Stefan Schmidt

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Sam

Beitragvon Sam » 15.07.2007, 07:51

Stefan Schmidt

Gerhard Denk begrüßt Anja Schütz vor dem Eingang und fragt nach dem Bauernhof. Sie schüttelt den Kopf, sagt: Verkauft, und erzählt dann die ganze Geschichte. Michael Schäfer steht vor der Bühne und beobachtet, wie die Musiker der Kapelle ihre Instrumente stimmen. Seine Mutter hat einen Friseursalon, in dem er seine Lehre machte. Jetzt arbeitet er in Frankfurt und frisiert Bänker. Tina Schramm begrüßt die Hereinkommenden. Iris Pankhuis drückt schlaff ihre Hand und hofft, Lars Brinkmann zu sehen, der nahe der Bühne sitzt und mit Elmar Weiß über den DAX redet. Enno Jung betritt den Saal mit einer Brünetten. Sie setzen sich neben Markus Schwindt und unterhalten sich über dessen krebskranke Mutter, über irische Wolfshunde, Wellnessurlaub in Sankt Pölten und die meisten der hier Anwesenden. Peter Marquard steht schon am Buffet und probiert den Kartoffelsalat. Er telefoniert an diesem Abend noch mit seinem Freund, seiner Mutter, seinem Chef und dem Hotel, in dem er ein Zimmer reserviert hat. Oliver Vollmer bringt drei Flaschen Champagner mit, die er gleich in den Kühlschrank stellt. Gegen Ende des Abends fängt er mit Thomas Strecker einen Streit an, der von den Umsitzenden schnell geschlichtet wird. Sein Zwillingsbruder Felix Vollmer erscheint erst spät und angetrunken. Seine Kinderlähmung gilt als geheilt, wird aber in einigen Jahren wieder ausbrechen und ihn schließlich bis an sein Lebensende ans Bett fesseln. Birgit Steiger sitzt neben Felicitas Baumann. Sie reden über Marion Glucks, die nicht hatte kommen können oder wollen. Lange dreht sich ihr Gespräch darum, ob sie nun ernstlich krank sei. Eine schwere Grippe meint Birgit. Eine Abtreibung meint Felicitas. Jens Kötter tanzt mit Marion Schiefer und später noch mit Ira Hahn und Svenja Fuchs. Svenjas Freund kommt aus Köln und verbringt den Abend bei seiner Schwester um dort Kutteln zu essen, die Svenja sich weigert zu kochen. Klaus Gstrein, Frank und Thorsten Schütz, Thomas Gotten und Peter Weber gehören zur Band, die viele solcher Anlässe kennt. Herbert Sasser wurde letztes Jahr pensioniert und ist im Sommer mit dem Fahrrad von Riga nach Dubrovnik gefahren. Jetzt lebt er am Bodensee und gibt noch zwei Mal die Woche Nachhilfe in Mathematik und Physik. Sören Frömel spricht mit jedem, aber nur ein oder zwei Sätze. Akne hat an seinen Wangen tiefe Narben hinterlassen und seine Augen haben einen ungesunden Glanz. Thekla Sieben ist in Altersteilzeit. Sie pflegt ihren Mann gemeinsam mit ihrer Tochter in deren Zweifamilienhaus. Wenn sie nach Hause kommt, wird sie zunächst das Bad putzen müssen und dann das Bett neu beziehen. Ihr Mann schläft bis zwölf Uhr Mittags, dann wieder ab drei Uhr. Wenn sie nicht zu Hause ist, pinkelt er neben die Toilette und auf den Handtuchhalter. Stefan Anders ist bald schon sturzbetrunken und fragt jeden, ab der wievielten Scheidung man von Beziehungsunfähigkeit reden müsste. Und warum alle Frauen Oralsex widerlich fänden. Monogamie ist deswegen natürlich, meint Sibylle Kaul darauf, weil man sich nur einmal im Leben an ein schnarchendes, stinkendes Etwas gewöhnen könne, das jede Nacht neben einem liegt. Tina Schramm hält eine kurze Rede, die alle ignorieren. Danach spricht Kurt Herzberg und psalmodiert über Alter, Reife und Erfolg. Zwei der Anwesenden werden an dem Abend noch einen Autounfall haben, einer wird seine Frau, eine ihren Mann schlagen, fünf haben Sex, zwei davon miteinander. Zwei werden nüchtern ins Bett gehen, vier in das eigene, zehn mit schlechter Laune. Die Wehmut packt fünf bis sechs, die Ernüchterung beinahe zwanzig, die Besorgnis nur zwei oder drei. Eine wird, nachdem sie noch zwei Stunden ihre Wohnung in Ordnung gebracht hat, mit dem Wunsch einschlafen, alleine aufzuwachen. Und einer wird bis zum Schluss sitzen bleiben, wird die Tische abräumen, wird volle Müllsäcke vor die Tür der Halle stellen, wird Gläser abspülen und wieder in Kartons verpacken, wird die Zapfanlage abschrauben, schließlich noch schnell durchfegen und dann das Licht ausmachen.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 15.07.2007, 23:35

