Herbstabend - ein Gefühl

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 15.10.2007, 19:18

Jenseits von Dir bin ich
nur einer, der verbleibt.

Gern zeigte ich Dir den Mond,
wie er sich lächelnd
in mein Fenster stellt,

den Vierjahreszeitenbaum,
der rotbelaubt dem Abend
einen Gruß zunickt.

Ich finge Dir die Stille ein,
die durch das Zimmer summt,
dem Grübeln des Laptops
und Zirpen des Kühlschranks
zum Trotz.

Aber jenseits von Dir
bin ich nur einer,
dem das Surren der Autobahn
zu einer Metapher geriet
für das, was uns verbindet
oder trennt:

Ein Geräusch. Drei Stunden.
Ein paar hundert Meilen und
ein Gefühl.
Zuletzt geändert von Paul Ost am 23.11.2007, 22:08, insgesamt 4-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 15.10.2007, 19:51

Hallo Paul,

das ist traurig, ungekünstelt, leise und nah. Das habe ich gerne gelesen.

dem Grübeln des Laptops

Diese Stelle finde ich allerdings etwas seltsam. Zum einen ist Grübeln ja kein Geräusch und zum anderen grübelt ja nicht der Laptop sondern höchstens derjenige davor.


liebe Grüße smile

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 15.10.2007, 20:17

Liebe smile,

danke für Deinen Kommentar. Das Grübeln des Laptops beschreibt zum einen die merkwürdigen Geräusche beim Laden von Informationen. Es ist auch eine Personifikation.

Gerade las ich "Schilf" von Juli Zeh. Sie ist eine Meisterin der Personifikation, was sie sich bei Musil abgeschaut haben dürfte. Beide sind große Vorbilder für mich, worüber ich aber hier nicht schreiben darf, also :psst:

Aber schau mal hier: http://www.julizeh.de/index-buecher.htm

Grüße

Paul Ost

Max

Beitragvon Max » 15.10.2007, 21:56

Lieber Paul,

es ist interessant: Du scheinst mir in der Form klassischer geworden, seitdem Du wieder gekommen bist, aber dieser sehr rhythmische und in großen Teilen sehr sanfte Ton gefällt mir gut.

Vom Metrum her würde ich hier

Gern zeigte ich Dir den Mond,



gerne

Gern zeigt' ich Dir den Mond,


lesen (gerade, weil das Metrum sonst so fein passt) - vielleicht liest Du es ja sowieso so (könntest eigentlich mal für die Hörbar lesen ...).

Liebe Grüße
Max

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 15.10.2007, 23:13

Lieber Paul,

das ist ein feines Teil, dein Gedicht.
Ich lese zuerst statisches Sehnen/Träumen am Fenster zum Garten. Dann in der Mitte ein Moment, in dem das LI "zum Trotz" aber dennoch wieder hört, die Technik (furchtbar) Aber die Geräuschbezeichnungen sind perfekt für mich, genauso machen es diese Dinger.
Ja, und dann kommt ein Roadmovie ins Spiel, ich kann es sehen.

Sehr gern gelesen,
ELsa
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.10.2007, 00:25

Hallo Paul,

ein Gedicht, das wie auf Samtpfoten daherkommt. Gerade durch die im Text erwähnten Geräusche wird es ganz leis. Gefällt mir gut.
Hier schenk ich dir ein "r" für das "duch"
die duch das Zimmer summt,

Saludos
Mucki

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 16.10.2007, 13:29

Liebe Elsa,

Deine Einschätzungen beschreiben den Erlebnishintergrund sehr treffend. Es ist nur nicht der Blick in den Garten, sondern der in die Landschaft. Meine Wohnung ermöglicht mir über einige Häuser hinweg den Blick in die andernorts beschriebene Ferne. Beim Aufgehen ist der Mond meist so freundlich, an meinen Wohnzimmerfenstern vorbeizuziehen.

Lieber Max,

Du spielst selbst auf unsere alte Kontroverse an. Ich erspare mir den Apostroph, da ich beim Lesen die beiden Vokale sowieso verschleifen würde.

Bin ich wirklich in der Form klassischer geworden? Beim Lesen der letzten Strophe erinnere ich mich an etwas, das ich im letzten Dezember geschrieben habe.

Liebe Mucki,

danke für das "r". Ich habe es mit Freude entgegengenommen. Gerne würde ich der samtpfötigen Resignation mal ein anderes Gefühl entgegenstellen können... Aber wie sagte unser Kaiser: Schaun mer mal.

Grüße

Paul Ost

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 16.10.2007, 14:08

Lieber Paul,

Landschaft ist natürlich größer vorm Fenster als ein simpler Garten und es passt auch besser zu dem Gedicht.

Ich sehe nur das Visavishaus in Wien....

