Du

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
moshe.c

Beitragvon moshe.c » 09.01.2008, 20:44

Du

Während ich schlafe
erwachst du
und siehst mein Gesicht

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 10.01.2008, 09:45

Hallo Moshe,

ich muss zugeben, dass mir dein Gedicht zu beliebig ist. Hier könnte von liebenden Partnern genauso die Rede sein wie von Überwachungskameras, die schlafende Obdachlose auf Parkbänken filmen. Ein Einbrecher, der zu nachtschlafener Zeit in ein Entwicklungsbüro einbricht und handfeste Industriespionage betreibt, käme hier auch noch in Frage.

Das Gedicht sagt alles - aber auch gleichzeitig nichts.

Liebe Grüße
Marlene

Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.01.2008, 12:17

Hallo Moshe,

es erscheint auf den ersten Blick zu einfach gestrickt. Aber Moshe schreibt nicht ohne Hintergedanken ,-) Klar, dass da mehr dahintersteckt. Der Leser muss sich z.B. "wahres" dazudenken zum "Gesicht".
Auch im "erwachst du" steckt mehr, im Sinne von: "geht dir ein Licht auf" oder "erkennst du".
Trotzdem sind auch mir die Worte zu einfach. Ich würde das etwas kryptischer schreiben. So, wie es jetzt dasteht, könnte es ein Auszug aus einem x-beliebigen Text sein.
Saludos
Mucki

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 10.01.2008, 19:20

Liebe Marlene!

Vielleicht liegt es an der Uhrzeit, wo du kurz von der Zeitung aufschaust, und meinen Text wie eine Meldung dort liest.
Man kann diesen Text natürlich so lesen, entdeckt dann aber die Feinheiten nicht, die sich, hier besonders, ggf. zu späterer Stunde, bei einer anderen Stimmung, einstellen.
Eigentlich mache ich immer wieder gute Erfahrungen mit solchen kleinen, erst alltäglich daherkommenden, Texten.


Liebe Mucki!

Du siehst es schon ein wenig näher.
Ich sehe es nicht als Auszug aus einem x-beliebigen Text, denn da steckt zuviel drin: Ein Moment, an dem man seinen Partner zum ersten Mal richtig sieht, oder anders sieht.
Ein Erkennen also, das mir nicht nur in dieser Situation, schon öfters passiert ist.

Mit bestem Gruß

Moshe

Max

Beitragvon Max » 10.01.2008, 19:55

Lieber Moshe,

ich weiß zwar wie Mucki, dss Du nicht ohne Hintergedanken schreibst,aber auch nun zu relativ später Stunde, kann ich die Hintergedanken nur als die erkennen, die ich in das Gedicht lege, ohne zu wissen, was der Autor, der Herr Moshe,mir sagen möchte. Daher finde ich mich mit meinem Kommentar bei Marlene wieder.

Liebe Grüße
Max

Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.01.2008, 20:11

Hallo Moshe,

ist schon klar, was du meinst. Ich schrieb es ja im Prinzip auch schon.
Aber, du bist doch immer derjenige, der verdichtet, soweit es geht. Und das finde ich bei diesem Text gerade sehr wichtig.

Wenn du z.B. statt
"und siehst mein Gesicht" schreiben würdest:

"und siehst mich!"

Dann wäre es in meinen Augen anregender und nicht mehr so "allgemein" formuliert.
Saludos
Mucki

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 10.01.2008, 20:37

Hallo,

mir gefällt das Stück. Aber nicht auf philosophischer Ebene, die wäre mir hier zu beliebig, sondern auf emotionaler und atmosphärischer Kino-Ebene, wobei hier das abschließende Wort "Gesicht" der zentrale Auslöser für mein Nachempfinden dieser sinnlichen Situation ist. Gesicht an Gesicht, ganz nah und wortlos. Zwar könnte ich hier zusätzlich bilateral wortspielen in Richtung "Gesicht gesichtet", aber was mich hier angenehm anspricht, ist die Schönheit und Faszination der wortlosen Stille in der Nacht, im Bett. An sich. Das allein ist für mich stark genug. Was will ich mehr?

Gern gesehen.


Salve

Pjotr

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Beitragvon leonie » 10.01.2008, 20:54

Lieber moshe,

mir gefällt das auch.
Gedanken dazu: Es gibt nur wenige Menschen, die mich im Schlaf sehen und die ich im Schlaf sehe. Ich finde, man ist in dieser Situation sehr verletzlich, ausgeliefert. Und das Gesicht sieht ganz besonders aus. Ich schaue so gerne Kinder an, die schlafen. Und auch bei Erwachsenen: verletzlicher, entspannter, gelöster, etc.
Wer das sieht, sieht etwas ganze Besonderes, eigenes, vielleicht das eigentliche Gesicht?

Liebe Grüße

leonie

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 10.01.2008, 22:02

Liebe Leonie!

Du sagst es.
Mehr ist nicht zu sagen, als diesen Moment zu erfahren, zu betrachten, wenn jemand schläft und man dann sein Gesicht sehen kann.
Ein Moment, der Nähe zulässt, wie wenige andere.

