The first cut is not the deepest

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 01.02.2007, 21:23

Derzeitige Endfassung

The first cut is not the deepest

Durch die an den Rändern vereiste Frontscheibe sehe ich einen weißen Pudel in den Schnee pissen. Rechts neben uns wartet LKW Walter mit uns vor der roten Ampel, international logistics steht unter dem Namenszug. Walter international, zum Brüllen. Als hätte der Trucker mein Interesse für sein Gefährt mitgekriegt, grinst er aus seiner Kabine auf eine so anzüglich beschränkte Art zu mir herunter, dass ich nicht sicher bin, ob er es überhaupt mitbekommt. Hey, die gute Leo kriegt auch mal einen ab. Aber anstatt diese Chance zu nutzen, lehne ich den Kopf gegen die Nackenstütze und schließe die Augen. Njüüt-njüt machen die Wischer auf dem Scheibeneis. Njüüt-njüt.

Rod, was singst du dir für ein Scheiß zusammen.

The first cut is not the deepest. Es gibt immer noch einen, der tiefer schneidet, die Wunde weitet, das Messer ganz langsam tiefer treibt, Schnitt für Schnitt für Schnitt für Schnitt für – jaja schon gut, baby, I know.

Ich weiß, wenn ich die Augen wieder öffne, wird auf dem Armaturenbrett immer noch diese Fliege sitzen. Sie hockt da schon die ganze Fahrt über. Gleich sind wir schon da, bei Jenny. Jennyyy, schon dieser Name, wie eine Gutmensch-Forrest-Gump-Figur. Die Fliege ist schon ganz träge, man kann sogar ihre Flügel mit der Fingerspitze streifen und sie fliegt nicht fort, krabbelt nur ein paar Zentimeter weiter. So gut wie tot. Ein, zwei Tage hat sie noch, auch die Letzten werden die Toten sein. Goodbye, good fly.

Jenny ist Sebastians Ex. Heute will er sie zurück und ich soll ihm dabei helfen, darum sitz ich hier mit ihm im Auto, bin wie immer das letzte Ass in seinem Hosenschlitz. „Bitte, Leo, du musst mitkommen und mit ihr reden, keiner außer dir biegt das wieder gerade, nur noch dieses eine Mal. Mit Jenny(yy), das ist echt was Ernstes, das will ich hinkriegen“, hatte Sebastian mich belabert und wie zum Beweis eines dieser samtenen, blauen Ring-Etuis aus seiner Jackentasche gezogen.
Dass er sich nie fragt, warum ich so gut darin bin, ihm all seine Ex-Weiber zurückzuholen. Dass er sich das nie fragt.

Die Ampel springt auf Grün, njüüt-njüt, njüüt-njüt. Ich sehe Sebastians Hände am Lenkrad, die feinen schwarzen Härchen auf seinen Fäusten. Nach ein paar Metern haben wir Pudel Pinkel eingeholt, hinter ihm an der Leine humpelt sein Frauchen auf blauen Pumps durch den Schnee. Bestimmt darf er seinem Dämchen abends auf dem Sofa die Salamischeiben aus dem Mündchen schlecken.

Natürlich bin ich nur so gut darin, weil ich Sebastian liebe. Ich weiß noch, wie er nebenan einzog. Wir waren beide noch klein. Nur einmal durch unseren Garten, über den Zaun und schon stand ich vor seiner Haustür. Es war nicht vom ersten Tag an alles entschieden, aber jeder einzelne Tag, den er mit mir war, jede Schramme am Knie, die er belachte, jeden Kaugummi, den wir tauschten, entschied ein wenig mehr, dass ich Sebastian lieben müsse.

Die Flügel der wahrscheinlich letzten Fliege dieses Winters sind von winzigem Aderwerk durchzogen. Mit den Vorderbeinen reibt sie sich um den schillernden Kopf, als ziehe sie sich einen Pullover über. Der nützte dir auch nichts. Nicht alles ist Kälte.

Niemand außer Sebastian wird je verstehen, wer ich bin, was mich ausmacht, wie es zum Beispiel war, wenn mein Vater mich schlug, ins Gesicht oder mit der Faust auf den Rücken, denn nur Sebastian ist dabei gewesen. Vor jedem anderen würde sich mein Vater schämen oder lügen, wäre ganz klein, wäre ein ganz anderer und alle meine Erzählungen würden nichts bedeuten. Aber mit Sebastian ist das was anderes. Ich meine, es war nicht so, dass er zu einem von uns wurde, wie ein Bruder oder so, mein Vater weiß genau, welche der Löwenbabys seine eigenen sind. Aber Sebastian war einfach so oft da, dass er gar nicht weiter auffiel, als verschmelze er mit den Möbeln in unserem Haus. Und so war es, wenn mein Vater mich schlug und Sebastian dabei zusah, genau so gut, als ob man davon spräche, dass die Vitrine Mitleid klirre oder dem Kühlschrank sich der Magen zusammenziehe. Für mich aber war es nicht das gleiche.

Sebastian hat den Motor abgestellt, wir sind da. „Leo, das hier ist wichtig für mich“, sagt er ganz ernst und fasst mit seiner Hand mein Gesicht, dreht es so, dass ich ihn anblicken muss.
Ich ziehe die Brauen hoch, weiß nichts zu sagen, nicht mal was Sarkastisches oder Albernes fällt mir noch ein. „Danke, dass du mitgekommen bist“, hängt er noch hinten dran. Dann springt er aus dem Wagen, ist schon ganz woanders, mitten im Spiel, klingelt an Jennyyys Wohnungstür.
Sie macht nicht gleich auf, ist aber zuhause, ich sehe wie sie am Fenster links über der Tür hinter der Gardine steht. Sebastian kann das natürlich nicht sehen, natürlich steht er zu nah an der Hauswand dafür. Jennyyy wird ihre Sache gut machen, das weiß ich. Ich hab sie in den acht Monaten, die das mit Sebastian jetzt läuft, nur wenige Male gesehen, aber dass sie eine von denen ist, die wissen, wie es läuft, wusste ich sofort. Evolutionsbräute nenne ich Sebastians Zielgruppe: breiter Arsch, schmale Taille, immer um ein schönblondes Haar ungebildeter als Sebastian und entweder zickig oder bräsig nah am Wasser gebaut. Jennyyy toppt natürlich alle bisherigen Exemplare, auch was den Arsch angeht, ich setze alle Hoffnungen in sie.
Natürlich verachte ich sie, aber das nützt mir nichts, weil Verachten immer aus einem Schmerz heraus geschieht, etwas zwar immer und immer wieder zu verneinen, aber doch nichts anderes als genau dieses wünschen zu können. Nicht loszukommen von etwas, was man hasst. Wie kriegen die es bloß mit einer solchen Leichtigkeit hin, zu bekommen, was sie wollen, ja, mehr noch, glücklich zu sein?

Sebastians Hand eben in meinem Gesicht hätte mich schon wieder sterben lassen können, in Gesten ist er wirklich unschlagbar, die hauen rein. Und das, obwohl sie absolutes Klischee sind. Ich meine, so was tun Männer nur in amerikanischen Filmen. In amerikanischen Filmen, die so schlecht sind, dass nur noch ein makellos markantes Gesicht des Schauspielers Abhilfe schaffen kann, das die binär strukturierte Matrix der Geschlechtsidentität so perfekt bestätigt, dass den Evolutionsbräuten endgültig ihre Sicherungen durchbrennen und es Stau im Eileiter gibt. Sonst würden nämlich selbst sie abschalten.
Und trotzdem, diese Gesten und die gemeinsame Zeit, das sind eigentlich die einzigen Gründe, warum ich Sebastian lieben muss. Alles andere an ihm ist im Grunde fad, manchmal fast schnöselig, geradezu amerikanisch potent. Viel zu ungebrochen. Das einzig Gebrochene an ihm bin ich.

Als ich größer wurde, provozierte ich manchmal, dass mein Vater mich schlug, wenn Sebastian bei uns war. Es war in dieser Zeit schon schwieriger für mich, von Sebastian beachtet zu werden, den Schmerz nahm ich gerne dafür hin. Sebastian war dann nicht so hart gegen mich, wie es sich zwischen uns durch die lange Zeit ansonsten eingespielt hatte, als sei ich nur sein bester Kumpel und darüber hinaus gäbe es nichts. Für einen kurzen Moment war es dann anders, Sebastian streichelte mir das Gesicht oder schimpfte meinen Vater ein Schwein. Am liebsten aber sah ich, was sein Mitleid mit seinem Gesicht machte, wie es mich anblickte. Ich wusste, so schaute er sonst nur, wenn er jemanden begehrte und begehren, das ist seine Art zu lieben.

Jennyyy steht noch immer hinter der Gardine und macht nicht auf, Sebastian klingelt schon zum dritten Mal, good girl, you’ll make it. Klar, sie muss sich jetzt erst einmal richtig reinsteigern, anfangen zu heulen, natürlich kriegt sie dabei keine Kaninchenaugen, weint einfach nur große Kullertränen, höchstens die Nase wird etwas rot, aber ganz ohne Rotz, alles von der Evolution vorgeplant, Jennyyy wird nicht selektiert, nein, Jennyyy doch nicht. Im Gegenteil, das ist ihre Stunde, schon fast so gut wie ihre Hochzeit und wenn nicht das, doch alle mal ein Schritt in die richtige Richtung!
Aber ich weiß es ja doch längst. Das ganze Geheimnis dieser Menschen ist, dass sie nicht wissen, wie ferngesteuert sie sind, dass sie nicht checken, was alles abläuft in ihnen und sie dazu bringt, das zu tun, was sie tun: heulen, schreien, lästern, behaupten und allem voran, natürlich – ficken. Wie die Karnickel. Und trotzdem, das ist das Spiel und das Spiel ist der Weg zum Glück.

Einen Moment hab ich noch, dann muss ich raus. Ich mache das Handschuhfach auf, zünde mir eine von Sebastians stinkenden Zigaretten an, heute will ich keine von denen sein, die duften.
Sebastian wird noch kurz das Haus belagern, dann wird er zum Auto schleichen und mich bitten, dass ich mit Jennyyy rede. Ich werde aussteigen und Sebastian mit den Händen in den Hosentaschen stehen lassen. Keiner von beiden wird merken, wie augenscheinlich der ganze Betrug ist, den sie hier veranstalten. Dass mit wenigen Handgriffen dieses Schauspiel hier nicht nötig wäre, und das, obwohl ich es ihnen zeige. Ich werde kurz zum Fenster hochblicken, so lange, dass Jennyyy weiß, dass ich sie gesehen habe. Dann werde ich auf eine der anderen Wohnungsklingeln drücken, um ins Haus zu gelangen, die Stufen hoch in den ersten Stock gehen. Ich brauch nicht mal an ihre Tür klopfen, weil Jennyyy Sebastian ja noch unten stehen sehen kann. So wird sie die Tür gleich aufmachen und ich werde anfangen zu lügen, wie nur ich lügen kann, weil jede verdammte Bratze im Kaff hier weiß, dass ich Sebastian liebe. Dafür braucht es nur einen Blick, in so was sind sie gut, die Evolutionsbräute. Und weil sie wissen, dass ich Sebastian liebe, glauben sie mir alles, denn es gibt keinen Sinn für sie, dass eine, die den gleichen Typ will wie sie, lügt, damit sie zu dem Typ zurückkehren. Nein, das raffen ihre Östrogene nicht mehr, dass für solche wie mich lieben bedeutet, immer und immer wieder zu versuchen; dass es etwas zählt, was man ist, dass man kein anderes Mittel hat als eben genau dieses.
Was ich Jennyyy genau sagen werde, weiß ich noch nicht, mir wird schon das Richtige einfallen, hohl werde ich mich anhören, wie ein Apparat werde ich alibisieren und doch an das genaue Gegenteil denken. Dass ich lüge, wenn ich sage, dass Sebastian sie nicht betrogen hat, was ich in diesem Fall nicht weiß, weil er auch sonst immer alle betrogen hat, denen ich das Gegenteil erzählt habe, sondern weil ich diesmal diejenige war, mit der er sie betrogen hat.

„Leo, ich weiß wirklich nicht mal mehr, mit welcher der vielen Schlampen auf der Party ich es neulich getrieben habe, ich war so breit, bestimmt hab ich nicht mal mehr richtig einen hoch bekommen“, hatte Sebastian zu mir gesagt, als ich vorhin nicht einsteigen und mit hierhin kommen wollte, und mein Körper war ganz weich geworden, er war gar nicht mehr richtig vorhanden gewesen, und Sebastian schob mich ins Auto. Und ob du einen hochgekriegt hast.

