Die Oder

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Caty

Beitragvon Caty » 25.01.2008, 07:06

Die Oder

Da mich der Fischadler rief
An diesen Hang, den alten Strom.

Dort oben stand ich, die Hand
An der Stirn, verschattet
Die Augen, zu Kopfe der
Silberlandschaft.

Gesträuch, wirr, verwebt,
Teichrosen, wogend
Der Ufersaum.

Gänse, Geschrei.
Sandbänke, weißer noch
Singschwans Schneegefieder.

Im Rücken die Wiesen.
Schönste Blüte, Sonnen gleich
Das Adonisröschen.
Am Himmel kleines Gewölk.

Ich der Weidenbaum.
Eine Schwalbe umflog mich
Wie Fliegengeschwirr.
Da mich der Fischadler rief
An diesen Hang, den alten Strom.

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 01.02.2008, 21:57

Meine Großeltern mütterlicherseits stammten aus einem kleinen Ort an der Oder. Meine Mutter Jhg. 1944 ist dort noch geboren. Anfang 1945 sind meine Großeltern dann, wie so viele, geflüchtet. Meine Großeltern nannten Pommern ihre 1.Heimat und das, wo sie dann lebten, ihre 2.Heimat. Sie haben immer viel erzählt von ihrer 1.Heimat. Meine Oma war das letzte Jahr ihres Leben nur noch in der Zeit ihrer Kindheit, Jugend und als junge Ehefrau. Es gibt noch einige wenige Photos aus dieser Zeit.
Da ich aber im Gegensatz zu meiner Mutter bislang nie diesen Ort besuchte, fehlte mir immer etwas, um die Erzählungen meiner Großeltern ganz nachvollziehen können. Was ihnen auch dieser Fluß bedeutete.

Dieses Gedicht von Dir Caty hat mich den Erinnerungen meiner Großeltern näher gebracht. Irgendwie kann ich sie, wenn ich das Gedicht lese, vor mir sehen, wie sie damals dort als junge Menschen lebten.
Ich sollte vielleicht doch mal hinfahren.

Danke für dieses Gedicht.

viele Grüße
Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

Caty

Beitragvon Caty » 02.02.2008, 06:10

Gern geschehen, Sethe. Auch ich, obwohl nicht dort geboren, liebe diese Landschaft aus tiefstem Herzen. Am schönsten aber, Sethe, ist sie im Winter. Caty

Maija

Beitragvon Maija » 02.02.2008, 16:33

Liebe Caty,

Da ich viel und oft an der Oder spazieren gehe, gefällt mir das Gedicht besonders gut. Bilder sind zum größten Teil gut eingefangen und ich warte auch immer sehnlichst auf die Wildgänse die dann über die Oder fliegen.
Mich stören nur diese vielen Punkte, haben sie eine besondere Bedeutung? Soll dadurch der Klang besser rüber kommen?

Eine Schwalbe umflog mich
Wie Fliegengeschwirr.


Diese beiden Zeilen gefallen mir nicht besonders gut.

Gruß, Maija

Caty

Beitragvon Caty » 02.02.2008, 16:42

Was meinst du mit vielen Punkten, Maija? Punkte bedeuten ja immer eine Zäsur, sowohl vom Satzbau als auch gedanklich, mir scheinen sie logisch gesetzt. Dass dir die beiden Verszeilen mit der Schwalbe nicht gefallen, mag die Ursache darin haben, dass dich noch keine Schwalbe umflogen hat, sodass du den Vergleich mit Fliegen für dich nicht akzeptierst. Ich schon. Aber schön, dass du die Landschaft in dem Gedicht wiederfindest. Vielen Dank für den Kommentar. Caty

Maija

Beitragvon Maija » 02.02.2008, 16:52

Hallo caty,

Logisch gesetzt ja, aber der Leser(in) sollte dies gedanklich selber machen dürfen, dann hat er mehr Freiheiten und deine Zeilen mehr Beweglichkeit. Mich stören die Punkte ;-)

Mich hat dies Jahr wirklich noch keine Schwalbe umflogen, sind sie schon da? In Kietz/Küstrin - mein Elternhaus konnte ich sie besser beobachten.
Mich stört eher der zweite Satz mit den Fliegengeschwirr!

Gruß, Maija

Caty

Beitragvon Caty » 02.02.2008, 17:07

Das mit mehr Beweglichkeit, wenn man keine Punkte setzt, ist Fiktion, Maija. Mit Freiheit des Lesers hat das überhaupt nichts zu tun. Eher stolpert der Leser darüber, wenn er keine Punkte vorfindet. Ich kann mich mit einem völlig interpunktionslosen Text anfreunden, aber da ich hier auch Kommas setze, also A sage, muss ich auch Punkte setzen, also B sagen.

Nein, ich denke, die Schwalben sind noch nicht da. Es ist doch noch keine Schwalbenzeit. Tja, was soll ich sagen, wenn dich die Zeile mit dem Fliegengeschwirr stört, mach mir einen besseren Vorschlag für einen Vergleich, tu dir keinen Zwang an.

lg Caty

Maija

Beitragvon Maija » 02.02.2008, 18:19

Eine Schwalbe umflog mich
im Frühjahrsduft

Fruhlingsstimmung soll doch sicherlich dein Gedicht verzieren...?

