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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 24.12.2007, 17:15

Spendet mir niemals Organe. Ich bin kein Kannibale.




© 24.12.2007 Pjotr

Nifl
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Beitragvon Nifl » 29.12.2007, 17:15

Hi Pjotr.

Ich weiß, du legst die Welt in zwei Sätzchen. Nur leider finde ich sie nicht wieder. Sag nicht, ich hätte es nicht versucht! Ich beginne mal von hinten. Kannibalen sind Menschenfresser. Das ProsaIch ist keiner. Trotzdem soll man ihm keine Organe spenden und zwar niemals! (Hm. Absolute. Ich mag keine Absolute.) Als Spendenempfänger ärgerte ich mich über diesen Schwachsinn. Sähe ich die ausgeweideten Leichen, stimmte ich vielleicht ein.
Ich kapier nix. Sorry.

LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 29.12.2007, 17:51

Hi Pjotr,

mir gingen die gleichen Gedanken wie Nifl durch den Kopf. Kannibalen sind Menschenfresser, tun dies bewusst und nicht passiv. Jemand, der ein Organ braucht, befindet sich in einer "passiven" Situation. Und wenn er ein Organ gespendet bekommt, wird er nicht zum "aktiven" Kannibalen. Deshalb hinkt dein Satz m.E.
vegetarische Grüße,-)
Mucki

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 29.12.2007, 20:57

Hinweis: Leser, die beim Thema Kannibalismus starken Ekel empfinden, sollten diesen Faden nicht lesen.


Guten Abend, Mucki und Nifl,

warum in dieser Thematik die Attribute "passiv" und "aktiv" relevant seien, ist mir unklar, Mucki.

Nifl, wo käme die Schreiberei hin, wenn jede Absolute in eine Womöglichkeit transferiert werden müsste? Konsequenterweise solltest Du dann nicht absolut aussagen: "Ich mag keine Absolute", sondern: "Ich mag womöglich keine Absolute."

Nun zum Thema allgemein. Du schreibst, Du kapiertest nichts. Einen Beipackzettel kann ich nicht schreiben, so etwas ist verpönt, lediglich ein paar Denkanstöße will ich geben, in loser Reihenfolge. Folgende Meinungsäußerungen sind allgemein angemerkt und nicht speziell an Nifl und Mucki adressiert:

- Im Text steckt keine Abwertung des Kannibalismus. Das Ich will lediglich nicht teilnehmen am Kannibalismus. Alltagsbeispiel: Wenn jemand die Teilnahme an der Homosexualität verweigert, so ist dies nicht zwingend gleichzusetzen mit einer Abwertung der selben. Besonders hier liegt die Schrift im Auge des Lesers. Anders wäre es vielleicht, wenn das Wörtchen "doch" eingebaut wäre: "ich bin doch kein ..."

- Unter Kannibalismus verstehe ich im weiten Sinn das Einverleiben fremder menschlicher Innereien, meist entweder als religiöses Ritual oder als letztes Mittel gegen den Hungertod. Es geht ums Überleben.

- In Kulturkreisen, wo das Einverleiben menschlicher Innereien via Mundöffnung ein selbstverständliches Tabu darstellt, gilt ironischerweise die Selbstverständlichkeit, jene Innereien durch andere, künstliche Öffnungen einzuverleiben, wie etwa durch einen Bauchschnitt. In beiden Fällen geht es ums Überleben; und um Innereien, die nach einiger Zeit durch körpereigene Zellen ersetzt werden. Diese Zweigleisigkeit zu nennen, halte ich für lohnenswert, besonders in der Gesellschaft von Vegetariern und Veganern (die ich persönlich übrigens ebenfalls akzeptiere).