Mir war schon vorher klar gewesen, dass es so kommen würde. Wäre er nicht bis zum Anschlag abgefüllt gewesen, Sebastian hätte mich niemals angerührt, Sebastian treibts doch nicht mit seiner „Schwester“, da ist er wie mein Vater.
Sebastian hatte sich die Kante gegeben, weil Jennyyy ihn versetzt hatte, wie sie es ab und an tat, weil das ja auch zum Spiel gehört. Ich hatte es nicht ausgehalten, wie er sich darüber bei mir ausheulte; hatte gesagt, ich müsse aufs Klo und war mit einer Flasche Wodka-Cola in eines der oberen Zimmer gegangen. Es war genug, ich wollte das nicht mehr, die gute Leo würde sich das Phantomias-Kostüm der 2,5 Promille überziehen und sich dann gleich wieder ausziehen lassen, damit irgendein langweiliger Typ sie flachlegte. Dann war der Anfang gemacht, dann ginge es bergauf, dann würde es bald schon weniger wehtun. Schluss mit diesem albernen Aufgespare, für diese Vielleicht-doch-eines-Tages-Quarkscheiße, die es nur schmerzhafter machte, als es sein musste.
Sebastian hatte wohl gesehen, dass ich nicht ins Bad gegangen war, oder es hatte ihm zu lange gedauert. Jedenfalls stand er mit einem Mal in der Tür. „Hey, Leo, was ist, was machst du hier?“
„Lass mich in Ruhe, Jahn“, gab ich zurück und nahm einen Schluck aus der Flasche.
Sebastian sah sich um. „Oh man, das ist ja hier das Schlafzimmer der Eltern. Das wird dem Typen, der hier die Party schmeißt, aber gar nicht gefallen, Leo. Oder meinst du, der ist pervers? Wahrscheinlich stehen wir überall Kameras. Warte das könnte sein, ich kenn den, wie heißt der der noch...“
„Ach, hör doch auf, du kennst den nicht, keiner kennt den, das ist sicher wieder so eine arme Sau, die von irgendeinem, der ihn sonst immer niedermacht, dazu überredet wurde, die Party hier steigen zu lassen, weil seine Eltern verreist sind. Und morgen, wenn er die Kotze im Kunstperser sieht, fängt er an zu flennen und sein Kontostand in Sachen Freunde ist immer noch 0,0.“
„Leo und ihre Sozialstudien, jaja, du wirst sicher mal eine dieser verkorksten Professorinnen an der Uni, die in ihrem vermufften Büro hocken und Kuchendiagramme erstellen. Weißt du eigentlich, Leo, wie prüde du bist? Ich würde sagen...ziiiemlich prüde...ahwäh, ich muss gleich kotzen...“.
„Tortendiagramme, Jahn. Und klar weiß ich das. Leg dich lieber nicht hin, sonst musst du gleich wirklich kotzen und versaust dir dein Hemd, dann wird’s nichts mehr mit Abschleppen von irgend so einer breitarschigen Kuh.“
Sebastian hatte sich vor mich gestellt, sein Gesicht war ganz nah an meinem. „Ich könnte es ja auch dir besorgen, Leo, du würdest mich doch sogar mit vollgekotztem Hemd nehmen.“
„Jedes andere Mal gerne, aber heute hab ich schon dreimal.“
Sebastian hatte mir die Flasche aus der Hand genommen und mich angegrinst, so dass ich seinen linken Eckzahn sehen konnte, der einzige Zahn, der etwas schief geraten war und einem Vampirzahn glich. Dann hatte er weiter von Jennyyy gesprochen und sich weiter betrunken, bis er wirklich nichts mehr mitbekam. Irgendwann versuchte er, mich zu küssen, einprogrammiertes Vorgehen, ich wusste das, aber in dem Augenblick entschied ich mich, dass das hier meins sein sollte. Dass mir reichte, was ich für die Wunde bekam.
Ich schloss die Tür ab und ließ mich von ihm ausziehen, ließ mich auf das Bett werfen, in dem sonst irgendwelche Eltern von irgendeinem armseligen Typen grunzten. Selbst als er mit mir schlief, wusste ich, wie es kommen würde, und doch, so wollte ich es.
Kurz nachdem er fertig war, schlief er ein und lag auf meiner Brust, ich kippte ihn zur Seite, seine Hose hing ihm noch an den Füßen. Für einen kurzen Moment grub ich meinen Kopf in seine Arme und weinte, lieber jetzt als später, dann hast du das auch schon hinter dir, sagte ich mir. Dann schlich ich aus dem Zimmer und machte mich auf den Heimweg. Keiner hatte mich gesehen, irgendwelche Leute hatten ihn später in dem Zimmer gefunden, sich totgelacht, weil er keine Hose anhatte und natürlich (natürlich) war das bis zu Jennyyy vorgedrungen.

Sebastian kommt zum Auto zurück, öffnet die Beifahrertür. „Leo, kannst du....bitte...“
Ich straffe die Schultern, schmeiße die Zigarette nach draußen. „Ja, gut, eine Sekunde noch.“
„Ja klar“, sagt er kleinlaut und geht ein paar Meter vom Wagen weg.

Natürlich kann man sagen, die erste Wunde ist die, die alle andern Schnitte erst ins Fleisch dringen lässt, die alle anderen vorbereitet, die einen müde macht. Und insofern die tiefste. Gäbe es sie nicht, hätten die anderen nicht so leichtes Spiel, würde man sich nicht lächerlich machen, nicht auf alle erdenklichen Arten darum ringen, dass der Schmerz, wenn er denn schon das ist, was alles andere bestimmt, zumindest passgenau immer wieder und wieder diese eine Wunde schürt. Die Natur hat ja Recht: Jemand wie ich, jemand, der seinen Schmerz kultiviert, um ihn in einigen spärlichen Momenten als Glück zu empfinden, der gehört selektiert.

Dann hatte der gute Rod ja von Anfang an Recht. So was gibt es ja, das einer was Dummes meint, aber was Kluges bei rauskommt. Warum nicht auch für Geld. Rod, verzeih mir, ich habs nicht gleich gepeilt.

Ich stülpe meine Hand über die Fliege, steige aus und schüttle sie in die Kälte, schau mich noch einmal zu Sebastian um.
„Hm?“, fragt er.
„Ach nichts“, sage ich und schaue hoch zum Fenster, wo Jennyyy steht und sieht, dass ich gesehen habe, dass sie mich sieht.










Überarbeitete Fassung

The first cut is not the deepest

Durch die an den Rändern noch zugefrorene Frontscheibe sehe ich einen weißen Pudel in den Schnee pissen. Rechts neben uns wartet LKW Walter ebenso wie wir vor der roten Ampel, international logistic steht unter dem Namenszug. Walter international, zum Brüllen. Als hätte der Trucker mein Interesse für sein Gefährt mitgekriegt, grinst er aus seiner Kabine auf eine so anzüglich beschränkte Art zu mir herunter, dass ich nicht sicher bin, ob er es überhaupt mitbekommt. Ich drücke meine Knie aneinander, auch wenn mein Rock selbst im Sitzen bis über die Fußknöchel reicht und lehne den Kopf gegen die Nackenstütze, schließe die Augen. Njüüt-njüt machen die Wischer auf dem Scheibeneis. Njüüt-njüt.

Rod, was singst du dir für einen Scheiß zusammen.

The first cut is not the deepest. Es gibt immer noch einen, der tiefer schneidet, die Wunde weitet, das Messer ganz langsam tiefer treibt, Schnitt für Schnitt für Schnitt für Schnitt für – jaja schon gut, baby, I know.

Ich weiß, wenn ich die Augen wieder öffne, sitzt auf dem Armaturenbrett immer noch diese Fliege. Sie hockt da schon die ganze Fahrt über.
Gleich sind wir da, bei Jenny. Jennyyy, schon dieser Name, wie eine Gutmensch-Forrest-Gump-Figur. Die Fliege ist schon ganz träge, man kann sogar ihre Flügel mit der Fingerspitze streifen und sie fliegt nicht fort, krabbelt nur ein paar Zentimeter weiter. So gut wie tot. Ein, zwei Tage hat sie noch, auch die Letzten werden die Toten sein. Goodbye, good fly.

Jenny ist Sebastians Ex. Er will sie heute zurück und ich soll ihm dabei helfen, darum sitz ich hier mit ihm im Auto, bin wie immer das Anstandswauwauchen, das letzte Ass in seinem Hosenschlitz. „Bitte, Leo, du musst mitkommen und mit ihr reden, keiner außer dir biegt das wieder gerade, nur noch dieses eine Mal. Mit Jenny(yy), das ist echt was Ernstes, das will ich hinkriegen“, hatte Sebastian mich belabert und wie zum Beweis eines dieser samtenen, blauen Verlobungsringkästchen aus seiner Jackentasche gezogen.
Dass er sich nie fragt, warum ich so gut darin bin, ihm all seine Ex-Weiber zurückzuholen. Dass er sich das nie fragt.

Die Ampel springt auf Grün, njüüt-njüt, njüüt-njüt. Ich sehe Sebastians Arme am Lenkrad, die feinen schwarzen Härchen auf seinen Fäusten. Nach ein paar Metern haben wir Pudel Pinkel eingeholt, hinter ihm an der Leine humpelt sein Frauchen auf blauen Pumps durch den Schnee. Bestimmt darf er seinem Dämchen abends auf dem Sofa die Salamischeiben aus dem Mündchen schlecken.

Natürlich bin ich nur so gut darin, weil ich Sebastian liebe. Ich weiß noch, wie er nebenan einzog, wir waren beide noch ziemlich klein. Nur einmal durch unseren Garten, über den Zaun und schon stand ich vor seiner Haustür.
Es war nicht vom ersten Tag an alles entschieden, aber jeder einzelne Tag, den er mit mir war, jede Schramme am Knie, die er belachte, jeden Kaugummi, den wir tauschten, entschied ein wenig mehr, dass ich Sebastian lieben müsste.

Die Flügel meiner wahrscheinlich letzten Fliege für diesen Winter sind von winzigem Aderwerk durchzogen, mit den Vorderbeinen reibt sie sich um den schillernden Kopf, als ziehe sie sich einen Pullover über. Der nützt dir auch nichts. Nicht alles ist Kälte.

Niemand außer Sebastian wird je verstehen, wer ich bin, was mich ausmacht, wie es zum Beispiel war, wenn mein Vater mich schlug, ins Gesicht oder mit der Faust auf den Rücken, denn nur Sebastian ist dabei gewesen. Vor jedem anderen würde sich mein Vater schämen oder lügen, wäre ganz klein, wäre ein ganz anderer und alle meine Erzählungen würden nichts bedeuten. Aber mit Sebastian ist das was anderes. Ich meine, es war nicht so, dass er zu einem von uns wurde, wie ein Bruder oder so, dafür ist mein Vater zu triebhaft, er weiß, welche der Löwenbabys seine eigenen sind. Aber Sebastian war einfach so oft da, dass er gar nicht weiter auffiel, als verschmelze er mit den Möbeln in unserem Hauses.
Und so war es, wenn mein Vater mich schlug und Sebastian dabei zusah, genau so gut, als ob man davon spräche, die Vitrine klirrte Mitleid oder dem Kühlschrank ziehe sich der Magen zusammen. Für mich aber war es nicht das gleiche.

Sebastian hat den Motor abgestellt, wir sind da. „Leo, das hier ist wichtig für mich“, sagt er ganz ernst und fasst mit seiner Hand mein Gesicht, dreht es so, dass ich ihn anblicken muss.
Ich verziehe die Augenbrauen, weiß nichts zu sagen, nicht mal was Sarkastisches oder Albernes fällt mir noch ein. „Danke, dass du mitgekommen bist“, hängt er noch hinten dran. Dann springt er aus dem Wagen, ist schon ganz woanders, mitten im Spiel, klingelt an Jennys Wohnungstür.
Sie macht nicht gleich auf, ist aber zuhause, ich sehe wie sie am Fenster links über der Tür hinter der Gardine steht. Sebastian kann das natürlich nicht sehen, natürlich steht er zu nah an der Hauswand dafür. Jennyyy wird ihre Sache gut machen, das weiß ich. Ich hab sie in den acht Monaten, die das mit Sebastian jetzt läuft, nur wenige Male gesehen, aber dass sie eine von denen ist, die wissen, wie es läuft, wusste ich sofort. Evolutionsbräute nenne ich Sebastians Zielgruppe: breiter Arsch, schmale Taille, immer um ein schönblondes Haar ungebildeter als Sebastian selbst und entweder zickig oder bräsig nah am Wasser gebaut; die debile gute Fee oder der pubertäre Vamp. Jennyyy toppt natürlich alle bisherigen Exemplare, auch was den Arsch angeht, ich setze alle Hoffnungen in sie.
Natürlich verachte ich sie, aber das nützt mir nichts, weil Verachten immer aus einem Schmerz heraus geschieht, etwas zwar immer und immer wieder zu verneinen, aber doch nichts anderes als genau dieses wünschen zu können. Nicht loszukommen von etwas, was man hasst. Wie kriegen diese Tanten es bloß mit einer solchen Leichtigkeit hin zu bekommen, was sie wollen, ja, mehr noch, glücklich zu sein?

Sebastians Hand eben in meinem Gesicht hätte mich schon wieder sterben lassen können, in Gesten ist er wirklich unschlagbar, die hauen rein. Und das, obwohl sie absolutes Klischee sind. Ich meine, so was tun Männer nur in amerikanischen Filmen, wenn der Regisseur einen Schauspieler, dessen Gesicht in Punkto Symmetrie einem gleichseitigem Dreieck ins nichts nachsteht, versucht, die schlechten Dialoge des Drehbuchs durch die Bestätigung der binär strukturierten Matrix der Geschlechtsidentität zu retten. Und trotzdem, diese Gesten und die gemeinsame Zeit, das sind eigentlich die einzigen Gründe, warum ich Sebastian lieben muss. Alles andere an ihm ist im Grunde fad, manchmal fast schnöselig, geradezu amerikanisch potent. Viel zu ungebrochen. Das einzig Gebrochene an ihm bin ich.

Als ich größer wurde, provozierte ich manchmal, dass mein Vater mich schlug, wenn Sebastian bei uns war. Es war in dieser Zeit schon schwieriger für mich, von Sebastian beachtet zu werden, den Schmerz nahm ich gerne dafür hin. Sebastian war dann nicht so hart gegen mich, wie es sich zwischen uns ansonsten eingespielt hatte durch die lange Zeit, als sei ich nur sein bester Kumpel und darüber hinaus gäbe es nichts.

Für einen kurzen Moment war es dann anders, Sebastian streichelte mir das Gesicht oder schimpfte meinen Vater ein Schwein. Am liebsten aber sah ich, was sein Mitleid mit seinem Gesicht machte, wie es mich anblickte. Ich wusste, so schaute er sonst nur, wenn er jemanden begehrte und begehren, das ist seine Art zu lieben.

Jennyyy steht noch immer hinter der Gardine und macht nicht auf, Sebastian klingelt schon zum dritten Mal, good girl, you’ll make it. Klar, sie muss sich jetzt erst einmal richtig reinsteigern, anfangen zu heulen, natürlich kriegt sie keine Kaninchenaugen, weint einfach nur große Kullertränen, höchstens die Nase wird etwas rot, aber ganz ohne Rotz, alles von der Evolution vorgeplant, Jennyyy wird nicht selektiert, nein, Jennyyy doch nicht. Im Gegenteil, das ist ihre Stunde, schon fast so gut wie ihre Hochzeit und wenn nicht das, doch alle mal ein Schritt in die richtige Richtung!
Aber ich weiß es ja doch längst. Das ganze Geheimnis dieser Menschen ist, dass sie nicht wissen, wie ferngesteuert sie sind, dass sie nicht checken, was alles abläuft in ihnen und sie dazu bringt, das zu tun, was sie tun: heulen, schreien, lästern, behaupten und allem voran, natürlich – ficken. Wie die Karnickel. Und trotzdem, das ist das Spiel und das Spiel ist der Weg zum Glück.

