Der göttliche Makel

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Sam

Beitragvon Sam » 18.06.2011, 08:17

Der göttliche Makel

Über Terrence Malicks „Tree of Life“ ist schon sehr viel geschrieben worden. Auf der einen Seite hoch gelobt, in Cannes als bester Film ausgezeichnet, mit Superlativen versehen. Dagegen steht eine erkleckliche Anzahl von negativen Kritiken, bis hin zum totalen Verriss. Allein das ist schon Grund genug, sich den Film anzusehen. Die eigene Meinung ist ja doch immer am interessantesten.

Von allen Kritiken, die ich gelesen habe, gefällt mir die von Thomas Assheuer (Die Zeit Nr.25) am besten. Er beschließt sie mit dem Satz: „Gegen den Regisseur Mallick ist Papst Benedikt ein Aufklärer.“ Holla, denke ich mir jetzt, wo ich den Film gesehen habe, da ist ein liberaler Freigeist – für Die Zeit ja nicht untypisch – jemanden aber mächtig auf den Leim gegangen. Natürlich ist es ein leichtes, diesen bildgewaltigen Film, der weniger eine Erzählung, denn ein zweieinhalbstündiges bebildertes Gedicht ist, als eine Aussage zu verstehen, ihn in die esoterische Kitschecke zu stellen, um mit aufgeklärtem Blick darauf herabzusehen. Der Weg zu Gott führt durch Leid und Schmerz, so versteht Assheuer den Film und aus diesem Verständnis heraus ist seine Ablehnung sehr nachvollziehbar. Nur leider hat er nicht genau hingeschaut, hat sich von der Üppigkeit der Kathedrale, die Mallick errichtet hat, so sehr beeindrucken lassen, dass er die Kleinigkeiten übersieht. Ebenso, wie Besucher großer Kirchen, die in den Prachtbauten nur Anbetungsstätten sehen, Ausdruck einer ins gigantische gesteigerten Devotion, dabei aber nicht bemerken, dass dies auch Orte der Reflektion und der Kritik sein können, wenn, wie zum Beispiel im Stephansdom in Wien, wo der steinerne Handlauf hinauf zu einer Kanzel mit Kröten und Schlangen verziert ist, Hinterfragen bildhaft gemacht wurde, ein Aufrichten aus der gebückten Haltung.

So findet man zum Beispiel in der Schlusssequenz, die in ihrer scheinbaren Versöhnlichkeit der Aufhänger vieler negativer Kritiken ist, einen kurzen Schnitt, der eine versinkende Maske zeigt. Völlig zusammenhangslos in der ganzen Szenerie an einem großen Strand, wo sich die Protagonisten des Films begegnen und am Ende die Mutter, die ihren Sohn verloren hat, sich an Gott wendet und mit ausgestreckten Händen ihr Kind sozusagen als Opfer bringt, indem sie sagt: „Ich schenke dir meinen Sohn.“

Verständlich wird das mit der Maske, wenn man ein anderes Detail betrachtet. Einer der Hauptdarsteller, Sean Penn, der den erwachsenen Jack spielt aus dessen Sicht die Geschichte „erzählt“ wird, spricht mit zwei verschiedenen Stimmen. Viel sagt er sowieso nicht, meistens hört man seine Gedanken aus dem Off. Wer die Synchronstimme von Sean Penn kennt, dem wird sofort auffallen, dass da eine andere Stimme zu hören ist. Das wäre nichts Besonderes, spräche er nicht mittendrin einen einzigen Satz mit seiner gewohnten Stimme.
Egal wie man nun diese Kleinigkeiten interpretieren mag, sie zeigen, dass Dinge nicht ganz so einfach sind, nicht ganz so offensichtlich, wie es jenen Kritikern vorkommt, denen das Antiaufklärerische, was sie im Film zu erkennen meinen, Unbehagen bereitet.

Für mich ist der Film eine gelungene Reflektion über das Thema Gut und Böse, dessen Wurzeln und den Umgang damit. Er enthält zahlreiche Anspielungen und auch direkte Zitate aus dem Buch Hiob. Dieser sagte sinngemäß, als er vom Tod seiner Kinder und dem Verlust seines Reichtums erfuhr: „Sollen wir nur das Gute von Gott annehmen und nicht auch das Schlechte?“ Die Mutter stimmt am Ende des Filmes diesem Gedanken zu. Ihr Sohn aber, der junge Jack, lehnt sich dagegen auf. Er erkennt, gezeigt durch das gestörte Verhältnis zu seinem Vater, das Böse, das in der Schöpfung steckt. Sein Aufbegehren gegen den Vater, ist das Aufbegehren des Menschen gegen einen Gott, der offenbar das Prinzip des Überlebens des Stärkeren in seiner Schöpfung verankert hat. Er hat die Möglichkeit geschaffen, böse zu sein, was den Schluss nahe legt, auch in ihm stecke etwas Böses. Der göttliche Makel. Schon am Anfang des Films wird differenziert zwischen dem Weg der Natur, die nur nach ihrem Vorteil Ausschau hält und dem Weg der Gnade. Und nur dieser, so lernte es die Mutter von den Nonnen, führt zu Glück und Zufriedenheit. Wenn die Mutter am Ende sich mit Gott versöhnt, dann ist sie es, die mit Gott gnädig ist. In der langen Sequenz, die den Weg der Schöpfung vom Urknall bis hin zur Erde, wie wir sie heute kennen führt, gibt es eine Szene, in der ein großer Dinosaurier einen kleineren findet, eine Art, die er offenbar gerne verspeist. Aber er tut es nicht. Zwar drückt er seinen Kopf sehr unsanft in den Boden, aber er verschont ihn. Hier tritt der Gedanke der Gnade wieder zu Tage, auch wenn es in diesem tierischen Umfeld etwas lächerlich erscheint. Was aber deutlich wird ist, dass Gnade nicht im Gegensatz zur Natur steht, sondern der einzige Weg ist, sich mit ihr, und dadurch mit Gott zu versöhnen.

Vergib uns unsere Schuld, heißt es im Vaterunser. Man kann Mallicks Film als eine Umkehrung dessen verstehen. Nicht Gott muss dem Menschen vergeben, sondern der Mensch Gott.

Gerda

Beitragvon Gerda » 18.06.2011, 12:01

Hallo Sam,

im Moment kann ich dir nicht mehr als Feedback geben, als dass ich es spannend finde, deine Abhandlung zu lesen.
Ich habe bisher viel über den Film gelesen, ferner Ausschnitte gesehen. Ich bin unschlüssig, ob ich ihn mir ansehen soll. Deine Rezension macht Appetit.

Der Titel ... Philip Roth ... lässt grüßen, gute Wahl!

Habe mir zunächst eine Lesezeichen gesetzt und komme darauf zurück.

Liebe Grüße
Gerda

Sam

Beitragvon Sam » 22.06.2011, 19:14

Hallo Gerda,

vielen Dank!

Ich kann nur empfehlen den Film anzuschauen. Falls du es tust, wäre ich sehr gespannt, deine Meinung dazu zu hören.

Der Titel...ja Philip Roth. Einer meiner beiden Leib und Magen Autoren.

Gruß

Sam


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