Günderrode

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Caty

Beitragvon Caty » 01.02.2008, 10:36

Günderrode

Auf meinen Schultern
Trag ich geschnürten Himmel hin
Durch die kleine Stadt. Gezähmt, vergewaltigt
Die Gerüche, traut, aus Häusertoren,
Vernagelten Fenstermäulern. Abgestorben,
Totgeburt wie sie mir der Freund.

Marmorn
Die Augen der Menschen.
Sanft ihr Geplauder.

Ich trag alle Last der Welt. Ich krümm
Mich lächelnd, ein letztes Mal, heimlicher Haken
Im Mikado der falschen Spieler.
Meine Füße gebrochene Säulen des Herkules.
Mein Herz voll schwarzen Eises.

Schwer ist mein Himmel.
Du, Bruder Dolch, Herzensfreund,
Bist mir leicht, einzig
Der Freundin wahrer Gefährte.

Louisa

Beitragvon Louisa » 07.02.2008, 09:13

Ich sollte nicht vor dem PC sitzen, sondern wandern, wandern, wandern :smile:, aber das Thema finde ich für ein Gedicht spannend, Caty!

Mir gefällt, dass Du Dich kreativ mit ihr auseinandersetzt, denn es gibt relativ wenig über sie zu lesen oder ich war zu blöd bei meinen damaligen Recherchen für eine Arbeit.

Aber in der Schule haben wir nie ein Gedicht von ihr gelesen, was ich sehr erstaunlich fand, denn sie war doch eine der ersten anerkannten (deutschen) Dichterinnen. Schweinerei :smile: !

Zum Text:

Die ersten zwei Zeilen sind ein wundervolles Bild. Ich wäre noch länger dabei geblieben. Ich stelle mir vor, dass sie so eine Art "himmelblaues Paket" auf dem Rücken trägt, ihr "Himmelreich", dass sie überallhin schleppen will, es abladen möchte, aber es bleibt Gepäck ohne Ankunft. So etwas in der Art hätte mir als Fortsetzung viel besser gefallen. Kannst Du Dir ja überlegen.

Für mich passen die Worte "gezähmt" und "vergewaltigt" nur mit Magenschmerzen zusammen und ich glaube auch nicht, dass eine Frau wie Günderrode (Es ist doch ihre Perspektive?) sie so verwenden würde....Mmm...schwierig mit der Perspektive.

Ich verstehe auch nicht ganz wieso die Gerüche "vergewaltigt" sind. Das klingt spannend. Man kann sich etwas denken, aber ich finde es ist noch zu neblig.

"Fenstermaul" ist auch gut, aber zu "Maul" passt "vernagelt" nicht so gut wie zum Beispiel "stumm" oder "geschlossen" (=letztes ist öde).

Dann wird es ein wenig... wie soll ich sagen: "Krass" :smile: ?

Ich meine... Ja, sie ist depressiv, aber das muss man auch nicht mit dem Vorschlaghammer vermitteln :smile: !

"ABGESTORBEN, TOTGEBURT, wie sie mir der Freund" :angst_2:

Wieso ist sie ihr denn ein "Freund" :smile: ?

Du müsstest eigentlich noch ihre Migräne erwähnen...

Dann gefallen mir wieder die "marmoren Augen" - Schön.

"Sanft" ... Mmmm.... Findet sie das Geplauder der anderen "sanft" ? Sie ist doch so dermaßen in andere Welten eingetaucht, so überdrüßig von den Menschen, die sie nur enttäuscht haben, sie hat KOPFSCHMERZEN (das darf man nicht vergessen :smile: !) -

Dann findet sie das doch nicht "sanft", hein?

Ich musste schmunzeln bei: "Ich trag alle Last der Welt." - Weil ich mich wirklich frage, ob so ein verzweifelter Mensch denkt. Ich glaube durch seinen Kopf kreisen viel konkretere Erlebnisse und Hoffnungslosigkeiten. Nach dem Motto: "Wieso liebt er mich nicht (mehr) ? Nur im Traum können wir zusammen sein. Ich werde niemals erleben dürfen, dass er mich liebt? Er ist mein Glück. Und alles andere, was ich kann, was ich möchte, darf ich nicht in dieser Welt, ich kann mich nicht entfalten- Es gibt keine Chance, dass zu erreichen, was ich will und ich habe permanent Kopfschmerzen." :smile:

Ich glaube man denkt eher so banal :smile: ... aber das ist eine Glaubensfrage, keine Textkritik.

Trotzdem muss man sich ja auch fragen: Was ist an Günderrode noch zeitgemäß? Hatte sie dieselben Empfindungen wie ich vor dem Aspirin?

"Ich krümm mich lächelnd" ist wieder toll!

"Haken im Mikado" :smile: ? Öh????

Falschspieler beim Mikado :eek: ? Alarm! Alarm! Diese alten Stäbchenzocker :smile: !

(hihi...was soll das denn bedeuten? Bin ich zu blöd :smile: ?

*lach*... Man muss sich das mal vorstellen: Jemand schummelt beim Mikado :smile: !? - Das heißt ja: "Es hat gewackelt" - aber derjenige tut so scheinheilig, als ob nichts wäre.

Ähm... Was bitte hat das mit Karoline zu tun :smile: ?

Sie vergleicht ihre zarten Füßlein mit denen des HERKULES :smile: ? Es gibt so manche Stellen in diesem Gedicht, da geht die Günderode richtig ab :smile: ... Aber das klingt für mich doch sehr übertrieben. Wenn jemand kurz vor dem Selbstmord ist, sei es auch ein Dichter, denkt er - meiner Meinung nach - nicht so pömpös, sondern viel nüchterner.

Zum Beispiel Paul Celan hat am Tag seines Selbstmordes in den Kalender geschrieben: "Abflug Paul" :smile:

Vielleicht sind es die Bilder am Ende, vielleicht die altertümliche Sprache oder doch das plötzlich so Übertriebene, was mich mehr zum Lächeln, als zum Mitfühlen bringt.

Denn: Wo ist denn belegt, dass Frau G. in den Stunden vor ihrem Tod mit dem Dolch gesprochen hat :smile: ?

Ich glaube ich schreibe auch so ein Gedicht, aber das spielt dann heute :smile: ... Es soll heißen: "Es hat ein Aspirin im Traume" :smile:

Verzeihung, ich albere schon wieder.

Ich finde Dein Text hat ein tolles Thema, er hat sehr viele ausgefallene Bilder, manche übertrieben, aber darüber kann man streiten.

Mir hat es im großen und ganzen gefallen.

Das Wandern ist des Müllers Lust!

l auf dem Weg nach Nizza :smile:

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 07.02.2008, 20:04

Man erträgt/verträgt die Welt manchmal nicht.
Das ist bekannt und es gibt genug Sagen dazu.

Aber eigentlich keine konkreten Wege daraus.

Oder siehst du einen?

:eek: :rolleyes:

Moshe

Louisa

Beitragvon Louisa » 07.02.2008, 21:05

Werde ich gefragt?

Naja, Günni und Paul haben es doch vorgemacht! Ein Ausweg war die Seine, der andere ein Dolch...

Aber das ist ein Teufelskreis, weil ihre Liebsten dann wieder die Welt zu hassen lernen und so geht es immer weiter :sad: ...

Also könnte man sagen: Nein, kein Ausweg!

:eek:

l auf dem Weg zum Salsa-Tanz (hihi)


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