Lieben Gruß
ELsa
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leonie
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Beitragvon leonie » 20.10.2007, 15:26

Lieber Paul Ost,

das gefällt mir (wie fast immer) gut. Es erzeugt Bilder und Geräusche in mir als Leserin.
Es ist nur eine kleine Stelle, wo ich den Zeilenumbruch noch einmal bedenken würde:


Aber jenseits von dir bin ich
nur einer dem
das Surren der Autobahn

Evtl. "bin ich" mit in die mittlere Zeile?

Liebe Grüße

leonie

Klara
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Beitragvon Klara » 20.10.2007, 16:08

Hallo Paul Ost,

mir scheint das noch nicht ganz rund. Auch der Titel nicht. Aber vor allem die Zeichensetzung: Wenn du sie benutzt, sollte sie auch konsequent sein, finde ich.

Jenseits von Dir bin ich
nur einer der verbleibt.

> einer, KOMMA [warum übrigens "verbleibt" - wegen des Taktes? Den brichst du aber später auch! Das Wort wirkt arg bedeutungsheischend]

Gern zeigte ich Dir den Mond,
wie er sich lächelnd
in mein Fenster stellt,

Das ist angenehm schlicht.
den Vierjahreszeitenbaum,
der rotbelaubt dem Abend
einen Gruß zunickt.

Das kann ich mir nicht vorstellen: Wie soll der ganze Baum nicken?

Ich finge Dir die Stille ein,
die durch das Zimmer summt,
dem Grübeln des Laptops
und Zirpen des Kühlschranks
zum Trotz.

Gefällt mir gut.

Aber jenseits von dir bin ich
nur einer dem
das Surren der Autobahn
zu einer Metapher geriet
für das, was uns verbindet
oder trennt:

> nur einer, Komma, dem...

Ein Geräusch. Drei Stunden.
Ein paar hundert Meilen und
ein Gefühl.

Dieses Gefühl stört mich schon im Titel. Das Wort sagt nichts, kein Bild entsteht, nur eine Schwere, eine Ahnung, die überall hingehen kann - aber immer ohne den Leser.

So ist mein Leseeindruck: Du hast schon stärkere Fernbeziehungstexte geschrieben.

Klara

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 21.10.2007, 17:39

Liebe Leonie,

die Zeilensprünge in meinen Texten findet auch Lisa schon seit Beginn unverständlich. Da bist Du also in guter Gesellschaft. Der Zeilensprung hier impliziert ein Zögern. Wie ja auch das ganze Gedicht sich darum dreht, dass der Sprecher zögert, seine Gefühle deutlich zu offenbaren.

Liebe Klara,

danke für die Kommata. Um die Wahrheit zu sagen: ich habe sie auch vermisst, nur bin ich bisher noch nicht dazu gekommen, sie einzufügen.

Was die Personifikationen angeht, wundere ich mich doch, dass sie auf so viel Gegenwind stoßen. Warum sollte ein Baum sich nicht vor dem Abend verneigen? Der betreffende Baum ist durch seine dem Wind ausgesetzte Lage in eine Dauerverbeugung gezwungen worden...

Das Wort "verbleiben" gefiel mir ganz gut, als ich das hier schrieb. Ich kann aber verstehen, dass es Dir zu überladen vorkommt. Mir ging es auch um den Gegensatz zwischen der Geschwindigkeit auf der Autobahn und dem Verharren an einem Ort.

Letztlich gibt es nur ein Missverständnis, welches Dir den Zugang zum Text vielleicht verstellt: es handelt sich hier nicht um einen Text zum Thema Fernbeziehung. Die Entfernung ist gegenstandslos, solange die unausgesprochene Frage am Ende gelesen wird. Die Angesprochene soll eigentlich das Gefühl in Gedanken ergänzen.

Wenn bei Dir nur eine Leere entsteht, dann ist es wohl ein Gefühl, dass uns beide trennt.

Das mag ein bisschen abstrus klingen. In jedem Falle danke ich für Deine Hinweise.

Grüße

Paul Ost
Zuletzt geändert von Paul Ost am 29.10.2007, 17:33, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon leonie » 21.10.2007, 21:08

Lieber Paul Ost,

das leuchtet mir ein,
ich fand es nur seltsam, den drei Worten "nur einer, dem" eine eigene Zeile zu widmen, weil eigentlich kein "sinntragendes" dabei ist.
Daher die Idee, die Umbrüche zu überdenken. Ich überlege gerade, ob es um das Zögern zu verstärken dann nicht sinnvoll wäre, das "bin ich" auch in eine eigene Zeile zu stellen. Mir scheint, dann würde das "einer" betonter (und somit auch sinntragender) wirken. Aber vielleicht irre ich mich auch....

Liebe Grüße

leonie

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 21.10.2007, 21:19

Liebe Leonie,

ich habe mal versucht, einen anderen Umbruch zu wählen.

Grüße

Paul Ost

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Beitragvon leonie » 21.10.2007, 22:00

Lieber Paul Ost,

mir gefällt es so noch besser!

leonie


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