Einen Moment hab ich noch, dann muss ich raus. Ich mache das Handschuhfach auf, zünde mir eine von Sebastians stinkenden Zigaretten an, heute will ich keine von denen sein, die duften.
Sebastian wird noch kurz das Haus belagern, dann wird er zum Auto schleichen, geduckt und schüchtern an die Scheibe klopfen und bitten, dass ich mit Jenny rede. Ich werde aussteigen und Sebastian mit den Händen in den Hosentaschen stehen lassen. Sie werden nicht merken, wie augenscheinlich der ganzer Betrug ist, den sie hier veranstalten, werden nicht bemerken, dass mit wenigen Handgriffen dieses Schauspiel hier nicht nötig wäre, und das, obwohl ich es ihnen zeige. Ich werde kurz zum Fenster hochblicken, so lange, dass Jennyyy weiß, dass ich sie gesehen habe. Dann werde ich auf eine der anderen Wohnungsklingeln drücken, um ins Haus zu gelangen, die Stufen hoch in den ersten Stock gehen. Ich brauch nicht mal an ihre Tür klopfen, weil Jennyyy Sebastian ja noch unten stehen sehen kann. So wird sie die Tür gleich aufmachen und ich werde anfangen zu lügen, wie nur ich lügen kann, weil jede verdammte Bratze im Kaff hier weiß, dass ich Sebastian liebe, dafür braucht es nur einen Blick, in so was sind sie gut, die Evolutionsbräute. Und weil sie wissen, dass ich Sebastian liebe, glauben sie mir alles, denn es gibt keinen Sinn für sie, dass eine, die den gleichen Typ will wie sie, lügt, damit sie zu dem Typ zurückkehren. Nein, das raffen ihre Östrogene nicht mehr, dass für solche wie mich lieben bedeutet, immer und immer wieder zu versuchen, dass es etwas zählt, was man ist, dass man kein anderes Mittel hat als eben genau dieses.
Was ich Jennyyy genau sagen werde, weiß ich noch nicht, mir wird schon das richtige einfallen, hohl werde ich mich anhören, wie ein Apparat werde ich alibisieren und doch an das genaue Gegenteil denken. Dass ich lüge, wenn ich sage, dass Sebastian sie nicht betrogen hat, was ich nicht weiß, weil er auch sonst immer alle betrogen hat, denen ich das Gegenteil erzählt habe, sondern weil ich die war, mit der er sie betrogen hat. Dass einzige, was an meinen Beteuerungen Wahres dran sein wird, ist, dass das alles keine Rolle spielt, dass es nicht die geringste Bedeutung hat, nicht die mindeste.

„Leo, ich weiß wirklich nicht mal mehr, mit welcher der vielen Schlampen ich es auf der Party neulich getrieben haben soll, ich war so breit, bestimmt hab ich nicht mal mehr richtig einen hoch bekommen“, hatte Sebastian zu mir gesagt, als ich vorhin nicht einsteigen und mit hierhin kommen wollte und mein Körper war ganz weich geworden, er war gar nicht mehr richtig vorhanden gewesen, und Sebastian schob mich ins Auto. Und ob du einen hochgekriegt hast.

Mir war schon vorher klar gewesen, dass es so kommen würde. Wäre er nicht bis zum Anschlag abgefüllt gewesen, Sebastian hätte mich niemals angerührt, Sebastian treibts doch nicht mit seiner „Schwester“, da gleicht er meinem Vater.
Sebastian hatte sich die Kante gegeben, weil Jennyyy ihn versetzt hatte, wie sie es ab und an manchmal tat, weil das ja auch zum Spiel gehört. Ich hatte es nicht ausgehalten, wie er sich darüber bei mir ausheulte, hatte gesagt, ich müsse kurz aufs Klo und war mit einer Flasche Wodkacola in eines der oberen Zimmer gegangen. Es war genug, ich wollte das nicht mehr, die gute Leo würde sich das Phantomias-Kostüm der 2,5 Promille überziehen und es sich dann gleich wieder ausziehen lassen, damit irgendein langweiliger Typ sie flachlegte. Dann war der Anfang gemacht, dann ginge es bergauf, dann würde es bald schon weniger wehtun. Schluss mit diesem albernen Aufgespare, für diese vielleicht-doch-eines-Tages-Quarkscheiße, das es nur schmerzhafter machte, als es sein musste.
Sebastian hatte wohl gesehen, dass ich nicht ins Bad gegangen war, oder es hatte ihm zu lange gedauert und er war mich suchen gegangen. Jedenfalls stand er auf jeden Fall mit einem Mal in der Tür. „Hey, Leo, was ist, was machst du hier?“
„Lass mich in Ruhe, Jahn“, gab ich zurück und nahm einen Schluck aus der Flascke.
Sebastian sah sich um. „Ey, sind wir hier nicht in dem Schlafzimmer der Eltern des Typen, wie heißt der noch gleich...ich,...kenn den, ...na jedenfalls, von dem, der da hier die Party schm...macht?“
„Ach, hör doch auf, du kennst den nicht, keiner kennt den, das ist sicher wieder so eine arme Sau, die von irgendeinem, der ihn sonst immer niedermacht, dazu überredet wurde, die Party hier steigen zu lassen, weil seine Eltern verreist sind. Und morgen, wenn er die Kotze im Kunstperser sieht, fängt er an zu flennen und sein Kontostand in Sachen Freunde ist immer noch 0,0.“
„Leo und ihre Sozialstudien, jaja, du wirst sicher mal eine dieser verkorksten Professorinnen an der Uni, die in ihrem vermufften Büro hocken und Kuchendiagramme machen. Weißt du eigentlich, Leo, wie prüde du bist? Ich würde sagen...ziiiemlich prüde...ahwäh, ich muss gleich kotzen...glaub ich“.
„Tortendiagramme, Jahn. Tortendiagramme. Und klar weiß ich das.“
„Leg dich lieber nicht hin, sonst musst du gleich wirklich kotzen und versaust dir dein Hemd, dann wird’s nichts mehr mit Abschleppen von irgend so einer breitarschigen Kuh.“
Sebastian hatte sich vor mich gestellt, sein Gesicht war ganz nah an meinem. „Ich könnte es ja auch dir besorgen, Leo, du würdest mich doch auch mit vollgekotztem Hemd nehmen.“
„Jedes andere Mal gerne, aber heute hab ich schon dreimal.“
Sebastian hatte mir die Flasche aus der Hand genommen und mich angegrinst, so dass ich seinen linken Eckzahn sehen konnte, der einzige Zahn, der etwas schief geraten war bei ihm und von der Form her einem Vampirzahn glich. Dann hatte er weiter von Jennyyy gesprochen und sich weiter betrunken, bis er wirklich nichts mehr wusste. Irgendwann versuchte er, mich zu küssen, einprogrammiertes Vorgehen, ich wusste das, aber in dem Augenblick entschied ich mich, dass das hier meins sein sollte, dass ich es hinnehmen wollte, dass mir reichte, was ich für die Wunde bekam.
Ich schloss die Tür ab und ließ mich von ihm ausziehen, ließ mich auf das Bett werfen, in dem sonst irgendwelche Eltern von irgendeinem armseligen Typen grunzten. Selbst als er mit mir schlief, wusste ich, wie es kommen würde, und doch, so wollte ich es.
Kurz nachdem er fertig war, schlief er ein und lag auf meiner Brust, ich kippte ihn zur Seite, seine Hose hing ihm noch an den Füßen. Für einen kurzen Moment grub ich meinen Kopf in seine Arme und weinte, lieber jetzt als später, dann hast du das auch schon hinter dir, sagte ich mir. Dann schlich ich aus dem Zimmer und machte mich auf den Heimweg. Keiner hatte mich gesehen, irgendwelche Leute hatten ihn später in dem Zimmer gefunden, sich totgelacht, weil er keine Hose anhatte und natürlich (natürlich) war das bis zu Jennyyy vorgedrungen. Sebastian konnte sich zwar daran erinnern, dass ich auch erst in diesem Zimmer gewesen war, aber ich sagte ihm, dass ich irgendwann genug von seinem Jennyyy-Gejaule gehabt hätte und gegangen sei, und er brachte es nicht mehr zusammen. Erst war ich noch ängstlich, aber inzwischen bin ich mir sicher, selbst wenn ich alles genau so behauptet hätte, wie es abgelaufen war, hätte er mir nicht geglaubt.
Sebastian klopft ans Seitenfenster, ich kurble die Scheibe runter. „Leo, kannst du....bitte...“
Ich straffe die Schultern, schmeiße die Zigarette nach draußen. „Ja, gut, eine Sekunde noch.“
„Ja klar“, sagt er kleinlaut und geht ein paar Meter vom Wagen weg.

Natürlich kann man sagen, die erste Wunde ist die, die alle andern Schnitte erst ins Fleisch dringen lässt und insofern die tiefste. Aber gut ist es damit ja nicht, es geht ja immer weiter.

Ich stülpe meine Hand über die alte Fliege, steige aus und werfe sie in die Kälte, schau mich noch einmal zu Sebastian um.
„Hm?“, fragt er.
„Ach nichts“, sage ich und schaue hoch zum Fenster, wo Jennyyy steht und sieht, dass ich gesehen habe, dass sie mich sieht.






Erstfassung

The first cut is not the deepest

Durch die halb zugefrorene Frontscheibe sehe ich einen weißen Pudel in den Schnee pissen. Rechts neben uns wartet LKW Walter mit uns vor der roten Ampel, international logistic steht unter dem Namenszug. Walter international, zum Brüllen. Als hätte der Trucker mein Interesse für sein Gefährt mitgekriegt, grinst er aus seiner Kabine auf eine so anzüglich beschränkte Art zu mir herunter, dass ich nicht sicher bin, ob er es überhaupt mitbekommt. Ich lehne den Kopf gegen die Nackenstütze und schließe die Augen. Njüüt-njüt machen die Wischer auf dem Scheibeneis. Njüüt-njüt.

Rod, was singst du dir für ein Scheiß zusammen.

The first cut is not the deepest. Es gibt immer noch einen, der tiefer sticht, die Wunde weitet, ganz langsam treibt das Messer tiefer, Schnitt für Schnitt für Schnitt für Schnitt für – jaja schon gut, baby, I know.

Ich weiß, wenn ich die Augen wieder öffne, sitzt auf dem Armaturenbrett immer noch diese Fliege. Sie hockt da schon den ganzen Weg zu Jenny, regt sich nicht. Jennyyy, schon dieser Name, wie eine Gutmensch-Forrest-Gump-Figur. Die Fliege ist schon ganz träge, man kann sogar ihre Flügel mit der Fingerspitze streifen und sie fliegt nicht fort, krabbelt nur ein paar Zentimeter weiter. So gut wie tot. Ein, zwei Tage hat sie noch, auch die Letzten werden die Toten sein. Goodbye, good fly.

Jenny ist Sebastians Ex. Er will sie heute zurück und ich soll ihm dabei helfen, darum sitz ich hier mit ihm im Auto, bin wie immer das Anstandswauwauchen, das letzte Ass in seinem Hosenschlitz. „Bitte, Leo, du musst mitkommen und mit ihr reden, keiner außer dir biegt das wieder gerade, nur noch dieses eine Mal. Mit Jenny(yy), das ist echt was Ernstes, das will ich hinkriegen“, hatte Sebastian mich belabert und wie zum Beweis eines dieser samtenen, blauen Verlobungsringkästchen aus seiner Jackentasche gezogen.
Dass er sich nie fragt, warum ich so gut darin bin, ihm all seine Ex-Weiber zurückzuholen. Dass er sich das nie fragt.

Die Ampel springt auf Grün, njüüt-njüt, njüüt-njüt. Ich sehe Sebastians Arme am Lenkrad, die feinen schwarzen Härchen auf seinen Fäusten. Nach ein paar Metern haben wir Pudel Pinkel eingeholt, hinter ihm an der Leine humpelt sein Frauchen auf blauen Pumps durch den Schnee. Bestimmt darf er seinem Dämchen abends auf dem Sofa die Salamischeiben aus dem Mündchen schlecken.

Natürlich bin ich nur so gut darin, weil ich Sebastian liebe.

Ich weiß noch, wie Sebastian nebenan einzog, wir waren beide noch sehr klein. Nur einmal durch unseren Garten, über den Zaun und schon stand ich vor seiner Haustür.
Es war nicht vom ersten Tag an alles entschieden, aber jeder einzelne Tag, den er mit mir war, jede Schramme am Knie, die er belachte, jeden Kaugummi, den wir tauschten, entschied ein wenig mehr, dass ich Sebastian lieben müsste.

Die Flügel meiner wahrscheinlich letzten Fliege für diesen Winter sind von winzigem Aderwerk durchzogen, mit den Vorderbeinen reibt sie sich um den schillernden Kopf, als ziehe sie sich einen Pullover über. Der nützt dir auch nichts. Nicht alles ist Kälte.

Niemand außer Sebastian wird je verstehen, wer ich bin, was mich ausmacht, wie es zum Beispiel war, wenn mein Vater mich schlug, ins Gesicht oder mit der Faust auf den Rücken, denn nur Sebastian ist dabei gewesen. Vor jedem anderen würde sich mein Vater schämen oder lügen, wäre ganz klein, wäre ein ganz anderer und alles wäre nur Erzählung und somit nutzlos für mich. Aber mit Sebastian ist das was anderes. Ich meine, es war nicht so, dass er zu einem von uns wurde, wie ein Bruder oder so, dafür ist mein Vater zu triebhaft, er weiß, welche der Löwenbabys seine eigenen sind. Aber Sebastian war einfach so oft da, dass er gar nicht weiter auffiel, als verschmelze er mit den Einrichtungsgegenständen unseres Hauses.
Und so war es, wenn mein Vater mich schlug und Sebastian dabei zusah, genau so gut, als ob man davon spräche, die Vitrine klirrte Mitleid oder dem Kühlschrank ziehe sich der Magen zusammen. Für mich aber war es nicht das gleiche.

Sebastian hat den Motor abgestellt, wir sind da. „Leo, das hier ist wichtig für mich“, sagt er ganz ernst und fasst mit seiner Hand mein Gesicht, dreht es so, dass ich ihn anblicken muss.
Ich verziehe die Augenbrauen, weiß nichts zu sagen, nicht mal was Sarkastisches oder Albernes fällt mir noch ein. „Danke, dass du mitgekommen bist“, hängt er noch hinten dran. Dann springt er aus dem Wagen, ist schon ganz woanders, mitten im Spiel, klingelt an Jennys Wohnungstür.
Sie macht nicht gleich auf, ist aber zuhause, ich sehe wie sie am Fenster links über der Tür hinter der Gardine steht. Sebastian kann das natürlich nicht sehen, natürlich steht er zu nah an der Hauswand dafür. Jennyyy wird ihre Sache gut machen, das weiß ich. Ich hab sie in den acht Monaten, die das mit Sebastian jetzt läuft, nur wenige Male gesehen, aber dass sie eine von denen ist, die es verstehen zu leben, wusste ich sofort. Evolutionsbräute nenne ich Sebastians Zielgruppe: breiter Arsch, aber um so schmalere Taille, immer um ein schönblondes Haar ungebildeter als Sebastian selbst und entweder zickig oder bräsig nah am Wasser gebaut; die debile gute Fee oder der pubertäre Vamp. Jennyyy toppt natürlich alle bisherigen Exemplare, auch was den Arsch angeht, ich setze alle Hoffnungen in sie.
Natürlich verachte ich sie, aber das nützt mir nichts, dadurch weiß ich es auch nicht besser zu machen. Mir ist es schlicht unbegreiflich, mit welcher Leichtigkeit sie es verstehen zu bekommen, was sie wollen, ja, mehr noch, glücklich zu sein.

