Die freundliche Mumie von nebenan

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Chaostom

Beitragvon Chaostom » 05.01.2008, 20:16

Irgendwie weiss ich immer nicht so genau, in welche Sparte ich meine Texte hier einordnen soll, naja egal: Der Text kommt also diesmal hierher, warum auch immer.
Entstanden ist er eigentlich nur durch das kleine, die Überschrift bildende Wortspiel, dass ich zufällig in einem anderen Forum verwendet habe und zudem mir dann diese kleine Geschichte einfiel: Viel Spaß!

Neue Version:Thomas Schiemann
Januar 2008


Die freundliche Mumie
von nebenan

Ich muss zugeben, dass es zwischen meinem neuen Nachbarn, Herrn S. und mir zu Beginn einige Unstimmigkeiten gab.
Es kamen laute Geräusche aus seiner Wohnung, häufig war merkwürdiger Besuch im Haus und selbst sein Fußabtreter sah eher nach einem Lumpen aus. Ich versuch-te, ihm möglichst im Flur nicht zu begegnen. Auch er grüßte mich nur widerwillig und machte sogar abfällige Bemerkungen. Dies ging soweit, dass ich gezwungen war, mehrfach den Vermieter zu informieren.
Glücklicher Weise verbesserte sich unser Zusammenleben aber ab August. Ich hat-te gerade eine saftige Beschwerde an die Hausverwaltung formuliert und war dabei, die Briefmarken zu suchen, als ich eine Art Husten aus der Nachbarwohnung ver-nahm. Natürlich dachte ich mir nichts dabei, frankierte den Beschwerdebrief ord-nungsgemäß und brachte ihn zum Briefkasten.

In den folgenden Tagen stellte ich fest, dass meine Intervention anscheinend end-lich den gewünschten Erfolg gebracht hatte. Sämtliche unangenehmen Geräusche und Stimmen hatten aufgehört und mein Nachbar benahm sich endlich ordnungsge-mäß. Selbst die vielen lästigen Bekannten, die lautgrölend seine Wohnung frequen-tiert hatten, ließ er nicht mehr zu sich herein, wie ich am gelegentlichen vergeblichen Wohnungsklingeln erahnte.
Gut, die Hausordnung negierte er auch weiterhin, aber nach einer kurzen Rück-sprache mit meinem Vermieter war eine freundliche ausländische Putzhilfe gefun-den, welche die anfallenden Arbeiten erledigte. Eine kurzzeitig auftretende Geruchs-belästigung überwand sie sehr geschickt durch den Einsatz eines modernen Raum-parfüms.

Um die Weihnachtszeit herum hatte sich meine Meinung von Herrn S. soweit ge-bessert, dass ich beschloss, ihn zu besuchen. Da er auf Klingeln nicht mehr reagier-te, machte ich mir mein Wissen um den unter der Fußmatte versteckten Wohnungs-schlüssel zunutze.
Herr S. saß klein und schrumplig in seinem Lieblingssessel und war etwas ange-dunkelt. Sein Lächeln wirkte ein wenig starr, auch verhielt er sich mir gegenüber sehr schweigsam, aber ich wollte die gerade im Entstehen begonnene gute nachbarliche Beziehung nicht durch Kritik gefährden und setzte mich schweigend auf die Couch.
Nach einiger Zeit beschloss ich, dass ein gemeinsames Bierchen die Stimmung entkrampfen könne. Sein Kühlschrank war bis oben mit Spirituosen gefüllt, was mir dann doch einen tadelnden Blick entlockte. Trotzdem entnahm ich eine Flasche (mein neuer Freund hatte ganz offensichtlich keinen Bedarf) und trank sie in seiner Gegenwart.

Ab diesem Zeitpunkt besuchte ich ihn gut einmal in der Woche. In den kommenden Monaten rutschte er zwar immer mehr in seinem Sessel zusammen und auch sein Lächeln nahm durch das herausgefallene Gebiss einen etwas hämischen Ausdruck an, aber zunehmend gefiel mir seine ruhige Art.
Oft saßen wir stundenlang schweigend zusammen. Manchmal schaltete ich den Fernseher an und wir sahen uns gemeinsam ein Länderspiel oder einen Krimi an. Im Zuge unserer neuen Freundschaft kaufte ich ihm dann auch einen neuen Fußabtre-ter mit einem lachenden Hund darauf und warf den alten heimlich in den Müll. Er quittierte es mit seinem stillen Lachen.

Selbst unser Vermieter, den ich eines Tages zufällig traf, wusste nur Positives zu berichten. Seit dem Abbuchungsauftrag (den ich im stillschweigenden Einvernehmen für Herrn S.) ausgefüllt war, kam die Miete immer pünktlich und auch das ständige Überschwemmen der unteren Mietwohnungen durch überlaufende Waschmaschinen gehörte der Vergangenheit an. „Es ist beeindruckend“, sagte mein Vermieter, „wie sich solch ein Mensch in seinem Alter und trotz seiner vielen Probleme noch so wan-deln kann.“ Dem konnte ich nur beipflichten.