Hallo Sam,

und Stefan Schmidt wird derjenige sein, der das Licht ausmacht ...

Faszinierend, deine Schreibweise. Da hängst du Prot an Prot, in jedem Satz kommen Neue dazu und man denkt: Wie zum Henker soll ich mir die alle merken? Und was haben sie miteinander zu tun? Und dann erkennt man: gar nichts. Man braucht sich überhaupt keine Namen zu merken. Ein skizzenhafter (typisch Sam ,-) Einblick in viele Figuren, die sich nur gerade an dem gleichen Ort aufhalten. Ein Einblick in die Gegenwart, teilweise Vergangenheit und auch Zukunft der Prots, alles so nebenbei. Banales, Tragisches, alles angehaucht und am Schluss bleibt einer, der wie immer seinen Job macht und als einziger nicht in der Geschichte mit Namen genannt wird.
Ich finde die Idee klasse, die Geschichte gerade nach ihm zu betiteln.
Gerne gelesen,-)
Saludos
Mucki

Sam

Beitragvon Sam » 16.07.2007, 06:56

Hallo Mucki,

und Stefan Schmidt wird derjenige sein, der das Licht ausmacht ...

genaus so ist es. Freut mich sehr, dass du das gleich heraugelesen hast!
Überhaupt, vielen Dank für Lesen! Der Text ist ja nur bedingt Leserfreundlich. Dein Kommentar zeigt mir, dass du dich trotzdem auf ihn eingelassen hast und ihn auch größtenteils so liest, wie ich es mir wünsche, dass er gelesen wird. Etwas Besseres kann einem Text eigentlich nicht passieren.

Gracias ,-)

Liebe Grüße

Sam

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Beitragvon Pjotr » 16.07.2007, 09:26

Hallo Sam,

wie steht es mit dem Verhältnis der Textlänge zur Textwirkung; was meinst Du? Wenn der Text um ein Drittel kürzer wäre, würde er seine Wirkung verlieren?

Ich, als langsamer Leser, würde ihn sogar um zwei Drittel kürzen.


Salute

Pjotr

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Beitragvon Mucki » 16.07.2007, 10:50

Hallo Pjotr, hallo Sam,

ich denke, man könnte vielleicht den einen oder anderen Satz verkürzen oder herausnehmen, aber ein oder gar zwei Drittel auf keinen Fall. Insgesamt würde ich nur ganz wenig entfernen. Das nähme dem Text (er ist ja schon kurz) den "Clou". Gerade die Zeilen, die in die Zukunft weisen, versetzen dem Leser immer einen kleinen "Ruck", diese unbedingt so lassen.
Saludos
Mucki

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 16.07.2007, 10:54

Ich kann nur zustimmen, würde den Text auch nicht kürzen. Wenn, dann nur sehr behutsam und sehr geringfügig.
Vielleicht lese ich ihn anders als Pjotr, weil ich eine hoffnungslose Schnellleserin bin; ein Text wie dieser verführt mich sogar dazu, immer schneller zu werden. Die kleinen Blicke in die Zukunft dazwischen wirken wie Stolpersteine im Textfluss.
Gefällt mir auch sehr.
Gruß aus der Sonne
Zefira
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(Ikkyu Sojun)

Sam

Beitragvon Sam » 16.07.2007, 18:42

Hallo Pjotr, Mucki und Zefira

schön, dass ihr trotz Hitze einen Blick auf den Text geworfen habt.

