entfremdung

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Caty

Beitragvon Caty » 26.07.2007, 07:41

meine straße ist keine straße
mein haus ist kein haus mehr
und bäume sind keine bäume
die stadt bleckt die zähne

das brot schmeckt nicht nach weizen
die äpfel ohne sommersüße

die vögel auf den pappelästen
meiden den gesang das heu
wird nicht zum bett mir kein zweig
streift mein gesicht und blinde käfer
schlagen gegen wände

kein spiegel zeigt mein bild
in den büchern
die zeilen flattern, betäubte Motten,
von seite zu seite
und zeitungen schleudern spruchweisheiten

ich will so viel noch leben
in dieser schalen zeit schlägt keine
uhr die stunde mir

ich lebe so dahin

ich hungere

und ein weg ist kein weg noch
mir ins draußen

Caty

Beitragvon Caty » 28.07.2007, 19:55

Es wäre verfehlt, den Text auf der rein persönlichen Ebene zu lesen, dann hätte ich ihm einen anderen Titel gegeben. Aber selbstverständlich wirken die allgemeinen Gegebenheiten auch ins Persönliche hinein. Man muss aber nicht nur aus persönlichen Gründen traurig sein, denke ich mir. Wie gesagt, das Verständnis eines Gedichts ist immer ein Werk von Zweien: des Autors und des Lesers.

Pandora, zu "Und ein Weg ist kein Weg mir noch ins draußen": Was will ich damit ausdrücken?
Es gibt viele Vorschlägemacher, die glauben, die Misere lindern oder gar verändern zu können - also Wege nach draußen, aus der Entfremdung. LI aber hat erkannt, dass keiner dieser Wege tauglich ist. Was die Wortstellung angeht: Ich finde sie in Ordnung, verständlich. Ich verstehe nicht, wo die Unverständlichkeit liegt: Mir sind diese Wege keine Wege nach draußen. Diese Formulierung aber wäre mir zu prosaisch.

Trixie, ich gebrauche das Ich dreimal. Es ist bewusst als Anapher benutzt. Es wäre hintenrum gekratzt, wenn ich diese Passagen umformulieren würde, damit nicht das Ich an erster Stelle steht (so wie früher die Ermahnung: Du sollst keinen Brief mit Ich anfangen). Die Situation ist doch, dass sich das LI Gedanken über das Fortbestehen der Menschheit (die Entfremdung) macht und niemand anders, also muss es doch auch von sich selbst sprechen. Ich bin gegen falsche Bescheidenheit.

Ja, der Text ist von Angst, tiefer Melancholie und Trauer getragen. Dass das so ist, habe ich erst bemerkt, als er fertig war, der Text hat also ein Eigenleben, denn so hatte ich das Gedicht nicht konzipiert, eher neutraler, objektiver.

Herzlich Caty


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