Seine Hand eben in meinem Gesicht hätte mich schon wieder sterben lassen können, in Gesten ist er wirklich unschlagbar, die hauen rein, ja, diese Gesten und die gemeinsame Zeit, das sind eigentlich die einzigen Gründe, warum ich Sebastian lieben muss. Alles andere an ihm ist im Grunde fad, manchmal fast schnöselig, geradezu amerikanisch potent. Viel zu ungebrochen. Das einzig Gebrochene, was er hat, bin ich.

Als ich größer wurde, provozierte ich manchmal, dass mein Vater mich schlug, wenn Sebastian bei uns war. Es war in dieser Zeit schon schwieriger für mich, von Sebastian beachtet zu werden, den Schmerz nahm ich gerne dafür hin. Sebastian streichelte mir dann hinterher das Gesicht oder schimpfte meinen Vater ein Schwein. Am liebsten aber sah ich, was sein Mitleid mit seinem Gesicht machte, wie es mich anblickte. Ich wusste, so schaute er sonst nur, wenn er jemanden begehrte und begehren, das ist seine Art zu lieben.

Jennyyy steht noch immer hinter der Gardine und macht nicht auf, Sebastian klingelt schon zum dritten Mal, good girl, you’ll make it. Klar, sie muss sich jetzt erst einmal richtig reinsteigern, anfangen zu heulen, natürlich kriegt sie keine Kaninchenaugen, weint einfach nur große Kullertränen, höchstens die Nase wird etwas rot, aber ganz ohne Rotz, alles von der Evolution vorgeplant, Jennyyy wird nicht selektiert, nein, Jennyyy doch nicht. Im Gegenteil, das ist ihre Stunde, schon fast so gut wie ihre Hochzeit und wenn nicht das, doch alle mal ein Schritt in die richtige Richtung!
Das ist ja das ganze Geheimnis dieser Menschen, dass sie nicht wissen, wie ferngesteuert sie sind, dass sie nicht checken, was alles abläuft in ihnen und sie dazu bringt, das zu tun, was sie tun: heulen, schreien, lästern, behaupten und allen voran, natürlich – ficken. Wie der Hamster im Laufrad. Und trotzdem, das ist das Spiel und das Spiel ist der Weg zum Glück.

Einen Moment hab ich noch, dann muss ich raus. Ich mache das Handschuhfach auf, zünde mir eine von Sebastians stinkenden Zigaretten an, heute will ich keine von denen sein, die gut duften.
Sebastian wird noch kurz das Haus belagern, sich einige Minuten auf die Steinstufen setzen, dann wird er zum Auto schleichen, geduckt und schüchtern an die Scheibe klopfen und bitten, dass ich mit Jenny rede. Ich werde aussteigen und Sebastian mit den Händen in den Hosentaschen stehen lassen. Sie werden nicht merken, wie augenscheinlich ihr ganzer Betrug ist, den sie hier veranstalten, werden nicht bemerken, dass mit wenigen Handgriffen dieses ganze Schauspiel hier nicht nötig wäre, und das, obwohl ich es ihnen zeige. Ich werde kurz zum Fenster hochblicken, so lange, dass Jennyyy weiß, dass ich sie gesehen habe. Dann werde ich auf eine der anderen Wohnungsklingeln drücken, um ins Haus zu gelangen, die Stufen hoch in den ersten Stock gehen. Ich brauch nicht mal an ihre Tür klopfen, weil Jennyyy Sebastian ja noch unten stehen sehen kann. So wird sie die Tür gleich aufmachen und ich werde anfangen zu lügen, wie nur ich lügen kann, weil jede verdammte Bratze im Kaff hier weiß, dass ich Sebastian liebe, dafür braucht es nur einen Blick, in so was sind sie gut, die Evolutionsbräute. Und weil sie wissen, dass ich Sebastian liebe, glauben sie mir alles, denn es gibt keinen Sinn für sie, dass eine, die den gleichen Typ will wie sie, lügt, damit sie zu dem Typ zurückkehren. Nein, das raffen ihre Östrogene nicht mehr, dass für solche wie mich lieben bedeutet, immer und immer wieder zu versuchen, dass es etwas zählt, was man ist, dass man kein anderes Mittel hat als eben genau dieses.
Was ich Jennyyy genau sagen werde, weiß ich noch nicht, mir wird schon das richtige einfallen, hohl werde ich mich anhören, wie ein Apparat werde ich alibisieren und doch an das genaue Gegenteil denken. Dass ich lüge, wenn ich sage, dass Sebastian sie nicht betrogen hat, was ich nicht weiß, weil er auch sonst immer alle betrogen hat, denen ich das Gegenteil erzählt habe, sondern weil ich die war, mit der er sie betrogen hat. Dass einzige, was an meinen Beteuerungen Wahres dran sein wird, ist, dass das alles keine Rolle spielt, dass es nicht die geringste Bedeutung hat, nicht die mindeste.

Leo, ich weiß wirklich nicht mal mehr, mit welcher der vielen Schlampen ich es auf der Party neulich getrieben haben soll, ich war so breit, bestimmt hab ich nicht mal mehr richtig einen hoch bekommen“, hatte Sebastian zu mir gesagt, als ich vorhin nicht einsteigen und mit hierhin kommen wollte und mein Körper war ganz weich geworden, er war gar nicht mehr richtig vorhanden gewesen, und Sebastian schob mich ins Auto. Und ob du einen hochgekriegt hast.

Mir war schon vorher klar gewesen, dass es so kommen würde. Wäre er nicht bis zum Anschlag abgefüllt gewesen, Sebastian hätte mich niemals angerührt, Sebastian treibts doch nicht mit seiner „Schwester“, da gleicht er meinem Vater.
Sebastian hatte sich die Kante gegeben, weil Jennyyy ihn versetzt hatte, wie sie es ab und an manchmal tat, weil das ja auch zum Spiel gehört. Ich hatte es nicht ausgehalten, wie er sich darüber bei mir ausheulte, hatte gesagt, ich müsse kurz aufs Klo und war mit einer Flasche Wodkacola in eines der oberen Zimmer gegangen. Es war genug, ich wollte das nicht mehr, die gute Leo würde sich das Phantomias-Kostüm der 2,5 Promille überziehen und es sich dann gleich wieder ausziehen lassen, damit irgendein langweiliger Typ sie flachlegte. Dann war der Anfang gemacht, dann ginge es bergauf, dann würde es bald schon weniger weh tun. Schluss mit diesem albernen Aufgespare, für diese vielleicht-doch-eines-Tages-Quarkscheiße, das es nur schmerzhafter machte, als es sein musste.
Sebastian hatte wohl gesehen, dass ich nicht ins Bad gegangen war, oder es hatte ihm zu lange gedauert und er war mich suchen gegangen. Wie auch immer stand er auf jeden Fall mit einem Mal in der Tür. „Hey, Leo, was ist, was machst du hier?“
„Lass mich in Ruhe, Jahn“, gab ich zurück und trank aus der Flasche, die ich mit hochgenommen hatte.
Sebastian sah sich um. „Ey, sind wir hier nicht in dem Schlafzimmer der Eltern des Typen, wie heißt der noch gleich...ich,...kenn den, ...na jedenfalls, von dem, der da hier die Party schm...macht?
Ach, hör doch auf, du kennst den nicht, keiner kennt den, das ist sicher wieder so eine arme Sau, die von irgendeinem, der ihn sonst immer niedermacht, dazu überredet wurde, die Party hier steigen zu lassen, weil seine Eltern verreist sind. Und morgen, wenn er die Kotze im Kunstperser sieht, fängt er an zu flennen und sein Kontostand in Sachen Freunde ist immer noch 0,0.“
„Leo und ihre Sozialstudien, jaja, du wirst sicher mal eine dieser verkorksten Professorinnen an der Uni, die in ihrem vermufften Büro hocken und Kuchendiagramme machen. Weißt du eigentlich, Leo, wie prüde du bist? Ich würde sagen...ziiiemlich prüde...ahwäh, ich muss gleich kotzen...glaub ich“.
Tortendiagramme, Jahn. Tortendiagramme. Und klar weiß ich das.
Leg dich lieber nicht hin, sonst musst du gleich wirklich kotzen und versaust dir dein Hemd, dann wird’s nichts mehr mit Abschleppen von irgend so einer breitarschigen Kuh.“

Sebastian hatte sich vor mich gestellt, sein Gesicht war ganz nah an meinem. „Ich könnte es ja auch dir besorgen, Leo, du würdest mich doch auch mit vollgekotztem Hemd nehmen.“
„Jedes andere Mal gerne, aber heute hab ich schon dreimal.“
Sebastian hatte mir die Flasche aus der Hand genommen und mich angegrinst, so dass ich seinen linken Eckzahn sehen konnte, der einzige Zahn, der etwas schief geraten war bei ihm und von der Form her einem Vampirzahn glich. Dann hatte er weiter von Jennyyy gesprochen und sich weiter betrunken, bis er wirklich nichts mehr wusste. Irgendwann versuchte er, mich zu küssen, einprogrammiertes Vorgehen, ich wusste das, aber in dem Augenblick entschied ich mich, dass das hier meins sein sollte, dass ich es hinnehmen wollte, dass mir reichte, was ich für die Wunde bekam.
Ich schloss die Tür ab und ließ mich von ihm ausziehen, ließ mich auf das Bett werfen, in dem sonst irgendwelche Eltern von irgendeinem armseligen Typen grunzten. Selbst als er mit mir schlief, wusste ich, wie es kommen würde, und doch, so wollte ich es.
Kurz nachdem er fertig war, schlief er ein und lag auf meiner Brust, ich kippte ihn zur Seite, seine Hosen hing ihm noch an den Füßen. Für einen kurzen Moment grub ich meinen Kopf in seine Arme und weinte, lieber jetzt als später, dann hast du das auch schon hinter dir, sagte ich mir. Dann schlich ich aus dem Zimmer und fuhr nachhause. Keiner hatte mich gesehen, irgendwelche Leute hatten ihn später in dem Zimmer gefunden, sich totgelacht, weil er keine Hose anhatte und natürlich (natürlich) war das bis zu Jennyyy vorgedrungen. Sebastian selber konnte sich zwar daran erinnern, dass ich auch erst in diesem Zimmer gewesen war, aber ich sagte ihm, dass ich irgendwann genug von seinem Jennyyy-Gejaule gehabt hätte und gegangen sei, und er brachte es nicht mehr zusammen. Erst war ich noch ängstlich, aber inzwischen bin ich mir sicher, selbst wenn ich alles genau so behauptet hätte, wie es abgelaufen war, hätte er mir nicht geglaubt, es hätte nicht in seinen Schädel gepasst.

Sebastian klopft ans Seitenfenster, ich kurble die Scheibe runter. „Leo, kannst du....bitte...“
Ich straffe die Schultern, schmeiße die Zigarette nach draußen. „Ja, gut, eine Sekunde noch.“
„Ja klar“, sagt er kleinlaut und geht ein paar Meter vom Wagen weg.


The first cut is the deepest, jajaja. Ich meine, natürlich kann man sagen, die erste Wunde ist die, die alle andern Schnitte erst ins Fleisch dringen lässt und insofern, als sie alle folgenden bedingt, die tiefste. Aber gut ist es damit ja nicht, es geht ja immer weiter. Wichtiger wäre es für mich jetzt wohl, mir einen Kalender anzuschaffen, in den ich eintrage, wann ich vorhabe mit wem zu ficken bzw. mit wem nicht, um ihn später oder einen andern zu ficken.

Ich stülpe meine Hand über die alte Fliege, steige aus und werfe sie in die Kälte. „So geht’s schneller.
„Hm?“, fragt Sebastian abwesend.
„Ach nichts“, sage ich und schaue hoch zum Fenster, wo Jennyyy steht und sieht, dass ich gesehen habe, dass sie mich sieht.







gerne wie immer alles um die Ohren hauen :-)
Zuletzt geändert von Lisa am 09.03.2007, 13:45, insgesamt 9-mal geändert.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Beitragvon leonie » 01.02.2007, 21:45

Liebe Lisa,

ich habe Deine Geschichte gerade in einem durchgelesen, und am Ende dachte ich: Ich finde, der Titel nimmt zuviel vorweg, ist zu entschieden. Ich schlage vor: "The first cut". Alles Weitere entwickelst Du ja in der Geschichte, auch den Bezug zum Lied (wenn der leser ihn nicht auch bei drei Worten sowieso herstellt).

Ich bin immer völlig erstaunt, dass es Menschen gibt, die so etwas schreiben können, so detailgenau, spannend, berührend.

Liebe Grüße

leonie

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 01.02.2007, 22:35

Lisa, du siehst mich verblüfft.

Zum einen, weil das der erste Text von dir ist (den ich kenne), der die gesamte poetische Ebene außen vorlässt und einfach in klarer, direkter Sprache erzählt. So gar nicht durch die Blume. Zum anderen, weil das Rock'n'Roll ist, den ich in dieser Form niemals mit deiner Person in Verbindung gebracht hätte. Es wirkt authentisch, ob es deine wahre Geschichte ist oder nicht.

Es ist mir schlichtweg nicht möglich, jetzt nach der ersten Lektüre eine umfassende Rezension zu leisten. Dazu werde ich ihn mir ausdrucken und unters Kopfkissen schieben.

Ich gebe jetzt nur mal eben meine ganz ungefilterten ersten Eindrücke wieder:
Der Anfang ist das Stärkste. Die Wahrnehmung der Umwelt. Dann das Öffnen der verschiedenen Erzählebenen. Sehr gut.
In der Mitte merke ich, wie mein Auge immer vorauseilen will im Text. Warum? Wird es zu erklärend? Schweift es zu weit ab? Geht der Drive der ersten Absätze verloren? Bremst da was, ohne wirklich Atem-Pause zu sein? Es schleichen sich manche ungelenken Bezüge und Formulierungen ein, es verschachtelt sich. Wird manchmal brav und naiv in der Sprache, was nicht zum Rest passen mag. Den vorletzten Absatz finde ich ebenso überflüssig wie auch unpassend, er gaukelt Härte und Abgezocktheit vor, die nicht wirklich da ist. Dazu ist die Protagonistin an anderen Stellen zu empfindsam. Das viele ficken empfinde ich dort als gesetzt der Härte wegen, damit stimmt etwas nicht.
Der letzte Absatz dann wieder sehr stark. Öffnet. Lässt die Gedanken weiterarbeiten. Wie aus dem Lehrbuch.

