Der ungeheure Raum
Der Skorpion saß auf der Schreibtischplatte und bewegte sich nicht.
Frank wagte nicht, ihn zu berühren. Er war angespannt, doch die Hand, die den Kugelschreiber hielt, zitterte nicht.
Das Zimmer atmete schwer und rasselnd, als sei es lungenkrank. Die Pflanzen auf der Fensterbank schrien nach Wasser, doch Frank hörte dies nicht, zu gebannt starrte er auf den Skorpion.
Gern hätte er eine Zigarette geraucht und weiter nachgedacht. Doch das angespannte Schauen hinderte ihn daran. Die Pflanzen auf der Fensterbank bäumten sich nun auf vor Durst. Das Zimmer faltete sich ineinander und schrumpfte, als würde aus ihm die Luft entweichen, doch Frank bemerkte dies nicht. Er legte den Kugelschreiber aus der Hand und streckte entschlossen dem Skorpion die Hand entgegen.
Eine kleine Motte flog dem Licht entgegen und landete auf der Glühbirne der Schreibtischlampe. Die Birne erlosch, das Zimmer seufzte. Die Motte flog davon, der Stachel des Skorpions bohrte sich ins Fleisch und die Pflanzen auf der Fensterbank verstummten und warteten geduldig auf die ersten Sonnenstrahlen.
Es war ein kurzer Stich, er tat kaum weh. Frank betrachtete die Hand. Er sah das Blut in seinen Adern fließen, das kurz zuvor empfangene Gift transportierend. Eine Frage von Sekunden, bis es das Herz erreichen würde. Doch dazu kam es nicht.
Der Kreislauf wurde angehalten, das Rad stand still, das Zimmer fächerte sich auf, an seinen Rändern verliefen schwarze Linien.
Wie von unsichtbarer Hand gezogen, mit Hilfe eines unsichtbaren Lineals, entstanden weitere Linien im Raum und bildeten geometrische Formen. Franks zuvor gestochene Hand glitt prüfend über das noch unbeschriebene Papier und tauchte ein in ein Quadrat. Er schob den ganzen Arm hindurch und folgte ihm dann mit dem Rest seines Körpers. Die Motte nutzte ihre Chance und schlüpfte hinterher, kurz bevor der erste Sonnenstrahl den Skorpion durchbohrte.
Die Pflanzen auf der Fensterbank begannen mit der ihnen auferlegten Photosynthese. Das Zimmer schwieg und Franks zuvor gestochene Hand tauchte kurz noch einmal auf und ergriff den Kugelschreiber.
(c)Franktireur
Der ungeheure Raum
Hallo Frank,
sehr bildhaft, ziemlich surreal. Die Handlung ist handwerklich sauber runtergeschrieben, wie man es von dir kennt.
Einziges Meckerchen:
"Das Zimmer faltete sich ineinander und schrumpfte, als würde aus ihm die Luft entweichen ..."
würde ich umformulieren in
"Das Zimmer faltete sich ineinander wie eine von unsichtbarer Hand zusammengedrückte Pappschachtel ..."
Schrumpfen und Zusammenfalten kriege ich bildlich nicht auf die Reihe.
Liebe Grüße
Marlene
sehr bildhaft, ziemlich surreal. Die Handlung ist handwerklich sauber runtergeschrieben, wie man es von dir kennt.
Einziges Meckerchen:
"Das Zimmer faltete sich ineinander und schrumpfte, als würde aus ihm die Luft entweichen ..."
würde ich umformulieren in
"Das Zimmer faltete sich ineinander wie eine von unsichtbarer Hand zusammengedrückte Pappschachtel ..."
Schrumpfen und Zusammenfalten kriege ich bildlich nicht auf die Reihe.
Liebe Grüße
Marlene
Hi Frank,
ach, das macht mich wieder ganz irre, dass ich nur so Ahnungen habe, was hier passiert! Hab die Geschichte jetzt ein paar Mal gelesen - und viele Fragen! Also, das mit dem Ineinanderfalten und Schrumpfen verstehe ich so: aus dem dreidimensionalen Raum wird durch das Ineinanderfalten ein zweidimensionales Quadrat und durch die Schrumpfung ein Rechenkästchen auf dem Block auf dem du (siehe Cafeecke) immer schreibst? Also muß es ineinanderfalten und schrumpfen sein! Mmmh, muss mal weiterdenken...
LG maria
ach, das macht mich wieder ganz irre, dass ich nur so Ahnungen habe, was hier passiert! Hab die Geschichte jetzt ein paar Mal gelesen - und viele Fragen! Also, das mit dem Ineinanderfalten und Schrumpfen verstehe ich so: aus dem dreidimensionalen Raum wird durch das Ineinanderfalten ein zweidimensionales Quadrat und durch die Schrumpfung ein Rechenkästchen auf dem Block auf dem du (siehe Cafeecke) immer schreibst? Also muß es ineinanderfalten und schrumpfen sein! Mmmh, muss mal weiterdenken...
LG maria
... also du schreibst ja über das Schreiben. Über den "magischen" Moment und wie sich der Raum dabei verändert. Zuerst liest es sich wie ein Trancezustand - die Realität wird zweidimensional und unwichtig. In dem Moment wo den Autor die "Muse küßt" - hier: "der Skorpion beißt" (obwohl: es passiert ja sehr aktiv - er läßt sich ja beißen, ist fast wie ein Flirt oder Hypnose?) und das Gift/die Thematik (?) ihn "infiziert" kommt es zu einem Wandel und die Geschichte, das Gedicht, halt das Schreiben wird dreidimensional - im Gegensatz zur Realität (was auch immer das ist):
Zimmer fächerte sich auf, an seinen Rändern verliefen schwarze Linien.