Caty

Beitragvon Caty » 02.02.2008, 18:28

Frühling, ja, die Adonisröschen, sie blühen im April. Aber weil sie da schon stehen, muss ich den Frühling nicht noch betonen, Maija, der Leser weiß schon lange vorher, dass Frühling ist. Ein Vergleich ist dein Vorschlag leider nicht. Hm. Ein Vogel umschwirrt dich. Womit würdest du das vergleichen, wenn du draußen in der Landschaft stehst? Bedenke, auf den Polderwiesen weiden auch Kühe, auf dem Deich gibt es manchmal Schafherden. Da sind Fliegen gar nicht so weit hergeholt. Und vielleicht flog die Schwalbe, die mich umflog, hinter einer Fliege her? Caty

Maija

Beitragvon Maija » 02.02.2008, 18:50

Frühling war für mich eher die Wildgänse, aber ich sehe das du die Hausgänse sicherlich meintest. Du antwortest sehr schnippig, liebe caty! Ich habe auch noch keine Schwalbe gesehen, die mich wie ein Fliegengeschwirr umkreist! Ich verstehe nur Bahnhof!

Caty

Beitragvon Caty » 02.02.2008, 19:00

Maija, ich bin zu alt für diesen Jargon. Mit mir musst du schon ein bisschen gepflegter verkehren. Aber lassen wir das. Caty

Maija

Beitragvon Maija » 02.02.2008, 19:12

Ach das Alter spielt da keine so wichtige Rolle, liebe caty!

Aber weil sie da schon stehen, muss ich den Frühling nicht noch betonen, Maija, der Leser weiß schon lange vorher, dass Frühling ist. Ein Vergleich ist dein Vorschlag leider nicht.


Dies betrachte ich als schnippig!

Max

Beitragvon Max » 02.02.2008, 20:08

Liebe Caty,

auch ich finde die Landschaft sehr eindrucksvoll beschrieben, das hat Kraft.

Der Teil über das lyr. Ich

Dort oben stand ich, die Hand
An der Stirn, verschattet
Die Augen,


ist im Vergleich zur Landschaftsbeschreibung für mich ein wenig starr, so dass ich mich unwillkürlich gefragt habe, ob dem Gedicht etwas fehlte, wenn es nichts über das lyr. Ich sagte.

Maijas Kritik kann ich in sofern nachvollziehen, als dass es eine Schwalbe auch für mich schwer hat es mit einem ganzen Fliegenschwarm aufzunehmen. Bei Schwarm habe ich immer die Assoziation von "gleichzeitig übrall" - das ist mir mit einer Schwalbe noch nciht wirklich passiert.
Ich denke auch nochmal drüber nach, ob mir ein anderes Bild einfällt ...

Liebe Grüße
max

Sam

Beitragvon Sam » 03.02.2008, 07:01

Hallo Caty,

auch wenn ich mich selten zu deinen Gedichten äußere, so lese ich sie allesamt unheimlich gerne. (Ebenso deine Kommentare zu anderen Texten. Dies nur mal so am Rande erwähnt)

Zugegeben, ich habe eine Weile gebraucht, um mich mit deiner Lyrik anzufreunden. Aber es ist wohl so, wie mit manchen Gewürzen (Korriander z.B.) Die muss man einfach mehrfach gekostet haben, in verschiedenen Kombinationen, bis man entdeckt, welche Geschmacksvielfalt dahinter stecken kann.

Oberflächlich könnte man sagen, deine Gedichte gleichen sich sehr, zumindest formal. Und ja, die Krähen tauchen immer wieder auf, und auch der schwarze Kaffee. Der Unterschied ist nur, dass du es dir leisten kannst, deinen, um es mal salopp zu sagen, Stiefel durchzuziehen. Du musst dich nicht jedesmal auf neue Experimente einlassen, mal dies oder das versuchen. Weil du, wie nur wenige Lyriker, die ich aus Internetforen kenne (und ich zähle mich selber bestimmt nicht dazu) ein Gespür hast, für Gewicht und Konsistenz von Wörtern und Wortbildern.
Natürlich ist nicht immer alles für jeden hundertprozentig nachvollziehbar, aber darum geht es nicht. Es ist in jedem Fall, so wie du es beschreibst, wahr. Wahr im Sinne von "wahrgenommen" im Umfeld der von dir geschaffenen gedichteten Welt.

Langer Rede kurzer Sinn: Schwalben, die wie Fliegen um einen herumschwirren habe ich selber auch schon erlebt, selbst eine Schwalbe kann so schnell sein, das es einem wie viele vorkommt. In ihrer Schnelligkeit erinnern sie an Fledermäuse, von denen man sie in der Dämmerung auch nur schwer unterschieden kann.

So, jetzt werde ich wieder zum stillen Genießer.

Liebe Grüße

Sam


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