MlG

Moshe

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 11.01.2008, 17:08

Lieber moshe,

ich finde diesen Text auch nicht als zu beliebig und das seltsame: Vor ein paar Tagen fiel mir eine Zeile ein (vor deinem Gedicht):

Einander zugleich beim Schlafen zusehen / und nicht nur immer der eine dem andern

um daran etwas zu erzählen (was allerdings nichts werden wird ,-)), aber ich kann - auch wenn schon standardherangezogenes Bild - die Besonderheit dieses Moments auch noch so lesen und dein kurzer Text fängt das ganze Geschehen dabei, bleibt offen genug dafür.

Gern gelesen,

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.01.2008, 17:24

Wobei ich es auch sehr reizvoll fände, zusätzlich ein ausführlicheres Gedicht zu schreiben, über das, was im LI vorgeht, wenn es das DU beim Schlafen ansieht. Wäre doch eine schöne Idee, was meinst du, Moshe?
Saludos
Mucki

Sam

Beitragvon Sam » 11.01.2008, 18:13

Hallo Moshe,

mir geht es wie Marlene und Max. Und nein, ich habe nicht nur kurz von der Zeitung aufgeschaut, hab die paar Worte schon zu verschiedenen Tages und Nachzeiten gelesen - und komme trotzdem zu dem selben Schluss: Es ist beliebig. Natürlich lösen diese Worte Gedanken und Empfindungen aus. Aber das tun Aussagen im Allgemeinen immer. Da steckt nun wahrlich keine Kunst dahinter.

In deiner Antwort an Marlene schreibst du:
Vielleicht liegt es an der Uhrzeit, wo du kurz von der Zeitung aufschaust, und meinen Text wie eine Meldung dort liest.
Man kann diesen Text natürlich so lesen, entdeckt dann aber die Feinheiten nicht, die sich, hier besonders, ggf. zu späterer Stunde, bei einer anderen Stimmung, einstellen.

Ich frage mich, welche Feinheiten? Im Text gibt es keine Feinheiten. Es gibt nur ein Gerüst, dass der Leser selber ausfüllen und ummanteln muss. Literarisch ist das aber eine hohle Nuss, weil du mit so einem Text nichts weiter bist als ein Stichwortlieferant. Die "Geschichte" muss sich der Leser ganz allein erzählen.

Man kann gut die von Lisa erwähnten Zeilen dagegenhalten. Die haben um sovieles mehr an erkennbaren Inhalt und gefallen mir, obwohl sie noch nicht wirklich ausformuliert sind, wesentlich besser. Weil ich als Leser nicht nur mit einer Hülse abgespeist werde.

Liebe Grüße

Sam

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 11.01.2008, 18:28

Liebe Lisa!

Das ist eine sehr reizvolle und tiefgründige Zeile, die du hier präsentierst, und sie hat sehr mit meinen kleinen Zeilen hier zu tun.
Wie das in der Praxis aussehen könnte, kann ich mir nicht so recht vorstellen, aber hier gilt wohl: Fantasie ist das, was andere sich nicht vorstellen können.
Freut mich, daß ich dich ansprechen konnte.

________________________

Komisch, wie Gedanken manchmal paralle Wege gehen.
________________________

Liebe Mucki!

Deine Idee fand ich spontan sehr gut und ich dachte sofort an meine Poetenreihe.
Dann bin ich aber schnell wieder zurückgepaddelt, weil meine Figur des Poeten eine Distanz zur Welt hat, also so etwas, wie hier angesprochen, hat er nicht.
Dennoch sehe ich schon Möglichkeiten damit in diesem Rahmen damit umzugehen. (Bin selbst gespannt.)

Witzigerweise habe ich gestern einen Text geschrieben: 'Der Poet und der Schlaf', der allerdings mit den Umständen hier nichts zu tun hat.

Ich stelle ihn ein.

Mit bestem Gruß

Moshe

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 11.01.2008, 18:58

Hallo Sam!

Schade, daß dich mein Text nicht erreicht.

Es liegt im Wesen der Kurzlyrik, daß sie nur ein Gerüst sein kann, kompremiert und verdichtet, so verdichtet, daß der Leser seine Story findet, oder nicht.
Sie braucht das Subjekt mehr als andere Formen.

Kurzlyrik braucht den Leser mit seiner Geschichte geradezu.
Darin liegt ihr Wesen, ihre Begründung und ihre Berechtigung.
Sie ist nie eine Geschichte für sich, denn sonst könnte man ja eine Geschichte schreiben, oder eine längere Lyrik, wie es Mucki hier vorschlägt.

Du kritisierst hier mehr das Prinzip, die Form, als den Inhalt, weil sich hier der Inhalt dir nicht erschließt.

Meiner Erfahrung nach hat Kurzlyrik aber oft einen nachhaltigen Effekt, der in der Geschichte der Lyrik gut nachvollziehbar ist. (Kurzlyrik wirkt oft über lange Zeit stärker, als längere Texte.)

So long

Moshe


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