Ich werde versuchen, diese Fragmente, die rein subjektiv und noch unüberprüft sind, anhand detaillierter Textstellen zu fundamentieren. Vielleicht komme ich dann auch zu einem ganz anderen Ergebnis. Kann ein wenig dauern.

Ich empfinde diesen Text von dir als ganz große Öffnung, und er zeigt eine ganz andere Erzählkunst, in der eine Menge Potential steckt. Und verdammt viel Wahrhaftigkeit.

Ich drucke dann mal jetzt aus.
Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Klara
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Beitragvon Klara » 01.02.2007, 22:39

Hallo Lisa,

spannender Text! Liest man so weg.

Dennoch habe ich ein paar Anmerkungen, die vielleicht erschlagend wirken, aber tatsächlich Kleinigkeiten sind. Nimm dir davon, was du brauchst. (Ich versuche, mich kurz zu fassen, hoffentlich verständlich zu bleiben)

The first cut is not the deepest. Es gibt immer noch einen, der tiefer sticht, die Wunde weitet, ganz langsam treibt das Messer tiefer, Schnitt für Schnitt für Schnitt für Schnitt für – jaja schon gut, baby, I know.


Guter Einstieg, aber:
schneidet (statt sticht)
umstellen: das Messer ganz langsam tiefer treibt

Ich weiß, wenn ich die Augen wieder öffne, sitzt auf dem Armaturenbrett immer noch diese Fliege. Sie hockt da schon den ganzen Weg zu Jenny, regt sich nicht. Jennyyy, schon dieser Name, wie eine Gutmensch-Forrest-Gump-Figur.

Der Übergang von Fliege/regt sich nicht zu Jenny ist stolprig.

Jenny ist Sebastians Ex. Er will sie heute zurück und ich soll ihm dabei helfen, darum sitz ich hier mit ihm im Auto, bin wie immer das Anstandswauwauchen, das letzte Ass in seinem Hosenschlitz.


Ass im Hosenschlitz finde ich wenig überzeugend. Nicht nur, weil es (oder?) weniger um Potenz bzw. Sex zu gehen scheint als um Gefühle.

„Bitte, Leo, du musst mitkommen und mit ihr reden, keiner außer dir biegt das wieder gerade, nur noch dieses eine Mal. Mit Jenny(yy), das ist echt was Ernstes, das will ich hinkriegen“, hatte Sebastian mich belabert und wie zum Beweis eines dieser samtenen, blauen Verlobungsringkästchen aus seiner Jackentasche gezogen.

das würde ich – ohne Plusquamperfekt – in Klammern setzen. Gleiches gilt für die folgenden Rückblenden.

hinter ihm an der Leine humpelt sei Frauchen auf blauen Pumps durch den Schnee. Bestimmt darf er seinem Dämchen abends auf dem Sofa die Salamischeiben aus dem Mündchen schlecken.


seiN Frauchen
darf er IHR (statt seinem Dämchen)

Natürlich bin ich nur so gut darin, weil ich Sebastian liebe.


Das finde ich überflüssig, man errät es sofort. So ausgesprochen klingt es platt und klischee. Außerdem wird es ja dann erklärt.

Ich weiß noch, wie Sebastian nebenan einzog, wir waren beide noch sehr klein.


wieder in Klammern die Rückblende?
ziemlich statt sehr?

Es war nicht vom ersten Tag an alles entschieden, aber jeder einzelne Tag, den er mit mir war, jede Schramme am Knie, die er belachte, jeden Kaugummi, den wir tauschten, entschied ein wenig mehr, dass ich Sebastian lieben müsste.


jedeR Kaugummi
dass Sebastian zu mir gehörte?
Rückblende in Klammern?

Aber Sebastian war einfach so oft da, dass er gar nicht weiter auffiel, als verschmelze er mit den Einrichtungsgegenständen unseres Hauses.
Und so war es, wenn mein Vater mich schlug und Sebastian dabei zusah, genau so gut, als ob man davon spräche, die Vitrine klirrte Mitleid oder dem Kühlschrank ziehe sich der Magen zusammen. Für mich aber war es nicht das gleiche.


verschmelze falsche Zeitform > würde er zu einem Teil der Einrichtungsgegenstände?
Einrichtungsgegenstände klingt wie eine EU–Verordnung > vielleicht Möbel?


Sebastian hat den Motor abgestellt, wir sind da. „Leo, das hier ist wichtig für mich“, sagt er ganz ernst und fasst mit seiner Hand mein Gesicht, dreht es so, dass ich ihn anblicken muss.
Ich verziehe die Augenbrauen, weiß nichts zu sagen, nicht mal was Sarkastisches oder Albernes fällt mir noch ein. „Danke, dass du mitgekommen bist“, hängt er noch hinten dran. Dann springt er aus dem Wagen, ist schon ganz woanders, mitten im Spiel, klingelt an Jennys Wohnungstür.


Es ist gut geschrieben, aber klingt für mich trotzdem nach Klischee, nach Film, seine Sätze und das mit dem Gesicht.
Ich meine, ich glaube, ich kenne das, aber der hat mir nie das Gesicht genommen, das war subtiler, ließ mich viel hungriger, weißt du, was ich meine?

Sie macht nicht gleich auf, ist aber zuhause,

ungeschickt (hört sich an wie eine Erörterung). Besser: Sie ist zuhause, ich sehe wie sie am Fenster links über der Tür hinter der Gardine steht.

Sebastian kann das natürlich nicht sehen, natürlich steht er zu nah an der Hauswand dafür.


natürlich würde ich streichen. Es ist abgenutzt, um Authentizität rüber zu bringen. Außerdem unnötig. Oder was für einen Mehrwert bringt hier „natürlich“?

Jennyyy wird ihre Sache gut machen, das weiß ich. Ich hab sie in den acht Monaten, die das mit Sebastian jetzt läuft,


die das – ähem.

nur wenige Male gesehen, aber dass sie eine von denen ist, die es verstehen zu leben,


zu leben verstehen? Besser: die wissen, wie es läuft?

wusste ich sofort. Evolutionsbräute nenne ich Sebastians Zielgruppe: breiter Arsch, aber um so schmalere Taille,

besser fände ich: breiter Arsch, schmale Taille

immer um ein schönblondes Haar ungebildeter als Sebastian selbst und entweder zickig oder bräsig nah am Wasser gebaut;


besser fände ich (weniger klischee): immer ein paar Millimeter unter seinem Niveau

die debile gute Fee oder der pubertäre Vamp.

widerspricht dem Vorlauf: ist Sebastian nahe der Debilität?

Jennyyy toppt natürlich alle bisherigen Exemplare, auch was den Arsch angeht, ich setze alle Hoffnungen in sie.


Natürlich streichen.
Besser als „ich setze alle Hoffnungen in sie“ wäre: Sie ist meine Favoritin.

Natürlich verachte ich sie, aber das nützt mir nichts, dadurch weiß ich es auch nicht besser zu machen.

dadurch bis machen streichen?
Mir ist es schlicht unbegreiflich, mit welcher Leichtigkeit sie es verstehen zu bekommen, was sie wollen, ja, mehr noch, glücklich zu sein.


Besser: Ich verstehe nicht, wie die Tanten das schaffen. Was haben sie, was ich nicht habe – außer nem dicken Arsch?

Seine Hand eben in meinem Gesicht hätte mich schon wieder sterben lassen können,


Ungeschickt formuliert.
(Übergang zu den Tussen ist unklar)

in Gesten ist er wirklich unschlagbar, die hauen rein, ja, diese Gesten und die gemeinsame Zeit, das sind eigentlich die einzigen Gründe, warum ich Sebastian lieben muss.


die hauen rein, ja streichen.

Alles andere an ihm ist im Grunde fad, manchmal fast schnöselig, geradezu amerikanisch potent. Viel zu ungebrochen. Das einzig Gebrochene, was er hat, bin ich.


Das einzig Gebrochene, was ich bei ihm finde, bin ich?

den Schmerz nahm ich gerne dafür hin. Sebastian streichelte mir dann hinterher das Gesicht oder schimpfte meinen Vater ein Schwein. Am liebsten aber sah ich, was sein Mitleid mit seinem Gesicht machte, wie es mich anblickte. Ich wusste, so schaute er sonst nur, wenn er jemanden begehrte und begehren, das ist seine Art zu lieben.


Das verstehe ich nicht: Bemitleidet er die Tussen?

doch alle mal ein Schritt in die richtige Richtung!


allemal

Das ist ja das ganze Geheimnis dieser Menschen, dass sie nicht wissen, wie ferngesteuert sie sind, dass sie nicht checken, was alles abläuft in ihnen und sie dazu bringt, das zu tun, was sie tun: heulen, schreien, lästern, behaupten und allen voran, natürlich – ficken. Wie der Hamster im Laufrad. Und trotzdem, das ist das Spiel und das Spiel ist der Weg zum Glück.


Hier beantwortet Leo ihre Frage von weiter oben – und führt ihr eigenes Unverständnis ad absurdum. Das sollte dann auch so angeschlossen werden, meine ich:

Etwa: Mir geht ein Licht auf! Das ist wahrscheinlich das ganze Geheimnis dieser Barbiepuppen, undsoweiter
alleM voran
das ist das Spiel, KOMMA und das Spiel ist der Weg zum Glück.
Ich würde das noch ein kleines bisschen ausführen:
Sie denken nicht. Sie machen einfach. Sie lassen sich machen.
(Oder so.)

Einen Moment hab ich noch, dann muss ich raus. Ich mache das Handschuhfach auf, zünde mir eine von Sebastians stinkenden Zigaretten an, heute will ich keine von denen sein, die gut duften.

gut duften ist doppelt: gut riechen?

Sie werden nicht merken, wie augenscheinlich ihr ganzer Betrug ist, den sie hier veranstalten,


DER ganze Betrug…

werden nicht bemerken, dass mit wenigen Handgriffen dieses ganze Schauspiel


Wiederholung: ganze, streichen.
hier nicht nötig wäre, und das, obwohl ich es ihnen zeige. Ich werde kurz zum Fenster hochblicken, so lange, dass Jennyyy weiß, dass ich sie gesehen habe.


Ich würde Jenny außer am Anfang nur ein Ypsilon lassen, auch weiter oben und weiter unten, man hat dann schon kapiert.
dass es etwas zählt, was man ist, dass man kein anderes Mittel hat als eben genau dieses.


das ist ungenau und unschön formuliert
Ich verstehe so: dass es darauf ankommt, dass ich ihm das gebe, was nur ich ihm geben kann. Was anderes bleibt mir nicht übrig – mehr habe ich nicht zu bieten.
?

Was ich Jennyyy genau sagen werde, weiß ich noch nicht, mir wird schon das richtige einfallen, hohl werde ich mich anhören, wie ein Apparat werde ich alibisieren und doch an das genaue Gegenteil denken.


alibisieren – äh, ist das Jargon?

Dass ich lüge, wenn ich sage, dass Sebastian sie nicht betrogen hat, was ich nicht weiß, weil er auch sonst immer alle betrogen hat, denen ich das Gegenteil erzählt habe, sondern weil ich die war, mit der er sie betrogen hat. Dass einzige, was an meinen Beteuerungen Wahres dran sein wird, ist, dass das alles keine Rolle spielt, dass es nicht die geringste Bedeutung hat, nicht die mindeste.


Versteht man nicht einfach so.
Meinst du: Leo erzählt ihr, dass es keine Gefahr gibt, weil Sebastian ja nur mit ihr, Leo, untreu war? Oder erfindet sie die Untreue mit Leo, die ja ungefährlich ist? Und wenn Leo mit Sebastian im Bett war: War das dann öfter? Weil sie ja nicht zum ersten Mal eine Betrogene beruhigt?
„Leo, ich weiß wirklich nicht mal mehr, mit welcher der vielen Schlampen ich es auf der Party neulich getrieben haben soll, ich war so breit, bestimmt hab ich nicht mal mehr richtig einen hoch bekommen“, hatte Sebastian zu mir gesagt, als ich vorhin nicht einsteigen und mit hierhin kommen wollte und mein Körper war ganz weich geworden, er war gar nicht mehr richtig vorhanden gewesen, und Sebastian schob mich ins Auto. Und ob du einen hochgekriegt hast.

Redet jemand wirklich so zu seiner besten Freundin? Schlampen und getrieben und hoch bekommen? Ich weiß es nicht – ich frage. Für mich klingt es unwahrscheinlich.

Mir war schon vorher klar gewesen, dass es so kommen würde. Wäre er nicht bis zum Anschlag abgefüllt gewesen, Sebastian hätte mich niemals angerührt,


umstellen: hätte Sebastian

Sebastian treibts doch nicht mit seiner „Schwester“, da gleicht er meinem Vater.

Versteh ich nicht: Wen hat der Vater denn nicht angerührt?

Sebastian hatte wohl gesehen, dass ich nicht ins Bad gegangen war, oder es hatte ihm zu lange gedauert und er war mich suchen gegangen. Wie auch immer stand er auf jeden Fall mit einem Mal in der Tür.

Statt Wie auch immer > Jedenfalls



„Lass mich in Ruhe, Jahn“, gab ich zurück und trank aus der Flasche, die ich mit hochgenommen hatte.


Ist Jahn ein ungeläufiger Nick für Sebastian? Seb? Sebbe? Ganz was Anderes?
Sebastian sah sich um. „Ey, sind wir hier nicht in dem Schlafzimmer der Eltern des Typen, wie heißt der noch gleich...ich,...kenn den, ...na jedenfalls, von dem, der da hier die Party schm...macht?“

Der Satz ist in der Situation unglaubwürdig. „Schlafzimmer der Eltern des Typen“ – im doppelten Genitiv redet man und vor allem Mann glaub ich nicht unbedingt,in so einem Moment, oder? Und das Verbessern von „schmeißen“ verstehe ich auch nicht. Lass ihn lieber schnoddern.
„Ach, hör doch auf, du kennst den nicht, keiner kennt den, das ist sicher wieder so eine arme Sau, die von irgendeinem, der ihn sonst immer niedermacht, dazu überredet wurde, die Party hier steigen zu lassen, weil seine Eltern verreist sind. Und morgen, wenn er die Kotze im Kunstperser sieht, fängt er an zu flennen und sein Kontostand in Sachen Freunde ist immer noch 0,0.“

Hm. Solches Sprechen hört sich für mich sehr fremd an, aber ich bin offenbar schon uralt ,–)

dass mir reichte, was ich für die Wunde bekam.


Formulierung gefällt mir nicht. „für die Wunde“ streichen?

seine Hosen hing ihm noch an den Füßen.


hingeN oder HosE
Für einen kurzen Moment grub ich meinen Kopf in seine Arme und weinte, lieber jetzt als später, dann hast du das auch schon hinter dir, sagte ich mir. Dann schlich ich aus dem Zimmer und fuhr nachhause.


