o.t. (oder von kreuzungen)

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birke
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Beitragvon birke » 08.09.2015, 19:57

wenn sich unsere wege kreuzen
kreuzen sich worte
banal, sagst du, fatal
sage ich und die krümmung
deines rückens weicht
aus meiner hand
sprechen jahre
voller verästelungen
ich streck mich zum himmel
und du stehst neben mir
dein arm um meine taille
weiß nicht
wohin der weg führt
nach oben, sage ich, nach unten
und du blickst mich an
zum ersten mal
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.09.2015, 13:33

Hallo Diana,

dein Gedicht gibt mir Rätsel auf. Zum einen empfinde ich die Enjambements als zu abgehackt, sie fließen m.E. nicht richtig. Zum anderen habe ich auch inhaltlich Probleme, zu verstehen, worum es hier eigentlich geht.
Z.B. hier:
birke hat geschrieben:und die krümmung
deines rückens weicht
aus meiner hand

das ist sehr bildlich, jedoch sehe ich nur ein Bild, nicht die Metapher dahinter. Ich sehe einen Menschen, der einen sehr gekrümmten Rücken hat, vom LI gestützt wird und sich vom LI löst. Ich vermute aber, dass du hier etwas anderes aussagen möchtest, oder?
birke hat geschrieben:dein arm um meine taille
weiß nicht
wohin der weg führt
nach oben, sage ich, nach unten

Auch dieser Passus ist verwirrend für mich. Ich denke immer, da fehlt etwas nach "unten".
Du siehst, ich versteh nur Bahnhof. ;-)

Liebe Grüße
Mucki

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birke
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Beitragvon birke » 09.09.2015, 17:25

naja, bahnhof hat ja auch immerhin etwas mit wegen zu tun ;)))
schade, mucki, aber nicht so schlimm, ja, ist vielleicht bissi komplex und undurchsichtig.
ich mag da auch gar nicht viel erklären, außer vielleicht: nicht der (mensch mit dem) rücken weicht, sondern die krümmung!
und die verwirrung zum schluss … naja, darum geht’s ja im grunde, es gibt halt viele wege. :)
danke sehr für deine rückmeldung!

liebe grüße
diana
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Niko

Beitragvon Niko » 09.09.2015, 19:29

hallo diana,
ein bisschen anders, dieser text von dir. aber....mir gefällt er sehr. er ist vieldeutig. und du arbeitest hier, wie ich finde, sehr gekonnt mit den zeilensprüngen (im ersten teil und fast unmerklich im zweiten teil) dieses unmerkliche bringt dann auch eine richtung, die es mir stimmig macht. der griff um die tallie - der kern für mich. "meine taille weiß nicht, wohin der weg führt (das ist diese ganz unscheinbare zeilenspringung) // der weg führt nach oben / ,sage ich, / nach unten
die stelle ist durch das "sage ich" schwierig, weil es falsch erscheint. ich empfinde es so, als schriebest du: geht der weg nach oben (gedacht: brustwärts), sage ich: es geht nach unten (im übertragenen sinne: es geht abwärts). so macht mir das "zum ersten mal ansehen" auf perfekt einen sinn.

ich mag das dingen hier total. man muss sich reinfuchsen, muss (will) mehrfach lesen und stück für stück tun sich ebenen auf, die ich finde, und du garnicht mal meinen musst. und den ersten teil hab ich noch nichtmal erwähnt. aber der ist nicht minder schlecht. gekonnt die zeilensprünge. "die krümmung deines rückens weicht aus meiner hand // aus meiner hand sprechen jahre" - genial! DASS macht bei mir gute lyrik aus. und vor allem, diana, wichtiger als jedes wort, das dort steht ist diese dichte stimmung, diese enorme schwingung in diesem text.

ich sage nicht *chapeau*
ich sage: ich ziehe den hut vor solcher kunst (für mich!)

beste grüße - niko

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birke
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Beitragvon birke » 10.09.2015, 10:07

boah, niko, nun bin ich echt baff und sprachlos! vor freude :-)
dem ist echt nichts hinzuzufügen, du hast echt so ziemlich alles, was ich hineingelegt habe, herausgelesen - und das verblüffende ist - nicht nur das!
es gibt tatsächlich ein/ zwei stellen, zeilenübergreifende, die mir nicht derart bewusst waren, zb "meine taille weiß nicht...", ich hatte es nur auf den arm bezogen.
freu mich riesig, über deine interpretation, was du alles im text findest, und über die anerkennung - aber bitte nicht übertreiben, ich werd ja ganz rot :) ganz herzlichen dank, lieber niko!
liebe grüße
diana
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Hetti
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Beitragvon Hetti » 13.09.2015, 15:01