Es ist wirklich vieles besser geworden seit jenem Abend im August.
Natürlich gibt es auch heute im Haus noch kleinere Probleme. Die Frau über mir kann es einfach nicht lassen, ihre Unterwäsche auf dem Balkon zum Trocknen auf-zuhängen und ihre kleinen Kinder schreien manchmal Tag und Nacht. Aber wenn ich an Herrn S. denke, weiß ich, dass auch sie kein hoffnungsvoller Fall ist und sehe er-wartungsvoll der Zukunft entgegen.
Ende


Alte Version:
Die freundliche Mumie von nebenan

Ich muss zugeben, dass es zwischen mir und meinem neuen Nachbar, Herrn S. zu Beginn einige Unstimmigkeiten gab.
Es kamen laute Geräusche aus seiner Wohnung, häufig war merkwürdiger Besuch im Haus und selbst sein Fußabtreter sah eher nach einem Lumpen aus. Ich versuchte, ihm möglichst im Flur nicht zu begegnen. Auch er grüßte mich nur widerwillig und machte sogar abfällige Bemerkungen. Dies ging soweit, dass ich gezwungen war, mehrfach den Vermieter zu informieren.
Glücklicher Weise verbesserte sich unser Zusammenleben aber ab August. Ich hatte gerade eine saftige Beschwerde an die Hausverwaltung formuliert und war dabei, die Briefmarken zu suchen, als ich eine Art Husten aus der Nachbarwohnung vernahm. Natürlich dachte ich mir nichts dabei, frankierte den Beschwerdebrief ordnungsgemäß und brachte ihn zum Briefkasten.
In den folgenden Tagen stellte ich fest, dass meine Intervention anscheinend endlich den gewünschten Erfolg gebracht hatte. Sämtliche unangenehmen Geräusche und Stimmen hatten aufgehört und mein Nachbar benahm sich endlich ordnungsgemäß. Selbst die vielen unangenehmen Bekannten, die lautgrölend seine Wohnung frequentiert hatten, ließ er nicht mehr zu sich herein, wie ich am gelegentlichen vergeblichen Wohnungsklingeln erahnte.
Gut, die Hausordnung negierte er auch weiterhin, aber nach einer kurzen Rücksprache mit meinem Vermieter war eine freundliche ausländische Putzhilfe gefunden, welche die anfallenden Arbeiten erledigte. Eine kurzzeitig auftretende Geruchsbelästigung überwand sie sehr geschickt durch den Einsatz eines modernen Raumparfüms.

Um die Weihnachtszeit herum hatte sich meine Meinung von Herrn S. soweit gebessert, dass ich beschloss, ihn zu besuchen. Da er auf Klingeln nicht mehr reagierte, machte ich mir mein Wissen um den unter der Fußmatte versteckten Wohnungsschlüssel zunutze.
Herr S. saß klein und schrumplig in seinem Lieblingssessel und war etwas angedunkelt. Sein Lächeln wirkte ein wenig starr, auch verhielt er sich mir gegenüber sehr schweigsam, aber ich wollte die gerade im Entstehen begonnene gute nachbarliche Beziehung nicht durch Kritik gefährden und setzte mich schweigend auf die Couch.
Nach einiger Zeit beschloss ich, dass ein gemeinsames Bierchen die Stimmung entkrampfen könne. Sein Kühlschrank war bis oben mit Spirituosen gefüllt, was mir dann doch einen tadelnden Blick entlockte. Trotzdem entnahm ich eine Flasche (mein neuer Freund hatte ganz offensichtlich keinen Bedarf) und trank sie in seiner Gegenwart.

Ab diesem Zeitpunkt besuchte ich ihn gut einmal in der Woche. In den kommenden Monaten rutschte er zwar immer mehr in seinem Sessel zusammen und auch sein Lächeln nahm durch das herausgefallene Gebiss einen etwas hämischen Unterton an, aber zunehmend gefiel mir seine ruhige Art.
Oft saßen wir stundenlang schweigend zusammen. Manchmal schaltete ich den Fernseher an und wir sahen uns gemeinsam ein Länderspiel oder einen Krimi an. Im Zuge unserer neuen Freundschaft kaufte ich ihm dann auch einen neuen Fußabtreter mit einem lachenden Hund darauf und warf den alten heimlich in den Müll. Er quittierte es mit seinem stillen Lachen.

Selbst unser Vermieter, den ich eines Tages zufällig traf, wusste nur positives zu berichten. Seit dem Abbuchungsauftrag (den ich im stillschweigenden Einvernehmen für Herrn S.) ausgefüllt war, kam die Miete immer pünktlich und auch das ständige Überschwemmen der unteren Mietparteien durch überlaufende Waschmaschinen gehörte der Vergangenheit an. "Es ist beeindruckend", sagte mein Vermieter, "wie sich solch ein Mensch in seinem Alter und trotz seiner vielen Probleme noch so wandeln kann." Dem konnte ich nur beipflichten.

