Abschied in Türkisblau

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Chiquita

Beitragvon Chiquita » 22.07.2007, 13:13

Abschied in Türkisblau




Ich misstraue mir, wenn es um die Liebe geht
Kalter Wind und kalte Sonne
waschen den Traumsand aus meinem Kopf
Der Küchentisch ist wie die Stadt:
Die unterschiedlichsten Dinge stehen nebeneinander
und nehmen Beziehung auf
Der Sonntag bettet die Stadt wie eine Geliebte
die den Tag verschläft
Das scheppernde Lachen der Trambahn steht
neben dem Kirchengeläut
wie der türkisblaue Himmel über den Dächern
im Norden neben der fahlen Traurigkeit in
deinem Gesicht

Als du zum Abschied in der Tür eines düsteren
Flures deine Hand hebst ...

Die Augen brennen an der Luft
Meine Füße führen mich durch die sonntagsträgen
Straßen und Gassen vorbei an den Dingen, die das Leben
nebeneinander in alter Gewohnheit verträumen
hin zu dem, was wir Realität nennen
Im „Scharfen Eck“ lasse ich mich nieder
Das Bier ist mein Goldwasser
Ich misstraue mir, wenn es um die Liebe geht
Ich liebe den goldenen Oktober
und die melancholischen Rauchkringel in dem
Schankraum der Kneipe
Ich liebe die Frauen wie frischen Käse

... die Sehnsucht ist wie ein Muskel, der meine Seele
zusammenpresst





(2005)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 27.07.2007, 18:04

Hi Chiq,

wäre das Ding wegen der Form nicht besser in 'Erzählgedichte' aufgehoben?

Zum Inhalt bin ich unentschlossen: Du wandelst oft auf dem Grad, der tiefe Einsicht von Worthülsen trennt. Das ist natürlich nur eine Empfindung. In diesem hier finde ich zwar viele starke Elemente
(Frauen wie Käse, schepperndes Lachen der Tram, Goldwasser Bier), woanders schwächelts dann aber auch (Kalter Wind und kalte Sonne waschen den Traumsand aus meinem Kopf).

Außerdem suche ich vergebens nach einem Zusammenhang der beiden Sätze, die offenbar mit Auslassungspunkten verbunden sind (Mitte, Ende), den ich ob der Heraushebeung dort vermute.

Insgesamt ein deutliches Jein. Ich glaube, die Bilder - zumindest manche - könnte man noch plastischer zeichnen. Aber verdammt nah dran sind sie wohl auch.

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Gast

Beitragvon Gast » 27.07.2007, 20:18

Hi Tom,
das hier war eins der ersten Gedichte von Chiq., die ich las. Und, ja, damals war es ein Gedicht. Ein Prosagedicht. Ich schätze mal, da herrscht eine gewisse allgemeine Unsicherheit darüber, wo sowas einzuordnen ist. Für mich ist das hier auch ganz klar als Gedicht einzuordnen.
Was Textqualität und Bilder betrifft gebe ich dir ebenfalls Recht. Für mich hatte dieser Text immer schon Stärken, aber auch Schwächen. Keiner meiner Lieblingstexte. Er könnte dazu zählen, aber dafür fehlt noch was.

Chiq., entschuldige wenn ich jetzt vorwiegend zu Toms Kritik etwas sage. Den Text hab ich glaub ich schon mal kommentiert, oder?

LG Mel

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 28.07.2007, 10:32

hallo ihr beiden, dieses gedicht schildert impressionen zwischen innen- und aussenwelt. inwieweit die bilder und worte stark oder schwach wirken, kommt ganz auf die vorlieben des lesers an.
so oder ähnlich gehen mir jeden tag gedanken durch den kopf - manchmal peppel ich sie zu einem gedicht auf. auch in meinen augen kommen dann mal mehr und mal weniger großartige gedichte heraus. dieses halte ich wenigstens nicht für das schlechteste. als autor habe ich außerdem eine ganz andere (persönlichere) beziehung dazu.
drum stelle ich u.a. meine gedichte einem publikum vor, weil ich neugierig darauf bin, wie meine sachen gelesen und empfunden werden. auch wenn`s mal weh tut. ich bin nicht der große handwerker. bei mir ist das schreiben herzenssache. es muß dabei etwas in mir vorgehen, was man gemeinhin kreativität und intuition nennt. ich "tagträume" meine gedichte.
es fällt mir schwer, mich speziell zu dem vorliegenden gedicht zu äußern.
daß ich es diesmal in kurzprosa stellte liegt daran, weil man es auch als lyrische prosa auffassen kann. die übergänge sind fließend.

danke für eure eindrücke dazu.

gruß
chiqu.


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