Wie von unsichtbarer Hand gezogen, mit Hilfe eines unsichtbaren Lineals, entstanden weitere Linien im Raum und bildeten geometrische Formen.
... das hört sich wieder nach Rechenkästchen-Schreibpapier an, jetzt eben als dreidimensionaler Raum. Dann taucht Frank in diese Welt des Schreibens ein. Das beschreibst du sehr gut, man sieht das förmlich vor sich. Sehr witzig:
Franks zuvor gestochene Hand tauchte kurz noch einmal auf und ergriff den Kugelschreiber.
Sehr gerne gelesen! Bin auf deine Antwort mal gespannt, bzw. auf weitere Meinungen!
LG maria
Fragen, die du natürlich nicht beantworten mußt (soll ja nicht die "Magie" vertrieben werden, durch die ganze Interpretiererei - aber macht Spass, auch wenn ich daneben liegen sollte):
Wer sind die Pflanzen, die Frank unbeachtet läßt und die ihrer Welt/ihrer Natur nicht entkommen können, wie der glückliche Dichter?
Wer oder was ist die Motte (die ich in dieser Geschichte sehr schön finde, sie kommt so leicht und lebendig rüber, die Glückliche kann dem Dichter folgen!)?
Zimmer fächerte sich auf, an seinen Rändern verliefen schwarze Linien.
Wie von unsichtbarer Hand gezogen, mit Hilfe eines unsichtbaren Lineals, entstanden weitere Linien im Raum und bildeten geometrische Formen.
... das hört sich wieder nach Rechenkästchen-Schreibpapier an, jetzt eben als dreidimensionaler Raum. Dann taucht Frank in diese Welt des Schreibens ein. Das beschreibst du sehr gut, man sieht das förmlich vor sich. Sehr witzig:
Franks zuvor gestochene Hand tauchte kurz noch einmal auf und ergriff den Kugelschreiber.
Sehr gerne gelesen! Bin auf deine Antwort mal gespannt, bzw. auf weitere Meinungen!
LG maria
Fragen, die du natürlich nicht beantworten mußt (soll ja nicht die "Magie" vertrieben werden, durch die ganze Interpretiererei - aber macht Spass, auch wenn ich daneben liegen sollte):
Wer sind die Pflanzen, die Frank unbeachtet läßt und die ihrer Welt/ihrer Natur nicht entkommen können, wie der glückliche Dichter?
Wer oder was ist die Motte (die ich in dieser Geschichte sehr schön finde, sie kommt so leicht und lebendig rüber, die Glückliche kann dem Dichter folgen!)?
Hi Maria, danke fürs Lesen und Kommentieren.
Deine Interpretationen gefallen mir - hier und da kommen sie dem sehr nahe, was mir selbst dabei durchs Gemüt ging.
Bei diesem Text gibts allerdings keine "richtige" oder "falsche" Interpretation. Wer sich z.B. mit Symbolik befaßt, liest einiges anders/mehr heraus...
In der Mystik/Magie steht z. B. der Skorpion für weitaus mehr als nur für ein giftiges Spinnentier usw.
Von daher möchte ich da auch gar nix erklären.
Zu den Pflanzen nur so viel: die machen Ihre Arbeit - ich mache meine (ist so eine kleine witzíge Nebenbedeutung).
Gruß
Frank
Deine Interpretationen gefallen mir - hier und da kommen sie dem sehr nahe, was mir selbst dabei durchs Gemüt ging.
Bei diesem Text gibts allerdings keine "richtige" oder "falsche" Interpretation. Wer sich z.B. mit Symbolik befaßt, liest einiges anders/mehr heraus...
In der Mystik/Magie steht z. B. der Skorpion für weitaus mehr als nur für ein giftiges Spinnentier usw.
Von daher möchte ich da auch gar nix erklären.

Zu den Pflanzen nur so viel: die machen Ihre Arbeit - ich mache meine (ist so eine kleine witzíge Nebenbedeutung).
Gruß
Frank
Guten Morgen Frank,
das ist ja gerade mein Problem - ich bin Skorpion, die wollen immer alles durchschauen :grin: ! Deshalb will ich manchmal so ein schwieriges Gedicht oder so eine bildhafte Geschichte wie deine rütteln und schütteln bis alle Bedeutungen rausfallen und ich alles verstehe! Das schadet natürlich dem Genuss...
LG maria, die doch immer noch rätselt, was die Motte bedeutet
das ist ja gerade mein Problem - ich bin Skorpion, die wollen immer alles durchschauen :grin: ! Deshalb will ich manchmal so ein schwieriges Gedicht oder so eine bildhafte Geschichte wie deine rütteln und schütteln bis alle Bedeutungen rausfallen und ich alles verstehe! Das schadet natürlich dem Genuss...
LG maria, die doch immer noch rätselt, was die Motte bedeutet
Hallo Frank,
mit dem Schrumpfen und Zusammenfalten gleichzeitig wird es schwierig. Spontan fällt mit da eine von diesen Kinderhüpfburgen ein. Wenn das Fest vorbei ist, lässt man die Luft raus. Die Dinger schrumpfen ein wenig, falten sich dann von alleine zusammen. Soweit ich weiß, schaut das auch bei diesen modernen, aufblasbaren Rettungsinseln so aus, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.
Liebe Grüße
Marlene
mit dem Schrumpfen und Zusammenfalten gleichzeitig wird es schwierig. Spontan fällt mit da eine von diesen Kinderhüpfburgen ein. Wenn das Fest vorbei ist, lässt man die Luft raus. Die Dinger schrumpfen ein wenig, falten sich dann von alleine zusammen. Soweit ich weiß, schaut das auch bei diesen modernen, aufblasbaren Rettungsinseln so aus, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.
Liebe Grüße
Marlene
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