Sicher könnte man hie und da etwas kürzen (was ich im Vorfeld schon getan habe - der Text war ursprünglich um einiges länger).
Aber gleich ein oder gar zwei Drittel, wie du, Pjotr, vorgeschlagen hast? Was würde dann aus dem Text werden? Ich glaube, er könnte nicht mehr ganz so wirken. Schön, dass du Mucki und auch du Zefira, da mit mir einer Meinung seid.
Der Text lebt m.E. von der Ballung der Namen, der verschiedenen nur kurz angerissenen Lebenssituationen- und läufen, die dann in den Zukunftsblick münden. Das ist alles schon sehr komprimiert. Da jetzt erheblich was wegzunehmen könnte bewirken, dass der Leser den Sinn in dieser extremen Verknappung nicht mehr erkennen kann.

Nochmals vielen Dank euch Dreien!

Liebe Grüße

Sam

Max Dernet

Beitragvon Max Dernet » 16.07.2007, 19:17

unfuch - der text = gut so wie er ist (ach so ja: meinung !- muss man immer wieder... und : zu heiß für längere statements)

max
Zuletzt geändert von Max Dernet am 16.07.2007, 19:27, insgesamt 2-mal geändert.

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Beitragvon Pjotr » 16.07.2007, 19:22

Mein Kommentar mag Unfug sein, ich lerne aber auch nichts besseres aus einem Fug wie diesem:


unfuch - der text = gut so wie er ist



Das ist bloßes Meinen ohne jeglichen Erläuterungsversuch.


Salve

Pjotr
Zuletzt geändert von Pjotr am 16.07.2007, 19:48, insgesamt 1-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.07.2007, 19:25

Hallo Sam,

wie schauts denn mal mit einer Hörversion von dir aus?
Fänd ich spannend.
Saludos
Mucki

Sam

Beitragvon Sam » 17.07.2007, 09:54

fuch oder unfuch:

Dank an max.d. und pjotr!

Hallo Mucki,

Vielleicht versuch ich es mal. Ein Mikro hab ich mir ja mittlerweilemal besorgt. Mal sehen (oder hören) ;-)

Liebe Grüße

Sam

Mucki
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Beitragvon Mucki » 17.07.2007, 13:59

Hallo Sam,

na also, dann nix wie ran ;-)
Wäre schön, mal deine Stimme zu hören!
Saludos
Mucki

Klara
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Beitragvon Klara » 17.07.2007, 20:21

Hallo Sam,

der Text ist gut so wie er ist.
Ich vermute, dass da einiges an Kürz-Arbeit schon drinsteckt. Der aufzählende Charakter ist - vermute ich ebenfalls - gewollt und stimmig.

Herzlich
Klara
EDIT Au ja! Gib uns deine Stimme .-)

Max Dernet

Beitragvon Max Dernet » 17.07.2007, 20:39

Pjotr hat geschrieben:Mein Kommentar mag Unfug sein, ich lerne aber auch nichts besseres aus einem Fug wie diesem:



pjotr, das 'unfuch' bezog sich nicht auf deinen kommentar, sonst hätte ich korrekt unfug geschrieben & nochwas dazu - ich finde den text schlicht gut so, wie er ist und ich bin ansonsten eher nörgelig.

unfuch - der text = gut so wie er ist



Pjotr hat geschrieben:Das ist bloßes Meinen ohne jeglichen Erläuterungsversuch.


das hast du klar erkannt. erläutern tu ich erst wieder, wenns unter 30 grad hat


Salve

Pjotr[/quote]


drushba

max


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