Liebesbriefe

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Perry

Beitragvon Perry » 12.01.2008, 19:33

Briefe


Leichthändige Wortküsse
kornblumenblaue Tinte
auf getrockneten Wiesenblättern

Sie werden uns überdauern
doch wer soll ihren Duft atmen
die Silbensüße einst trinken

wenn ich sie zur Ruhe lege
auf dunklem Samt
im Holzkästchen der Zeit


1. Fassung:

Liebesbriefe


Leichthändige Wortküsse
die wir mit kornblumenblauer Tinte
auf Wiesenblättern blühen ließen

Sie werden uns überdauern
doch wer soll ihren Duft atmen
die Silbensüße begierig trinken

wenn ich sie einst zur Ruhe lege
auf dunkelrotem Samt
im Holzkästchen der Zeit


1. Fassung:

Liebesbriefe


Sie werden uns überdauern
leichthändige Wortküsse
die kornblumenblau
auf weißen Wiesenblättern blühen

Wer soll ihren Duft atmen
die Silbensüße begierig trinken
wenn ich sie zur Ruhe lege
im dunklen Holzkästchen der Zeit
Zuletzt geändert von Perry am 16.01.2008, 08:14, insgesamt 2-mal geändert.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 12.01.2008, 22:57

Lieber Perry,

es ist immer schwierig: wenn dem Leser die Häufigkeit der Komposita auffällt, dann werden sie aufdringlich und der Text wirkt überfrachtet (und dann noch die mehrfachen Alliterationen), da dieser Text nicht sehr lang ist, geht es mir etwas so - die Tendenz zum Kitsch kommt auf.

Auch sagst du in Strophe 1, dass die Liebesbriefe die Menschen (bzw. ihre Liebe) überdauern werden, aber am Ende der zweiten Strophe "legst du sie zur Ruhe", was ja ein Ausdruck fürs Sterben ist - "man weiß zwar, was gemeint ist", aber es wirkt trotzdem etwas ungewollt schräg. Interessant wäre daher vielleicht die beiden Strophen andersherum anzuordnen?

Ich würde den Text also vielleicht ein wenig entschlacken?

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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leonie
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Beitragvon leonie » 12.01.2008, 23:49

Lieber Manfred, liebe Lisa,

die Idee, die beiden Strophen umzudrehen, finde ich super. Es würde ein ganz anderer Spannungsbogen entstehen...

Liebe Grüße

leonie

Niko

Beitragvon Niko » 12.01.2008, 23:55

hallo perry, lisa, leonie!
nahezu spiegelverkehrt (mit leichter änderung in jetziger zeile 3) gefiele es mir noch am besten:

im dunklen Holzkästchen der Zeit
wenn ich sie zur Ruhe lege
die Silbensüße begierig getrunken
wer soll ihren Duft atmen

auf weißen Wiesenblättern blühen
die kornblumenblau
leichthändigen Wortküsse
Sie werden uns überdauern


spannend.............


lieben gruß; Niko

Perry

Beitragvon Perry » 13.01.2008, 16:56

Hallo ihr Lieben,
danke für euer Interesse und die Anregungen.

Lisa: Die Lautwiederholungen haben sich rein zufällig ergeben. Da ich die Worte alle brauche, kann ich sie schlecht reduzieren. Außerdem kommt es auf die Lesart an, wie stark man sie betonen will. Dass der Text eine gewisse Kitschnähe hat mag sein, diese wird aber sicher nicht durch die Bilddichte oder die Alliterationen hervorgerufen, sondern entsteht subjektiv im Kopf des jeweiligen Lesers.
Was die Reihenfolge anbelangt, werde ich gerne darüber nachdenken. Im Moment kann ich euch aber nicht zustimmen.
Der Text beginnt mit einer Feststellung:

"Liebesbriefe / sie werden uns überdauern"

darauf folgt eine nähere Beschreibung der Briefe, um die es geht

"leichthändige Wortküsse
die kornblumenblau
auf weißen Wiesenblättern blühen"

Darauf folgt eine rethorische Betrachtung/Frage, bei der die Antwort -auch für den Leser- offen bleibt.

LG
Manfred

scarlett

Beitragvon scarlett » 13.01.2008, 21:32

Lieber Manfred,

(keine Komms gelesen)
bis auf eine einzige Stelle finde ich dein Gedicht sehr, sehr schön. Und diese Stelle betrifft das "kornblumenblau", das mir viel zu abgegriffen im Zusammenhang mit einem Liebesgedicht erscheint (aber nicht nur damit).

"Leichthändige Liebesküsse" ... das wiederum ist einfach nur toll!

LG,
scarlett

Perry

Beitragvon Perry » 14.01.2008, 07:24

Hallo Scarlett,
danke für deine Meinung. Es freut mich, dass dir die "leichthändige" Schreibweise gefallen hat. Was das "kornblumenblau" anbelangt, brauche ich es, gerade weil es dieses leicht Kitschige von Liebesbriefen in den Raum stellt und außerdem das Bindeglied zwischen der Bildebene Blumenwiese zu den Briefen darstellt. Ich habe mal eine neue Version versucht in der ich diesen Zusammenhang etwas deutlicher herausgestellt und eine -wie Lisa sie angeregt hat- Alliteration weggelassen habe.
LG
Manfred

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 14.01.2008, 13:41

Lieber Manfred,

ich finde das kitschige Kornblumenblau im Zusammenhang getroffen.

die Silbensüße begierig trinken
das gefällt mir auch sehr für das Lesen von Liebesworten.

