Anruf

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Caty

Beitragvon Caty » 29.05.2008, 07:50

Anruf

So nah
Die ferne Stimme des Sohns.
Unausgesprochen die Bitte um Wärme.
Um Tröstliches, zuweilen.

Ihn zogs zu den Meeren,
Himmelsgebirgen, Schlangensavannen,
Zur verheißenen Wolkenstadt,
Zu bauen an dem, was er Glück nennt.
Und dann, Mutter, hol ich dich, sagt er.

Ich schweige. Lausche dem Äthergeräusch,
Dem Aufbegehren des Dennoch, ungläubig.
Wenn er lacht, hör ich die Ängste, geb ihm
Ein schmales Wort, halt nieder
Ein peinliches Seufzen.

Abends, sobald der Himmel graut,
Steh ich am Fenster, zerr an der Nabelschnur,
Kindliches Seidenhaar zwischen den Fingern.
Fort trug ihn ein Vogel, bis hinter
Das Meer, hinein in die dunkle Wolke, damals.
Als es Abend wurd.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 31.05.2008, 13:20

Hallo,

ich schließe mich an: Ein sehr starkes Gedicht - das es wieder mal schafft nicht in der Geste des großen Wortes seine Aussagen zu verschlucken; gefällt mir auch sehr!

Nikos Vorschlag finde ich durchaus überlegenswert - es macht den Text kompositorisch klarer, aber auch mit der Strophe ist er für mich rund und zuviel ist sie mir auch nicht, ich mag seltsamerweise beide Versionen.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 31.05.2008, 23:45

Hallo Caty!

Wie allen, gefällt auch mir dieses Gedicht; Und wie manchen missfällt mir das Schlusswort "wurd" - es wirkt wie eine unschöne Kreuzung aus "ward" und "wurde". Aber der kleine Mißton kann den Hörgenuss nicht wirklich mindern ;-)

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)


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