit zu. Was natürlich nicht stimmt, sie machen sich nur das Sehnen der Menschen nach allseitigem Frieden zunutze. Religion, das heißt Ideologie, hat also weitgehend mit Machtinteressen zu tun, Menschen sollen beherrschbar sein. Und in diesen Zusammenhang gestellt ist der Begriff der Seele. Aber das ist eine materialistische Sicht, ich würde dir nicht raten, aus dieser Sicht mit dem Priester in der Beichte zu diskutieren.

Herzlich, Caty

Louisa

Beitragvon Louisa » 17.05.2008, 13:13

Danke vielmals, caty!

Ja... ich habe diese Stelle ähnlich gesehen:

und die Bücher
verlangten nach Wahrhaftigkeit
von seiner Seele


Das da ein Poet glaubt, die "Warhheit" zu kennen. Bzw. das die Wahrhaftigkeit (nur?) in seiner "Seele" aufzufinden ist.

Das bestätigt auch noch einmal deinen Eindruck des "elitären", Caty.

Mir gefällt diese abgehobene Haltung überhaupt nicht, muss ich sagen. Ganz gleich, ob religiöse Sprache oder nicht... Gerade wenn man solchen Hochmut mit Religion vermischt, wird es ja leicht abschätzig gegenüber anderen.

Schon der leichte Glaube daran "die Wahrheit" in seiner "Seele" zu tragen, ist für mich Kinderei.

Erstens wissen weder der Papst, Konfuzius, ein Gesichtschirug, Caty, noch ich genau was eine Seele ist :smile: ... und zweitens gibt es genauso wenig "eine Warhheit" -

Letztere These versuchen die wirklich großen Poeten meines Erachtens schon seit Jahrhunderten in anderen Formen zu bekräftigen.

Zum Beispiel er hier:

http://www.gedichte.eu/71/george/der-st ... r-eine.php

Ich suche dann mal den Papst auf, Caty :smile: ! Danke für die Antwort!
l

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 17.05.2008, 18:21

Hallo ihr beiden!

Besten Dank für die ausführlichen Überlegungen.
Caty zitiert mich richtig bei der Stelle mit der Wahrhaftigkeit, aber ich würde nicht so weit interpretieren hier von DER Wahrheit oder EINER Wahrheit sprechen zu wollen. Das gibt der Text nicht her und ist nicht meine Absicht. Wahrhaftigkeit würde ich hier im Sinne von Aufrichtigkeit sehen wollen, was Irrtümer mitnichten ausschließt.
Auch ist die ganze Reihe doch sehr subjektiv geschrieben, was ich auch in meinem Kommentar vom 15. Mai zum Ausdruck brachte.

Die Ausführungen zum Begriff Seele im Zusammenhang mit Religion finde ich sehr interessant. Das ist jedoch gar nicht mein Hintergrund und so verfüge ich auch nicht über notwendige Wissen, um darüber mitreden zu können.
Meine Sichtweise zu diesem Begriff ist mehr dem der Psyche entlehnt, also dem Bereich der Philosophie, der Kunst und natürlich der Psychologie und Psychoanalyse.
(Ich lebe nicht einer sehr religiösen Umgebung und bin selbst auch garnicht religiös. Sowohl meine Texte sprechen je davon, noch läßt sich da etwas aus meiner Kurzbiographie lesen, die hier öffentlich ist -> (Über das Portal hier im Salon zu finden))

Es freut mich, welche Diskussion mein Text hier zwischen euch auslöst, doch kommt es mir nun garnicht mehr so vor, daß es um ihn geht, was besonders deutlich wird, wenn er oder ich in einen Gegensatz zu Stefan George gestellt werden. Da hat sich etwas verselbstständigt, so daß es keine Textkritik mehr ist.

So long

Moshe

P.S.: Natürlich kann man sich für seelenlos erklären und alles versuchen mit einem Gesichtschirurgen zu lösen.

Louisa

Beitragvon Louisa » 19.05.2008, 13:18

...zu Mister George: Ich wollte damit nur veranschaulichen, wie man als "Poet" die Wahrheit bedichten kann, ohne abstrakte Worte zu verwenden.


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