Außerdem eine harte Realität in deinem Text: alles ist mal zu Ende.

Lieben Gruß
Elsa
Schreiben ist atmen

Perry

Beitragvon Perry » 15.01.2008, 13:06

Hallo Elsa,
diese Kombination von Sehnsucht und Realität bewirkt die Wehmut. Danke für dein einfühlsames Lesen und LG
Manfred

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 15.01.2008, 14:33

Hallo Manni,

mal unter uns Mannsbildern: Wer legt denn heute noch Wortküsse auf roten Samt in das Holzkästchen der Zeit? Äj, wo sammer?

Egal, wie rum ich das lese, fühle ich mich von Abgegriffenheit und Schwulst umgeben. Oder sehe vor meinem geistigen Auge gestandene Kerle mit behaarten Beinen im rosa Tütü über Sommerwiesen hupfen.

Das fühlt sich für mich nicht an wie erlebte Liebe, sondern wie die romantisch verklärte Idealvorstellung davon. Insofern weit weg von Authenzität. Wenn ich dein Bild nicht neben dem Text sähe, würde ich vermuten, er stammte aus dem Tagebuch einer Vierzehnjährigen, jedenfalls dem Stand der Lebensverarbeitung nach zufolge.
Liebe ist Hass und Schmerz, Begierde und Eruption. Sie zerreißt und verschmelzt die Leiber und die Seelen. Ein bisschen Wehmut ist bloß Träumerei.

Und was ist aus unseren Briefen geworden? Die können doch nur dann zur Wehmut anregen, wenn sich diese Liebe nie erfüllt hat.

Ich kann (und will) hier keine Silbensüße trinken. Dazu sind die Substantive auch schon zu sehr abgelutscht und müffeln entsprechend. Und 'begierig' schon mal gar nicht. Diese Eigenschaft möchte ich nicht vorgelesen bekommen, sondern aus jeder Ritze spüren. Deine Bilder hängen schief. Oder besser: viel zu gerade. Sorry.

Tom.
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 15.01.2008, 14:56, insgesamt 1-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

scarlett

Beitragvon scarlett » 15.01.2008, 14:49

Lieber Manfred,

die Überarbeitung gefällt mir besser als die Erstversion. Ja, mit kornblumenblauer Tinte kann ich mich anfreunden.

Mir gefällt dieses Bild der Liebesbriefe und nein, ich denke nicht, dass Liebe immer Hass und Schmerz ist, Tom, das kommt meist erst "danach".

LG,
scarlett

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 15.01.2008, 14:53

Denkst du's, oder weißt du's, Scarlett?

Ich behaupte: Liebe und Hass bedingen sich. Wie Tag und Nacht.

Gute Nacht.
Und träumt schön!

Tom.

p.s.: ... mal mit blutroter Tinte probiert?
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 16.01.2008, 00:00, insgesamt 1-mal geändert.
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 15.01.2008, 18:58

Hallo Tom,

Liebe ist Hass und Schmerz, Begierde und Eruption.

:eek: Ich würde sagen das nennt sich nicht Liebe sondern Leidenschaft aber zumindest fehlt da ein „auch“.


Hallo Manfred,

du hast hier schöne Worte verwendet, die sich aber für mich nicht zum Bild ergeben.
"Leichthändige Wortküsse" gefällt mir,
aber sie mit Tinte auf Wiesenblättern erblühen zu lassen? Ich würde, da sich die folgenden Strophen auf die Blumen beziehen, bei diesem Gedanken bleiben und die Küsse opfern.

Auf das Wort "begierig" würde ich auch verzichten, das ist einfach zu viel.

Den Duft könntest du ja vielleicht benennen, sie riechen angeblich nach Heu und Birnen. Das Silbensüß, könnte doch vielleicht auch Silbennektar sein? Denn die Kornblumen schmecken bitter.

Das Holzkästchen der Zeit ist finde ich wieder ein schöner Gedanke, aber warum dunkelroter Samt, was soll das im Zusammenhang mit der Zeit sein? Kann man Briefe zur Ruhe legen?

Beim Titel würde ich vielleicht auch überlegen, ob es nicht ausreichen würde einfach "Briefe" zu schreiben und den Rest für den Leser offen zu lassen.

Zusammengefasst wäre es dann in etwa:

Briefe

Leichthändige Worte
mit kornblumenblauer Tinte
ließen wir sie erblühen

Sie werden uns überdauern
doch wer soll ihren Heuduft atmen
den Silbennektar trinken

wenn ich sie einst lege
ins Holzkästchen der Zeit

Ich weiß, das ist zuviel Veränderung, um noch deines zu sein, aber vielleicht ist noch eine Anregung für dich dabei.


liebe Grüße smile

Niko

Beitragvon Niko » 15.01.2008, 18:59

perry....verzeih mir ein kurzes offtopp:
Liebe ist Hass und Schmerz, Begierde und Eruption. Sie zerreißt und verschmelzt die Leiber und die Seelen. Ein bisschen Wehmut ist bloß Träumerei.

das sehe ich wie du, tom. wobei man versuchen sollte auch den hass und den schmerz als positive energie zu sehen. (nein.ich bin kein reki-fuzzi). aber andererseits, tom, ist es auch vermessen, sein eigenes bild von liebe, wie sie ist oder wie sie sein muss, jemandem anderen ins wohnzimmer zu hängen. jeder macht seine eigenen erfahrungen diesbezüglich. du scheinst die ganze palette zu kennen. ich behaupte das von mir mal auch. aber jeder hat einen eigenen horizont diesbezüglich. OFFTOPPELENDE


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