Fuhr? Mit dem Auto? Mit der U-Bahn? Wo kommt das auf einmal her?

Sebastian selber konnte sich zwar daran erinnern, dass ich auch erst in diesem Zimmer gewesen war,

selber streichen, dass ich mal in diesem Zimmer gewesen war,

es hätte nicht in seinen Schädel gepasst.


streichen.


Ich meine, natürlich kann man sagen, die erste Wunde ist die, die alle andern Schnitte erst ins Fleisch dringen lässt und insofern, als sie alle folgenden bedingt, die tiefste. Aber gut ist es damit ja nicht, es geht ja immer weiter. Wichtiger wäre es für mich jetzt wohl, mir einen Kalender anzuschaffen, in den ich eintrage, wann ich vorhabe mit wem zu ficken bzw. mit wem nicht, um ihn später oder einen andern zu ficken.


Würde ich umformulieren:
Klar, stimmt schon, ohne den ersten Schnitt ins Herz gäbe es ja keine Wunde. Aber es geht ja immer weiter, und vielleicht ist das sogar viel schlimmer, dass es immer weiter geht. Dass man irgendwann nicht mehr dran glaubt, dass es irgendwann mal anders sein könnte.
(Alles mit dem Fick–Kalender würde ich weglassen, erschließt sich nicht aus dem Zusammenhang, dass es vorrangig ums Ficken geht. Ich weiß, das ist eine Erstatzhandlung, aber das kommt mir arg platt vor, so zu denken. Ich meine: Selbst wenn man in dem Moment so denkt – was ich gar nicht bezweifle! – WIRKT es platt, so wie es oben geschrieben wird. )

. „So geht’s schneller.“
„Hm?“, fragt Sebastian abwesend.
„Ach nichts“, sage ich und schaue hoch zum Fenster, wo Jennyyy steht und sieht, dass ich gesehen habe, dass sie mich sieht.


Der letzte Absatz mit der Fliege ist mir zu holzhammermäßig. Die Botschaft war schon vorher angekommen. Ich würde den Dialog streichen und so weitermachen:

Ich stülpe meine Hand über die alte Fliege, steige aus und werfe sie in die Kälte.
Dann mache ich mich bereit und steige aus.

(Das ist jetzt nicht poetisch, ich meine nur als Richtung.)

EDIT: Mit dem Titel sehe ich es ähnlich wie Leonie. The frist cut finde ich einen guten Vorschlag. Da würde man - zumindest im Nachhinein nicht nur die emotionale Sache mitdenken, sondern möglicherweise auch die sexuelle, dass es wahrscheinlich Leos erster Mann war etc. Der sie noch dazu geschnitten hat.
Noch mehr EDIT: Was mich ja einigermaßen fuchst ist, dass sie sich so zum Opfer macht. Ihrer Liebe opfert. Das muss so sein! Das ist genau richtig in der Geschichte! Aber ich werde so wütend, weil das so scheißrealisitsch sit... Und der Scheißkerl weiß noch nicht mal, dass er mit ihr geschlafen hat, der feige Hund. Es ist zum Heulen.
LG
Klara
Zuletzt geändert von Klara am 01.02.2007, 22:47, insgesamt 1-mal geändert.

Peter

Beitragvon Peter » 01.02.2007, 22:45

Zu bewundern, Lisa.

Der Text zwingt den Leser; jeder Satz verkettet; eine Erzählstimme, die mitreißt, die daherkommt mit all ihrer Gegenwart.

Der Text zwingt den Leser, also mir zumindest wird der Text ins Denken gestopft. Plötzlich ist es voll von Dingen, die man alle selber verarbeiten muss. Denn der Text gibt das nicht - er gibt keine Vermittlung, alles ist direkt.

Die reflektierende Postion lässt du unbesetzt. Der Text denkt zwar nach, aber nicht auf einer objektiven Ebene. Vielleicht kommt er deshalb daher und überschreitet das Denken schon vom ersten Satz an. (Oder nur mein Denken?)

Das einzige, was (mir) aus der Unvermitteltheit hilft, ist das Bild der Fliege. Sie scheint der poetische Innenraum des ganzen; sie ist die einzige Stille, um die sich der Text dreht, und um die der Text fällt, oder vielmehr rast, in all seiner Haltlosigkeit, ja, ich glaube, der Text rast.

Alles ist flüchtig... entwertet... verloren schon im Ansehen.

Und trotzdem gelingt es dir, daraus eine Geschichte zu machen (oder viel eher, sie zu finden; denn "gemacht", im schlechten Sinn des Wortes, erscheint mir hier nichts. Es sind ja eher Fundstücke, die vorkommen, und die jeder finden kann, "Mach nur die Augen auf!", sagt der Text.)

Eine Geschichte entsteht. Das heißt, alles kommt nochmal zurück. Alles überholt sich, um tiefer zu erscheinen. Wir begreifen dann anders. Durch die Rundung am Ende entsteht ein Gehalt.

Zu bewundern, Lisa.

Liebe Grüße,
Peter

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 01.02.2007, 23:52

Hallo Lisa

Nur kurz, morgen mehr.

Ein ganz intensiver Text. Ich lese gebannt.

Bitte nicht den Titel ändern. Das Spiel mit dem Sechziger Jahre Song trifft es hervorragend. Von wem war es eigentlich.

Morgen werde ich ausführlicher

Bis denn

Jürgen

Gast

Beitragvon Gast » 02.02.2007, 00:39

Liebe Lisa,

bei diesem Text scheiden sich die Geister wahrscheinlich.
Männer werden diese Geschichte sicher völlig anders lesen, glaub ich. ;-)

Also, ich war sehr gespannt, klar doch, musste sie auf alle Fälle auch sofort nach der Entdeckung runterlesen.
Klara hat schon echt geackert. Habs überflogen, ihre Hinweise find ich gut.
Ich gehe nicht auf Einzlheiten ein, aber ans "Eingemachte".

Für mich ist die Haltung deiner Protagonisten schlicht unglaubwürdig.
Du schilderst Leo, ja nicht als blöd oder hinter dem Mond, sondern intelligent und auf der Höhe der Zeit.
So wie sie sich gegenüber ihrer "Liebe" verhält, so verhält sich kein Mensch, es sei denn er ist dumm, emotional und körperlich total abhängig, dem Typen, also Sebastian, regelrecht verfallen.
Dann schildern, wenn das so ist.
Ich denke wenn Leo als dumm durchgehen würde, wäre es noch am ehesten glaubhaft, aber so?
Es ist mir zu schwarz (Barbies) weiß (Leo).
Ich weiß wohl, das es solche Frauen gibt, ja, ja, aber eben auch auf eine gewisse Art "beschränkt" und geprägt durch Brutalität im Elternhaus, okay.
Mir fehlen böse oder sadistische Elemente in Leos Verhalten.
Warum wischt Leo dann nicht wenigstens Jenny eins aus, wenn sie schon ihren Sebastian so vergöttert, dass sie dem kein Härschen krümmen mag?
Wieso säuft sie sich einen an um mit ihm zu pennen?
Sie weiß doch, wies weitergehen wird, kennt ihn doch in und auswendig.
(Spielt das Alter der Protagonisten eigentlich eine Rolle? Geht mir gerade durch den Kopf. vielleicht bin ich als Leserin zu alt zu abgeklärt...)
Bereitet sich Leo ganz bewusst mit ihrem Verhalten Pein, um sich darin zu suhlen, weil sie ihn so sehr liebt?
Klaut ihm was, um sich selbst weh zu tun?

So blöd kann Sebastian im Übrigen auch nicht sein, wie er erscheint.
Das ganz Dorf weiß, dass Leo ihn liebt... nur er nicht?
Was ist das bloß fürn Mann, der das nicht merkt? Ich glaube hier wird Sebastian auch zu "glatt", klischeehaft geschildert. (Männer merken nie was...) :rolleyes:
Was ist Leo für ein Weib? Obwohl sie sieht, was Sebastian für ne schlappe Nummer ist , erbringt sie ihm "Freundschaftsdienste"?
Oder soll die Story letztendlich darauf hinweisen, dass die voraussichtlich unglückliche Verbindung Jenny/Sebastian, Leos Rache wird?
Die Namen passen übrigens fast schon zu gut. Besonders: Leo, die Löwin, die ihre "Brut" verteidigt, die Kämpferische, aber eben auch der gute Kumpel, der verschlissen wird.
So, liebe Lisa, das wars jetz mal fürs Erste...
Etwas zu glatt, besonders die Zeihnung der Leo, meine ich.

Liebe Grüße
Gerda
Zuletzt geändert von Gast am 02.02.2007, 12:32, insgesamt 2-mal geändert.

pandora

Beitragvon pandora » 02.02.2007, 09:47

liebe lisa,

mir geht es ein bisschen wie gerda. ich frage mich: warum macht leo das? du beschreibst sie abseits der unterwürfigen züge als durchaus intelligent. sie durchschaut so vieles ("evolutionsbräute"/...), denkt logisch voraus und steht nach meinem dafürhalten über den dingen.
ihre motivation, sich dem typen so völlig unspektakulär unterzuordnen, ist auch mir nicht klar.

sehr gut gefällt mir das bild von der fliege, das den gedanken des übrigbleibens transportiert.

auch die zeitliche einordnung mittels rod stewart und forrest gump halte ich für äußerst gelungen.

forrest gump?ist das ein entscheidender hinweis?

lg
p.

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Beitragvon annette » 02.02.2007, 10:18

Ganz kurz nur, in Eile:
Toll! Habs atemlos von Anfang bis Ende verschlungen. Und wäre bei der ersten Lektüre nicht in der Lage gewesen, irgendwelche Fehler oder Unstimmigkeiten zu bemerken.
Ich finde Leo nicht unrealistisch gezeichnet. Insbesondere durch die Hinweise auf die Schläge ihres Vaters und auf dem Umstand, dass sie Sebastian schon so lange kennt. Das sind zwei wichtige Umstände, die ihre bedingungslosen Gefühle und den sich selbst erniedrigenden Umgang damit für mich gut erklären.

Bin begeistert, und es wird mir schwer fallen, mich gleich auf meine Arbeit konzentrieren zu müssen. :blink1:

Lieber Gruß, annette

Gast

Beitragvon Gast » 02.02.2007, 12:31

Liebe Lisa,

ich noch mal, heute nacht vergaß ich etwas.

Den Bezug zum Song finde ich Klasse, den zu Forrest Gump kann ich nicht nachvollziehen - was nichts heißt ;-) aber ich wüsste natürlich gern, obs wichtig ist, warum gerade bei Jenny der Bezug hergestellt wird.
Mit erscheint Leo viel eher als "Gutmensch" gezeichnet.
Tja, der Titel, ich glaube nicht dass der so richtig gut gewählt ist.
Aber das ist mehr so dieses Gefühl, dass ein Song, den ein Protagonist in einer Geschichte "zufällig" hört, zwar ein guter Bezug ist, um dem Geschehen eine Facette mehr zu geben, aber ob er als Titel wirklich taugt?
Wahrscheinlich würde ich nicht überlegen, wenn der Song nicht explizit erwähnt wäre, aber gerade die Situation im Auto, in der er erklingt ist wichtig für die Atmosphäre, also sollte er auf jeden Fall benannt werden.
Deswegen tendiere ich eher zur Überlegung einen anderen Titel zu wählen
Ja, und trotz meine harten Kritik oben ist die Story natürlich gut, denn es sind ja Dinge, die du ggf. ändern, klar stellen im Text oder mehr beschreiben kannt.

Herzhaft
Gerda


Lieber Jürgen,

meinst du wirklich 60ziger Jahre?
Den Song, "The first cut is not the deepest", komponiert hat ihn übrigens Cat Stevens, hat Rod Stewart 1977 aufgenommen und den Film "Forest Gump" gabs ab 1994 in den Kinos.

Für mich spielt die Geschichte in der jüngsten Vergangenheit oder in der Gegenwart, nur für das Alter der Protag. (sieh oben) habe ich kein richtiges Gefühl.

Liebe Grüße
Gerda

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Beitragvon Klara » 02.02.2007, 13:02

Hallo Lisa (und all),
dein Text und Thema ging mir noch im Kopf rum - spricht dann meistens für den Text ,-)

Dabei fiel mir ein auf oder zu, dass er zum Ende hin etwas zerfasert. Du kriegst den Bogen nicht richtig zurück in die Gegenwart, glaub ich. Also: Du kriegst ihn schon, aber es wirkt gewollt, nicht natürlich.

Das fäng an mit dem vorletzten Absatz und mit dem - wie zu gegebenen - letzten Absatz. Die Moral von der Geschicht... will ich gar nicht wissen.

Im vorletzten Absatz steigst du, analaog zum Beginn, wieder zurück auf den Song, aber das scheint mir unverbunden, denn sooo lange kann das Ding im Radio ja nicht laufen, inzwischen läuft ein anderes, drittes oder viertes Lied, und Leo hat tausende andere Gedanken gehabt zwischen durch - nur der TEXT will es rund haben. Ist es aber nicht, und vielleicht ist es auch besser, wenn es nciht rund ist. Vielleicht gehst du am Ende einfach in die Gedanken zum Schnitt, aber ohne Song, Schmerz, aber ohne Musik. Extrahierst sozusagen die Alltagsphilosophie des Songs, so wie sie Leo entspricht. Oder so. Und dann wäre es textlich rund, weil du darauf inhaltlich zurück kämst. Auf den Anfang, meine ich.

Ich musste auch noch über den first cut nachdenken: Wenn du es im Titel klar lässt, fände ich es ohne Verneinung, also als "richtiges" Zitat besser. Egal, ob es stimmt oder nicht.
Und dann inhaltlich musste ich denken (das ist jetzt keine Kritik, sondern angeregt durch deinen Text): Der erste Schnitt: fügt sie ihn sich nicht selbst zu, die Leo? Sie legt sich den Mann ja quasi drauf. Geht ihrer Liebe nach, obwohl sie weiß, dass sie ins Nichts führt. Selbst-Zerstörung.

Gerda, ich möchte dir heftig widersprechen, wenn du die Grundhaltung der Erzählerin für unglaubwürdig erachtest. Du fragst:
Bereitet sich Leo ganz bewusst mit ihrem Verhalten Pein, um sich darin zu suhlen, weil sie ihn so sehr liebt?
Klaut ihm was, um sich selbst weh zu tun?

Klar, sie tut sich selbst weh, meine ich. Gibt sich den ersten Schnitt. Das kennt sie ja auch so, hat es "gelernt": Wenn der Vater sie schlug, ihr weh tat, bekam sie Zuwendung von Sebastian. Liebe und Schmerz (oder Liebe und Gewalt) waren von Kindheit an untrennbar. Das ist nicht nur glaubwürdig, sondern tragisch und viel alltäglicher, als man denkt. Deshalb finde ich übrigens, dass der Sex keine so große Rolle spielt, für Leo, und auch nciht spielen sollte: So weit ist sie noch gar nicht. Darum geht es doch (noch) gar nicht. Oder?