Es ist wirklich vieles besser geworden seit jenem Abend im August.
Natürlich gibt es auch heute im Haus noch kleinere Probleme. Die Frau über mir kann es einfach nicht lassen, ihre Unterwäsche auf dem Balkon zum Trocknen aufzuhängen und ihre kleinen Kinder schreien manchmal Tag und Nacht. Aber wenn ich an Herrn S. denke, weiß ich, dass auch sie kein hoffnungsvoller Fall ist und sehe erwartungsvoll der Zukunft entgegen.

Ende


PS: Bin mir nicht mehr ganz sicher, ob ich den Titel so lassen sollte? Was meint ihr?
Zuletzt geändert von Chaostom am 06.01.2008, 23:07, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon leonie » 05.01.2008, 22:37

Hi Tom,

zuerst zum Titel, ich würde ihn unbedingt ändern, da er zuviel vorwegnimmt.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich auch ohne den Titel schon ab dem Hustengräusch ahnte, wie es ausgeht, vielleicht kannst Du das anders hinkriegen, dass man nicht ganz so früh weiß, worauf es hinausläuft.

Auch sprachlich finde ich den Text nicht ganz ausgereift.

In der ersten Zeile muss es "Nachbarn" heißen.

Hier kommt zweimal kurz hintereinander das Wort "unangenehm", solche Wiederholungen würde ich versuchen zu vermeiden:

Sämtliche unangenehmen Geräusche und Stimmen hatten aufgehört und mein Nachbar benahm sich endlich ordnungsgemäß. Selbst die vielen unangenehmen Bekannten, die lautgrölend seine Wohnung frequentiert hatten, ließ er nicht mehr zu sich herein, wie ich am gelegentlichen vergeblichen Wohnungsklingeln erahnte.


Hier stimmt das Bild nicht ganz, wie kann ein Lächeln einen "Unterton" annehmen, Lächeln hört man ja nicht...

n den kommenden Monaten rutschte er zwar immer mehr in seinem Sessel zusammen und auch sein Lächeln nahm durch das herausgefallene Gebiss einen etwas hämischen Unterton an, aber zunehmend gefiel mir seine ruhige Art.


"Positives" muss meiner Meinung nach groß geschrieben werden.


Dieser Satz stimmt im ersten Teil logisch nicht:

Seit dem Abbuchungsauftrag (den ich im stillschweigenden Einvernehmen für Herrn S.) ausgefüllt war, kam die Miete immer pünktlich und auch das ständige Überschwemmen der unteren Mietparteien durch überlaufende Waschmaschinen gehörte der Vergangenheit an.


Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass Mietparteien überschwemmt werden, eher die Wohnungen, oder?


Ich finde das eine ganz unterhaltsame Geschichte, die sich aber meiner Meinung nach vom Spannungsbogen und auch sprachlich noch verbessern ließe. Am Witzigsten fand ihch den letzten Absatz.

Ich hoffe, Du kannst mit der Kritik was angfangen...

Liebe Grüße

leonie

Chaostom

Beitragvon Chaostom » 06.01.2008, 14:29

Hey Leonie,
ich weiss, mein altes Laster: Meine Flüchtigkeit.
Der text ist gewissermaßen nebenbei entstanden, während ich nebenher noch im Internet 'rumsurfte und auf irgendwelche Forumsbeiträge antwortete, aber das kann natürlich keine Entschuldigung sein. Mit dem Titel hast du wahrscheinlich recht, schade drum, er hat mir so gut gefallen.
Werd mal heute abend eine neue Version 'reinstellen.

Tschüss chaos-tom

aram
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Beitragvon aram » 07.01.2008, 01:46

hallo chaostom,

hab die neue version bisher nicht gelesen, doch die alte gefiel mir gestern sehr gut, mitsamt diesem titel - die 'begegnung' wird dann so schön ausgeführt, dass es mich keineswegs stört, von anfang an zu wissen worums geht - standard-suspense(oder 'überraschungs')-konstruktionen finde ich ohnehin oft arg überstrapaziert, für den aufmerksamen leser sind sie nicht selten bis zur ödnis durchsichtig - macht viel mehr spaß, 'offenen auges' an die sache ranzulesen und dann von guten formulierungen überrascht zu werden - musste ca 2 mal herzlich lachen. gerade diesen stil des scheinbar 'nebenher' geschriebenen, lakonisch-distanziert, zugleich drollig-'naiv', finde ich gekonnt und ausgesprochen unterhaltsam.
(im ersten teil sah ich ein paar bezugsfehler, die leicht zu korrigieren sind)

gerade nochmal reingelesen (1.fassung) - klasse. ende dann schwach. falls ich demnächst muße dazu habe, äußere ich mich noch detaillierter; auf jeden fall sehr gern gelesen.

Chaostom

Beitragvon Chaostom » 07.01.2008, 23:31

Hallo aram,
freut mich, dass es dir gefällt und schade, dass dir ausgerechnet das Ende nicht so zusagt.
Ich persönlich hänge immer noch im oberen Drittel, das finde ich alles etwas gestelzt, weiss aber noch nicht so richtig, wie ich es besser 'rüberbringen soll.
Tja, und die Überschrift... eigentlich würde ich sie ja gerne lassen, aber anderseits auch nicht zuviel verraten... ich muss mir das ganze wohl doch noch zur Brust nehmen.

Tschüss chaos-tom


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