- Woher kommen die Innereien und wer bekommt sie? Privilegiert sind diejenigen, die Geld haben, dann auch jene, die das Glück haben, im Nahpersonenkreis Spender zu haben; und hier beginnt auch schon der fließende Übergang von des Spenders Freiwilligkeit hin zur Gezwungenheit, letzteres durch verwandschaftlichen Gewissensdruck oder durch wirtschaftliche Misslage, Stichwort: Dritte Welt. So wird aus der oben erwähnten Zweigleisigkeit eine Dreigleisigkeit, der Begriff der "Selbstverständlichkeit" schwindet. Mancher mag diese Sichtweise auch als Schwachsinn bezeichnen. Emotional kann ich diese Bezeichnung verstehen, aber nicht rational. Fazit? Sage ich nicht. Ich wollte nur Denkanstöße geben.


(Dies ist meine momentane Denkweise. Änderungen sind möglich.)


Salud

Pjotr



Edit: Um ehrlich zu sein, Nifl, ich wollte tatsächlich zuerst "keine" statt "niemals" schreiben, aber dann käme dieses Wort zwei Mal vor. Und das Wort "nicht" klang mir auch nicht gut genug. Gerne würde ich das "niemals" ersetzen, ich hänge nicht daran. Wenn ich bloß wüsste, wodurch.

Sam

Beitragvon Sam » 31.12.2007, 10:12

Hallo Pjotr,

deine beiden Sätze regen zum Nachdenken an. Von daher sind sie schon mal gut.

In deiner Antwort führst du zwei verschiedene Arten des Kannibalismus an. Den rituellen und den zur Lebenserhaltung (wie z.B. jene Passagiere eines argentinischen Flugzeugs, das in den Anden abstürzte. Wurde auch verfilmt unter dem Titel 'Überleben').

Eine Verbindung zwischen rituellem Kannibalismus und Organtransplantationen sehe ich auf den ersten Blick nicht. Interessanter ist es zunächst , einen Vergleich zu ziehen, zwischen jemanden, der sein Leben nur retten kann, wenn er einen anderen Menschen verspeist, und jemanden, der sein Leben nur dann erhalten kann, wenn er sich ein fremdes Organ transplantieren lässt. Dieser Vergleich kann allerdings recht komplex geraten. Muss derjenige, der gegessen wird sterben, damit er gegessen werden kann, wird er vielleicht sogar von demjenigen getötet etc. Dann kann man Verbindungen herstellen zur Organspendermafia, die gerade in dritte Weltländern aktiv ist und ,vor allem Säuglinge, regelrecht ausschlachtet, um die Organe an zahlungskräftige Ausländer zu verkaufen. Und hier kommt man dann doch in den Bereich des rituellen Kanibalismus als Ausdruck für das Recht des Stärkeren sich den Schwächeren "einzuverleiben" .

Interessanterweise sprichst du immer von Innereien. Wie sieht es denn mit dem Blut aus? eigentlich dürfte man da keinen Unterschied machen, oder?

Jedenfalls finde ich es durchaus legitim und auch anregend, die beiden Themen Kannibalismus und Organtransplantation auf Schnittstellen zu untersuchen.


Liebe Grüße

Sam

Gast

Beitragvon Gast » 31.12.2007, 10:49

Hallo Pjotr,

Sam hat geschrieben:Jedenfalls finde ich es durchaus legitim und auch anregend, die beiden Themen Kannibalismus und Organtransplantation auf Schnittstellen zu untersuchen.


Der Meinung bin ich auch, aber ist etwas nur weil es legitim ist, schon interessant genug, um es auf nur zwei knappe Sätze zu reduzieren?
Trägt der magere Text die Problematik?
Ich meine nein.
Meines Erachtens müsste einiges Mehr von den Gedanken einfließen, die du, in den Erläuterungen anführst.
Natürlich sollte der Text dennoch offen sein, für die Leser-Denke, aber so ist es mir zu wenig.

Liebe Grüße
Gerda

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 31.12.2007, 12:33

Hallo Gerda und Sam,

danke für Eure Kommentare.