Hallo Birke,

leider bin ich ein wenig krank, deshalb poste ich erst jetzt:
Deinen Text finde ich sehr interessant. Obwohl er für mein Empfinden nicht an allen Stellen für sich spricht :smile: . „Die Klingen kreuzen“ steht für mich für den Beginn einer Fehde. Deshalb hatte ich auch interpretiert, dass sich der Rücken vor Qual krümmt. Dass du es so liest, dass er sich unter deiner Hand aufrichtet, hat mich daher überrascht.
Das oben und unten gerät in Verbindung mit der Taille sehr ins körperliche, oder? Also ich lege oben dann mit Kopf aus, oder Herz, unten entsprechend mit unteren Körperteilen. Wäre vielleicht voran oder vorwärts, nach vorne gerichtet oder ähnliches (Horizont) nicht umfassender als oben und unten?
Aber dieses „ und du blickst mich an zum ersten Mal“, finde ich dann wieder sehr vielsagend und inspirierend.
Soweit einige meiner Gedanken.

liebe Grüße
Dede

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birke
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Beitragvon birke » 13.09.2015, 17:13

hallo dede,

oh, der text sollte schon für sich sprechen, das, was ich als autorin "lese", bzw. meine, ist ja erstmal zweitrangig.
deshalb schrieb ich ja an mucki auch, dass ich gar nicht viel erklären wolle. und wenn du den text so liest, dass sich am anfang "klingen kreuzen" (was ja so gar nicht im text steht) und deshalb sich der rücken vor qual krümmt, ist das sehr interessant für mich, wenngleich auch nicht zur gänze nachvollziehbar. aber ich denke, berechtigung hat hier jede lesart, sofern sie irgendwie der text zulässt.

(dennoch noch mal kurz zur "rücken-stelle" ;-), im text steht ja:

… und die krümmung
deines rückens weicht
(aus meiner hand
…)

also, die krümmung weicht, weicht aus … ob sich dadurch der rücken aufrichtet? vielleicht, ja. (warum auch immer er gekrümmt ist, ich denke, das bleibt hier offen?)

was das „oben und nach unten“ angeht, ja, stimmt, das ist auch eine anspielung aufs körperliche, so gewollt, und eben drüber hinaus, zum himmel, zur erde (?) oder wie auch immer man das lesen mag.
nach vorne, und rückwärts … das wäre auch noch ein wortpaar, das mir hier evtl passen würde… ich weiß nicht, werde noch mal nachdenken über diese stelle.

danke dede, und gute besserung!

liebe grüße
birke
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Niko

Beitragvon Niko » 13.09.2015, 17:59

Die krümmung des rückens weicht aus der hand...

Mal dsvon ab, das theoretisch auch "das rücken" gemeint sein könnte, ist die frage, ob ein gekrümmter rücken ausweicht, oder ob ein rücken sich im ausweichen krümmt.
Wenn wege und worte sich kreuzen, ist theoretisch auch kreuzung im sinne von vermischen denkbar. Aber selbst wenn nicht, so ist hier das kreuzen für mich positiv besetzt. Kreuzungen bergen neue richtungen in sich.

Die deutsche sprache ist einfach geil!

pjesma

Beitragvon pjesma » 27.09.2015, 14:15

ich mag den gedicht. ist komprimiert, ist mehrdeutig, ist authentisch. erotisch und melancholisch gleichzeitig...schön :-)
lg

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birke
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Beitragvon birke » 29.09.2015, 11:25

danke, pjesma, freut mich besonders, dass du diese stimmungen erspüren kannst :)
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Kurt
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Beitragvon Kurt » 30.09.2015, 00:09

Liebe Birke, mir erging' s ähnlich wie Niko mit deinem Gedicht. Und beim zweiten Lesen ließ ich mich einfach fallen, gab mich sozusagen den Zeilen einfach hin und es ergaben sich mehrschichtige Eindrücke. Abba, du weißt ja wahrscheinlich, dass ich in der modernen Lyrik sehr unsicher bin, was die Ausführung anbelangt und sage meist lieber nichts dazu. Habe es still genossen.

LG Kurt
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

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Beitragvon birke » 30.09.2015, 17:52

hey, kurt, danke sehr!
umso mehr freut mich deine rückmeldung,
ich kann ja mit jedem lese-eindruck etwas anfangen.
(und dieser ist ja nun echt schön!)
liebe grüße
birke
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