LG
Klara

Gast

Beitragvon Gast » 02.02.2007, 13:09

Hey Klara,

ich habe, aber wenn du meine Kritik insgesamt liest, diese hinischtlich der Glaubwürdigkeit unter Einbeziehung der Misshandlung geschrieben. Leo ist zu gut beschrieben, m. M. Es fehlt mir an "Überzeichnung" der Leo, damit genau dies hinkommt, von dem du schreibst es sei glaubwürdig.

Liebe Grüße
Gerda

Ich kann mir übrighens ne Menge vorstellen, aber genauso wie Leo beschrieben, ( IQ und der emotionlaen Intelligenz) passt das (noch) nicht richtig zusammen.

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Beitragvon Lisa » 02.02.2007, 14:32

Entschuldigt bitte die lange Antwort...ich kann nicht anders antworten (da binich Leo ähnlich ;-), alles andere ist aber erfunden Tom, eben so erfunden wie meine Signatur es angibt)


Hallo,
puhh...danke sehr, Prosa einstellen ist doch noch mal was ganz anderes als ein Gedicht merke ich, ...dank für die gute und intensive Rückmeldung...Da Klara die meisten Detailsrückmeldungen hat, würde ich bitten, alle, die die nicht durchackern wollen, aber trotzdem miteinsteigen würden, auf die FETTEN „was meinen die anderen zu achten und, wenn Lust dazu besteht, da kurz Rückmeldung zu geben könnten...das wäre toll...

Erst mal zum Titel:
Danke, Gurke für deine Unterstützung....ich kann den Titel nicht ändern „LEOnie ;-) (fällt mir jetzt erst auf)...(und auch Klara und Gerda jetzt), die Geschichte handelt ja eben nicht vom ersten Schnitt, sondern davon, dass es immer weiter geht. Mir gäbe der gekürzte Titel falsche Hinweise. Auch macht es mir nichts, dass der Titel gleich „alles“ verrät, meine Geschichte ist ja keine mit Spannungsbogen oder großer Auflösung, es „soll“ sogar von Anfang an alles klar sein und trotzdem eben genau so passieren, das mag ich für mich und kann ich nicht ändern (Zudem steht ja gleich in Absatz 2 die „Auflösung“, das macht dann auch keinen Unterschied.
Zu den Jennyyys: Ja, ich weiß, dass ich die immer hinschreibe – aber...ich mag mich nicht davon trennen, für mich passt es, vor allem, wenn man es laut liest, man SOLL ja genervt davon sein.

Tom: Ich hab mich so gefreut dich hier zu lesen, ehrlich! Und das du wahrhaftig sagst, ist mir gerade bei der Sprache aus deinem Mund schon echt ne Menge wert. Daher wäre es für mich eine Riesenhilfe, wenn du mir bezüglich des problematischen Mittelteil (bitte nimm die überarbeitete Fassung), alle Stellen, die in deinen Augen Schwachstellen sind, aufzeigen könntest...damit würdest du mir sehr helfen, ich brauch da echt noch Übung und vertraue da deinem Feingefühl.

Peter: danke...das ist wieder einmal ganz eigen zu lesen...ich hätte nicht gedacht, dass so eine Geschichte dich „fangen“ könnte (in Teilen zumindest...soweit ,dass sie dir einen Kommentar entlockt).

Klara: ich dank dir und bin immer für jeden Hinweis dankbar, das hat sicher lange gedauert und ich schätze das. Einiges habe ich übernommen, einiges nicht, auf einiges gehe ich nicht mehr ein, bei einigem hab ich noch warum oder warum nicht geschrieben, dann gibt’s noch einige Rückfragen. Wirklich ein dickes, rundes Danke, genau so was brauche ich! (siehe unten) (zu deinem erneuten Kommentar muss ich erst mal nachdenken, kann sein, dass der Text sich dawirklich als text/Geschichte entlarvt...ich weiß aber nicht genau, ob das nicht ok ist...vor allem, dass Leo am Ende den Gedanken wieder aufgreift vom Lied hat nichts damit zu tun, dass sie es noch immer hören sollte...ich könnte das Musikzitat wegnehmen, vielleicht wird es dadurch noch deutlich...denk an dein „who keeps the bus...da ist das ähnlich gestaltet...es ist schon wahr, es ist ein Motiv...aber vielleicht kann man das dem Text auch zugestehen...

Zum Grundsätzlichen: (pan &Gerda und ob es aufgeht....)...annette hat das genannt, was die Gründe angibt....mir fällt noch etwas mehr ein:
1) Leo wird gar nicht als gut dargestellt, auf der „Wahrheitsebene“ des Textes gibt es gar kein gut und böse oder richtig oder falsch, es geht immer nur weiter (ganz wichtig für mich) und es gibt verschiedene Versuche (Evolutionsbräute oder Leos Variante) zu versuchen sich zu behaupten. Leo ist aber keine Figur, ich glaube, das dieser „fehler“ dem Leser unterläuft, weil es meistens so ist, dass der Protagonist erzählen soll wie es läuft, also noch mal, Leo ist aber keine Figur, die erzählen soll, was richtig oder falsch ist, im Gegenteil, sie macht jede Menge falsch.... und klüger ist sie schon gar nicht. Sie ist reflektierter und setzt ihr Verhalten als „richtiger“ als das der anderen, aber dass Leo das behauptet (und sie behauptet das ja sogar nur primär, letzlich weiß sie ja sogar, dass sie so nicht weiterkommt) steht nicht, dass es das auch ist...Von daher: Natürlich ist es „unverständlich“, dass sie das mitmacht, aus meinen Augen aber sehr gut möglich, dass sie das alles macht (annette nannte die Gründe, gleich noch mehr). Leo soll niemand sein, der irgendetwas meistert. Gut ist, über anderen steht oder besser macht...so redet sie nur, sie verstrickt sich doch in allem, genauso wie die anderen (oder pathetisch: noch mehr).
2) Klara: Ob sie sich die erste Wunde selbst zufügt.,.hmm...das ist mir eine fast zu pathetische Überlegung, es ist mir eigentlich egal, ob die erste Wunde eigenständig oder durch einen andern zugefügt wird (das ist psychologisch oder soziologisch oder welche Wissenschaft man auch immer bemühen möchte, nicht zu klären, ebenso wenig wie Biologie belegen oder widerlegen kann, ob es einen Gott gibt...die „Wahrheit“ darüber liegt auf einer anderen Ebene....für mich jedenfalls...und so spielt es keine Rolle für mich, wer die Wunde wann wem zugefügt hat, die Schuldfrage (das Ich oder die andern) interessiert mich einfach gar nicht....es spielt für mich nur eine Rolle, dass die Wunde da ist und es mit ihr immer weitergeht.....es geht mir um das Gefühl der Wunde selber...und nicht (Brückenschlag wieder zu gerda& pan), darum was richtig wäre zu tun oder was falsch ist...
3) Wäre es für mich viel zu langweilig eine Figur zu schildern, die dumm ist (oder nur nicht schlau) und so was macht...worin läge der Reiz? Mir ging es darum, dass Leo es trotz ihrer Klugheit nicht anders vermag als alle anderen auch, und ich halte das für realistisch, wenn man eine Wunde hat.
4) Wichtig ist natürlich, dass es glaubwürdig ist, dass Leo so was tun würde. Sicherlich hat die Geschichte (ich übe ja noch) Schwächen, die bedingen, dass einige Leos Verhalten der Geschichte nicht abkaufen können. Davon ab glaube ich, gibt es aber auch etwas Grundsätzliches, warum nicht jeder Leser Leo abkaufen kann, was sie tut. Weil sich nicht jeder in so eine Entscheidung hineinbegeben mag, weil es vielleicht zu ungesund, ja (krank?), zu schwach und zu unsinnig ist...eben, wie sie selbst sagt, nicht lebenstüchtig.. ist...ich glaube, aber dass es so etwas gibt und zwar sehr oft...einmal haben, was man nicht haben kann, was man aber auch nicht ändern kann, haben zu wollen (und das haben hier gleich sex ist legt ja nicht leo fest, sondern Sebastian, da, siehe Text, Begehren = Liebe)...selbst wenn man weiß, dass es völlig unsinnig ist...dieses selbst wenn ist genau das, was mich interessiert...das heißt ich wollte eine Figur aufbauen, die bis an die Grenze geht, von dem, was man wissen kann, um zu zeigen, dass das wissen gar nichts, aber auch gar nichts nützt (vielleicht ist das der springende Punkt, dass ihr mir da nicht folgen wollt? Dass wissen nichts nützt?).
Dieses selbst wenn muss man in dieser Geschichte also schlucken...darüber hinaus kann es aber sein, dass mir das auszeichnen, dass dieses selbst wenn dann auffängt nicht gut gelungen ist...wenn ihr da konkrete Vorschläge habt, wäre ich sehr dankbar und würde versuchen, das mehr ausgestalten...(das geschlagenwerdenmotiv werde ich aber nicht mehr ausführen, das muss so bleiben)...- wie könnte ich noch mehr deutlich machen, dass trotz allem Durchdenken Leo nicht anders kann?
Die neue Version füge steht oben aktuell drin, die ganze Kursivsetzungen füge ich ein, wenn die Endversion steht, weil ich das sonst jedes Mal neu editieren muss.
Danke für die Riesenmühe....und wenn ich’s noch besser machen kann, will ich das versuchen...
Liebe Grüße,
Lisa

Klara-Details ;-):


Zitat:
Jenny ist Sebastians Ex. Er will sie heute zurück und ich soll ihm dabei helfen, darum sitz ich hier mit ihm im Auto, bin wie immer das Anstandswauwauchen, das letzte Ass in seinem Hosenschlitz.


Ass im Hosenschlitz finde ich wenig überzeugend. Nicht nur, weil es (oder?) weniger um Potenz bzw. Sex zu gehen scheint als um Gefühle.

Doch, darum geht es, wie das letzte Ass des Falschspielers im Ärmel ist Leo die, die als letzter Joker in Sachen Liebesdingen hinhält. Und dass sie Sebastians Liebesdinge als primär sexorientiert darstellt, für solche hält, soll Leo charakterisieren. Für mich passt das.

Zitat:
„Bitte, Leo, du musst mitkommen und mit ihr reden, keiner außer dir biegt das wieder gerade, nur noch dieses eine Mal. Mit Jenny(yy), das ist echt was Ernstes, das will ich hinkriegen“, hatte Sebastian mich belabert und wie zum Beweis eines dieser samtenen, blauen Verlobungsringkästchen aus seiner Jackentasche gezogen.


das würde ich – ohne Plusquamperfekt – in Klammern setzen. Gleiches gilt für die folgenden Rückblenden.
Das ist deine Art Plusquamperfekt, die in deinen Texten super sitzt und wirkt, aber ich kann das so nicht machen, ich brauche die ganzen hatte/gwesen/könnte/...ich mag dieses manische an der Sprache, es darf ruhig ein bisschen krank, umständlich und zu gesteigert klingen ;-).
Zitat:
hinter ihm an der Leine humpelt sei Frauchen auf blauen Pumps durch den Schnee. Bestimmt darf er seinem Dämchen abends auf dem Sofa die Salamischeiben aus dem Mündchen schlecken.


seiN Frauchen
darf er IHR (statt seinem Dämchen)

na klar @sein , aber Dämchen lasse ich. Es soll nerven und außerdme wiederholt sich sonst Frauchen.
Zitat:
Natürlich bin ich nur so gut darin, weil ich Sebastian liebe.



Das finde ich überflüssig, man errät es sofort. So ausgesprochen klingt es platt und klischee. Außerdem wird es ja dann erklärt.

Ja, vielleicht hast du recht, da hätte ich gerne andere Rückmeldungen, ich bin unsicher....was meinen die anderen?



jedeR Kaugummi
<-- beides geht (wie bei Cola die, das etc. @amerika...)

verschmelze falsche Zeitform >
ähm...:iconredface: wie heißt sie richtig? Verschmölze? ;-)?
würde er zu einem Teil der Einrichtungsgegenstände?
Einrichtungsgegenstände klingt wie eine EU–Verordnung > vielleicht Möbel?


Zitat:
Sebastian hat den Motor abgestellt, wir sind da. „Leo, das hier ist wichtig für mich“, sagt er ganz ernst und fasst mit seiner Hand mein Gesicht, dreht es so, dass ich ihn anblicken muss.
Ich verziehe die Augenbrauen, weiß nichts zu sagen, nicht mal was Sarkastisches oder Albernes fällt mir noch ein. „Danke, dass du mitgekommen bist“, hängt er noch hinten dran. Dann springt er aus dem Wagen, ist schon ganz woanders, mitten im Spiel, klingelt an Jennys Wohnungstür.


Es ist gut geschrieben, aber klingt für mich trotzdem nach Klischee, nach Film, seine Sätze und das mit dem Gesicht.
Ich meine, ich glaube, ich kenne das, aber der hat mir nie das Gesicht genommen, das war subtiler, ließ mich viel hungriger, weißt du, was ich meine?

Ja, vielleicht ist es ein bisschen von beidem, es soll ja durchaus Klischee sein (Sebastian funktioniert ja amerikanisch potent, dazu gehören auch Filmhandlungen, aber vielleicht ist es zuviel des Guten an dieser Stelle. Ich könnte es entweder Leo reflektieren lassen, oder anders formulieren? Hast du gerade zufällig eine Zaubergeste von Männern parat die emotional filmreif ist, aber noch nie Premiere hatte? Hier könnte ich Hilfe gebrauchen...

Zitat:
Sebastian kann das natürlich nicht sehen, natürlich steht er zu nah an der Hauswand dafür.


natürlich würde ich streichen. Es ist abgenutzt, um Authentizität rüber zu bringen. Außerdem unnötig. Oder was für einen Mehrwert bringt hier „natürlich“?

Es kommen unzählige natürlichs vor, steigert sich sogar bis zu einem natürlich (natürlich)...eine dieser Übertreibungen, die Leo zeichnen und den Leser nerven lassen sollen. Ich überlege generell noch, das rauszunehmen...mal gucken, dazu brauch ich noch etwas Abstand zum Text.

Zitat:
Jennyyy wird ihre Sache gut machen, das weiß ich. Ich hab sie in den acht Monaten, die das mit Sebastian jetzt läuft,


die das – ähem.

Hm? Ist doch korrekt? Und so störend? Sagt man doch so? wie besser?

Zitat:
nur wenige Male gesehen, aber dass sie eine von denen ist, die es verstehen zu leben,


zu leben verstehen? Besser: die wissen, wie es läuft?