Gehört auch Blutspenden zum Thema? Gut gefragt, Sam. Hier besteht im wahrsten Sinn des Wortes ein fließender Übergang. Letztlich ist das wohl aber, wie immer, Definitionssache: Man könnte sagen, der Spender könne sein abgegebenes Blut ja selbst wiederherstellen, hingegen sind Innereien für immer verloren. Ansonsten wäre auch Muttermilch eine Spende aus dem Inneren, für den Kleinen am Nippel: "Na du kleiner Kannibale".

Gerda, Dir ist dieses Stück zu kurz. Hätte es eine Chance auf mehr Interesse, wenn es, bei ungefähr gleicher Länge und Thematik, in ein Haiku verwandelt würde?


Servus

Pjotr

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Beitragvon leonie » 31.12.2007, 12:48

Lieber Pjotr,

ich finde diese zwei Sätze regen in jedem Fall zum Nachdenken an. Mir kam relativ schnell das Stichwort "Einverleiben" als Verbindung zwischen Organspende und Kannibalismus in den Sinn und von da aus ging es dann weiter mit Fragen, Nachdenken, etc

Zu Blutspende und Muttermilch besteht für mich dennoch ein gravierender unterschied, da beides vom Körper reproduziert werden kann und somit nicht bedeutet, dass es unwiederbringlich und irreversibel verloren ist (und bei vielen Organen ja sogar den Tod des Spenders voraussetzt).

Man mag sich darüber streiten, ob dieses kleine "Stück" Literatur ist, welcher Gattung es zuzuordnen ist, etc. Aber in jedem Fall ist es provokant und regt zum Nachdenken und ggf. Streiten an.

Liebe Grüße

leonie

Gast

Beitragvon Gast » 31.12.2007, 12:56

Lieber Pjortr,

ich meine, dass sich dieses Thema nicht dazu eigenet ein Haiku zu schreiben.

Hierzu einmal in den Salonseiten nachzulesen, ist sicher interessant:
http://www.blauersalon.net/online-liter ... c&start=14


Wo ist die Beobachtung ohne Wertung, die Schilderung eines Augenblicks, der Wirkung über die letzte Silbe hinaus haben sollte?
Kann ein Autor sich bei einem solchen Thema zurücknehmen, im Hintergrund halten, nur die Beobachtung mitteilen und wirken lassen?

Du siehst, ich habe viel Fragen.

Abgesehen davon bin ich der Meinung, dass man ein solches Thema nicht gut zusammenpressen kann.
Ich denke dass ein paar Sätze mehr, dem Thema gerechter würden, ggf. sogar die Gegenüberstellung zweier Ereignisse, anhand derer die Problematik verdeutlicht werden könnte.

Liebe Grüße
Gerda

Sam

Beitragvon Sam » 31.12.2007, 13:08

Muttermilch ist schon zu weit weg, weil es nicht mit einem Tabu belegt ist. Im Gegesatz zu dem Trinken von Menschenblut. Das ist ähnlich "geächtet" wie Menschenfleisch zu essen. Dennoch hat niemand Probleme mit der medizinischen Verwendung, ähnlich wie bei Organtransplantationen. Von daher gesehen würde ich schon sagen, dass man Bluttransfusionen in die gleiche Ecke stellen kann, auch wenn der Körper das Blut reproduziert.

Liebe Grüße

Sam (so langsam in Sylvesterlaune :-) )

Nifl
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Beitragvon Nifl » 31.12.2007, 13:09

Tach Pjotr.

Was wäre dann Spongiosa?

Jedenfalls war ich vor tausend Jahren nach einem Motorradunfall froh um die Spende (wäre fast selbst Spender geworden)... Wo liegt Geben und Nehmen näher? Leben und Geben? Nehmen und Leben?

Deine Reduktion kann der Komplexität nicht gerecht werden. Und wenn du -wie du schriebst- auch noch den verbrecherischen Organhandel benannt haben wolltest, schon dreimal nicht...

Ein Anstoß, ja, aber nicht mehr.

LG
Nifl
Zuletzt geändert von Nifl am 31.12.2007, 13:13, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon leonie » 31.12.2007, 13:10

Lieber Sam,

Das leuchtet mir ein.

Feier schön!

leonie


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