Ja, viel besser, da habe ich lange dran gebastelt und es nicht hingekriegt, danke dafür!!
Zitat:
immer um ein schönblondes Haar ungebildeter als Sebastian selbst und entweder zickig oder bräsig nah am Wasser gebaut;


besser fände ich (weniger klischee): immer ein paar Millimeter unter seinem Niveau
hmmm....deine Version klingt zwar auch nicht schlecht, aber es soll ja eben Bestätigung des Klischees sein, es ist ja wirklich so...außerdem wäre das wunderbare (augenroll) Wortspiel mit dem schönblonden Haar nicht mehr im Text, was ich wieder mal für die Manie brauche ;-).
Zitat:
die debile gute Fee oder der pubertäre Vamp.

widerspricht dem Vorlauf: ist Sebastian nahe der Debilität?


Damit sind doch die Frauen gemeint? Typus Frauen...

Zitat:
Jennyyy toppt natürlich alle bisherigen Exemplare, auch was den Arsch angeht, ich setze alle Hoffnungen in sie.


Natürlich streichen.
Besser als „ich setze alle Hoffnungen in sie“ wäre: Sie ist meine Favoritin.


Überleg ich mir noch...


dadurch bis machen streichen?


Hab ich jetzt mal geändert, auch wegen gerda und pandora, die stelle war ursprünglich etwas anders und ich habe sie jetzt wieder hergestellt.

Natürlich verachte ich sie, aber das nützt mir nichts, weil Verachten immer aus einem Schmerz heraus geschieht, etwas zwar immer und immer wieder zu verneinen, aber doch nicht anderes als genau dieses wünschen zu können. Nicht loszukommen von etwas, was man hasst.





Zitat:

Mir ist es schlicht unbegreiflich, mit welcher Leichtigkeit sie es verstehen zu bekommen, was sie wollen, ja, mehr noch, glücklich zu sein.


Besser: Ich verstehe nicht, wie die Tanten das schaffen. Was haben sie, was ich nicht habe – außer nem dicken Arsch?

Hab ich anders geändert

Zitat:
in Gesten ist er wirklich unschlagbar, die hauen rein, ja, diese Gesten und die gemeinsame Zeit, das sind eigentlich die einzigen Gründe, warum ich Sebastian lieben muss.


die hauen rein, ja streichen.

Ja, ich weiß nicht...ich weiß, dass man es streichen könnte....aber vielleicht muss es auch...was stört dich daran? (der grund entscheidet dann, ob ich es streiche ;-)

Zitat:
Alles andere an ihm ist im Grunde fad, manchmal fast schnöselig, geradezu amerikanisch potent. Viel zu ungebrochen. Das einzig Gebrochene, was er hat, bin ich.


Das einzig Gebrochene, was ich bei ihm finde, bin ich?


Ich habe geändert: Das einzig Gebrochene an ihm bin ich.

Zitat:
den Schmerz nahm ich gerne dafür hin. Sebastian streichelte mir dann hinterher das Gesicht oder schimpfte meinen Vater ein Schwein. Am liebsten aber sah ich, was sein Mitleid mit seinem Gesicht machte, wie es mich anblickte. Ich wusste, so schaute er sonst nur, wenn er jemanden begehrte und begehren, das ist seine Art zu lieben.


Das verstehe ich nicht: Bemitleidet er die Tussen?

Nein, da steht ja: sein Blick war dann so WIE, wenn er begehrte = gleicher Blick, aber nicht derselbe Anlass. Ich behaupte, dass es Männer gibt, wo Mitleid und begehren ganz ähnlich funktionieren ;-)
Zitat:
doch alle mal ein Schritt in die richtige Richtung!


allemal

wie ich’s geschrieben habe, ist es sicher falsch, aber deine Version steht nicht im Duden. Bist du sicher? Alle Mal? ~~~ hilfe...
Zitat:
Das ist ja das ganze Geheimnis dieser Menschen, dass sie nicht wissen, wie ferngesteuert sie sind, dass sie nicht checken, was alles abläuft in ihnen und sie dazu bringt, das zu tun, was sie tun: heulen, schreien, lästern, behaupten und allen voran, natürlich – ficken. Wie der Hamster im Laufrad. Und trotzdem, das ist das Spiel und das Spiel ist der Weg zum Glück.


Hier beantwortet Leo ihre Frage von weiter oben – und führt ihr eigenes Unverständnis ad absurdum. Das sollte dann auch so angeschlossen werden, meine ich:

Etwa: Mir geht ein Licht auf! Das ist wahrscheinlich das ganze Geheimnis dieser Barbiepuppen, undsoweiter

Ist durch oben jetzt anders. Habs noch leicht variiert.
alleM voran
das ist das Spiel, KOMMA und das Spiel ist der Weg zum Glück.
Ich würde das noch ein kleines bisschen ausführen:
Sie denken nicht. Sie machen einfach. Sie lassen sich machen.
(Oder so.)

das Komma muss nicht...und die Ausführung...du hast es doch genau verstanden, also reicht es mir....diese wenigen „Wahrheiten“ sollen schon etwas versteckt/ruhig sein.

Zitat:
Einen Moment hab ich noch, dann muss ich raus. Ich mache das Handschuhfach auf, zünde mir eine von Sebastians stinkenden Zigaretten an, heute will ich keine von denen sein, die gut duften.

gut duften ist doppelt: gut riechen?

Ja, stimmt! Wie dumm, danke, dass du es gemerkt hast...ich nehme gut raus...*herrlich*
Zitat:

dass es etwas zählt, was man ist, dass man kein anderes Mittel hat als eben genau dieses.


das ist ungenau und unschön formuliert
Ich verstehe so: dass es darauf ankommt, dass ich ihm das gebe, was nur ich ihm geben kann.
Neee...meine (unschöne) Formulierung sagt genau, was sie sagen soll, deine sagt doch etwas ganz anderes...muss so bleiben, fürchte ich...
Zitat:
Was ich Jennyyy genau sagen werde, weiß ich noch nicht, mir wird schon das richtige einfallen, hohl werde ich mich anhören, wie ein Apparat werde ich alibisieren und doch an das genaue Gegenteil denken.


alibisieren – äh, ist das Jargon?

Nö, hab ich mir ausgedacht wie andere Worte auch, ich finde, das passt (schön ätzend) ;-)
Zitat:
Dass ich lüge, wenn ich sage, dass Sebastian sie nicht betrogen hat, was ich nicht weiß, weil er auch sonst immer alle betrogen hat, denen ich das Gegenteil erzählt habe, sondern weil ich die war, mit der er sie betrogen hat. Dass einzige, was an meinen Beteuerungen Wahres dran sein wird, ist, dass das alles keine Rolle spielt, dass es nicht die geringste Bedeutung hat, nicht die mindeste.


Versteht man nicht einfach so.
Meinst du: Leo erzählt ihr, dass es keine Gefahr gibt, weil Sebastian ja nur mit ihr, Leo, untreu war? Oder erfindet sie die Untreue mit Leo, die ja ungefährlich ist? Und wenn Leo mit Sebastian im Bett war: War das dann öfter? Weil sie ja nicht zum ersten Mal eine Betrogene beruhigt?


Ich habe ein diesmal eingefügt, dann sollte es klar sein:

Dass ich lüge, wenn ich sage, dass Sebastian sie nicht betrogen hat, was ich diesmal nicht weiß, weil er auch sonst immer alle betrogen hat, denen ich das Gegenteil erzählt habe, sondern weil ich die war, mit der er sie betrogen hat. Dass einzige, was an meinen Beteuerungen Wahres dran sein wird, ist, dass das alles keine Rolle spielt, dass es nicht die geringste Bedeutung hat, nicht die mindeste.


Zitat:

„Leo, ich weiß wirklich nicht mal mehr, mit welcher der vielen Schlampen ich es auf der Party neulich getrieben haben soll, ich war so breit, bestimmt hab ich nicht mal mehr richtig einen hoch bekommen“, hatte Sebastian zu mir gesagt, als ich vorhin nicht einsteigen und mit hierhin kommen wollte und mein Körper war ganz weich geworden, er war gar nicht mehr richtig vorhanden gewesen, und Sebastian schob mich ins Auto. Und ob du einen hochgekriegt hast.

Redet jemand wirklich so zu seiner besten Freundin? Schlampen und getrieben und hoch bekommen? Ich weiß es nicht – ich frage. Für mich klingt es unwahrscheinlich.

Ich weiß nicht genau, die beiden sollten hart gegeneinander sein, vielleicht sollte ich das weiter oben noch durch einen Satz vorbereiten, das mache ich mal :
Als ich größer wurde, provozierte ich manchmal, dass mein Vater mich schlug, wenn Sebastian bei uns war. Es war in dieser Zeit schon schwieriger für mich, von Sebastian beachtet zu werden, den Schmerz nahm ich gerne dafür hin. Sebastian war dann nicht so hart gegen mich, wie es sich zwischen uns ansonsten eingespielt hatte durch die lange Zeit, als sei ich nur sein bester Kumpel und darüber hinaus gäbe es nichts.

Noch nicht rund? Wie besser?




gleicht er meinem Vater.

Versteh ich nicht: Wen hat der Vater denn nicht angerührt?

Niemanden, das ist ein Bezug zu der Löwenbabytheorie...ich habs mal klarer versucht

Sebastian treibts doch nicht mit seiner „Schwester“, in diesem Punkt hat er genau so einen guten Riecher wie mein Vater, Löwenbabyriecher.
Noch zu blöd?
Zitat:
„Lass mich in Ruhe, Jahn“, gab ich zurück und trank aus der Flasche, die ich mit hochgenommen hatte.


Ist Jahn ein ungeläufiger Nick für Sebastian? Seb? Sebbe? Ganz was Anderes?
Zitat:


Ja, ist es, leos spezieller (insgeheim ist das eine Parodie auf „Basti“, eine Abkürzung, die wohl eher eine Jennnyyy verwenden würde. Sepp hatte ich mir auch schon überlegt, mich an dieser Stelle aber gegen das harte und für das weiche (echte) entschieden.

Sebastian sah sich um. „Ey, sind wir hier nicht in dem Schlafzimmer dieses Typen....wie heißt der noch gleich...ich,...kenn den, ...na jedenfalls, von dem, der da hier die Party....?“

Der Satz ist in der Situation unglaubwürdig. „Schlafzimmer der Eltern des Typen“ – im doppelten Genitiv redet man und vor allem Mann glaub ich nicht unbedingt,in so einem Moment, oder? Und das Verbessern von „schmeißen“ verstehe ich auch nicht. Lass ihn lieber schnoddern.


Habs geändert:
Sebastian sah sich um. „Ey, sind wir hier nicht in dem Schlafzimmer von den Eltern dieses Typen....wie heißt der noch gleich...ich,...kenn den, ...na jedenfalls, von dem, der da hier die Party....?“


Z
itat:
Ich meine, natürlich kann man sagen, die erste Wunde ist die, die alle andern Schnitte erst tiefer ins Fleisch dringen lässt und insofern, als sie alle folgenden bedingt, die tiefste. Aber gut ist es damit ja nicht, es geht ja immer weiter. Wichtiger wäre es für mich jetzt wohl, mir einen Kalender anzuschaffen, in den ich eintrage, wann ich vorhabe mit wem zu ficken bzw. mit wem nicht, um ihn später oder einen andern zu ficken.

Würde ich umformulieren:
Klar, stimmt schon, ohne den ersten Schnitt ins Herz gäbe es ja keine Wunde. Aber es geht ja immer weiter, und vielleicht ist das sogar viel schlimmer, dass es immer weiter geht. Dass man irgendwann nicht mehr dran glaubt, dass es irgendwann mal anders sein könnte.
(Alles mit dem Fick–Kalender würde ich weglassen, erschließt sich nicht aus dem Zusammenhang, dass es vorrangig ums Ficken geht. Ich weiß, das ist eine Erstatzhandlung, aber das kommt mir arg platt vor, so zu denken. Ich meine: Selbst wenn man in dem Moment so denkt – was ich gar nicht bezweifle! – WIRKT es platt, so wie es oben geschrieben wird. )


Hab die Stelle mit dem Kalender rausgenommen (danke auch, TOM!), habt shcon recht, denke ich. Den Rest habe ich leicht variiert.

Zitat:
. „So geht’s schneller.“
„Hm?“, fragt Sebastian abwesend.
„Ach nichts“, sage ich und schaue hoch zum Fenster, wo Jennyyy steht und sieht, dass ich gesehen habe, dass sie mich sieht.


Der letzte Absatz mit der Fliege ist mir zu holzhammermäßig. Die Botschaft war schon vorher angekommen. Ich würde den Dialog streichen und so weitermachen:

Ich stülpe meine Hand über die alte Fliege, steige aus und werfe sie in die Kälte.
Dann mache ich mich bereit und steige aus.
(Das ist jetzt nicht poetisch, ich meine nur als Richtung.)


Ich würde gerne noch haben, dass sie am Ende sagen kann „ach nichts“, das ist mir wichtig. Aber das „So geht’s schneller“ ist vielleicht wirklich zu dicke und überflüüsig. Wie wäre denn so`?

Ich stülpe meine Hand über die alte Fliege, steige aus und werfe sie in die Kälte, schau mich noch einmal zu Sebastian um.
„Hm?“, fragt er.
„Ach nichts“, sage ich und schaue hoch zum Fenster, wo Jennyyy steht und sieht, dass ich gesehen habe, dass sie mich sieht.


DANKE!
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Klara
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Beitragvon Klara » 02.02.2007, 15:09

Hallo Lisa,

nur ganz kurz:
das Ende, wie du es in blau hast in deiner Antwort, ist viel besser! (Ich würde sogar dem Nichts das Ach noch wegnehmen, vor allem, wenn sie so rau miteinander umgehen sollen, wie du es intendierst, aber das ist vielleicht Geschmackssache).
"Hm"?
"Nichts." ist ein starken Dialog ,-)

Du willst eine Männergeste, die die Frau bindet, aber nicht Klischee ist? Hm. Augenzwinkern? Oder Leo sagt dazu, in der Gesten-Szene, dass es ihr wie Klischee vorkommt - dass sie aber trotzdem glaubt?
Oder eine ganz eigene Geste, die nur die beiden haben, zum Beispiel, dass er seine Stirn von der Seite an ihre Schulter legt... ja, das wäre gut, finde ich.
Schon seit Kinderzeiten. Zwar ist er immer der Tröster, nach schlagendem Papa, aber er ist ein Junge, der seiner Freundin die Stirn auf die SChulter legt, ohne dass sie dann was machen kann/soll, weil das unbequem und somit uncool wäre (sie müsste die Hand verrenken): ER lähmt sie damit und liebt sie damit.

lg
klara


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